Olten. Eine derzeit gerne beschriebene Stadt. Der Literarische Monat fokussiert in der aktuellen Ausgabe ausschliesslich Olten. Mein Kollege K. darf Oltens Status bestätigen. Auch L. schreibt einen weiteren Text über Olten. Bekanntlich stamme ich ebenfalls aus Olten. Das ist nicht zu überlesen. Heute dramatisiere ich eine Kommune Oltens. Viel Vergnügen.
Vor mehr als dreizehn Jahren hat der Zufall einer Alten Aare Sause einige Menschen zusammengewürfelt. Der eine bestrebt, von der Wohnung seiner Mutter sich loszusagen. Der andere aufgefordert, endlich auszuziehen. Der eine, nennen wir ihn ehrlicherweise O., hat bereits recherchiert. Er werde morgen eine Wohnung besichtigen. Der andere?
«Kann ich auch mitkommen?», unterbrach ich jugendlich-unschuldig, weil naiv. Der Kollege hatte nichts einzuwenden. Wir verabredeten uns, wir inspizierten die Wohnung. Beste Lage, günstigster Preis. Im selben Haus hatte sich bereits die A. eingenistet, die grosse Schwester meiner späteren Freundin M.
Irgendwie bin ich mit O. in dieser Wohnung gelandet. Der Umzug war meinerseits chaotisch und unstrukturiert. Ich zügelte hauptsächlich mit dem Bus. Das meiste Mobiliar beschaffte ich in der lokalen Brocki, deren Hauptkunde ich bald wurde. Wir improvisierten unsere 4-Zimmer-Wohnung gut und gemütlich.
Wir waren cool. Wir waren Helden. Man beneidete unsere Wohnung. Den Alltag überbrückten wir mit Arbeit. Gelegenheitsarbeiten in den grossen Hallen des nahen Gäus. Manchmal haben sich unsere Schichten überschnitten. Wir trennten die Rollen; der eine arbeitete, der andere führte den bescheidenen Haushalt.
Das Klo war meistens sauber, die Küche meistens geputzt. Der Salontisch im Wohnzimmer war nicht überstellt. Ich glaube, wir hatten sogar mal Staub gesaugt. Ob wir den knirschenden Holzboden jemals feucht aufgewischt haben, weiss ich nicht mehr. Vermutlich nicht, denn unser Sauberkeitsbedürfnis war noch nicht voll entwickelt.
Nach einigen Monaten vergrösserten wir unsere Wohngemeinschaft. Die geschätzte A. ausm oberen Stock wechselte in die hippere Rosengasse. Diese 3-Zimmer-Wohnung besetzten weitere Kollegen. Im oberen Stock wohnten fortan zwei Frauen, L. und M. In unserem Stock drei Herren, O., B. und ich. Wir waren nun zu fünft.
Diese beiden Wohnungen waren aneinander gekoppelt. Wir nutzten die Dusche im 2. Stock. Das Wohnzimmer installierten wir im 1., das Gemeinschaftsbüro im 2., die Küche im 1. Die beiden Wohnungen bildeten eine grosse Wohngemeinschaft; unsere Kommune, unsere erste Kommune. Denn sehr bald konzentrierten wir darin unseren Lebensmittelpunkt.
Weitere Kollegen waren quasi permanente Gäste. M. war ein Untermieter in L. Zimmer. S. nächtigte vorzugsweise aufm grosszügigen Ledersofas O. In der besten Jahren duschten, assen, kackten und kifften sieben Leute in dieser Kommune gleichzeitig. Wir feierten gemeinsame Abendmahle, Spielrunden. Weitere Gäste besuchten uns stets.
Ich kann mich nicht mehr an alle Sofa-Konzerte erinnern. Ich kann auch nicht mehr alle Videoclips auflisten, die beispielsweise unser Gast K. und ich in L. Zimmer drehten. Auch beflissenste deadheads musizierten in unserer Stube. Auch etliche Lokalpunks tranken Denner-Bier, so auch der schwarze R. oder der kleine Bruder von M.
Wir änderten gefühlt jeden zweiten Monat die Zimmerbelegung. Irgendwann verliessen uns B. und M. Sie begründeten ihre eigene Verliebtpaar-Wohnung. Ich glaube, sie bewohnten fortan ein Häuschen mit einem Gärtchen an der weiterhin hippen Rosengasse. Die Mitbewohner fluktuierten. O. erkundete das ferne Nepal.
L. war immer irgendwie hier, irgendwie auch nicht. Weitere Gäste sind eingezogen und wieder ausgezogen. Einmal R., der nun in Mannheim reüssiert. Einmal T., dessen Verbleib ich nicht mehr rekonstruieren kann, vermutlich weggesperrt. Und einmal P., der kleine Bruder eines Lokalpunkes. Bis zu dessen Gefangennahme in M.
Hunde wie Ratten hausten gleichermassen, aber nicht gleichberechtigt. Die erste Ratte verschlang unsere friedliche Hausmaus, die uns nicht störte. Wir mussten die böse Ratte zu Dritt einfangen und sie am Aareufer entsorgen. Die Lokalpunks überwinterten. Sie teilten sich Sofa und Boden. Ihre Hunde belagerten das Treppenhaus.
S. hatte mir später eine Art Büro finanziert. Dorthin habe ich mich verkrochen. Ich las und schrieb dort. Mein Arbeitsplatz war eine Müllhalde. Ich trank damals Redbull-Cola. Jede Dose war ein Aschenbecher. S. wohnte mit seiner damaligen Freundin nebenan. Wir grüssten uns täglich. Das war im 2. Stock. Der 1. Stock war von Lokalpunks belegt.
Mein Schlafzimmer war weiterhin im 1. Stock, begehbar durch die Küche. Meine Küche desinfizierte ich bei Frauenbesuch. Alle zwei Wochen wollte mich eine oder eine neue treffen. Ohne Frauen wären meine Küche und mein Zimmer wohl vergammelt. Denn die Tauben haben bereits unseren Balkon verdreckt-verschissen.
Irgendwann besserten sich meine Lebensumstände. Ich war nicht mehr arm, asketisch und in mich gekehrt. Ich war wieder regelmässiger lohnabhängig, extrovertiert, hungrig und durstig. Diese heruntergekommene Kommune passte nicht mehr. Denn auch S. flüchtete. Die Lokalpunks haben sich ausgebreitet. Die Fenster waren teils bereits zertrümmert.
Ich musste also meine Situation verändern. Ich vermachte dem Lokalpunk P. meine Hammond-Orgel, Schätzwert mehrere tausend Franken, in den 60er produziert. Diese sollte alle Ansprüche der Verwaltung decken. Ob und wem er sie schlussendlich veräusserte, weiss ich nicht. Denn daraufhin habe ich die Kommune verlassen.
Wir haben keine ordentliche Übergabe oder Abnahme organisiert. Ich habe mein Mobiliar auch grösstenteils den Lokalpunks verschenkt. Einzug und Abzug waren gleichermassen chaotisch. Ich war seither nie mehr dort. Wer heute diese Liegenschaft belegt, weiss ich nicht. Vermutlich zelebriert eine jüngere Generation das frohe und gute Leben Oltens. Und so soll es auch sein.
Leider besitze ich keinen Bildbeweis dieser Kommune.