Autor: bd


  • Ein politischer Flüchtling

    Bekanntlich bin ich wegen Frau und Kind nach Basel ausgewandert. Ich habe anfänglich mich leicht, aber dennoch zurückhaltend sozialisiert. Ich konnte mich mit Nachbarn und Ärzten vernetzen. Einigermassen. Denn ich suche grundsätzlich keine Freunde, ich bin ausreichend bedient und zufrieden.

    Mittlerweile bin ich in Basel gestrandet. Ich werde hier bleiben. Ich habe Olten verlassen, meinen verwegenen Heimatort. Und ich werde auch nicht zurückkehren. Denn ich werde mich hier in Basel um meine behinderte Tochter kümmern. Formell sind 40 Prozent vereinbart. Diese werde ich ausschöpfen.

    Basel-Stadt ist denn auch nicht die Schweiz, die wir im Mittelland kennen. Der Bund deklariert Basel-Stadt als sogenannte Grenzregion. Basel besitzt einen Hafen, mehrere Becken. Ein weiteres Becken ist geplant. In Basel sind Elsässer wie Südbadener gleichberechtigt daheim. Man spricht einen ähnlichen Idiom. Man versteht sich.

    In Basel schätze ich, dass Basel ein Stadtkanton ist. Kein Speckgürtel, keine Agglomeration, nichts beeinträchtigt das Wahlverhalten. Wir haben keinen Stadt-Land-Graben, weil wir blosse Stadt sind. Das Umland ist überdies nicht einmal schweizerisch, sondern wird entweder aus Paris oder aus Stuttgart regiert.

    Ich habe etliche Legenden aufgeschnappt, wie sonderbar Basel-Stadt im schweizerischen Vergleich ist. Ich will gehört haben, dass private Erträge von Immobilienverkäufen die städtischen Parkanlagen subventionieren. Das erklärt deren üppige Ausstattung im Vergleich zum Oltner Stadtpark oder Vögeligarten.

    Mittlerweile bin ich in Basel isoliert. Ich besuche unregelmässig die eine Bar. Dort kenne ich die Stammgäste vom Sehen. Ich habe bislang noch mit niemandem gequatscht, keine Nummern getauscht oder erste Verknüpfungen erstellt. Das stört mich nicht. Ich habe auch bloss mit einer Baslerin im Ausgang gequatscht – während einer Firmenfeier.

    Beruflich kenne ich etliche Basler, momentan bin ich hier stationiert bis Ende Juni. Danach werde ich vermutlich wieder nach Zürich oder Bern pendeln müssen. Ich trenne aber Beruf und Privat. Daher überschneiden sich solche Bekanntschaften nie. Nur des Berufes wegen kann ich mich also nicht integrieren hier.

    Ich möchte nicht darüber klagen. Ich bin zufrieden mit diesem Zustand. Ich habe die Narrenfreiheit, mich hier bewegen zu können, ohne dass mich jemand “kennt” im engsten Wortsinn. Ich geniesse diese Anonymität. Bald werde ich auch in einer anonymen Überbauung hausen, auf die Autobahn und Kleinbasel blicken.

    Ich fühle mich hier sicher. Vor allem politisch sicher. Basel-Stadt ist gemäss SDI ziemlich grün. Ich erkenne sogar gelbe Tendenzen, weil Basel-Stadt akzeptiert. Es ist – ganz typisch Grossstadt – die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Interessen, die keine Gesellschaft mehr bilden. Das reizt und entspannt mich.

    Ich bin hier kein Freak, Sonderling oder ein Ausgestossener. Ich bin bloss ein politischer Flüchtling, der wegen der Liebe zur eigenen Tochter hier harrt. Die Stadt empfängt mich zwar nicht, sie umarmt mich nicht, aber sie lehnt mich auch nicht ab. Sie toleriert mich einfach. Ich kann mich sogar mittlerweile hier identifizieren.

    Bald verlasse ich mein originales Viertel. Der Park in meinem Viertel ist bezaubernd. Er ist überdimensioniert. So viele Gerätschaften. So viele Anlässe. Ein Park-Restaurant. Morgen-Yoga selbstredend auch. Ein Hindernis-Parcour für Jung und Alt. Ein periodischer Flohmarkt. Auch Jazz im Park fehlt nicht.

    Mehrgeschossige und jahrhundertealte Stadtwohnungen schmücken den Park. Die Eintrittshürde sind zweitausend Franken für einen nicht renovierten Altbau. Mehrere Spätkaufs für die Jugend. Die Lokalzeitung empört sich dennoch über die Kriminalität. Abends sei der Park gefährlich, weil nicht verschliessbar.

    Mein neues Viertel hat noch keinen Park. Alles ist im Entstehen. Es war vormals ein Areal der Zwischennutzung. Die Generation Golf hat sich dort verausgabt. Sie erinnert sich gerne. Dort entstand Minimal Techno in der Schweiz, der sich dann im alten Nordstern popularisiert hat. Es war wild, ungestüm und baslerisch.

    Der Park ist frisch angelegt worden. Er ist gleichsam überdimensioniert und üppig. Nebenan liegt der bekannte Tierpark, der kostenlos ist. Ein nach SDI grünes Community Center vereint unterschiedliche Kulturen und Einkommensstrukturen. Man kann dort abends essen, Musik hören und sich verbinden.

