• Was ist mir wichtig?

    Kürzlich wurde ich gefragt, was mir wichtig sei im Leben. Das ist eine bemerkenswerte Frage, auf die ich nicht zweifellos antworten kann. Grundsätzlich ist die Frage anspruchslos, denn sie drängt auf die simple, aber akzeptable Antwort, dass Familie und so wichtig sei. Doch ich möchte nicht so abkürzen.

    Als zutiefst leidenschaftlich-leidenschaftsloser Mensch ist mir nichts wichtig. Ich bin mir meiner Nichtigkeit bewusst, ich versuche mich nicht zu überhöhen. Ich versuche irgendwie widerstandslos zu fristen, ohne viel Energie zu vergeuden in noch unwichtigeren Angelegenheiten. Ich betreibe mich im batterieschonenden Modus.

    Im Bewusstsein der Vergänglichkeit möchte ich nicht priorisieren, was wichtiger ist und weniger wichtiger. Ich behalte eine flache Liste möglicher Lebensaufgaben und bewältige sie mehr oder weniger routiniert. Wobei ich Hausarbeit so gut als möglich meide und darauf achte, dass ich mich nicht überanstrenge.

    Was ist mir nun wichtig? Ich weiss es nicht. Ich will entgegen, dass mir wichtig sei, dass mein Umfeld gedeihe. Dass Menschen um mich herum reüssieren, einigermassen glücklich seien und eine kluge Art der Gegenwartsbewältigung praktizieren können. Ich will, allerdings habe ich genügend Menschen verletzt, dass ich nicht glaubwürdig bin.

    Original und vermutlich Jahrzehnte zurück war ich durchaus motiviert, mein Umfeld gedeihen zu lassen. Ich wollte antreiben, herausfordern. Ich wollte ein Umfeld schaffen, wo alle sich verwirklichen und Glück erfahren durften. Irgendwann verirrte ich mich aber. Ich kann nicht mehr exakt rekapitulieren wann und wo und wie.

    Vermutlich das erste Mal, als ich meinen verstorbenen Lehrmeister enttäuscht habe. Oder meine Familie. Ich weiss nicht. Vermutlich auch die erste Liebe mit knapp fünfzehn im Umland Oltens. Die Liebe, die ich mit einer perfiden Begründung boykottiert habe, sie sei nicht gesellschaftlich akzeptabel, auch wenn ich mich nie für Etiketten interessierte.

    Ich könnte noch etliche Verfehlungen auflisten, die alle bloss meine Unglaubwürdigkeit bezeugen, dass ich meinen Mitmenschen Gutes tun möchte. Deswegen kann ich die initiale Frage damit nicht klären. Ich muss also weiter untersuchen, was mir denn wichtig sei. So elegant und selbstlos kann ich das Thema also nicht beenden. Weiter geht’s.

    Was mir wichtig sei? Ich weiss es nicht. Möglichst viel Geld verdienen? Kaum, denn dazu habe ich den falschen Beruf oder das falsche Gefäss gewählt. Möglichst viel Liebe machen? Ebenfalls unwahrscheinlich, weil dafür habe ich das falsche Betriebssystem installiert. Möglichst viel rauchen und saufen? Gleichsam fraglich und nicht kompatibel.

    Also was dann? Glücklich sein? Ich? Ich bin ein Glücksverweigerer. Ich verneine das Konzept des Glücklichseins. Leben bedeutet zu bewältigen. Ich beschreibe es als Gegenwartsbewältigung. Innerhalb dieses Rahmens darf man gelegentlich rebellieren, eskapieren. Solange man niemanden schadet.

    Letztlich ist mir wichtig, im Leben nicht zu viel Widerstand leisten zu müssen. Ich möchte manchmal kapitulieren, nicht Zeit und Energie opfern, sondern mich treiben lassen. Ich möchte nicht entscheiden oder Wege errichten. Gleichzeitig möchte ich aber, wo ich keinen Widerstand zu befürchten habe, schöpferisch sein. Dort inspirieren.

