• Die geregelte Arbeit

    Die Arbeit regelt das Leben. Umso wichtiger ist also eine geregelte Arbeit. Eine Arbeit strukturiert den Alltag. Ohne Alltag wäre ich längst versoffen. Ich würde in Oltens Gassen versumpfen; unter der Alten Brücke hausen, rasierte und geduschte Passanten anbetteln. Die geregelte Arbeit erleichtert mir das Leben.

    Bald verliere ich meine geregelte Arbeit. Ich will sie gegen das Abenteuer Selbständigkeit eintauschen. Ich habe meinen Entschluss bestärkt, bekräftigt. Im Business Alltag kommuniziere ich neuerdings, dass man sehr wahrscheinlich mich im nächsten Jahr als Unternehmer betiteln darf.

    Auch selbständig werde ich weiterhin arbeiten. Die Arbeit ordnet weiterhin mein Leben. Hier ändert sich nichts, vorläufig nichts. Als ich noch keine geregelte Arbeit hatte, musste ich mich selber orientieren. Niemand hat mich morgens irgendwo erwartet. Niemand hat meine Leistung gewürdigt oder eingefordert. Ich existierte; fern und abseits und unbemerkt.

    Ich musste mich selber motivieren. Heute tröstet, dass ich Ende Monats einen anständigen Batzen ausbezahlt erhalte. Damals hatte ich kein Geld; ich war stets blank. Aber ich hatte mir einen Alltag irgendwie auferlegt. Ich weckte mich freiwillig bis allerspätestens um 09:00 Uhr. Ich las danach den Perlentaucher. Und schrieb.

    Ich schrieb meistens bis ungefähr bis 11:00. Danach wusch ich mich. Weil ich musste einkaufen. Ich konnte bloss frisiert Oltens Gassen betreten. Ungeduscht, ungekämmt konnte man mich nicht herauslocken. Dieser kleine Zwang hege ich heute noch, aber ich toleriere mittlerweile auch Abweichungen und Ausnahmen.

    Mittags ass ich immer dasselbe. Entweder kochte ich mir Teigwaren mit Fertigsaucen. Oder ich verschlang ein Fertigsandwich ausm nahen Discounter. Meine Nahrung war funktionalisiert. Ich wollte nicht geniessen, feinschmecken oder kosten. Ich wollte einfach überleben, weil funktionieren. Meine Nahrung war rasch verzehrt.

    Anschliessend gönnte ich mir einen Mittagsschlaf. Ich lag im Bett und las meine Bücher weiter. Bis ich plötzlich eindöste und schnarchte. Ich programmierten meinen Linux-basierten Musikwecker allerdings. Dieser begrenzte meinen Mittagsschlaf; sonst hätte ich wohl den Tag verpennt. Man muss sich also bloss disziplinieren.

    Nachmittags schrieb ich wieder. Ich las und schrieb. Was ich damals schrieb, kann ich heute aber nicht mehr lesen. Ich habe mich mittlerweile sehr entfremdet. Ich bin altersmilder, versöhnlicher und ausgeglichener worden. Ich war damals sehr radikalisiert. Ich verachtete die Privatwirtschaft, die geregelte Arbeit und alle die netten Nebeneffekte davon.

    Und heute? Ich verfluche die Arbeit nicht. Ich freue mich wie alle anderen aufs wiederkehrende Wochenende. Auf diese kurze Zeit, die einen erlöst und entspannt. Ich möchte mein Geld verschleudern. Ich möchte nicht dauernd philosophisch mich erinnern, dass die Mehrheit der Menschheit hungert.

    Ich bin heute angepasster, geregelter. Ich muss niemanden mehr beunruhigen. Schliesslich arbeite ich. Denn ich muss mich morgens ausm Haus zehren. Ich pendle. Ich muss in einem Büro sitzen, dort beraten und so. Abends darf ich heimkehren. Das Leben schenkt mir einen Feierabend; einige Stunden der totalen Selbstbezüglichkeit.

    Ich muss weder philosophieren noch debattieren. Meine geregelte Arbeit entschuldigt mich. Sie legitimiert alles, auch dass ich bloss konsumiere. Deswegen schmäht mich niemand. Die Gesellschaft schätzt mich als Steuerzahler, als verschwenderischen Konsumenten. Als Produktivitätsbeschleuniger. Man respektiert mich.

    Aber das befriedigt mich nicht. Weil ich weiss, wie rasch diese Anerkennung wegbrechen, sich verflüchtigen kann. Es hängt bloss davon ab, ob ich eine geregelte Arbeit habe oder nicht. Das verstimmt mich gelegentlich. Ich bedauere, dass die Gesellschaft mich bloss wegen meiner geregelten Arbeit wahrnimmt und würdigt.