    Vermutlich werde ich dann dort ausgehen. Vermutlich werde ich unterstützen und mithelfen. Ich kann, so glaube ich zumindest, Knowhow bieten. Aufgrund meines Berufes bin ich erfahren und erprobt, Dinge zu organisieren, auch wenn ich bisweilen chaotisch und planbar privat mich gebärde.

    Denn ich bin irgendwie besessen, Basel-Stadt zu danken, dass Basel-Stadt meine Tochter aufnimmt. Basel-Stadt verbannt die Behinderten nicht. Basel-Stadt stützt und fördert sie. Behinderte müssen sogar Regelklassen besuchen. Bei meiner Tochter ist der Grad der Behinderung allerdings so schwer, dass das wirklich sinnlos ist.

    Aber die Absicht und Intention gefallen mir. Hier in Basel-Stadt dümpelt die ansonsten so omnipotente SVP auf ungefähren fünfzehn Prozent herum. Das auch bloss wegen der verschweizerten Vierteln wie Bruderholz oder Hirzbrunnen. In Matthäus oder in meinem zukünftigen Rosental existiert die SVP nicht.

    Ich freue mich auf meine Zukunft hier in Basel-Stadt. Bald ist leider wieder eine Steuerrechnung fällig. Doch diese wird mich nicht ernüchtern. Es ist mir wert, vor allem und wegen meiner Tochter, die hier die besten Bedingungen in der Schweiz hat. Danke Basel-Stadt.


  • Der Prototyp

    Ich fühle mich als Prototyp. Als Prototyp für diese Welt. Ich fühle mich gleichzeitig gescheitert. Ich kann mir meine Welt konstruieren. Ich kann seiltanzen, mit dem menschlichen Abgrund liebäugeln. Ich kann gleichzeitig mich unterordnen und tarnen, nicht sonderlich auffallen. Ich operiere aber im Inkognito Modus.

    Ich habe persönliche Abwehrstrategien entwickelt, die mich vor dem Elend der Welt und meiner eigenen bescheidenen Existenz schützen. Sie lassen mich nicht verzweifeln. Stattdessen treibe ich weiter ganz futuristisch. Ich bejahe bloss die Zukunft, das Kommende und vergesse das Vergangene.

    Ich bin zäh einerseits, verletzlich andererseits. Die Verhältnisse bringen mich nicht um. Ich kann ungesund mich ernähren, meinen Körper verschwenden und ruinieren. Ich bin furchtlos, ungestüm und selbstzerstörerisch. Ich kann funktionieren, auch wenn ich ohne Funktion bin. Ich lasse keine Möglichkeit ungenutzt.

    Gleichzeitig bin ich verletzlich. Ich möchte wehklagen, alles Elend bedauern, meine Fehler bereuen, meine Unachtsamkeiten wiedergutmachen. Ich kann empfinden und verstehen. Ich kann etliche Fragen beantworten oder die Beantwortung anleiten. Man kann mich als Gesprächspartner und Vertrauter schätzen.

    Ich vereine unterschiedliche Kompetenzen. Ich bin bemerkenswert breit, gleichzeitig bin ich beschämend flach, sobald Tiefe erforderlich ist. Ich habe kaum eine Disziplin in ihrer Totalität verinnerlicht. Das qualifiziert mich als Prototyp. Deswegen kann ich in dieser Welt überleben und stets angemessen mich neu erfinden.

    Schliesslich praktiziere ich einen Generationsberuf. Ich bin ein Nichtsmacher und Allessager. Ich verkaufe Mut, Kühnheit, Sicherheit und Gelassenheit gleichermassen. Ich spezialisiere mich nicht, ich sammle bloss weitere Erfahrungen und Referenzen. Ich kombiniere das zu einem einzigartigen Profil.

    Ich werde mehrheitlichs als Inkubator eingesetzt, stets befristet. Ich unterstütze die Kunden beim Wirken. Ich potenziere. Ich stelle dabei nichts her, ich erarbeite auch nichts, sondern ich handle. Ich gestalte die Lebenswirklichkeiten meiner Mitmenschen. Im Jargon bin ich Influencer mit einer bezahlten Reichweite.

    Ich fühle mich als Prototyp. Ich fühle mich gerüstet für die Herausforderungen der Gegenwart. Ich kann irgendwo verarmen und meine Unfähigkeit der Erwerbsarbeit bejammern. Ich kann ebensogut in einer überteuerten Stadtwohnung mit Koks und Nutten meine Restgesundheit verspielen. Ich bin zu beidem fähig und auch willens.

    Ich bin beliebig und ganz ohne Eigenschaften. Ich kann wandeln, maskieren, verstecken und fliehen. Gleichzeitig kann erledigen, was erforderlich ist, unterordnen, wo gerade schicklich, antworten, was gehört werden will. Ich kann Normalität simulieren. Ich kann Illusionen produzieren.

    Dennoch versterbe ich zu früh. Denn ich bin bloss ein Prototyp. Die marktfähige Version wird bald folgen und das 21. Jahrhundert erobern. Ich bin das nicht. Das werde ich auch niemals sein. Und deswegen sollte ich mich auch nicht vermehren. Ich kann nichts lehren. Ich kann bloss überleben.