    Ich pendle zwischen Welten, gleichsam dem Zwischenwesen, das im Titel dieser Plattform angedeutet ist. Ich möchte dort, wo ich kann, mitwirken. Aber anderswo, wo ich nicht mag, es geschehen lassen, ohne opponieren zu müssen. Eine Art der Gleichgültigkeit, die sich aber ungleich verteilt. Das ist mir irgendwie wichtig.

    Wie auch immer – diese Frage konnte ich nicht klärend beantworten. Stattdessen habe ich wohl weitere Fragen provoziert.

    https://www.youtube.com/watch?v=4GbGyY9wPW4


  • Wieso Zürich?

    In Zürich konzentriert sich die schweizerische Wirtschaft sowie Kultur. Eine mittelgrosse Stadt, nett am Ufer eines in die Voralpen reichenden Sees, entwässert durch einen entspannten Fluss. Drei Hügel umrahmen die beschauliche Stadt. Der Bahnhof zählt zu den meistfrequentierten der Welt. Die Menschen zu den wohlhabendsten.

    Seit einigen Monaten lebe ich Basel. Olten musste ich verlassen. Ich fühle mich verpflanzt, fremd. Das fühle ich mich auch stets, wenn ich beruflich Zürich besuche. Die Einfahrt in die Stadt fasziniert mich hingegen. Ich beobachte gerne die Europaallee wachsend. Jedesmal entdecke ich weitere Bürokomplexe oder wuchtige Apartmentbehausungen. Schön.

    Die Männer sind sehr einheitlich gekleidet. Im Sommer die Weisshemder sommerlich mit Mokassins, die übrigen jahrezeitenlos mit Espadrilles. Die Fülle beeindruckt mich stets. Die Haare entweder seitlich oder rückwärts gekämmt, im Default akkurat geliert. Bei der Sonnenbrille bin ich verunsichert, jedenfalls konsequent mit Sonnenbrille.

    Ob Banking, Finance oder Startups, gerne Fintech, Insurtech oder Consulting – sie sind alle Associate und wollen sich beschleunigen. Ich kenne keine, doch alle mit ihrem Titel. Auf LinkedIn followen und liken sie angelsächsische Beiträge, deren Inhalt sie kaum verstehen. Abends posieren sie vorm Coco mit überteuerten Grilladen.

    Zürichs Speckgürtel dafür döst. Zürich kannibalisiert jegliche Autonomiebekundungen des Umlandes. Alles will, alles tendiert nach Zürich. Selbst Aarau ist nunmehr Zürich West, seit der der Baregg keine natürliche Autobahnbarriere mehr symbolisiert. Die Tuchlaube verdämmert, das KBA von den Jüngeren längst vergessen.

    Die halbe Schweiz strebt nach Zürich. In Zürichs Gassen verwildern die schweizerische Dialekte; sie alle nivellieren zur Zürcher Einheitssprache. Die entschlossenen Ausländer wiederum verjüngen die Stadt; produzieren Nachwuchs, den sie im fern-nahen Institut Montana platzieren. Derweil die Einheimischen sich als etwas Besonderes einbilden.

    In Zürich verbreitet sich der Hipster ähnlich rasant wie den übrigen westlichen Weltstädten, ob Berlin, Paris, Wien oder sonstwo. Sie dominieren mittlerweile die lokalen Kulturen, beeinflussen mit ihrem Kaufverhalten ganze Industrien. Ich bin in dieser Hinsicht mitschwimmend, weil ich deren Güter, sozialen Errungenschaften konsumieren.

    Ich bin ziemlich verkrampft im Umgang mit Zürich. Fühle ich mich minderwertig? Fühle ich einen zu strengen Wettbewerb in Zürichs Gassen? Fühle mich zu wenig selbstsicher, um in Zürichs Lokalen auftreten zu können? Kaum, bislang war ich in Zürich erfolgreich. Ich möchte einfach nicht me too sein; also auch in Zürich sein, bloss weil alle dort sind.


  • Ohnmächtig gelebt

    Vermutlich starteten wir alle das Erwachsenwerden mit klaren Vorstellung. Mit klaren Vorstellung, wie und wie nicht wir leben wollten. Wir konnten uns gewiss abgrenzen. Manche wollten durchfeiern, drei Tag lang wach bleiben, verreisen und unaufhörlich entdecken. Andere träumten früh vom Heimchen und Kindchen und Häuschen an der Dünner. Alles gültig, wahr.

