• Meine Lieblingsserie: Babylon Berlin

    Ich berücksichtige selten zeitgenössische Erzeugnisse der Kulturindustrie. Ich habe einige Bücher Houellebecqs hier besprochen. Das war bislang eine Ausnahme. Eine neue Regel möchte ich nicht schaffen. Dennoch umtreibt mich ein Produkt dergestalt, dass ich es hier erwähnen respektive lobpreisen möchte. Es ist Babylon Berlin, die preisgekrönte Serie. 

    Die Serie hat alles, was eine Serie braucht. Ein wenig Nazis, die anfänglich noch im Hintergrund agieren, aber über die Staffeln immer präsenter werden. Einige historische Figuren wie Stresemann oder Hindenburg. Einige angelehnte Figuren wie Alfred Nyssen statt Fritz Thyssen, Günther Wendt statt Hans Friedrich Wendt, Hans Litten statt Hans Achim Litten und so weiter.

    Auch die Ringvereine Berlins sind vertreten und konkurrieren um den Kuchen des Milieus. Drogen sind alltäglich; Opium wie Kokain – Tabak und Alkohol sowieso und maximal gewöhnlich. Die Armut Berlins in den Hinterhäusern der riesigen Mietskasernen ist ebenfalls dramatisiert, das Schlafgängertum normalisiert, die Gelegenheitsprostitution üblich.

    Die Serie zitiert die Zwischenkriegszeit permanent – logischerweise. Auch wenn einigermassen in Geschichte bewandert, erkennt man nicht alle Zitate. Die Serie regt zum permanenten Nachforschen und Auskundschaften an. Beispielsweise ist die Quellenlage einer Organisation namens Die Weisse Hand ziemlich dürftig. 

    Meine Lieblingsfigur ist eine nebensächliche. Es ist Doktor Anno Schmidt, vormals Rath. Vermutlich hat er nach dem Krieg eine neue Identität angenommen, um seiner Herkunft zu entfliehen. Er stammt aus dem Umfeld Adenauers Kölns; war verheiratet, hatte einen Sohn und einen Bruder. 

    Er hat sich in Berlin neu erfunden als Psychoanalytiker und Allgemeinarzt. Er hat sich auf die Leiden von Kriegsveteranen spezialisiert. Vermutlich herrschte er im Invalidenhaus Berlin. Er experimentierte mit Elektroschocks, Amphetamin und anderen Medikamenten, um aus den «Krüppel» perfekte Maschinenmenschen zu formen. In der Freizeit unterstützt er eine okkulte Szene mit seinem hellseherischen Medium.

    Er ist auch Analytiker von beispielsweise Alfred Nyssen und beeinflusst so dessen Werdegang. Schliesslich ist Nyssen aufgrund des Schwarzen Donnerstags der damals reichste Mann der Welt; fantasiert von bemannten Mondflügen und finanziert Werner von Braun sowie Hitler. 

    Auch ist Dr. Schmidt Mentor des brutalsten Gangsters der Stadt. Er flickt ihn nach jeder Schiesserei zusammen, motiviert und lenkt ihn. Er designt in der letzten Staffel eine Art Privatarmee von abgestumpften Maschinenmenschen, die nach Führung und Ordnung trachtet; eine Art Borg-Kollektiv. Das gefällt mir. 

    Wie so oft erreichen Serien rasch einen «Zenit». Dann überschlagen sich die Ereignisse, sie werden immer unglaubwürdiger und absurder. Immerhin weiss man, wie diese Serie enden wird. Die Machtergreifung Hitlers ist noch knapp zwei Jahre entfernt. Die meisten Protagonisten werden dann deportiert; ein Journalist ist bereits jetzt eingesperrt. 

    Da die Serie in einem spezifischen historischen Kontext ist, sind gewisse Ausgänge vorhersehbar. Man weiss bereits, wie alles ausgeht. Das entspannt und beruhigt. Man kann quasi zuschauen, wie eine Gesellschaft sich selbst sabotiert und in den Abgrund wirft. Und alle sind ahnungslos.

    Noch ist Hitler Vertreter einer rechtmässigen Partei, von den Konservativen als «böhmischer Gefreiter» verunglimpft. Niemand nimmt ihn ernst – wie vormals Alfred Nyssen, der zuvor als Strohmann für die schwarze Reichswehr wirkte, belächelt und als verweichlichtes Muttersöhnchen abgetan wurde. Er konnte sich dank Dr. Schmidt umrüsten. 

    Männer, die sich benachteiligt fühlen, verletzt, ignoriert, belächelt wurden, können eine gewaltige Wirkung entfalten. Nyssen reflektierte das mit Dr. Schmids Hilfe richtig als Rache; er will nicht dem deutschen Volk dienen, sondern sich primär seiner Mutter und den Generälen rächen, die ihn stets klein hielten. 

    Wie auch immer. Die Serie lebt von historischen und auch psychologischen Referenzen. Die Serie ist ebenfalls perfekt produziert; die düstere, schwarze Stimmung Berlins, beinahe stets dunkel oder regnerisch im maximal urbanisierten Raum, ist sehr ansehnlich. Natürlich schwebt auch ein Luftschiff und ist Schauplatz einzelner Szenen; die LZ 127 Graf Zeppelin. 

    Mal schauen.


  • Wir kapitulieren

    Unterwerfung. Diesmal verknüpft Houellebecq die Alterung eines Mannes, der zurückgezogen haust, bloss noch an jungen Studentinnen und Negernutten sich ergeilt, mit der Degeneration der westlichen Zivilisation im Allgemeinen und Frankreichs im Speziellen, das ohnehin im schweizerischen Massstab bald als gescheitert gilt. Eine Besprechung.