    Ja, die geregelte Arbeit. Derzeit schätze ich meinen gedämpften Arbeitsrhythmus. Ich arbeite minimalistisch. Ich bilde mich kaum beruflich fort. Ich investiere nichts. Weil ich einen nahenden Sturm erwarte. Denn bald überbeansprucht meine Arbeit mich wieder. Sie bannt meine gesamte Energie und Aufmerksamkeit.

    Und zwar ziemlich bald. In wenigen Monaten muss ich mein Schreibpensum reduzieren. Ich muss stattdessen mich einlesen, mich vorbereiten und mich selber vermarkten. Ich wühle wieder an diesen Fachtagungen, ich fresse mich durch Apéros. Ich setze mein beinahe vergessenes Studium an der business school fort.

    Bis dahin werde ich hier gewiss noch berichten, Erwartungsmanagement betreiben.


  • Meine mangelnde Mobilität

    Die Schweiz beschränkt meine Mobilität. Weil sie so kleinräumig ist. Wer in Olten lebt, kann in diversen Lebenswirklichkeiten sich verwirklichen. Ich kann problemlos in Zürich arbeiten, in Bern feiern und in Basel lieben. Und ich kann gleichzeitig in Olten eine secure base festigen, wo ich mich zurückziehen kann.

    Ich muss mich nicht total entscheiden, entweder einem Beruf oder einer Liebe oder einem Studium bedingungslos zu folgen. Ich kann alle Ziele gleichzeitig vom selben Ort erfüllen. Ich kann mich gleichzeitig in unterschiedlichsten Kreisen bewegen und interagieren. Ich kann diese Kreise wie bei G+ sogar überschneiden lassen.

    Das hat Vorteile. Das macht mich multifunktionaler, multipotentialer. Das macht mich flexibler und anpassungsfähiger. Das macht mich agiler. Agiler leben. Aber das hat auch Nachteile. Ich werde weniger mit dem Unbekannten konfrontiert. Ich war noch nie herausgefordert, ein komplett neues Leben in einer komplett fremden Stadt zu etablieren.

    Weil ich muss mich weniger behaupten, weil ich alle Lebenswirklichkeiten jederzeit konsumieren kann. In Deutschland hingegen schwärmt die Jugend nach dem Abitur quer durchs Land. Und rotiert nochmals für den ersten Beruf. Die Menschen konsolidieren sich in den gross-attraktiven Zentren.

    In der putzigen Schweiz allerdings können Bekannte in Zürich wohnen und sind weiterhin gute Bekannte, weil stets zugänglich und erreichbar. Vor allem und insbesondere aus einer privilegierten Oltner Perspektive. Niemand ist gezwungen, einen komplett neuen Bekanntenkreis zu schaffen.

    Was verursacht diese mangelnde Mobilität in und mit mir? Sie versprüht eine gewisse Gemütlichkeit und Entspanntheit. Sie beruhigt mich. Sie stabilisiert meine Beziehungen. Sie hemmt meinen Reisedrang. Aber gleichzeitig verringert sie meine Wettbewerbsfähigkeit. Weil trotz all dem ich weiterhin in Olten mich konzentriere.

    Und hier habe ich meinen lokalen Benchmark. Der kann den Effekt meines bedingungslosen Aufstiegswillens schmälern, weil ich mich bloss mit einem kleinen Ausschnitt der Welt und des Möglichen vergleichen kann. Statt dass ich mich mit die volle Härte der Potentiale aller Gleichartigen auseinandersetzen müsste.


  • Mein Lebenshunger

    Ich will meinen Lebenshunger zähmen. Ich bin gierig, ich weiss. Ich trachte und sehne unendlich. Ich überspanne und überdrehe. Aber ich möchte mich wieder beruhigen. Ich möchte mich wieder aufs Wesentliche konzentrieren. Ich möchte bald meine Masterarbeit abschliessen. Ich möchte bald beruflich mich umorientieren und aufwerten. Ich möchte die Liebe intensivieren.

    Seit ich lebe, überschreite ich Grenzen. Ich bin ein Grenzgänger. Ich teste und reize. Ich provoziere. Ich konnte zwar fortziehen, mich in Lostorf zeitlang niederlassen. Ich konnte dort mein Leben entschleunigen. Aber ich bin dennoch ausgebrochen. Ich habe Frau und Haus zurückgelassen. Immerhin ohne Kind. Ich möchte diese Zeit nicht verherrlichen. Ich möchte bloss anerkennen, dass diese Zeit mich beruhigte.