    Wir starteten mit einigermassen klaren Konzepten. Die Eltern, wenn anwesend und nicht gerade selber ausgehebelt, wollen uns weismachen, dass unser aller Leben irgendwie doch begrenzt sei, denn irgendwas forme und standardisiere und mässige uns stets. Sei es die Arbeit, der finanzielle Druck oder das andere Geschlecht. Freilich mit guten Absichten.

    Sooderso waren wir nicht empfänglich für solche Ratschläge. Wir wollten reüssieren. Wir wollten bewegen, wir wollten empfinden, wir wollten Freiheit, Unabhängigkeit erlangen. Wir wollten uns nicht mehr länger rechtfertigen, für nichts und niemanden. Vor allem nicht für den Leichtsinn, unsere Nächte, Eskapaden und diversen Schulden.

    Doch schon früh disziplinierte uns das Umfeld. Ob Matura, Lehre oder weder-noch, alle mussten liefern, mussten früh sich einordnen. Die unbeschwerte reine Schulzeit war rasch vergessen. Alsbald mussten wir Geld verdienen, Krankenkassenprämien kalkulieren, Sozialversicherungsabgaben inkludieren. Im System erwachsen.

    Wir balancierten, seiltanzten. Der Wochenendrebell entstand, ein belastbares Konzept des permanenten und wiederholten Eskapismus. Montags bis freitags simulierten wir gewisse Normalitäten, kastrierten uns selber; gehorchten den Eltern und Lehrmeistern, den sozialen Anforderungen. Eine Schule des Lebens, Schein und Ordnung wahren.

    Doch freitags konnte nichts uns nunmehr aufhalten. Wir waren entzündet. Die ersten Joints zirkulierten in der 2. Klasse der Regionalbahn. Wir alle verlängerten den Feierabend am Bahnhof, Dosenbier und noch mehr Marijuana. Ein Ausnahmezustand. Wir ernährten uns von Malibu Orange, Gummibärli, Bier und Hanf – bis sonntags.

    Das war die kleine Illusion einer Freiheit, eines selbstbestimmten Lebens. Das Wochenende gehört uns. Wir dienten, verrichteten unsere Pflicht unterwöchig, doch am Wochenende waren wir frei und ungestüm. Das war unser Selbstverständnis, unsere Droge, unser Soma. Montags ärgerte aber eine unbestimmte Verspätung im Pendlerverkehr: Personenunfall.

    Die ersten ernsthaften Paarbeziehungen etablierten sich. Das Wochenende war plötzlich auch Arbeit. Arbeit an der Partnerschaft. Zwecklose Beziehungen, nicht immer durch leidenschaftlichen Sex motiviert respektive legitimiert. Manchmal auch ein Funktionieren bloss, das dem unterwöchigen Ablauf glich, lediglich anders betitelt.

    Das reduzierte die vormals maximale Wochenendefreiheit. Die individuelle Freiheit war nun als eine Verhandlungsmasse einer Paarbeziehung aufgedeckt; das Spiel mit Geben und Nehmen, mit Kredit und Schuld hat sich durchgesetzt. Das vormalige Lebensmodell war durchtrennt. Für unbefriedigenden Sex, für den Fernsehabend der ewigen Kompromisse.

    Gewisse Paarbeziehungen verfestigten sich. Andere endeten in Kinder oder in Trennung. Wer konnte, flüchtete in flüchtige Beziehungen; in schnellen, oberflächlichen und unbefangenen Sex mit unbekannten Menschen, ebenso flüchtig kennengelernt um vier Uhr morgens oder im verruchten Internetz, wo vormals unvorteilhafte Frauen einen zweiten Frühling erleben.

    Anderen konnten sich nicht mehr rechtzeitig retten. Deren Leben war immer mehr durchorganisiert. Nicht bloss die Paarbeziehung strukturiert den Alltag, sondern auch die nahenden Kindchen ruinieren den Rest der individuellen Selbstbestimmung. Kinder vernichten jeden Individualismus; sie entfremden vom eigenen Leben.