  • Die Arbeit und die Automation

    Die Arbeit und damit die Begriffe der Arbeitswelt durchringen unsere Lebensbereiche. Die Arbeitswelt ist die erfolgreichste Konstruktion des letzten Jahrhunderts. Die Arbeit erobert das komplette menschliche Tun. Wir arbeiten bloss noch. Selbst seriöse menschliche Beziehungen nennen wir Beziehungsarbeit.  

    Sie hat die Kriege der grossen Ideen überlebt. Der Erste wie auch der Zweite Weltkrieg konnten die Arbeitswelt nicht stören. Die Arbeitswelt hat die komplette Welt besiedelt. Die meisten Existenzen dieses Planeten unterwerfen sich der Arbeit. Doch die Arbeit kleidet sich harmlos. Sie gebiert sich als Befreier. Arbeit macht frei.

    Die Arbeit kontrolliert den Planeten. Sie hat eine eigene Sprache und Zunft herausgebildet. Es sind Blätter wie The Economics, The Wall Street Journal, Financial Times, weniger die NZZ und die FAZ, die weltweit rezipiert werden. 50% der realistischen Kulturgüter behandeln die Arbeit, die übrigen etwas wie Liebe.

    Gewiss irrlichtere ich ebenfalls in der Arbeitswelt. Ich bin ebenso darin verwickelt. Ich habe die Fachbegriffe verinnerlicht. Ich kenne die Prozeduren und Mechanismen. Das sind wiederholende Muster. Sie regeln nicht bloss den Arbeitsprozess, sondern auch die Arbeitsbeziehungen. Ich könnte technisch hier, in Hongkong oder in Kapstadt wirken.

    Die Arbeitswelt vernichtet Individualismus und Menschlichkeit. Sie ist eine Maschine. Ironischerweise automatisiert seit den 50er die Maschine die Arbeit. Die Automation dominiert die Investitionen in der Arbeitswelt. Die höchste Wertschöpfung erzielt die Arbeit derzeit, wo sie völlig von Materie und Gütern entfesselt ist: an den vernetzten Börsen.

    Gerade dort ist die Automation vollends geglückt. Man schätzt, dass die Hälfte des Handels automatisiert und ohne menschlichen Einfluss getätigt wird. Algorithmen wetten gegeneinander. Selbst der entfernte und schusselige Privatanleger nutzt solche Algorithmen in seinem eBanking, wenn er Handelsaufträge mit Limiten zeichnet.

    Die Automation gefährdet die menschliche Identität. Spätestens seit der protestantischen Arbeitsethik, exemplarisch durch Max Weber analysiert, ist die Arbeit “gut” und “notwendig”. Sie stiftet Sinn, Identität. Wir sind alle aufs Arbeitsleben ausgerichtet. Auch die staatlichen Institutionen sind beflissen, uns für die Arbeitswelt zu rüsten.

    Es ist das Wesen der Arbeit, dass sie reproduzierbar ist. Der Mensch ist ersetzbar. Die Textilindustrie ist eine klassische Wanderindustrie. Sie bewegt sich gerade dorthin, wo die Bedingungen des Arbeitsmarktes günstig sind. So war vor der Industrialisierung die Ostschweiz der Hotspot der damaligen Textilindustrie.

    In unserer Alltagssprache wissen wir, dass wir immer jemanden finden, der arbeitet. Wir gingen nun aber jahrhundertelang davon aus, das seien Menschen mit vermeintlich niedrigeren Anforderungen. Wir haben akzeptiert, dass die Dritte Welt fabriziert, wir konstruieren und konsumieren. Das war für alle irgendwie gut.

    Nun bedroht die Automation den Menschen in der Arbeit. Ich persönlich befürworte das. Denn die Arbeit hat den Menschen entwürdigt. Die freien Griechen der Antiken mussten nicht arbeiten. Sie durften philosophieren, denken und handeln. Doch sie waren eine Minderheit. Die Mehrheit der Gesellschaft waren Sklaven.

    Sklaven mussten arbeiten. Das war ihre Bestimmung. Deswegen nannte man sie auch Sklaven. Das war ehrlich und transparent. In der Schweiz müssen alle arbeiten, ausgenommen Erbreiche, aber auch die müssen arbeiten, damit sie gesellschaftlich nicht ausgestossen werden. Dass alle arbeiten können, ist der Primärzweck der Politik.

    Die Politik beabsichtigt die sogenannte Vollbeschäftigung. Das ist der ideale Zustand einer arbeitenden Gesellschaft, wo alle Arbeit haben. Unsere Gesellschaft ist so konzipiert, dass sie grösstenteils arbeitend ist. Das Nichtarbeiten ist verboten. Wer ohne Arbeit ist, also arbeitslos, muss sich sofort bei der Arbeitslosenversicherung anmelden.

    Die Arbeitslosenversicherung respektive die korrespondierende Ausgleichskasse (kantonale oder private) berechnet basierend auf der letzten Arbeit das Taggeld für die Arbeitslosigkeit. Das Taggeld ist zeitlich beschränkt. Die oberste Priorität hat die sogenannte Wiedereingliederung. Dafür ist die regionale Arbeitsvermittlung beauftragt.