    Ich sehne mich nach Ruhe. Ich wollte vom Sumpf Oltens fliehen. Aber es ist nicht Olten, ich bin es selber. Wo auch immer ich bin, dort muss ich mich mit mir selber auseinandersetzen. Ob in Basel, Zürich, Berlin, Warschau oder Brüssel, um mal mögliche Destinationen zu listen. Statt ich die sozialen, moralischen und finanziellen Grenzen Oltens sprenge, könnte ich ebensogut meinen Lebenshunger sublimieren.

    Arbeit und Schule befreien; gesunde Ernährung sowie Bewegung gleichen aus. Das sind populäre Erkenntnisse unserer Alltagslebensschule. Ich verachte sie nicht. Ich achte sie bloss zu wenig. Ich werde vermutlich bald aufs Rauchen verzichten. Das sinnlose und exzessive Feiern werde ich einschränken. Ich möchte lieber mit guten Freunden ein Abendmahl kosten oder meine magische Liebe ausführen.

    Gewiss spricht sonntags auch bloss der fette und faule und liederliche Moudi in mir. Mich tröstet, dass ich mich verändern kann. Weil ich mich stets anpassen und verändern musste. Ich habe mein Leben bereits etliche Male umgestaltet. Ich werde auch fürs kommende 2017 mich nachhaltig weiterentwickeln. 2016 werde ich als intensives Jahr erinnern und in einer grossen Retrospektive auch zu würdigen wissen.

    Ich werde mich einigermassen wieder normalisieren. Ich möchte stattdessen anders ausbrechen. Kleine Simulationen oder echte Sublimation. Mir einen Rahmen schaffen, wo ich Andersartigkeit, Grenzgängertum spüren kann. Ich erträume mir eine Art Rollenspiel, wo ich als ich fies-fette Ratte durchs Labyrinth taumle. Wo sich Türen öffnen, die mir einen gewissen Wahnsinn erlauben.

    Aber alles kontrolliert. Ich mag zwar ein normales Leben, aber genausogut mag ich es intensiv. Ich möchte mich nicht komplett zähmen oder kastrieren. Ich möchte weiterhin meine Rollen spielen. Ich möchte gelegentlich dumm schwatzen, diesen kleinen Blog betreiben, mich für die politische und soziale Welt interessieren, meine Liebe verfeinern, beruflich aufsteigen. Meine Bedürfnisse sind bescheiden.


  • Ich mag nicht reisen

    Ich mag nicht reisen. Ich mag nicht mit irgendwelchen fremden Menschen Gespräche erzwingen müssen. Ich mag meine Route nicht erklären. Ich mag keine Motivation begründen, wieso ich hier und nicht woanders bin. Ich mag nicht über die Schweiz und die Schweizer schimpfen. Über die Enge, über den stieren und strengen Alltag. Ich mag nicht unsere Frauen verunglimpfen und als frigide betiteln.

    Ich mag einfach nicht. Ich mag auch nicht fremde Kulturen kennenlernen. Denn ich zweifle, inwieweit wir wir uns noch selber referenzieren können, wenn wir ohnehin von der grossen westlichen Kultur durchdrungen und verludert sind. Ich mag nicht exotisches Essen schmecken, wenn ich im Wilerhof weiss, was ich erwarten kann. Wenn ich im Rathskeller immer dasselbe bestellen kann.

    Ich mag nicht interessante Persönlichkeiten entdecken, die durchs Leben irren. Ich mag nicht sie nicht zweifelnd und jammernd hören. Ich mag nicht ihre dritte Adoleszenz begleiten müssen. Ich mag nicht abends mich mit Alkohol betäuben. Ich mag nicht Feste feiern, die mir nicht passen. Ich mag nicht irgendwo torkeln, wo ich meinen Heimweg nicht intuitiv finde.

    Ich mag nicht sein, wo man mich nicht kennt, wo man keinen Kontext über mich hat. Wo man stattdessen immer die komplette Lebensgeschichte schildern, aber die gewichtigen Details aussparen muss, weil man ansonsten verurteilt wird. Ich mag mich nicht mehr beweisen müssen. Ich mag nicht, wenn man mich unter- oder überschätzt. Ich mag nicht spielen, mich überhöhen und inszenieren.