    Seitdem trotten wir durchs Leben. Jeden vierten Dienstag im Monat dürfen wir zwei Stunden auswärts trinken. Doch maximal zweieinhalb Bier, nicht zu viel, denn wir müssen stets einsatzbereit sein. Das Natel observiert unsere latente Vergnügungssucht, Heimchen und Kindchen wachen und verurteilen jede Verspätung oder Nichtmeldung.

    Wir freuen uns auf balde Ferien. Diese verdoppeln unsere Last. Wir spurten durchs fremdbestimmte Programm der Heimchen und Kindchen. Müssen entweder wochenlang an irgendwelchen fernen Stränden uns langweilen oder möglichst viele Sehenswürdigkeiten gleichzeitig besichtigen; irgendwelche aufregenden antiken Porzellansammlungen.

    Glücklicherweise ist das Leben aber endlich. Man hat zwar gelebt, aber bloss ohnmächtig, ausgeliefert. Man ist zwar statistisch erfasst worden, doch einen Sinn konnte das Leben nicht stiften. Man stirbt als Sozialversicherungsnummer, die Nachwelt würdigt das Erbe und den steten guten Willen. Rasch ist man vergessen. So wie man sich einst selber.


  • Ein aktueller Zustand

    Gewiss erwartet meine nunmehr verkleinerte Leserschaft einen Bericht über das Papiwerden, übers Wickeln und sonstigen neumodischen Vateraktivitäten. Oder wie ich das Kindchen auf Strassen Basels schubkarre. Oder wie die Paarbeziehung aufgrund erweiterten Ansprüchen komplizierter nun sich ausgestaltet. Nichtsda.

    Ich überlebe wie gewohnt. Zwar müder, erschöpfter, schlafloser, manchmal allem mehr überdrüssiger als üblich. Ansonsten einigermassen stabilisiert. Nicht beruhigt, nicht gänzlich sediert und kastriert, aber immerhin den Möglichkeiten maximalst eingeschränkt. Das Haus spontan verlassen? In Olten feiern? Ausgeschlossen.

    Ich habe jüngst die Göttliche Ordnung auf Basels Münsterplatz verfolgen dürfen, eine kurzweilige Komödie über den Sinneswandel eines gezähmten Heimchens, das in der fernen Grossstadt Zürichs ihren Tiger und den Mehrwert des hängigen Frauenstimmrechts entdeckt. Eine Art Heimspiel in Basel-Stadt, ein klassisch progressiver Halbkanton.

    Gleichzeitig veröffentlicht der hier bereits im Stadt-Land-Kontext zitierte Benjamin seine Dystopie, eine radikalisierte Stadt-Land-Gesellschaft, die in der selbstgewählten Autonomie der Städte endet. Gleichzeitig brilliert Dimitri im Verdrängungskampf der Generationen. Und die Futuristen tobten, brüllten, tranken und vagabundierten mit Mutters Camper.

    Und nebenbei durfte ich erfahren, dass Basel-Stadt den Erwerb eines elektronischen Stramplers mit ungefähr tausend Franken subventioniert, unabhängig des Realeinkommens, sondern im Giesskannen-Metapher. Ich hätte anders priorisiert, muss mich wohl aber erst an das politische System Basel-Stadts gewöhnen.

    In diesem breiten Kontext altere ich. Ich werde privater, zurückgezogener. Ich werde automatisch häuslicher. Ich werde nicht mehr so oft ausbrechen können. Ich werde gewiss arbeiten, Geld verdienen und so weiter, dort weitere Geschichten bilden. Doch abseits davon muss ich haushalten, geduldig und nachsichtig bleiben.


  • Das Fremdbild

    Nein, nicht selber gemalt. Ich kann mich diesbezüglich nicht rühmen. Aber das Bild berührt mich. Es war original mein Geburtstagsgeschenk. Eine Woche später bewegt es mich mehr als zuvor. Denn das Bild erinnert mich an den Nachtschwärmer. Ich weile zwar inmitten eines weitläufigen Neubaugebietes, dennoch bin ich alleine.

    Das Bild repräsentiert das Scheitern eines Strebens nach Glück. Ein abgekämpfter, gleichgültiger, fader Blick; ein unendliches Starren auf eine unattraktive Fassade gegenüber, die keine Aufregung oder Sinnerfüllung verheisst. Egal was gegenüber ist, ich könnte es nicht erkennen, weil ich bin zu sehr vertunnelt und versunken.