    Das ist der Hintergrund. Demgegenüber strotzt ein vitaler, männlicher und kräftiger Islamismus, der zunehmend die Mitte der Gesellschaft Frankreichs erobert. Die Vielehe stimuliert normalerweise mit ihren unbeweglichen und aufsässigen Frauen überforderten Altherren. Eine junge Frau fürs Sexuelle, eine mittlere fürs Soziale.

    Die Hauptfigur verdingt sich als Kenner des historischen Schriftstellers Huysmans. Damit möchte Houellebecq auf die ziellose, identitätsgestörte und vor allem ausweglose Gegenwart referenzieren; auf ein Europa, das sich zunehmend paralysiert aufgrund Angst vor Rechts und Furcht vorm Islam respektive vor der Überfremdung.

    Das gelingt gut. Der Islam, verkörpert durch ihren Anführer Ben Abbes, agiert behutsam, aber entschlossen. Der Islam spaziert durch die Institutionen und bemächtigt sich kontinuierlich; die klassischen Parteien erodieren und kapitulieren. Allein die rechtsnationale Front wehrt sich. Ein Bürgerkrieg tobt im Verborgenen.

    Houellebecqs Hauptfigur beteiligt sich aber nicht gross. François ist mässig vernetzt. Neue Fertiggerichte oder Prostituierte können ihn begeistern. Er versinnbildlicht einen müden, widerstandslosen, bewegungslosen, gealterten und uninspirierten Westen. Schliesslich liebäugelt auch François mit der Unterwerfung.

    Der Roman soll einen empören und wachrütteln. Der Zeitgeist beglückte Houellebecq. Die Promotion des Buches unterbrach ein islamistischer Terroranschlag; dieser Zufall ist frappierend. Ich möchte keine Zusammenhänge konstruieren. Das beweist bloss, dass Houellebecq auf der Höhe der Zeit ist. Nicht, ob er Recht behalten würde.

    Den Roman kann man nicht in die Schweiz übersetzen. Unsere SVP operiert ziemlich gemässigt. Die Überfremdung ist vernachlässigbar. Wir kultivieren keine Gebiete der Abgehängten und Randständigen. Unsere Politik ist seit Jahrhunderten im Grundsatz elitenfeindlich und populistisch. Das Volk hat immer Recht.

    Wir fürchten uns also weder von Rechts noch vorm Islam. Wir haben Minarette rechtzeitig verboten, als Muslime sie bauen wollte. Wir diskutieren über ein Verhüllungsverbot, doch bislang ohne nennenswerten Konsens. Das Christentum beseelt uns längst nicht mehr. Wir identifizieren uns mitm Sonderfall Schweiz. Die übrigen mit ihrem Job und/oder Arbeitgeber.

    Das ist Houellebecqs jüngster Roman. Im vergangenen Jahr hat er ein Gedichtband publiziert. Wie Houellebecq Unterwerfung noch toppen kann, weiss ich nicht. Vermutlich ist seine Schaffenskraft angejährt. Er kann bloss noch den Dandy kopieren, hier und da Weltuntergangsstimmung verkünden. Einen würdigen Abschluss seiner Karriere lieferte er mit Unterwerfung.


  • Der Rücken der Welt

    Ich kann nicht bloss in den ewigen Klassikern tummeln. Ich muss manchmal auch ans Zeitgenössische wagen. Die berühmte Houellebecq-Serie beendete ich im Frühherbst. Anschliessend studierte ich Thomas Melles Die Welt im Rücken. Darin dokumentiert Melle seine bipolare Störung. Eine Krankheitsgeschichte.

    Ich kann nicht recht final urteilen. Anfänglich war ich unmotiviert. Der übertriebene und offenkundige Wahnsinn Melles ermüdete mich. Wieso sollte ich dessen Irrsinn begleiten? Wieso teilhaben? Schliesslich kenne ich dessen Biografie nicht; wir sind uns nie begegnet. Autobiografisch kann ich bloss, wenn ich mich darauf beziehen kann.

    Auch mit Melles Krankheit konnte ich mich nicht identifizieren. Melles Wahrnehmung war ist mir zu verzehrt. Er konnte Wirkliches und Fiktionales nicht mehr unterscheiden. In seiner grossen Manie zertrümmerte er sein Leben. Er wähnte sich im alles entscheidenden Disput mit allen gegenwärtigen und historischen Geistesgrössen. Eklig.

    Alles Weltgeschehen, alle Medienproduktion, alles Geschriebene oder Gesagte, ob aktuell und jemals dargelegt, referenzierte Melle, so seine Selbstwahrnehmung. Eine grosse Paranoia verschlang ihn, formte und verstörte sein Leben. Er konnte nicht ausbrechen. Erst die späte Medikation beruhigte ihn einigermassen. Sie relativierte alles.

    Ich konnte nicht grosse Erkenntnisse gewinnen. Nach der Lektüre bist du weder reicher noch erfahrener. Du hast bloss einige Stunden deiner Lebenszeit mit einer Krankheitsgeschichte vergeudet. Melle wollte nichts erklären oder begründen. Melle konnte bloss beschreiben und erzählen: seine persönliche Geschichte, die ohne Weltbezug ist.

    Er ist kein Resultat einer gescheiterten Generation, einer verlorenen Gesellschaft. Er ist einfach krank. Er kann nichts delegieren. Die Krankheit hat er nicht einmal selber zu verantworten. Kein Drogenexzess verursachte die Krankheit. Die Krankheit hat er geerbt; ein natürlicher Defekt, vom Leben gestraft und ohne Schuld. Das ist hart und auch manchmal langweilig, weil alltäglich.