    Ich mag es gemütlich, geborgen. Ich mag die Schweiz. Ich mag nicht nach Berlin auswandern. Ich mag nicht mich karikieren. Ich mag, wenn ich mich entspannen kann. Ich werde Berlin gewiss noch beeindrucken. Weil ich nicht aus Berlin stamme. Sondern bloss in Berlin bettelte. Ich mag auch nicht in Australien mich zu sonnen. Ich mag auch keine Expeditionen durch Südostasien organisieren. Ich mag nicht.

    Ich muss nicht, ich muss nicht. Ich werde nicht gedrängt oder gezwungen. Ich fühle nichts, was mich in die Welt treibt. Ich habe genug Welt in mir. Ich bin Kosmopolit. Ich träume stattdessen von einer Vereinigten Föderation der Planeten. Von einer wahrhaftiger Weltregierung. Von einer Welt ohne Geld, ohne Unterschichtsfernsehen, Satire und Gewalt sowie Kriminalität. Wirklich.

    Ich mag nicht reisen, um mich kennenzulernen. Denn ich lerne mich kennen, wenn ich in mich kehre. Das kann ich überall. Dazu brauche ich keinen Dschungel, keinen Strand und noch weniger irgendwelche andere Selbstfindungstouristen. Die ohnehin bloss ganz egoistisch ihre Selbsterkenntnisse verkünden wollen. Die mich bloss zureden würden. Und irgendwann damit enden, ich solle noch mehr reisen. Damit ich noch mehr erfahren werde, aber noch weniger begreifen könne.

    Aber ich möchte niemanden verhindern. Ich möchte niemanden verurteilen. Alle dürfen reisen, so viel und so gerne wie sie wollen. Ich werde niemanden aufhalten oder bremsen oder zurückhalten. Ich lasse alle Menschen gehen und forttreiben. Man darf sogar auswandern, ich billige das. Aber ich möchte bloss, dass man mich versteht, dass ich kein Bedürfnis habe. Ich muss nicht, ich muss nicht. Nichts befeuert mich.


  • Das NEON Magazin

    Im  grossen deutschen Land feiert sich die aufgeklärte studentische Subkultur. Sie isst vorzugsweise vegetarisch, mindestens aber gesund und bewusst. Sie verpönt Atomenergie. Sie ist sexualisiert; Tinder und so. Sie reist, pilgert und versteht. Sie ist cool, sie hört zeitgenössische Musik. Sie lebt in grossen Städten (Hamburg!). Und sie liest NEON.

    Gemäss Wikipedia fokussiert die Zeitschrift “Menschen zwischen 20 und 35 Jahren mit hohem Bildungsstand und überdurchschnittlichem Einkommen”. Die Lieblingszielgruppe aller Blofelds. Ein überdurchschnittliches Einkommen, das verschleudert werden will. Die Redaktion repräsentiert die Zielgruppe wohl bestens; abgesehen vom Einkommen.

    Ich scrolle durch die Beiträge, ich blättere durchs physische Heft. Die aktuelle Ausgabe poltert beispielsweise “Gib alles für die Liebe”. Ein sehniger Beitrag, der an Wir können uns nicht verlieben oder an Ohne Liebe kein Leben erinnert. Ich fühle mich aber nicht inspirierter. Auch die übrigen Beiträge bannen mich nicht. Irgendwie ist’s so la la.

    Vermutlich kann ich mich nicht anfreunden, weil ich mich nicht mit der angestrebten Zielgruppe identifiziere. Ich entstamme nicht diesem Milieu. Ich lebe in Olten. Wir haben hier keine homogene Schicht, die das junge, gebildete und einkommensstarke Leben zelebriert. Wir haben keine solche Subkultur; wir haben bloss das Coq d’or, das Vario und das Galicia.

    So schliesse ich nun die Webseite, ich entsorge das Heftchen. Ich bin weder deutsch noch in einer grossen Weltstadt lebend. Ich interessiere mich weder fürs gesunde Leben, für zeitgenössische Musik, für hippe Ausgehtipps in irgendwelchen osteuropäischen Grossstädten noch für den Exodus türkischer “Intellektuelle” seit Erdogan.


  • Der gequälte Künstler

    Ich verstehe alle Künstler, die bloss im Leiden, während grösster Qualen Produktivität ausüben können. Im “normalen”, sprich unbeschwerten und frohen Zustande muss man keine Kunst produzieren. Weil man sich nicht ausdrücken muss. Man hat alles ausgesagt, alles ausgekotzt. Nichts mehr, worüber man sprechen, berichten könnte.

    olten-galicia

    Ausgenommen die Berufskünstler, sie müssen fortlaufend funktionieren-wirken. Sie müssen auch vom guten Leben erzählen können. Ob ich jemals übers gute Leben schreiben kann? In bekannt gütiger Altersmilde? Heute jedenfalls nicht, denn das Schreiben soll mich bloss befreien, besänftigen und trösten. Ein geheimer Blog als Abfallprodukt davon.