    Rechts die mittlerweile aufgegebene Zigarette, links einen Handgriff entfernt mit der Welt vernetzt, lauernd, irgendwas erwartend, was aber nie eingetroffen ist. Stattdessen versumpfte ich damals in Olten, erwachte in Olten, ernährte mich mit Döner und Bier, das klassische Junggesellenleben.

    Die Kunst erzieht nicht bloss den Künstler, sondern auch das Publikum. Das Bild ermahnt mich, wachsam zu bleiben, das Glück nicht zu vernachlässigen, nicht sich zu verzetteln, nicht alles zu vergessen. Auch dagegen zu halten, wenn jemand oder etwas das Glück bedroht, mich zu wehren und nicht einfach zu kapitulieren.


  • Das zweiunddreissigste Lebensjahr

    Ich unterbreche eine repetitive, aber notwendige Arbeit. Ich vergesse meinen prallen Backlog. Ich versuche innezuhalten, meinen morgigen Geburtstag zu reflektieren. Morgen zähle ich zweiunddreissig Jahre. Ich bin angejährt, ich bin gealtert. Meine Haare ergrauen, mein Bauch schwillt, ich schnarche regelmässiger. Soweit bekannt.

    Grundsätzlich bin ich zufrieden. Ich habe zwar einige Leichen produziert, ich habe einige Menschen enttäuscht; ich mag nicht zählen. Ich habe durchaus Leiden verursacht. Andererseits habe ich viele Menschen beeinflusst, habe Gutes geschaffen, ich habe inspiriert und begeistert, ich habe immer wieder motiviert.

    Ich habe auch geholfen, war loyal, verständnisvoll, geduldig, wo andere längst davonrannten, wo andere sich längst trennten. Gewiss ich nachträglich anders reagiert, gezielter unterstützt, einige Konflikte anders geschlichtet, nicht gewisse Muster wiederholt, nicht gewisse Menschen ausgenutzt. Ja, späte, aber richtige Einsicht.

    Ich kann gewissen Erfolg bilanzieren. Mein Lebenslauf kann durchaus verblüffen. Kürzlich wollte mich F., der seine Lehrzeit im selben Unternehmen abdiente, vor versammelter Alumni bei Bier und Burger mich überhöhen. Ich konnte bloss herunterspielen, relativieren und Demut wahren. Weil sonst hätte ich meinen Selbstwert überladen.

    Vermutlich kann ich faszinieren. Manchmal überrasche ich mich selber, inwieweit ich mich verändern, anpassen und lernen kann. Aber wiederum wiederhole ich mich gerne, ich verfalle denselben Mustern. Wenn ich unruhig bin, irre ich. Wenn ich sehnsüchtig bin, erkalte ich. Ich bin freilich unvollkommen und stets unvollendet.

    Also, zweiunddreissig Jahre. Mein kleiner Zirkel, verstreut lebend, aber ausm Mittelland stammend, teilt mein Schicksal. Wir müssen resümieren. Wir müssen schlussfolgern. Wir müssen neue Lebensabschnitte riskieren. Wir können nicht weiterhin uns im Tag verwirklichen, sondern müssen allmählich das Gross-Ganze planen.

    Denn wir vergehen allmählich. Ich muss mich beeilen. Ich erlebe nun nochmals dreissig Jahre ähnlicher Blüte, mit hoffentlich höherem Nettoeinkommen. Doch der körperliche Zerfall limitiert die Schaffenskraft. Bald beansprucht mich eine kleine Tochter. Das Leben hier in Basel fordert. Die Firma will auch, der kleine Zirkel, der Master, alles will mich.

    Ich spüre bereits jetzt, dass mir die Momente fehlen, dass ich zurücklehnen und entspannen kann. Ich flüchte stattdessen ins Velo. Ich werde tausende Franken in ein überschickes Elektrovelo investieren. Damit durchlüfte ich bloss, aber hintersinne damit nicht. Du kannst nicht nachdenken, wenn du radelst, wenn der Sport alles überdeckt.