    Als blosse Krankheitsgeschichte überzeugt, ja begeistert Melle. Als Literatur enttäuscht er aber. Die Geschichte ist die seine, sie ist noch nicht abgeschlossen. Sie lebt in seiner realen Figur fort. Er kann jederzeit zurückfallen. Vermutlich kann er die Krankheit niemals überwinden. Mit Lithium kann er einigermassen funktionieren. Immerhin.

    Wer sadistisch ist oder sich fürs Elend und Scheitern einer wildfremden Person entzücken kann, empfehle ich jede Seite. Denn alleine die Sprache ist gewaltig. Daran «scheitert» Melle nicht. Manche Referenzen schmeicheln auch den Bildungsbürger. Diese versteckten Zitationen. Sie ironisieren und distanzieren Melle zuweilen. Das entspannt alles.


  • Der frivole Sex-Roboter

    Ich erwarte, dass die menschliche Sexualität bald befreit werde. Befreit werde vorm Zwang und Zweck der menschlichen Reproduktion. Ich knüpfe hier an Houellebecqs nurmehr möglichen Möglichkeit einer Insel. Sexualität als Antidepressiva fasziniert mich. Dass kürzlich die NZZaS über Sex-Roboter aufklärte, bekräftigt mich. Sehr schön!

    Gewiss verängstigt uns, dass Sex-Roboter dereinst Perversionen befriedigen können. Perversionen, die den gegenwärtigen Konsens unserer Moral unterminieren. Ein Kinder-Sex-Roboter? Ein Würge-Sex-Roboter? Ein Keller-Sub-Roboter? Ein Analdehn-Roboter? Etliches ist denkbar, wenn man das Internetz als Referenz wertet.

    Bekanntlich fürchte ich mich nicht. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Sex-Roboter den Sexmarkt disruptiv radikalisieren. Eine kleine Minderheit frönt «realen» Sex, gleichwohl ob käuflich oder nicht. Eine grosse Minderheit muss virtuellen, mechanisierten Sex tolerieren. Wir vergrössern die Zwei-Sex-Klassen-Gesellschaft, die bereits heute sich ankündigt.

    Aber die Sex-Roboter können die Menschen trösten. Wir müssen gleichzeitig bloss in die künstliche Reproduktion investieren. Wir müssen endlich einen Menschenpark entwerfen und bauen. Alle Sex-Revolutionen bedingen eine verbesserte künstliche Reproduktion. Wir müssen die natürliche Auslese perfektionieren.

    Ich fordere deswegen, dass wir Menschenfabriken mindestens anstreben. Gewiss werden wir noch etliche Jahrzehnte darin forschen müssen. Doch alle grossen Menschheitsprojekte sind nunmal aufwändig und intensiv. Siehe ITER oder ISS oder CERN oder UNO oder EU. Diese Projekte glückten erst Jahrzehnte später oder womöglich Jahrhunderte. 


  • Der vorgeschobene Altersroman

    Ich las kürzlich Houellebecqs Karte und Gebiet. Da ich meine Serie begonnen habe, möchte ich gerne weiterhin gelesene Bücher hier besprochen. Um einerseits natürlich üben zu können, andererseits um das Gelesene nochmals reflektieren zu dürfen.

    Worum geht’s? Ein Anti-Künstler erobert den Kunstmarkt, ohne standesgemäss sich zu vernetzen und zu sozialisieren. Eigensinn halt. Die Kunstmotive sind simpel, dennoch durchschlagend: Die industriellen Produkte und deren Berufe. Darauf konzentriert sich der Künstler in sehr grossen und langatmigen Zyklen. Irgendwann reüssiert er, verdient viel, verdammt viel Geld, das er aber nicht in Nutten und Koks vergeudet.

    Der Roman ist sehr «gemütlich». Wirklich gemütlich. Es öffnen sich keine Abgründe. Man muss sich nicht quälen. Die Geschichte ist auch nicht sonderlich «tragisch». Niemand muss langsam sterben oder verhungern. Niemand muss verzweifeln. Niemand ist suizidal. Natürlich sind die Umstände des Künstlers kaum erquickend; die Mutter erhängt, der Vater überarbeitet. Aber dennoch ist’s irgendwie «entspannt».

    Der Roman enttäuscht mich, weil er mich nicht aufwühlt. Mir scheint, als ob Houellebecq seinen Altersroman vorgeschoben hätte. Natürlich glückt ihm die Integration seiner eigenen Person, die dann schliesslich als Mordopfer zu beklagen ist. Ein Opfer einer sexuell sehr abgestumpften, aber professionell agierten Verbindung, die Leichen möglichst kunstvoll zerstückelt. Der Tod als ultimatives Kunstwerk; gleichzeitig als sexuelle Lust.

    Mir gefiel natürlich die Geschichte des Aufstieges des Künstlers. Ich mag Aufstiegsgeschichten. Und das Schöne ist, dass der Aufstieg nicht endet. Er pausiert bloss. Der Tod des Autors unterbricht diese Geschichte. Plötzlich sind Kriminalbeamte fokussiert. Hier experimentiert Houellebecq. Ich kann nicht referenzieren oder vergleichen; ich weiss nicht, wie ein Kriminalroman ausgestaltet werden muss. Für mich ist’s gut gelungen.