  • Meine Bedienungsanleitung

    Wie bedient man mich? Wie funktioniere ich? Falls jemand mich kennenlernen möchte, sollte diese Person meine allgemeinen Verhaltensmuster durchklicken und irgendwo mit einem leichtfertigen Haken akzeptieren. Für die einfachere Handhabe offeriere ich eine kleine Bedienungsanleitung. Leider ohne idiotensichere Visualisierungen.

    Knutsche mich!

    Das wichtigste ist, dass man mich küsst. Egal wann und wie. Ich liebe Knutschen. Wirklich. Ich mag knutschen vor, nach oder während dem Sex. Ich mag auch Knutschen ohne Sex. Wenn wir ohnehin “viel” Sex haben, dann können wir auch mal ohne Sex Knutschen. Ansonsten werde ich geil und spitz und will bumsen. Man kann auch spontan knutschen, im Restaurant, an einer Tramhaltestelle, aufm Sofa. Wir müssen nicht wie 14-Jährige stundenlang knutschen. Aber wir sollten regelmässig knutschen. Bitte keine flüchtigen Küsse. Ich will richtige! Ich brauche das.

    Bekoche mich!

    Ich koche ungern. Ich kann technisch funktional kochen. Aber ich mag nicht. Seit ich Geld verdiene und das apathische und asketische Leben eines Anti-Künstlers irgendwo in einem verlorenen Bunker Oltens aufgab, will ich extern, auswärts essen, will ich mein Geld fürs gute und feine Essen vergeuden. Ich will alles verjubeln. Daher verweigere ich mich, daheim für mich alleine zu kochen. Aber wenn du kochen kannst, dann tue es. Du musst nicht Pasta selber machen können oder eine hippe Fusionsküche beherrschen. Eine Pizza tut’s auch. Egal was, es ist der Akt, der mich bezaubert und fesselt.

    Kitzle mich!

    Ich will keine Frau, die mir jeden Satz glaubt. Ich erzähle manchmal Mist, ich übertreibe. Ich bin zuweilen zu grössenwahnsinnig. Also bremse und stoppe mich. Du darfst mich kritisieren. Ja, du darfst wettern, ich solle endlich ein T-Shirt tragen. Du darfst nörgeln, ich sei zu selbstverliebt. Du darfst mich korrigieren, dass nicht alleine die Idee einer verspäteten Nation Deutschlands Überfall Belgiens 1914 verschuldete. Oder wie auch immer. Du weisst es durchaus besser, sonst wäre ich nicht mit dir zusammen. Du bist kein Dummerchen und ich kein Gott. Natürlich habe ich meine Vorzüge und Qualitäten, aber ich bin verdammt fehlbar. Ich möchte mich aber bessern. Aber übertreibe nicht, du sollst nicht ständig und dauernd quengeln, hier und da Nichtigkeiten monieren.

    Blase mich!

    Ja, ich bin lebenshungrig. Ich möchte eine Sexualität, die nicht verkümmert. Du musst nicht stundenlang einen trockenen Schwanz rubbeln. Das ist voll ungeil. Es ist auch nicht geiler, wenn du es schneller machst. Manchmal darf Frau einfach mal die Fresse aufmachen und ihn reinstecken. Das korreliert mitm “Kitzle mich!”. Nicht immer zu viel reden und wollen. Manchmal einfach die grosse Macht erfahren, einen Schwanz im Mund zu haben. Ja, ich bin abhängig davon, ich bin süchtig danach. Wer mich wirklich süchtig machen will, sollte das tun. Man sollte es nicht tun, bloss weil ich es will und man muss oder ich es fordere, sondern weil es man selber gerne tut. Ansonsten ist’s ein Betrug, den ich sofort spüre. Das ist abtörnend. Das Blasen kann man gerne mit einem Vorspiel koppeln. Man darf mir auch “einfach so” blasen. Ich habe keine Probleme damit. Man muss sich bloss wagen. Ich kann auch irgendwo draussen; im Zug, aufm Klo oder auf einer Sitzbank. Wenn du gut bläst, dann revanchiere ich mich als unbändig-leidenschaftlicher Liebhaber. Versprochen!

    Tanze mit mir!