    Sport ist keine Lösung, Sport ist bloss Eskapismus, gleichwertig wie Alkohol, ebenfalls mit Nebenwirkungen, es könnte mich ebenfalls töten. Aber im Sport vergesse ich, muss nichts nachdenken, weil ich nicht kann, weil ich mich nicht konzentrieren kann. Meine Hirnaktivitäten werden aufs Wesentlichste reduziert. Ich funktioniere.

    Doch mit zweiunddreissig will nicht nur funktionieren. Ich will diesen Blog weiterhin nutzen. Ich muss begreifen, dass ich trotz Familie weiterhin Zeit reservieren sollte: für die gewisse Stille, für die gewisse Einsamkeit, nicht die velofahrende Hast, nicht die alkoholisierte Manie, keinen Betrug bitte.


  • Mit mir selber

    Ich beschäftige mich bevorzugt mit mir selber. Ich habe früher schon stundenlang gespielt, meine Legowelten erschaffen, darin Geschichten erzählt. Niemand konnte je teilhaben, niemand liess ich teilnehmen. Ich war Schöpfer meiner eigenen Welt. Niemand konnte mich beeinflussen, mich stören oder sonstwie verändern.

    Später erschuf ich virtuelle Welten, grossartige Netzwerke, Verbindungen. Gemeinnützige Server, liberale Ideen; ich lebte einen gewissen internationalen und digitalen Idealismus vor. Ich war aber ziemlich alleine physisch. Niemand verstand, was ich dort tat. Ich traf mich selten mit diesen virtuellen Personen.

    Ich konnte ihnen bloss in Basel und Bern und Brugg begegnen, allesamt fern meiner Heimat Olten. Ich war in den virtuellen Welten ein Meister, ein Schöpfer; ich war mit mir selber beschäftigt. Ich konnte stundenlang basteln, mit Ports und Konfigurationen experimentieren, einen kleinen Cluster errichten, Netze knüpfen. Und so weiter.

    Ich war alleine, ich war auch glücklich. Dasselbe in der Sexualität. Ich kann mich selber perfekt steuern. Niemand kann das so gut wie ich. Ich kann voraussagen, wann ich komme, wie ich komme. Ich kann meine eigene Sexualität kontrollieren. Ich hänge nicht von der Erfahrung oder vom Können einer Drittperson ab. Manchmal ist das einfach besser.

    Oder ich träume alleine. Ich kann meine Träume nie teilen. Sie sind nicht teilbar, weil ich sie (noch) nicht richtig artikulieren kann. Irgendwann kann ich sie ausdrücken, ich kann sie der Welt zugänglich gestalten. Doch bis dahin bin ich einsam damit. Ich erprobe Kunstformen, um diese Visionen und Träume zu vergegensächlichen. Bislang vergebens.

    Ich kann einfach zurücklehnen, irgendwohin starren und dann alle Gedanken rasseln und purzeln lassen. Ich kann so stundenlang verweilen, gedanklich hoch und hinabsteigen. Ich phantasiere dann von anderen Zeiten, ich erweitere meinen Lebensentwurf. Ich bin dann einfach froh, glücklich. Diese Momente kann ich leider nicht vermitteln.

    Leider ist letztlich Vieles niemals oder schwer vermittelbar. Die Kunst war stets ein Ausdrucksmittel einsamer Stunden. Man wollte Gedanken, Phantasien, Gefühle, Ideen kommunizieren. Oftmals misslang das Anliegen, man verstand selten, meistens missverstand man bloss. Man konnte stets überinterpretieren, verfälschen.

    Das viele mit-mir-selber allerdings hat aber den Effekt, dass ich mich zu oft bloss auch mich selber drehe und meine Mitmenschen vernachlässige. Alleine dieser Blog nährt meinen kleinen Narzissmus. Doch ich muss, ich war schon immer so. Ich muss irgendwie überleben, irgendwie auch mich selber überlisten – mich selber.


  • Ich kiffe nicht

    Ich meide Drogen, die ich nicht kontrollieren kann. Ich bevorzuge üblicherweise Alkohol. Doch früher konsumierte ich auch Marihuana, das robuste und zähe und hier heimische Kraut. Das meine Generation entfesselte, das gleichzeitig beinahe legalisiert wurde, das die gesamte Freizeitkultur steuerte.