    Nachdem Houellebecqs fiktionaler Tod enträtselt ist, kann der Künstler nochmals wirken. Mittlerweile hat der Roman auch die Gegenwart überschritten. Frankreich ist ein Vergnügungspark quasi. Ein Museum. Doch Houellebecq skizziert bloss. Es ist eine sanftmütige, altersmilde Gesellschaftskritik. Keine ultimative «Abrechnung» wie bereits in Die Möglichkeit einer Insel.

    Vermutlich hat Houellebecq bereits alles gesagt, was er sagen musste. Er hat sich ausgedrückt und krönt sein Lebenswerk mit einem kombinierten Künstler- sowie Kriminalroman, dessen Hauptopfer er selber verkörpert. Damit kann er sich von seiner eigenen, realen Person distanzieren. Er lässt offen, ob seine reale Geschichte sich fortsetzen mag oder nicht. Das ist irgendwie «nicht schlecht». Kein cliffhanger.

    Mit diesem Buch schliesse meine Houellebecq-Phase. Ich muss anerkennen, dass R. in der Ferne Recht behielt. Das Buch ist wirklich aufmunternd und entspannend. Es ist wohl Zufall, dass mit dem Abschluss des Buches meine allgemeine Lebenssituation ebenfalls bessert.


  • Meine Bedienungsanleitung

    Wie bedient man mich? Wie funktioniere ich? Falls jemand mich kennenlernen möchte, sollte diese Person meine allgemeinen Verhaltensmuster durchklicken und irgendwo mit einem leichtfertigen Haken akzeptieren. Für die einfachere Handhabe offeriere ich eine kleine Bedienungsanleitung. Leider ohne idiotensichere Visualisierungen.

    Knutsche mich!

    Das wichtigste ist, dass man mich küsst. Egal wann und wie. Ich liebe Knutschen. Wirklich. Ich mag knutschen vor, nach oder während dem Sex. Ich mag auch Knutschen ohne Sex. Wenn wir ohnehin «viel» Sex haben, dann können wir auch mal ohne Sex Knutschen. Ansonsten werde ich geil und spitz und will bumsen. Man kann auch spontan knutschen, im Restaurant, an einer Tramhaltestelle, aufm Sofa. Wir müssen nicht wie 14-Jährige stundenlang knutschen. Aber wir sollten regelmässig knutschen. Bitte keine flüchtigen Küsse. Ich will richtige! Ich brauche das.

    Bekoche mich!

    Ich koche ungern. Ich kann technisch funktional kochen. Aber ich mag nicht. Seit ich Geld verdiene und das apathische und asketische Leben eines Anti-Künstlers irgendwo in einem verlorenen Bunker Oltens aufgab, will ich extern, auswärts essen, will ich mein Geld fürs gute und feine Essen vergeuden. Ich will alles verjubeln. Daher verweigere ich mich, daheim für mich alleine zu kochen. Aber wenn du kochen kannst, dann tue es. Du musst nicht Pasta selber machen können oder eine hippe Fusionsküche beherrschen. Eine Pizza tut’s auch. Egal was, es ist der Akt, der mich bezaubert und fesselt.

    Kitzle mich!

    Ich will keine Frau, die mir jeden Satz glaubt. Ich erzähle manchmal Mist, ich übertreibe. Ich bin zuweilen zu grössenwahnsinnig. Also bremse und stoppe mich. Du darfst mich kritisieren. Ja, du darfst wettern, ich solle endlich ein T-Shirt tragen. Du darfst nörgeln, ich sei zu selbstverliebt. Du darfst mich korrigieren, dass nicht alleine die Idee einer verspäteten Nation Deutschlands Überfall Belgiens 1914 verschuldete. Oder wie auch immer. Du weisst es durchaus besser, sonst wäre ich nicht mit dir zusammen. Du bist kein Dummerchen und ich kein Gott. Natürlich habe ich meine Vorzüge und Qualitäten, aber ich bin verdammt fehlbar. Ich möchte mich aber bessern. Aber übertreibe nicht, du sollst nicht ständig und dauernd quengeln, hier und da Nichtigkeiten monieren.

    Blase mich!

    Ja, ich bin lebenshungrig. Ich möchte eine Sexualität, die nicht verkümmert. Du musst nicht stundenlang einen trockenen Schwanz rubbeln. Das ist voll ungeil. Es ist auch nicht geiler, wenn du es schneller machst. Manchmal darf Frau einfach mal die Fresse aufmachen und ihn reinstecken. Das korreliert mitm «Kitzle mich!». Nicht immer zu viel reden und wollen. Manchmal einfach die grosse Macht erfahren, einen Schwanz im Mund zu haben. Ja, ich bin abhängig davon, ich bin süchtig danach. Wer mich wirklich süchtig machen will, sollte das tun. Man sollte es nicht tun, bloss weil ich es will und man muss oder ich es fordere, sondern weil es man selber gerne tut. Ansonsten ist’s ein Betrug, den ich sofort spüre. Das ist abtörnend. Das Blasen kann man gerne mit einem Vorspiel koppeln. Man darf mir auch «einfach so» blasen. Ich habe keine Probleme damit. Man muss sich bloss wagen. Ich kann auch irgendwo draussen; im Zug, aufm Klo oder auf einer Sitzbank. Wenn du gut bläst, dann revanchiere ich mich als unbändig-leidenschaftlicher Liebhaber. Versprochen!

    Tanze mit mir!