    Tanze mit! Tanze mit mir! Wir können gelegentlich durchdrehen. Wir müssen gelegentlich ausbrechen. Wir können nicht immer aufm Coach hängen, die NZZ am Sonntag oder die ZEIT lesen, über die Gefahren der Gentechnik debattieren und das bedingungslose Grundeinkommen befürworten oder Houellebecqs Karte und Gebiet rezensieren. Wir müssen feiern und tanzen. Nicht jeden Abend. Aber wir sollten. Auch wenn wir bereits jenseits der 30 sind, müssen wir feiern. Wir können Muschishots verschütten. Wir können im Terminus unseren Abend terminieren. Wir können in der Bar 97 Eistee schlürfen. Am nächsten Tag können wir problemlos auf einer Couch dösen, knutschen, Essen beschaffen und meinetwegen kitschige Filme gucken. Alles ist möglich, sofern wir einen Rahmen schaffen, wo wir kontrolliert unkontrolliert sein können; gemeinsam.

    Teile mit mir!

    Wir müssen unsere Ziele nicht totalst überdecken können. Wir müssen sie aber teilen können. Teilen bedeutet für mich auch, teilhaben, kommunizieren, weiterschenken. Wir müssen nicht alle unsere Ziele opfern für ein gemeinsames Haus oder züchtigen Nachwuchs. Keinesfalls. Aber wenn du Ziele hast, dann teile sie mir. Teile sie mir mit. Erzähle sie mir. Ich interessiere mich schliesslich für dich und deine Träume. Ich will wissen, was dich antreibt. Wir haben sooderso Kongruenz. Aber wir werden auch sooderso Differenz haben. Ich will deine Träume kosten. Aber probiere auch meine. Weil auch ich habe welche. Diese werde ich niemals eintauschen, egal wie gut du kochen und blasen oder was auch immer kannst. Ich will, dass wir gemeinsam und einsam unsere Ziele erlangen. Dass wir beide Erfolg haben. Ich will keine Frau, die einen Mann ziert, auch wenn du sicherlich wunderschön und anmutig ausschaust und sicherlich mit guten Genen ausgestattet bist. Ich will eine Frau, die notfalls sogar erfolgreicher sein könnte als ich. Aber fürchte dich nicht, wenn ich erfolgreicher sein werde als du. Du verliebst dich nicht nur in mich, sondern auch in mein unendliches Potenzial, das dich berauscht.

    Frage mich!

    Hast du etwas gehört, gesehen, gelesen oder gespürt? Dann frage mich! Du kannst mit mir alles bereden. Aber du musst mich fordern. Ich funktioniere zuweilen zu gut. Ich bin manchmal ein wenig abgelenkt und zerstreut. Du willst meinen Fokus, dann frage mich. Du darfst mich fragen, ich werde dir antworten. Ich kann dir die Welt, meine Gefühle und alles erklären. Ich kann sehr redselig sein. Wenn dich das stört, frage mich nicht. Du darfst mich auch fragen, welche Folge von Star Trek ich bevorzuge. Oder welche Folge einer Schrecklich netten Familie. Du kannst mich ebenso fragen, was die grosse Sesshaftigkeit, die grosse neolithische Revolution verursacht hatte. Weil ich liebe solche Themen. So wie ich ebenfalls die Abgründe der Menschheit liebe; Amokläufe, Verzweiflung und Verbitterung. Nebenbei führt, wer fragt. Du kannst mich damit gut lenken. Ich werde dich begehren, ich werde zurückfragen. Denn ich interessiere mich ebenso für dich, sonst wärst du nicht bei mir oder ich nicht bei dir. Schliesslich werde ich dich berühren. Wenn du zu viel fragst, werde ich dich einfach knutschen. Du kannst nichts verlieren, also riskiere, stelle mir doofe Fragen.


  • Das Familiendrama

    Die Familie kaufte sich ein Häuschen in einem Vorort Oltens. Es war gewiss nicht das grösste und schönste. Nebenan thronten eingesessene Familien, die über Jahrhunderten Beachtliches häuften. Das störte sie nicht sonderlich. Der Vater war bei einem nationalen Stromversorger angestellt. Die Mutter umsorgte liebevoll zwei Buben.

    Auch gewiss waren die Kinder nicht die schönsten und klügsten. Sie waren beide jedoch sportlich, in einer bekannten Jungmannschaft engagiert. Der ältere Bruder absolvierte eine kaufmännische Grundausbildung, der jüngere Bruder weilte noch in der Schule. Sie beide waren bleich. Sie waren keine Übermenschen, sondern normal und anständig.