    Wer innerhalb dieser Frist nicht wieder arbeitet, verliert den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Man nennt diese Menschen “ausgesteuert”. Sie verschwinden fortan aus der Statistik der Arbeitslosen. Wir alle schämen uns derentwegen. Sie sind der “Schandfleck” der Gesellschaft, weil sie nicht mehr arbeiten.

    Wer kann, rettet sich in die Invalidenversicherung. Dort ist aufgehoben, wer wegen nachweisbaren Gründen nicht mehr arbeiten kann. Doch auch die Invalidenversicherung verfolgt die oberste Maxime der Wiedereingliederung. Das führt teils zu absurden Situationen, wenn die Bürokratie zu bürokratisch ist.

    Wen die invalidenversicherung nicht akzeptiert, weil er eine Arbeitsunfähigkeit nicht begründen kann, muss mit der Sozialhilfe sich arrangieren. Das ist eine kommunale Fürsorge, die in der Schweiz weder garantiert noch reglementiert ist. Eine Konferenz verabschiedet regelmässig Empfehlungen, doch jede Gemeinde kann selber walten.

    Die Sozialhilfe wiederum ist bemüht, die Arbeitslosen möglichst rasch an die Invalidenversicherung zu delegieren. Oder zur Arbeit zu zwingen. In der Sozialhilfe herrscht in den meisten Kommunen ein Arbeitszwang. Die Sozialhilfe kürzt, wer nicht teilnimmt. Es ist Fronarbeit. Wer genügend front, erhält einen symbolischen Zuschlag.

    Ich möchte nun nicht mit der Altersvorsorge fortfahren. Es ist unmissverständlich, dass die Altersvorsorge ebenso an der Arbeitstätigkeit gekoppelt ist. Wer nicht genügend gearbeitet hat, muss sogenannte Ergänzungsleistungen beantragen. Diese kompensieren. Die Zweite Säule hingegen verdienen bloss die fleissig Arbeitenden.

    Nicht bloss unsere Sozialversicherungen, unsere Politik und unsere Gesellschaft beruhen auf der Arbeit, sondern auch unsere zwischenmenschliche Beziehungen, unsere Identitäten und unsere Weltanschauungen. Wenn wenigstens eine Religion den Zweikampf zwischen Arbeit und Mensch schlichten könnte, dann wäre ich weniger besorgt.

    Die Arbeit fängt den Menschen auf. Die Arbeit beseelt den Menschen. Die Arbeit beruhigt den Menschen. Die Arbeit besänftigt den Menschen. Die Arbeit befriedet den Menschen. Ohne Arbeit ist der Mensch unglücklich, unvollkommen, unzufrieden. Wer arbeitslos ist, fühlt sich minderwertig, mangelhaft, verbannt quasi.

    Die Automation existiert. Sie hat noch nicht beschleunigt. Wir domestizieren die Autoḿation. Die Politik bekämpft die Automation, indem sie sogenannte Arbeitsplätze reklamiert. Die Automation ignoriert Arbeitsplätze. Die Automation automatisiert die Arbeit. Die Automation ist die Evolution der Arbeit.

    Noch ist die Automation zahm. Wir rechtfertigen sie, weil sie neue Arbeitsplätze schafft. Doch in wenigen Jahrzehnten übernimmt die Automation die Arbeit der Mustererkennung. Die Mustererkennung ist die Disziplin der sogenannten Wissensarbeiter. Das ist die Arbeit von Juristen, Ärzten, Beratern, Verkäufern, Analysten.

    Als die Automation die Fabrik sanft optimierte, haben wir das als Fortschritt verkündet. Die Automation erlöse den Menschen. Wir fühlten uns stets der Automation überlegen. Wir haben deswegen den Begriff der Wissensarbeit erfunden, der uns von der ausführenden und repetitiven Arbeit unterscheidet.

    Die Automation kann bereits heute Muster erkennen. Doch wir zögern. Wir sind verunsichert. Ist es die späte Einsicht? Jetzt bin ich zum Tod geworden, der Zerstörer der Welten? Warum entfesseln wir nicht die Automation? Irgendjemand wird es tun. Irgendjemand wird die Automation loslassen. Chinesen, FSF-Hacker, Spass-Terroristen oder EU-Bürokraten?

    Sobald die Eintrittshürden fallen, vernichtet die Automation unsere bisherige Gesellschaft. Unsere sozialen Systemen werden zusammenbrechen. Wir sind nicht vorbereitet. Die Automation kann bloss mit einer Weltanschauung, mit einer Identität begegnet werden, die jenseits von Arbeit sich definiert.

    Und das ist derzeit nicht aushandeln. Die Arbeit hat den Lebenssinn monopolisiert. Weil Arbeit Erwerbsarbeit bedeutet. Ohne Erwerb kein Einkommen. Ohne Einkommen kein Sinn, Identität; kein Leben. Wir arbeiten, um zu leben. Doch eigentlich leben wir, um zu arbeiten. Wir haben das einfach nicht bemerkt.

    Hier muss man sich den herrschenden Verhältnissen unterordnen. Wer nicht arbeitet, ist ausgestossen. Wir beschimpfen Arbeitsverweigerer. Sie werden mehr geächtet als Militärdienstverweigerer. Linke wie Rechte jagen den Arbeitsscheuen. Es ist der gemeinsame Feind aller Politik.