    Tanze mit! Tanze mit mir! Wir können gelegentlich durchdrehen. Wir müssen gelegentlich ausbrechen. Wir können nicht immer aufm Coach hängen, die NZZ am Sonntag oder die ZEIT lesen, über die Gefahren der Gentechnik debattieren und das bedingungslose Grundeinkommen befürworten oder Houellebecqs Karte und Gebiet rezensieren. Wir müssen feiern und tanzen. Nicht jeden Abend. Aber wir sollten. Auch wenn wir bereits jenseits der 30 sind, müssen wir feiern. Wir können Muschishots verschütten. Wir können im Terminus unseren Abend terminieren. Wir können in der Bar 97 Eistee schlürfen. Am nächsten Tag können wir problemlos auf einer Couch dösen, knutschen, Essen beschaffen und meinetwegen kitschige Filme gucken. Alles ist möglich, sofern wir einen Rahmen schaffen, wo wir kontrolliert unkontrolliert sein können; gemeinsam.

    Teile mit mir!

    Wir müssen unsere Ziele nicht totalst überdecken können. Wir müssen sie aber teilen können. Teilen bedeutet für mich auch, teilhaben, kommunizieren, weiterschenken. Wir müssen nicht alle unsere Ziele opfern für ein gemeinsames Haus oder züchtigen Nachwuchs. Keinesfalls. Aber wenn du Ziele hast, dann teile sie mir. Teile sie mir mit. Erzähle sie mir. Ich interessiere mich schliesslich für dich und deine Träume. Ich will wissen, was dich antreibt. Wir haben sooderso Kongruenz. Aber wir werden auch sooderso Differenz haben. Ich will deine Träume kosten. Aber probiere auch meine. Weil auch ich habe welche. Diese werde ich niemals eintauschen, egal wie gut du kochen und blasen oder was auch immer kannst. Ich will, dass wir gemeinsam und einsam unsere Ziele erlangen. Dass wir beide Erfolg haben. Ich will keine Frau, die einen Mann ziert, auch wenn du sicherlich wunderschön und anmutig ausschaust und sicherlich mit guten Genen ausgestattet bist. Ich will eine Frau, die notfalls sogar erfolgreicher sein könnte als ich. Aber fürchte dich nicht, wenn ich erfolgreicher sein werde als du. Du verliebst dich nicht nur in mich, sondern auch in mein unendliches Potenzial, das dich berauscht.

    Frage mich!

    Hast du etwas gehört, gesehen, gelesen oder gespürt? Dann frage mich! Du kannst mit mir alles bereden. Aber du musst mich fordern. Ich funktioniere zuweilen zu gut. Ich bin manchmal ein wenig abgelenkt und zerstreut. Du willst meinen Fokus, dann frage mich. Du darfst mich fragen, ich werde dir antworten. Ich kann dir die Welt, meine Gefühle und alles erklären. Ich kann sehr redselig sein. Wenn dich das stört, frage mich nicht. Du darfst mich auch fragen, welche Folge von Star Trek ich bevorzuge. Oder welche Folge einer Schrecklich netten Familie. Du kannst mich ebenso fragen, was die grosse Sesshaftigkeit, die grosse neolithische Revolution verursacht hatte. Weil ich liebe solche Themen. So wie ich ebenfalls die Abgründe der Menschheit liebe; Amokläufe, Verzweiflung und Verbitterung. Nebenbei führt, wer fragt. Du kannst mich damit gut lenken. Ich werde dich begehren, ich werde zurückfragen. Denn ich interessiere mich ebenso für dich, sonst wärst du nicht bei mir oder ich nicht bei dir. Schliesslich werde ich dich berühren. Wenn du zu viel fragst, werde ich dich einfach knutschen. Du kannst nichts verlieren, also riskiere, stelle mir doofe Fragen.


  • Sex auf der Plattform

    Ein weiterer Roman Houellebecqs habe ich überstanden. Diesmal die Plattform. Damit eröffne ich eine weitere Rezension. Die dritte nun. Ich habe noch zwei Bücher vorgemerkt, Elementarteilchen sowie Karte und Gebiet. Diese sind mir auch unabhängig davon von R. empfohlen worden. Dann beende ich meine Houellebecq-Phase und widme mich dem zeitgenössischen Kram Deutschlands und der Schweiz. Wie immer schaue ich mal.

    Also. Die Plattform erzählt die Erfolgsgeschichte eines frivolen Paares, das sexuell sich total entfaltet. Michel, die Hauptfigur, ein leidenschaftsloser, aber sexuell interessierter Beamter, kann mit seiner deutlich jüngeren Partnerin, eine Exponentin der französischen Tourismusbranche, sich vergnügen und austoben.

    In gefühlt vierzig Sexszenen sind Samenergüsse an der Autobahn, am Strand, im Hotel, in der Küche, im Zug, im Dampfbad, im Swinger-Club, im Restaurant und sonstwo beschrieben. Manchmal mit einem Zimmermädchen, manchmal mittels doppelten Penetration. Diese Sexszenen bilden das Grundrauschen.

    Denn sie vermittelt das Glück Michels mit seiner Partnerin. Kein ewiges Suchen, keine Ablehnung. Kein voreiliger Selbstmord, keine Krankheit oder Entfremdung zerstört das Glück des Paares. Sie sind wirklich glücklich. Das Glück ist nicht bloss sexuell, sondern auch finanziell. Michel erbte eine beachtliche Summe, weil ein Rachesüchtiger einer Verflossener seines Vaters derselben ermordete.

    Der Roman thematisiert das Reisen, den Tourismus. Reisen als grosse Flucht ist das grosse Thema. Als grosse Flucht vor der westlichen Zivilisation. Aber die Reisenden können nicht entkommen. Sie können nicht vergessen. Sie können sich auch nicht selber finden oder so. Sie werden bloss noch verdorbener. Das gefällt mir. Ein im Film und Literatur klassisches Motiv.