    Die Tage wiederholten sich. Der Vater quälte sich durch seine 40h-Woche. Die Mutter erzog und pflegte das Familienglück. Der älteste Sohn kiffte, trank manchmal Alkohol. Der jüngste fiel nicht weiter auf. Niemand konnte ahnen, was demnächst Olten schockierte. Eine ganz normale Familie. Eigentlich glücklich und ohne Grund. Ohne ersichtlichen Grund.

    Denn eines Tages kehrte der Vater erneut heim. Er platzierte seine Jacke an der Garderobe, zog seine Schuhe aus, stieg in seine Adiletten. Er grüsste Frau und das jüngste Kind. Er verabschiedete sich in den Keller. Er wollte noch einige Reparaturen erledigen. Er entsicherte seinen Werkzeugschrank. Er hielt inne.

    Er griff nach seinem Sturmgewehr 90. Er munitionierte auf. Die Frau benachrichtigte ihn, er könne essen; Broccoli-Teigwaren-Auflauf, eine leichte Abendmahlzeit. “Einen Moment Schatz”, erwiderte er hörbar und deutlich. Er maskierte sich. Er möchte nicht wiedererkannt werden. Er möchte sich distanzieren.

    Er marschierte die Kellertreppe hoch. Entschlossen hob er den rechten Fuss zuerst, zog den linken nach. Jeder Schritt vollstreckte er bewusst und intensiv. Er spürte sich das erste Mal seit Jahren. Er war aufgeregt, nervös, aber zutiefst entschlossen und ergriffen. Schliesslich lockerte die Kellertüre. “Ich bin gleich da!”, informierte er unschuldigst seine Familie.

    Sein Sohn guckte fern. Sein Sohn drehte sich um. Sah den maskierten Vater, bewaffnet mit einem Sturmgewehr. Der Vater erschoss ihn sofort. Der Sohn konnte sich nicht wehren. Die Mutter erschrak. “Was ist los?? Was war das?? Um Gottes Willen??”, stürmte sie ins Wohnzimmer. Der Vater wandte sich, er blickte sie eine halbe Sekunde an. Und feuerte halbautomatisch.

    Er hat seinen Sohn und seine Frau ermordet. Er wollte sich wieder einmal männlich und entschlossen fühlen. Er wollte seine Grenzen erfahren. Und nun hat er sie überquert. Er kann aber niemals wieder zurückkehren oder irgendwas normalisieren. Das Leben ist nun sinnlos. Er verkürzte nun auch sein Leben und sackte zusammen.

    Diese Geschichte basiert auf wahren Tatsachen. Die Geschichte ist aber in meinem Sinne dramatisiert worden. Ich empfinde weiterhin grösstes Beileid für die Opfer.


  • Die tragische Geschichte von P.

    P. hat nichts falsch gemacht. P. spielte Fussball, lernte Mädchen kennen. P. tanzte im Metro und im Terminus. P. stammt aus R. P. absolvierte das KV. P. arbeitete als Backoffice. P. erledigte Routine- wie Regel-Aktivitäten. P. war stets loyal und engagiert. P. hat das interne Verbesserungswesen gestützt. P. war selbständig und beflissen. Aber doch ist P. im Leben gescheitert. Wieso erzähle ich heute.

    P. schmückte seinen Arbeitsplatz mit aufbauend-motivierenden Sprüchen wie “Ich kenne keine Probleme, sondern nur Herausforderungen” oder “Alles wird gut” oder “Wir schaffen das”. Er wiederholte diese Sprüche in allen Bürosituationen. Er war stets optimistisch-zuversichtlich. Zuweilen verärgerte er damit seine Arbeitskollegen. Denn er war penetrant. Es war sein Versuch der bewussten Autosuggestion. Doch wozu?

    Obwohl P. nichts falsch gemacht hat. Er hat weder Drogen konsumieren, noch sein Leben dermassen verschwendet wie wohl andere (ich!). Er hat weder vom literarischen Giftschrank geschöpft, noch im depressiven Milieu sich versteckt. Er war technisch psychisch gesund. Ein Geburtsgebrechen konnte man ausschliessen. Das einzige, was man ihm allenfalls anlasten kann, ist seine Dümmlichkeit.

    Doch die Dümmlichkeit war herzlichst, erwärmend. Er war nicht dämlich, sondern liebenswürdig-dümmlich. Er war mit Liebe beseelt-beeifert. Obwohl er seit seinen späteren Jahren vergebens eine Freundin sucht und keine findet. Weil er zu nett ist. Weil die einheimischen Damen mehr Aufregung und Spektakel erwarten. Damit war er vom Sexmarkt quasi isoliert. Sein Alltag rotierte. Beruf und Sport simulieren Ausgeglichenheit.