    Ich kann die Verhältnisse nicht ändern. Ich kann experimentieren. Ein Gedankenexperiment für heute, doch bereits morgen eine Wirklichkeit, weil sie keine Einstiegskosten verursacht. Die Idee ist, dass alle Menschen in der Schweiz, die seit ihrem 16. Lebensjahr mehr oder weniger ohne Unterbruch gearbeitet haben, zwei Jahre lang sich arbeitslos melden.

    Die meisten Lebensläufe in der Schweiz sind lückenlos. Die meisten Menschen arbeiten seit ihrem 16. Lebensjahr. Die kleinen Lücken werden gefüllt, geschmückt. Niemand will eine Lücke wahrhaben oder preisgeben. Sie befremdet, sie irritiert. Ich fordere aber eine bewusste Lücke und propagiere deswegen:

    Zwei Jahre Arbeitslosigkeit für alle mindestens einmal im Leben und besser jetzt als später. Damit will ich die Menschen provozieren. Wer bin ich? Und warum bin ich hier? Sobald ich keine Arbeit mehr habe, die mich hierüber aufklärt, muss ich nachdenken, ich muss philosophieren. Das kann das individuelle Wertesystem verändern.

    Ich erachte diese Massnahme als eine Art ziviler Ungehorsamkeit. Die individuellen Kosten sind überschaubar. Die Arbeitslosenversicherung kann den Erwerbsausfall grösstenteils decken. Keine Familien werden wegen des Geldes auseinanderbrechen. Vermutlich eher wegen anderen Gründen.

    Ebenso kann die Gesellschaft entspannt sein. Es ist keine eigentliche Rebellion. Es ist bloss befristeter Widerstand, der so individuell nicht auffällt. Man könnte das als eine Art Auszeit verallgemeinern. Es ist bloss ein Stresstest für unsere Gesellschaft, die nur noch arbeiten kann. Und daher ein spannendes Experiment.


  • Mein Studium

    Ich studiere nicht offiziell, ich bin nirgends eingeschrieben. Ich habe meine letzte Weiterbildung bekanntlich abgebrochen, das hier aber nicht aufgearbeitet. Ich hatte alle Module absolviert, alle bestanden, wertvolle Beziehungen etabliert, die ich bis heute erhalten habe. Ich hätte bloss noch eine grosse Arbeit verfassen müssen.

    Ich hatte keine Lust dazu. Sie war sinnlos geworden. Tragischerweise musste ich die Weiterbildung selber finanzieren. Ich habe einerseits die Schulkosten geschultert, das waren knapp 40’000 CHF. Ausserdem habe ich die Arbeitszeit nachträglich übernommen nach langwierigen Auseinandersetzung mit meinem ehemaligen Arbeitgeber.

    Ich habe ungefähr 50’000 CHF ausgegeben, wovon aber mein aktueller Arbeitgeber mir knapp 14’000 CHF entschädigte. Dennoch immer noch Geld, das ich natürlich längst nicht mehr besitze, sondern stattdessen ein Netzwerk knüpfen konnte und nun einige Zertifikate mehr aufzählen kann. Diese legitimieren mich seither, über gewisse Themen zu beraten.

    Ich hätte auch eine weitere Weiterbildung planen können. Ich war und bin weiterhin durstig. Ich habe hier und da kleinere Weiterbildungen absolviert. Diese waren stets fokussiert, maximal vier Tage lang. Ich musste höchstens eine Prüfung schreiben, keine Arbeit oder etwas Vergleichbares. Immerhin.

    In diesem Jahr habe ich eine neue Weiterbildung gestartet, die derzeit aber nicht genehmigt ist. Also ich muss bei meinem Arbeitgeber noch intern dafür werben und meine Kollegen überzeugen, das sei eine gute Idee. Die Mehrheit meines Arbeitgebers stützt meine Weiterbildung, doch sie ist gleichzeitig umstritten.

    Ich studiere Philosophie. Für zeitgemässe Materialisten liest sich das wie eine Selbstverwirklichung. Das ist es sie auch gewissermassen. Ich leiste mir den Luxus, nachdenken und alte Bücher lesen zu dürfen. Und ich zahle noch. Jede Stunde ist penibel abgerechnet. Ich habe eine Professorin angefragt. Sie hat eingewilligt.

    Das ist harte Arbeit. Ich muss lesen, ich muss mich auseinandersetzen. Manchmal zweifle ich wieder an meinem Beruf, das verringert meine Motivation und Leidenschaft. Und gleichzeitig soll mein Arbeitgeber mir diese Weiterbildung gönnen. Ich kann meinem Arbeitgeber nicht verdenken, wenn er meine Weiterbildung ablehnt.

    Derzeit ist noch nichts entschieden. Ich muss bald vor versammelter Mannschaft antreten und mich darum bewerben. Falls ich die Kosten privat bewältigen muss, kann ich diese kaum von der Steuer absetzen. Das Steueramt wird mir gewiss mitteilen, das sei Liebhaberei und nicht betriebsnotwendig. So sei es.

    Ich habe mittlerweile ohnehin so viel Geld in meine Weiterbildungen investiert, dass ich längst ein Häuschen im Mittelland mit dem notwendigen Eigenkapital ausstatten könnte. Diese weiteren 8’000 CHF werde ich irgendwie verkraften und deswegen nicht verhungern. Ich müsste bloss anderswo meine Ausgaben reduzieren.