    Doch grandios ist der Roman, als Michel darin das Geschäftsmodell des reinen und absoluten Sex-Tourismus› vorschlug. Auf mehreren Seiten begründete er, wieso wir diesen Tausch eingehen sollten. Der sexuelle Tausch ist nicht geschlechterspezifisch, so wie ich bereits einmal rasch andeutete. Er ist universell. Durch seine Partnerhin hatte Michel direkten Zugang zur Tourismusindustrie.

    Und mit einem Verschwörer entwarfen sie zu viert das Angebot eines reinen Liebesabenteuers. Das Produkt begeisterte Deutsche, Italiener und auch einige Franzosen. Es war ein Erfolg. Am Höhenpunkt, diesmal aber nicht sexuellen, wollte Michels Partnerin aussteigen und in Thailand sich niederlassen. Zusammen mit Michel.

    Sie wetterte gegen die westliche Gesellschaft, gegen den Westen, gegen die Sinnlosigkeit und Leere unseres Daseins. Also könnte sie ebensogut hier hausen, Sex mit Michel feiern. Und sich von der westlichen Welt abgrenzen. Weder Nachrichten gucken noch Zeitungen lesen. Sie könnte einfach fristen. Sie könnte von Luft und Liebe leben, weil finanziell waren sie beide ohnehin abgesichert.

    Doch eben in diesem Moment, und das empfand ich als «wunderschön», überfielen islamistische Terroristen das Hotel in Thailand. Sie töteten über hundert Menschen. Das gewichtige Opfer war Michels Partnerin, Valérie. Sie starb. Und damit starb auch Michels Welt. Kein Glück, keine Liebe. Nichts mehr hatte er. Er wartete bloss noch auf den Tod.

    Das Ende des Romans erachte ich als geglückt. Besser hätte Houellebecq den Roman nicht abschliessen können. Dieser Übergang von westlicher Zivilisationskritik zum islamistischen Terrorismus ist wundervoll. Beinahe poetisch. Der Roman beinhaltet grosse Kritik. Doch letztlich ist er vor allem ein Sexroman.

    Michel fickt, bumst, lässt blasen und spritzt überall und jederzeit. Das ist beinahe beängstigend. Das kann einen selber relativ frustrieren, wenn man keinen Sex hat. Auch die Idee des absoluten und unverkennbaren Sextourismus› ist sexualisiert durchwegs. Westliche Zivilisationskritik entflammt erst in Valéries quasi Abschiedsrede. Und dann ist sie schon wieder vorbei. Vielmehr kritisiert Houellebecq den westlichen Massen- wie Individualtourismus.

    Hier bin ich auch persönlich betroffen. Ich habe mich kürzlich mit O. unterhalten. Mittlerweile mag er nicht einmal mehr reisen. Das gefällt mir. Weil Reisen löst keine Probleme. Reisen verschiebt sie bloss. O. erkundete bereits als junger Mann exotische Länder. Doch wie viel konnte er wirklich profitieren? Ausser einigen Apéro-Geschichten konnte nichts überdauern.

    Denn die Verzweiflung, Enttäuschung und Ablehnung dieser Welt ist «hausgemacht», «selbstverschuldet». Jeder kann dieses Gefühl laden, jeder kann es spüren und fühlen. Houellebecq begriff das und hat’s für mich passend beschrieben und alles in einer schönen tragischen Geschichte verpackt. Kompliment.


  • Die Möglichkeit einer Insel

    Ich habe die Möglichkeit genutzt, meine Ferienzeit gut investiert und Houellebecqs Inselmöglichkeit studiert. Bekanntlich die Ferienlektüre schlechthin, so berichtete ich aus Como. Meine zweite Rezension hier, nach dem guten Leben Oltens Capus›. Ob ich die Serie fortsetzen werde, ist so ungewiss wie das Fortbestehen meiner Sex-Geschichten. Mal schauen!

    Der Lebenslauf von Daniel berauscht mich. Ein Leben als Komiker, der witzelt und spottet, wo andere schweigen. Ein Geschäftsmodell, das zugleich ein Leben als Dandy finanziert. Viele Autos, viele Nutten, viele Exzesse. Das alles behagt mir. Ich kann mich gewissermassen mit Daniel identifizieren. Es verkörpert nicht den klassischen Helden, keineswegs. Er ist depressiv, unzufrieden und der Liebe wie des Lebens unfähig.

    Er sehnt und trachtet und schmachtet. Das Glück, das Daniel erfährt, irritiert ihn. Es verflüchtigt sich immer. Manchmal verschuldet er das Unglück selber, manchmal sind’s einfach äussere Umstände, die das Glück verhindern. Liebe bedeutet für Daniel Glück. Doch Liebe ist das fragilste Glück überhaupt. Ich und du, wir alle sind unfähig das Glück namens Liebe zu konservieren. Wir verlieren Glück immer.

    Denn Houellebecq erzählt die Geschichte von Daniel, dem Begründer einer Klonlinie, sowie von dessen Nachzügler, Daniel24 und Daniel24. Diese leben in einer kalten, zerstörten Welt. Die Welt ist deswegen zerstört, weil die Menschen nicht mehr lieben können. Bloss noch Klone funktionieren. Doch jede Liebensfähigkeit der Klone ist wegzüchtet worden. Die Klone sehnen sich nach Leben. Doch ohne Liebe werden sie niemals Leben erfahren. Manche, so wie Daniel25, wagen den Ausbruch. Sie flüchten von ihrer autarken Zelle, die sie nährt. Die Sehnsucht nach liebensfähigen Klonen motiviert sie. Doch vergebens; es ist nicht überliefert, ob jemals ein Klon diese Insel betreten werde.