    Also obwohl P. nichts falsch gemacht hat, bestrafte das Leben ihn. Plötzlich erlahmte sein Geist. Er konnte sich kaum noch an vergangene Worte erinnern. Er konnte nicht mehr repetitive Prozeduren ohne Anleitung durchführen. Sein Zustand verschlimmerte sich. Doch alles hat eine Ursache; kein Zufall kann einen Menschen so und so plötzlich deformieren. Denn das Leiden war klassisch psychosomatisch.

    P. liebte einen Bruder. Seinen Bruder. Sein Bruder entschied aber sich eines Dienstags, statt in den Zug unter den Zug zu steigen. Der am Bahnhof von R. einfahrende Zug hatte kurz vorm Perron A noch ausreichend Geschwindigkeit, einen Todessehnsüchtigen zu zerquetschen. Der Lokführer bremste. Der Lokführer wusste, dass nichts den Tod verhindern könnte. Er wählte gemäss Standardverfahren den internen SBB-Notfalldienst.

    Psychologische Sofortbetreuung. Der Zug verspätete sich aufgrund eines Personenunfalles. “Schon wieder!”, empören sich die Zugwartenden im nahen Olten. Der Bruder von P. verstarb sofort. Das blockierte seitdem P. “Wie kann man bloss? Wie kann man bloss freiwillig sterben?”, rätselt P. ununterbrochen. Er kann kein Motiv kognitiv reproduzieren. Er verzweifelt. Seine Mantras bewirken nun nichts mehr.

    Sprüche wie “Alles wird gut” verwirren, verunsichern bloss noch. Nichts mehr wird gut. Alles ist zerstört. Obwohl P. sich stets bemühte, obwohl er den Freitod rationalisieren möchte, war einige Synapsen unwiderruflich gekappt. Er konnte gewisse Informationen nicht mehr leiten. Gewisse Regionen seines Gehirns waren abgeschnitten.

    Und damit begann seine geistige Umnachtung. Fortan degenerierte er zum reinen beweglichen Körper. Sein Geist verkümmerte. Die staatliche Psychiatrie war überfordert. Auch Medikamente konnten die verschütteten Synapsen nicht mehr freilegen. Der Arbeitgeber musste das Anstellungsverhältnis nach Ablauf einer gesetzlichen Frist auflösen.

    Er konnte keinen Widerstand mehr leisten. Sein Lebenswille war erloschen. Er konnte auch nicht mehr letzte Kräfte mobilisieren, um im nahen Trübelbachweier sich zu ertränken. Seitdem strapaziert er die Gesundheitskasse. Niemand kann ihn “reparieren”. Was ihm übrig bleibt, ist das grosse Unverständnis. Vermutlich bloss ein Missverständnis. Wie so oft.


  • Mein grosszügiger Strassenkredit

    Ich geniesse gewisse Glaubwürdigkeit auf Oltens Strassen. Wenn man mich bloss “sieht”, könnte man nicht vermuten, wie abgefuckt ich war und bin. Ich wirke einigermassen beherrscht und seriös, einigermassen kontrolliert. Aber ich grüsse SVP-Politiker, FDP-Sympathisanten, Albaner-Mafioso, Punk-Junkies und Sex-Nutten gleichwertig. Ich bin zwar kein Stadtoriginal, aber ich bin exzentrisch, auffallend und natürlich umstritten.

    Die wirklich Abgefuckten, deren Lebensläufe wirklich derber sind als der meine, respektieren und akzeptieren mich. Weil ich kein Schnösel bin. Weil ich weiss, was Armut bedeutet. Weil ich spüre, was Leere und Entfremdung sind. Weil ich die Härte kenne. Weil ich demütig bin. Mich nicht überhöhe. Und weil ich niemanden verachte oder verurteile. Ich befürworte jeden Lebensentwurf. Bürgerlich, antibürgerlich. Ich bin flexibel.

    Und das alles wiederum macht mich authentisch. Ich verfremde mich nicht selber. Ich bin einfach. Ich spiele nicht. Ich bin einfach. Ich bin leidenschaftlich. Ich bin entschlossen. Ich bin zuweilen grössenwahnsinnig. Ich bin zuweilen grosszügig. Ich lebe. Ich bin enthemmt. Ich schone nichts. Ich riskiere alles. Ich verliere alles. Ich kann jederzeit mein Leben vernichten. Das macht mich sympathisch für alle jene, die bereits beendet sind.