    Die Professorin ist meine Privatdozentin. Sie stellt Aufgaben, ich versuche zu liefern. Dann philosophieren wir gemeinsam das Gelesene. Man könnte alles auch im Internetz nachlesen. Dennoch entstehen neue Gedanken und Ideen, die in der Einsamkeit im Chrome selten fruchten. Das Gespräch entscheidet.

    Natürlich kann ich selber zum Diskurs nichts beitragen. Ich kann zuhören, empfangen, lernen und meine Positionen hinterfragen. Das genügt mir. Ich habe keinen akademischen Anspruch. Ich will diese Erkenntnisse dann in meinen Alltag transportieren. Ich will berufliche Gleichnisse schaffen.

    Ich konnte den Kategorischen Imperativ bereits als Gleichnis im Berufsalltag veranschaulichen. Ich will mehr davon. Ich will die Erkenntnis der Philosophie übersetzen, damit sie allgemein verständlicher sind im Berufsalltag. Ich will nicht aufklären oder belehren oder bekehren.

    Ich will bloss, dass die Menschen zufriedener und sinnerfüllter arbeiten können und nicht im 21. Jahrhundert massenhaft zusammenbrechen und Identität verlieren müssen in ihren sinnlosen und befristeten Jobs. Ich werde hier ganz lokal und klein einen winzigen Beitrag leisten. Ganz minim. Die Philosophie hilft bloss.

    Das erklärt, warum ich Philosophie derzeit “studiere”. Ich fühle mich eher als Lehrling denn als Student. Ich bin nicht eingekesselt von anderen Studenten, ich muss mich nicht beweisen und rechtfertigen. Ich bin einfach ein neugieriger und interessierter Lehrling, der alles wissen und erfahren möchte.

    Ich habe diese Weiterbildung als Experiment betitelt und mit einem Kostendach gesichert. Falls alles scheitert, also keinen kommerziellen Nutzen für meinen Arbeitgeber einzahlt, wenngleich bloss verzögertn, dann werde ich das Experiment abbrechen und eine “klassische” Weiterbildung fokussieren.


  • Der Todestrieb

    Freud nannte ihn auch den Destruktionstrieb. Sadismus war eine leicht auffindbare Repräsentation davon. Der Todestrieb ist mit dem Lebenstrieb vermischt. Man kann einen Menschen gleichzeitig also lieben und hassen. Doch hiervon will ich heute nicht erzählen, das kann man alles im Jenseits des Lustprinzips nachlesen.

    In der Geschichte über die alternden Jungs habe ich den sogenannten Endsieg als dämmerhaften Zustand eingeführt. Der Endsieg vervollkommnet den Todestrieb. Der Endsieg erstarrt, erübrigt das Leben. Es ist die höchstmöglichste Ausdrucksform. Es ist wie eine Philosophie, die mit der Frage “Warum soll ich mich nicht umbringen?” beginnt.

    Ich kann allen Menschen beipflichten, die vermeintlich fahrlässig ihr Leben ruinieren. Ich kann unterschiedliche Formen der gezielten Selbstzerstörung beobachten. Ich mag sie alle. Ob man Nutten blank fickt, ob man seinen Körper trotz Erkrankung überstrapaziert, ob man sozial Amok läuft, ob man sich dem Lebenstrieb grundsätzlich verweigert.

    Ich kann alle diese Bewegungen verstehen. Ich gelegentlich praktiziere auch meinen kleinen Todestrieb, auch und insbesondere wenn ich dem Endsieg näher rücke, ihn endlich spüre und sodann meine Selbstauflösung begrüsse. Ich bin geübt, dennoch fahrlässig. Solange ich mich selber bloss schädige, ist das akzeptabel.

    Sobald mein Umfeld betroffen ist, muss ich stoppen. Doch manchmal bremse ich auch dann nicht. Ich provoziere. Ich kokettiere auch damit, dass ich unheilbar erkrankt bin. Vielleicht bin ich das, vielleicht auch nicht. Ich könnte mich ebensogut verabschieden, sterben und verschlüsselte Tagebücher hinterlassen.


  • Die Einsamkeit

    In diesem Blog ist das Schlüsselwort Einsamkeit präsent. Ich wiederhole mich gerne. Ich möchte heute bloss die Erkenntnis teilen, dass ich mich dann einsam fühle, wenn ich mich nicht einsam fühle möchte. Ich kann problemlos einsam mich langweilen, meine Leben vergeuden, wenn ich niemanden erwarte.

    Dann kann ich mich komplett zurückziehen, ich kann meine Einsamkeit kosten. Ich kann darin blühen und glücklich werden. Ich bin dann unabhängig, frei, losgelöst. Ich habe nichts zu befürchten; keine Nähe, kein Vertrautsein, keine ungestillten Sehnsüchte. Ich kann mich ganz mir selber hingeben, autonom und unbefangen.

    Aber wenn ich jemanden vermisse, dann vereinsame ich. Ich bin dann untröstlich. Ich kann meine Sehnsucht nicht lindern. Die Einsamkeit dann erwürgt mich. Ich kann mich nirgends festhalten, ich bin blockiert und gelähmt. Ich kann mich bloss betäuben und ablenken, doch das vervielfacht die Sehnsucht nachträglich.