    Das Geschick Houellebecqs ist, dass die Taten, dass die Gedanken von Daniel1, der in einer verhängnisvollen Klonsekte sich bewegt, die Zukunft der Menschheit erheblich beeinflussen. Die sogenannten Lebensberichte Daniels sind Klassiker für die späteren Klone. Sie begründen, veranschaulichen, wieso die Welt der Liebe unfähig ist. Sie schildern den Aufstieg der Sekte, den Aufstieg des Bösen geradezu. Denn die Sekte will die körperliche Liebe abschaffen. Liebe ist das eigentliche Böse. Stattdessen verkündet die Sekte, Unsterblichkeit sei das Gute, das Erstrebenswerte. Wir haben alle Zeit der Welt. Und damit sind wir nicht gezwungen, hier und jetzt, spontan und manchmal zufällig zu lieben.

    In der Gegenwart überholt die Sekte alle klassischen monotheistische Religionen. Sie befreit den Menschen vom Streben nach Liebe und Glück. Sie hat ein diesseitiges Glücksversprechen. Sie lindert die Sehnsucht, indem die Sekte Botschafterin in die Städte schickt, die Orgien veranstalten. Privat organisierte Liebesdienerinnen quasi. Sie verplakatieren Wände mit Sprüche, die von Goebbels stammen könnten. Blosse Sprüche wie «Die Ewigkeit, ein sinnliches Abenteuer», «just say no, use condoms» oder «Macht den Leuten eine Freude – gebt ihnen Sex». Sprüche, die darauf abzielen, die Vaterschaft, die Mutterschaft zu verachten und den Inzest zu loben. Ein Text, eine Telefonnummer, mehr nicht.

    Bloss radikalisierte islamistische und katholische Gruppierungen terrorisieren die Sekte. Für den Durchschnittsverbraucher befriedigt die Sekte ein hedonistisches Bedürfnis, verspricht Sinn und Unendlichkeit. Keine faustische Sehnsucht mehr. Doch stattdessen bestraft die Sekte den Menschen mit einem ereignislosen, schmerzfreien Leben. Der Gleichschritt im Mittelmass ist perfektioniert. Die Klone funktionieren dann bloss noch. Sie müssen sich bloss von funktionalisierten Kapseln ernähren; können Hitze und Kälte ertragen und haben schliesslich auch einen oder mehrere Atomkriege überlebt. Das ist die schöne, aber leere Zukunft, die Houellebecq umtreibt.

    Der Roman zerfranst nicht. Er ist fokussiert. Alles Erlebte von Daniel oder den späteren Daniels thematisieren die Sehnsucht nach unerfüllter Liebe. Zuweilen übersteigt sich Houellebecq darin, die Intensität des reinen Geschlechtsaktes zu dramatisieren. Hier entschuldigen aber Sexszenen, bei denen ich mir gerne vorstelle, dass sie bloss in Houellebecqs Fantasien wurzeln und keinen autobiografischen Bezug haben können. Denn typischerweise fickt Houellebecqs Antiheld junge und geile Miezen, so seine Sprache, die sexuell total entladen-enthemmt, aber dafür unendlich liebenswürdig sind. Solche Frauen existieren durchaus, das zeigt mein Bericht.

    Aber meine und auch Houellebecqs Erfahrung bestätigen, dass solche Erlebnisse bloss kurz dauern. Hier ist Sexualität die Projektion für Glück. Ich persönlich sehne mich mehr als bloss nach Sexualität. Ich wünsche mir geistige Auseinandersetzung, Anziehung, Lust, aber gleichwohl Geborgenheit, Sicherheit, Akzeptanz, Respekt und Geborgenheit. Ich habe unlängst aufgelistet, was Liebe mir bedeutet. Das gilt weiterhin. Houellebecqs omnipotente Figuren beschränken sich bloss aufs Sexuelle. Sie kennen bloss bloss Entweder-Oder. Entweder sich geistig auseinandersetzen, stimulieren zu können. Oder sexuell sich befreien, austoben zu können. Ich kenne nicht bloss Entweder-Oder, sondern Sowohl-Als-Auch. Das macht wohl meine Situation tragischer, aber hat nichts mit einer Möglichkeit einer Insel zu tun.

    Der Roman umfasst unsere Gesellschaft. Es ist quasi ein halber Gesellschaftsroman. Wir begleiten alle Daniels auf ihrer Suche nach Liebe. Nebenbei kommentiert Houellebecq das Tagesgeschehen. Tagesaktuell sind seine Beiträge durchaus. Das Internet, die aufkommende Mobiltelefone, die Arbeitswelt, die ebenso endlos strebende Wirtschaft. Alles behandelt Houellebecq, natürlich aus der Perspektive eines latenten Pessimisten, natürlich mit zynischen Maske Daniels.

    Ich möchte den Roman empfehlen. Für alle, die sich nach Liebe und Leben sehnen, kann der Roman ernüchtern oder klarstellen, dass es immer schlimmer kommen könnte. Noch dominiert Houellebecqs Sekte nicht die Gesellschaft. Die «autobiografische» Religion heisst sich Raelismus, ist eine kleine und unbedeutende Sekte der Gegenwart. Houellebecq beschreibt sie bloss, er wertet oder kritisiert nicht. Quasi ein «Naturalismus», jenseits von Gut und Böse. Man muss sich selber distanzieren, wenn man will oder kann.


  • Was machen wir mit den sexuell Frustrierten?