    Alle waren kiffend. Der Tag war kiffend strukturiert. Zunächst musste man Gras beschaffen. Dazu konnte man entweder in die liberalen Kantone reisen oder selber anbauen. Ich fuhr viel ins Baselbiet. In Sissach versorgte ich mich bevorzugt, notfalls auch in Olten. Aber dem Oltner Shit misstraute ich – wie die meisten.

    Anschliessend musste man sich zum Kiffen verabreden. Kiffen vernetzte, verstärkte soziale Bindungen. Die weiteren Aktivitäten umrahmten bloss das Kiffen; Kiffen war stets Primärzweck. Surfen, Boarden und Skaten durften das Kiffen begleiten; gerne auch das Knutschen oder Vögeln oder Saufen.

    Am nächsten Tag wiederholte sich das Muster. Der Kiffeffekt war bei mir auch stets derselbe. Eigentlich war er sehr unangenehm. Das Kiffen verstörte mich. Denn das Kiffen intensivierte meine Sinne. Eine Zugfahrt konnte mich durchschütteln. Weil ich spürte jede Beschleunigung, jedes Bremsen, jedes Ruckeln.

    Ich fühlte mich der Umwelt ausgeliefert; kein Schutzschild schirmte mich. Die Umwelt durchdrang mich, wehrlos und nackt war ich. Nicht bloss die Umwelt, auch die Musik bewegte mich, lenkte meinen Sinne und meine komplette Gemütslage. Die Musik konnte mich aufhellen oder verstimmen. Sie kontrollierte mich.

    Zusätzlich beeinflussten mich die Menschen meiner Nähe. Ich spürte ihre Gegenwart, ihre Gefühle, ihre Gedanken. Ich konnte vorausahnen, was sie erzählen würden. Ich fühlte mich entlarvt, gleichzeitig schuldig, dass ich sie so intensiv wahrnehmen konnte. Das würde nämlich besagen, dass ich sie bislang ignoriert habe.

    Das alles überreizte mich. Meine Mechanismen waren ausgehebelt, mein System aufgeflogen. Ich war schutzlos. Ich konnte mich nicht wehren, ich funktionierte und diente gewissermassen bloss noch. Ich habe mich dem Endzustand tiefster Ohnmacht genähert. Die Vorstufe einer zeitlosen Gleichmut.

    Das verursachte Unbehagen. Wenn Menschen spüren, dass sie die Selbstbeherrschung verlieren, und zwar im vollsten Bewusstsein wie anfänglich an Demenz Erkrankte, dann kann das einen verzweifeln. Ich wollte zwar ankämpfen, ich wollte mich zwar mässigen, mich disziplinieren, doch meine Selbstbeherrschung versagte.

    Ich habe mitm Kiffen aufgehört, weil das Kiffen mein Selbstsystem, meine Selbstfunktion, meine Selbstkontrolle, meine Selbsteinschätzung unterminierte. Ich kann besser funktionieren, besser sozial interagieren, einfach besser sein, wenn ich nicht kiffe. Ja, ich hadere dann weniger, ich zögere weniger.

    Ich will nicht als gesellschaftlichen Problemfall ausgemustert werden. Deswegen kiffe ich nicht mehr. Deswegen schule und trainiere ich meine Selbstbeherrschung. Gewiss verweigert sie manchmal Gehorsamkeit, sie missfällt im Ausbruch, in der Verschwendung, in der Beschleunigung; meine Selbstbeherrschung ist ein lebenslänglicher Kampf.

    Lebenslänglich muss ich balancieren, muss ich mich wieder erinnern und immer wieder zähmen. Ich muss mich disziplinieren. Ein Joint kann die jahrzehntelange Aufbauarbeit verpuffen. Mit einem Joint kann ich alles und jeden wieder verlieren. Mein System ist und bleibt verletzlich, jederzeit kann alles zusammenstürzen. Willkommen.