    Ich kann mich dann nicht mehr darauf besinnen, dass Einsamkeit ein Urzustand ist, den ich längst akzeptiert habe. Denn die Sehnsucht verheisst eine Ahnung des Glücks, das zu würdigen ich aber verlernt habe. Ich bin ein unbeholfener Glücksritter, welcher stets dem Glück nachreist, es stets aber verpasst.


  • Über die Liebe und ihre Simulation

    Ich bin grundsätzlich nicht zur Liebe unfähig. Ich bin grundsätzlich nur der Liebe entfremdet, weil die Liebe mich angreifbar und verletzlich macht. Ich möchte nicht lieben, sondern leben, damit ich alles wieder beenden und beherrschen kann. Ich möchte alle meine Lebensabschnitte kontrollieren können.

    Die Liebe hingegen kann ich nicht domestizieren. Deswegen fürchte ich sie so sehr. Ich versuche mir stets eine Ausrede bereitzuhalten, nicht lieben zu müssen. Ich mag nicht, wenn ich geöffnet und nackt bin. Wenn man mich einfach begriffen hat. Ich bleibe lieber unnahbar, distanziert und verstecke mich.

    Ich kann selber aber gut lieben, ich habe einen Überschuss produziert, den ich gerne teile, gerne selbstlos verschenke. Ich könnte die komplette Welt lieben, alle Menschen, alle Frauen, alle Objekte. Ich kann mich rasch begeistern und dann liebe ich ungestüm. Ich will mich dann nicht zurückhalten.

    Gleichzeitig bin ich unfähig, Liebe zu empfangen. Weil ich mich dafür offenbaren müsste. Nicht gezielt, ausgewählt offenbaren, hier und da einige Details verraten, die Vertrautheit simulieren, sondern mein komplettes Wesen und meinen kompletten Widerspruch, den ich täglich aushalten muss.

    Ohne gemeinsame Erfahrungen echter und nicht bloss körperlicher Intimitäten kann keine Liebe erwachsen. Diese gemeinsamen Erfahrungen sind aber bloss in einem empfänglichen und geöffneten Zustand möglich. Wenn der eine simuliert, erlischt die gemeinsame Erfahrung, weil sie nicht gemeinsam ist.

    Jede Liebe gründet auf gemeinsamen Erfahrungen. Sie erhöht dadurch das gemeinsame Verständnis. Sie bedingt aber eine gewisse gemeinsame Erfahrung der Zeit vor der gemeinsamen Liebe. Die Lebensläufe müssen sich nicht unbedingt ähneln. Es sind einfach einsam gemeinsam erlebte Gefühle notwendig.

    Sobald ich diese tiefe Verbundenheit spüre, die eigentlich nicht beschreibbar ist, die ich eigentlich bloss erahne und nicht einmal wirklich weiss und verstehe, werde ich verunsichert, nervös und flüchte erfahrungsgemäss. Ich blockiere. Ich will nicht zulassen, dass hier Liebe ist und weitaus mehr Liebe entstehen kann.

    Ich kann auch ebensogut zum Schein lieben, wo eigentlich keine Liebe ist. Ich kann die Liebe als Arbeit und Projekt betiteln, das lediglich meine Aufmerksamkeit fordert. Ich kann alles ausblenden und ignorieren, ich kann Liebe simulieren, wo bloss ewiges Unverständnis und Misstrauen ist.

    Ich habe selten einen Moment des Verständnisses und der Geborgenheit gefühlt. Ich bin die meiste Zeit beschäftigt, den Menschen gerade das zu liefern, was sie selber wollen. Ich selber vernachlässige aber mich, muss mich arrangieren und Kompromisse aushalten, die ich verabscheue.

    Ich habe schon etliche Jahren gelitten in einer simulierten Liebe. Ich musste mich stets anpassen, wo ich überhaupt nicht wollte. Ich musste einseitiges Verständnis aufopfern, wo ein gegenseitiges per Definition ausgeschlossen ist. Ich konnte mich nicht verwirklichen und konnte darin auch nicht gedeihen; es war wieder nur funktionierend.

    Ich habe solche Beziehungen auch ausserhalb der meinigen beobachtet. Das sind Zombie-Beziehungen, die bloss durch die Arbeit und Vernunft zusammengehalten werden. Die Paare sind im Innersten einander fremd, sie heucheln sich Abhängigkeit vor, wo nicht einmal eine richtige ist. Sie leben fern, schlafen gleichzeitig im selben Bett.

    Ich kann mich selber gut verstehen, dass ich die nicht zähmbare Liebe fürchte. Diese Liebe überlebt alles. Sie produziert echte Abhängigkeiten. Ich könnte mich dann nicht mehr einfach lossagen, von heute auf morgen die Beziehung kündigen. Ich kann dann nicht mehr gleichgültig durch die Welt stolzieren. Ich bin dann aufrichtig interessiert.

    Ich würde mich zuweilen sorgen, ich würde viel nachdenken, viel diesen Menschen vermissen, trauern, ich wäre emotional gekoppelt. Ich könnte meinen Überschuss sinnvoll investieren statt ihn beliebig zu vergeuden an zufällige Menschen. Diese nicht simulierte Liebe käme mir also sehr entgegen.