    Gesellschaft, wir haben ein Problem. Wir haben so viele Menschen, die sexuell frustriert und nicht mehr liebensfähig sind. Diese Menschen verbittern und verursachen letztlich Kosten im Gesundheitswesen. Wie können wir das lindern? Wie können wir diesen Menschen helfen? Wie können wir wieder «glücklich» sein?

    Zunächst müssen wir aber das Problem anerkennen. Wir müssen das Problem analysieren. In meinem Beruf bin ich trainiert wie konditioniert, immer zunächst die Ursachen zu untersuchen anstatt Symptome zu bekämpfen. Typischerweise zeichne in solchen Situationen ein Ursachen-Wirkungs-Diagramm. Denn ein Problem stammt meistens von mehreren, verschachtelten und vererbten Ursachen.

    Theoretisch. Aber ich erlaube mir hier und jetzt, da ich nicht beanspruche, die Welt zu verändern oder gar zu retten, eine plakative Lösung. Der Staat muss Liebesdiener engagieren. Diese Frauen könnten wir importieren. Wir bezahlen sie ordentlich, wir finanzieren eine Grundausbildung ihres Heimatdorfes. Wir garantieren ein Überleben und integrieren sie langsam. Doch zunächst müssen sie ihre Liebesdienste für maximal fünf Jahren verrichten.

    Wir platzieren 100’000 Frauen. Diese darf man mittels einer mobilen Applikation buchen und für eine gewisse Dauer reservieren. Maximal zwei Wochen. Diese Frauen dürfen empfangen, also geschwängert werden. Diese Frauen dürfen aber auch «nur» ausgeführt und eingekleidet werden. Sie müssen einfach bedingungslos lieben. Sie müssen einfach ein Gefühl der Geborgenheit, des Begehrtwerden und der sexuellen Akzeptanz simulieren.

    Damit würden wir die komplette Prostitution vernichten, ein kompletter illegaler Markt austrocknen. Wir würden das Sehnen, diese unendliche Sehnsucht legalisieren und somit institutionalisieren. Niemand müsste mehr vereinsamen. Niemand müsste mehr sexuell verkümmern. Dann hiesse es tatsächlich everything goes und alles sei möglich. Aber das Angebot richte sich nicht bloss fürs männliche Geschlecht, sondern gleichberechtigt fürs weibliche.

    Weil hier muss man für beide Geschlechter eine unbefriedigte Sehnsucht anerkennen. Frau wie Mann sind betroffen. Beim Manne ist’s einfach offensichtlicher, weil der Mann seine Sehnsucht externalisiert. Ich kenne viele Frauen, die voller Sehnsüchte sind. Diese Sehnsüchte können sie bloss im Ausland erfüllen; auf Reisen. Dort fühlen sie sich befreit. Aber im Alltag sind der Liebe unfähig. Sie zerfressen sich langsam, sie verlieren ihre Fruchtbarkeit.

    Mit dieser Massnahme könnten wir viele Herzen trösten. Wir könnte die Gesellschaft beruhigen. Wir könnten weitere Industrien erübrigen; die gesamte Partnervermittlungsindustrie, die gesamte Ausgehindustrie, alle diese sogenannten Aufrisslokale wären nutzlos, weil sinnlos. Eine schöne neue Welt wäre angebrochen. Houellebecq skizzierte die Plattform, ich die Endlösung.


  • Gesellschaftsroman als Kolumne

    Ich möchte gerne in diesem Beitrag meine Kolumne im Stile des kommenden Gesellschaftsromans Oltens konzipieren. Dies, weil ich gerne demnächst öffentlich reüssieren möchte.

    Ich möchte darin Erlebnisse am Abgrund, das, mein und unser Grenzgängertum heroisieren. Ich beschreibe die Entwicklungen und Sorgen totaler Weltsverneiner, die ihr Leben leidenschaftlich wie leidenschaftslos vergeuden. Quasi Futuristen, die auf ein Morgen hoffen, aber wohlwissend, dass es keines gibt. Irgendwie ähnlich wie ein Don Draper sich rechtfertigte:

    I’m living like there’s no tomorrow, because there isn’t one.

    Ich fokussiere Olten, natürlich. Ich erzähle unheimliche Geschichten, kombiniere Figuren ausm Umfeld. Natürlich verbaue ich auch Autobiografisches. Aber wie viel wirklich wahr und real ist, muss nicht entschlüsselt werden. Ich möchte das Leiden, das Sehnen, diese Unendlichkeit, diese Suche, diese Unliebe und Unkultur zusammenfassen, in einige Sätze verdichten. Damit jedermann versteht, wie man ringt, wie man verzweifelt. Weil man ist wie man ist.

    Ich werde unsere Geschichten konservieren. Unser Leiden erklären. Mein Leiden. Ich möchte aufzeigen, wieso wir geworden sind, was wir sind. Und was wir werden möchten. Unsere Träume, Sehnsüchte. Ich möchte kein Das Kleine Lexikon der Provinzliteratur kopieren. Ich möchte kein Houellebecq ausm Pariser ins Oltner Umland verlegen. Ich möchte bloss experimentieren; einen Plot konstruieren, indem ich monatlich Episoden konsolidiere.

    Einige mögen beteuern, sie wollen nicht als Projektionsfläche sich missbraucht und entehrt fühlen. Ich versichere, dass man keine Figur jemals auf eine Person zurückführen lässt. Das verspreche ich. Ich will nicht wie ein Mann mit allen mich verstreiten, bloss weil ich Figuren zu offensichtlich zeichne. Aber ihr habt mich alle bemust. Ich danke. Ich hoffe, ich bemuse auch euch.