  • Frühlingsschlaf

    Ich möchte mich nicht wiederholen, ich möchte nicht wieder diese Sommerfrische beklagen, die kurzen Röckli bedauern, das Ableben als weltfremder Altherr beweinen, mangelnde Potenz attestieren, letzte Vitalität im Alkoholkonsum verorten. Nein, ich müsste nicht die Muster repetieren, ich möchte mich nicht selber langweilen.

    Doch ich bin ziemlich herausgefordert. Ich pausiere an den bekannten Promenaden meines Wohnortes. Ich will mich konzentrieren, ich will arbeiten, mich weiterbilden. Doch ich werde abgelenkt. Das frühlingsfrische Leben belästigt mich. Die Menschen verabreden sich, sie wetteifern, sie stählern ihre Wettbewerbskraft.

    Ich? Ich warte, ich müsste meine Sinne fokussieren. Doch die fruchtigen Brüsten, die wehenden Kleidli, die gesunde Gesichtsfarbe, die erwartungs- und verheissungsvollsten Augen müssen jeden Altherren aufs Neue traumatisieren. Wenn nebenan die Jugend wegzischt, das Leben auskostet, man selber aber verdurstet, dann darf man verzweifeln.

    Ich möchte das nicht auf mich übersetzen, aber ich muss darüber berichten. Ich identifiziere mich mit den Kellerkindern meiner Art, die einsam, aber irgendwie verschworen der Welt trotzen und damit Widerstand leisten. Wo verstecken sich die Einsamen, die Hässlichen, die Ungefickten, die Gestressten? Wo sind sie bloss?

    Vermutlich überfordert mich die Vielfalt der grossen Stadt. In Olten war alles einfach; kaum Konkurrenz, kaum Weiblichkeit, kaum Reize. Alle kannten alles. In Basel allerdings strotzt die Lebensfreude. Eine gewisse Internationalität verjüngt das Schweizertum; begüterte Südamerikanerinnen, die frontal flirten. Unvorstellbar in Oltens Nicht-Nacktbars.


  • Kein Hobby

    Ich kann mich nicht entscheiden, wie ich mich weiterhin ausfüllen soll. Welche Hobbys soll ich anstreben? Bald erwarten mich väterliche Pflichten. Bald muss ich mich um mein Studium kümmern. Und irgendwann meinen Master abschliessen. Irgendwie. Und meine Firma verlangt Aufmerksamkeit. Ich kann also kaum Hobbys intensivieren.

    Stattdessen vertrödle ich meine Zeit lustvoll. Ich möchte nicht mich beüben. Ich geniesse, wenn ich meine Zeit vergeuden kann. Ich liebe die Verschwendung, ich liebe die Verausgabung. Und das feiere ich privat, wo ich nur kann, wo ich es mir leisten kann, wo ich niemanden verletze oder verärgere.

    Denn ich kann selber gebieten, wie ich meine rare, vergängliche, meine bald schwindende Freizeit investiere. Ich muss mich nicht einmal rechtfertigen. Ich habe mich entschieden. Ich kann in Parks weilen, die Mütter beobachten, ich kann in Olten ausgehen, meinen dortigen Status zelebrieren, ich kann meine Drohne ausreiten.

    Ich bin privilegiert derzeit. Ich habe bloss die anfänglich genannten Pflichten. Ich muss glücklicherweise nicht um mein Überleben bangen. Ich bin relativ entspannt. Ich muss mich auch nirgends behaupten, ich muss niemanden mit exklusiven Hobbys beeindrucken. Ich muss meinen Selbstwert nicht mit Extremsportarten steigern.

    Das beruhigt ungemein. Ich spare damit Geld und Zeit, die ich gerne anderweitig verschwende. Nämlich in maximaler Unproduktivität; in Abhängen, in Abkacken, in Alkohol, in Blödeln, in Palaver, in Sinnlosigkeit. Weil ich kann und möchte, weil ich damit mich regeneriere. Damit ich morgen wieder ernsthaft sein kann.

    Damit ich morgen wieder den Widerspruch leben kann. Als Grenzgänger, als Zwischenwesen wandeln, sodass ich mich spüre, sodass ich mich vergewissere, dass ich lebe, auch wenn ich mich damit verletze und damit erneut Kredit verspiele. Doch tue ich es nicht, sterbe ich. Dann schlafwandle ich bloss noch.