    Die Liebe zu meinem kleinen Mädchen ist deswegen so unkompliziert, weil sie mich niemals lieben kann. Bloss ich liebe, bloss ich kann selbstlos lieben. Ich werde niemals verletzt, enttäuscht, verlassen oder sonstwie getrügt werden. Ich muss mich nicht einmal sonderlich öffnen. Ich muss mich gleichzeitig nicht verstecken.

    Ich werde mein kleines Mädchen immer lieben, auch wenn die Krankheit fortschreitet und mein eigenes Leben erschwert. Wir werden nicht in einer klassischen Paarbeziehung erstarren und gegenseitig uns etwas vormachen müssen. Sie wird stets meine bedingungslose Liebe erhalten können.

    Ich simuliere diese Liebe nicht. Muss ich auch nicht, ich muss mich auch nicht vor meinem kleinen Mädchen schützen. Sie wird mir niemals etwas antun können. Das beruhigt mich. Doch das ist bekanntlich eine einseitige Liebe, die vom Überschuss zehrt, meinen Haushalt durcheinanderbringt. Das ist nicht das Ideal des Lebens.

    Ich blicke also vorwärts auf eine offene, nicht simulierte Liebe, die mich vollständig umschliesst, begreift, aber auch abhängig, verletzlich und somit menschlich macht. Sodass ich mich nicht als Maschine fühlen muss, wenn ich in der Sache der Liebe mit Menschen interagiere.


  • Mein Pornokonsum

    Ich konsumiere Pornografie. Ich befreite Pornografie. Pornografie vereinfacht die Sexualität. Sie redimensioniert sie auf eine blosse Triebbefriedigung. Hast du Lust, dann greife zu, du musst keine Folgen fürchten. Kein Kind überrascht dich, keine Geschlechtskrankheiten überfordern dich. Einfach masturbieren, fertig ist.

    Alles, was existiert, existiert als Pornografie. Die Pornografie widerspiegelt die Sehnsüchte der Menschen weltweit. Das Internetz lebt von der Pornografie. Die Pornografie befeuerte seit jeher die Kommerzialisierung und Professionalisierung des Internetzes. Am Anfang war das schlüpfrige Bild, heute sind es komplexe VR-Welten, wo man interagiert.

    Die Pornografie ist hochverfügbar. Seit 4G und smarten Lebensbegleiter kann man überall Pornografie abrufen. Ob auf dem Klo im Büro, im Zug, im Bett, auf dem Sessellift. Überall gerade, wo Not ist, lindert die Pornografie. Sie befriedet den Menschen, sie verringert die Wahrscheinlichkeit eines sozialen Aufstandes.

    Die Vorlieben sind unterschiedlich geartet. Mit sogenannten Filter kann man das endlose Angebot einschränken. Man kann Vorlieben kombinieren. Wer gerne dunkelhäutige Frauen mag, die einen kleinen Arsch, dafür einen grossen Busen haben, dabei von drei Männern gleichzeitig, aber nicht anal behandelt werden, kann das so konfigurieren und kosten.

    Die Pornografie entrückt die Realität einerseits, indem sie gezielt fantastische Vorlieben konstruiert. Andererseits initiiert die Pornografie die Realität, indem sie Authentizität simuliert. Das sind die derzeitigen Trends der Pornografie. Entweder völlig überzeichnet, völlig realitätsfern. Oder völlig authentisch und realistisch und möglich.

    Ich bevorzuge das Genre “Amateur”. Das sind vermeintlich authentische Aufnahmen. Die grosse Kunst des Herstellen ist, die Aufnahme möglichst “amateurhaft” wirken zu lassen. Alle Konsumenten wissen zwar, dass die Situation gestellt ist, wollen aber bewusst sich annähern und damit ihre eigene Sexualität vergegenwärtigen.

    Ich misstraue bereits im Grunde dem Internetz, der Pornografie weitaus mehr. Seltene Aufnahmen aus einem lokalen Sexting-Skandal sind begehrt und werden in den spezialisierten Foren rasch verbreitet. Die Schweiz hatte hier ihren Migros Ice-Tea Skandal, der nachträglich in einem Spielfilm pädagogisch wertvoll aufgearbeitet wurde.

    Die Pornografie begleitet den Alltag der Menschen. Sie ist nichts Verwerfliches. In den schicken Bars der Grossstädte veranstaltet man Porno-Partys, wo Männer und Frauen sich schminken, kleiden und schliesslich verhalten wie vergangene Porno-Stars. Der 70er Pornosound ist legendär und beschallt etliche Popup-Bars.

    Die jungen Künstlerinnen, egal ob in Basel oder Zürich, reklamieren einen selbstbewussten Porno-Konsum. Sie fordern mehr weiblichen Porno, den sie sogleich selber an Vernissagen produzieren. Das erschreckt niemanden mehr. Selbst Michaela Schaffrath ist als Schauspielerin respektiert.

    Mittlerweile können Paare offen ihren Pornokonsum austauschen. Der Umgang hat sich entkrampft. Man kann auch gemeinsam Pornos schauen und damit sich stimulieren. Es ist heutzutage viel ungewöhnlicher, das nicht zu tun, weil man nicht muss. Es sind sonntägliche Tischgespräche über die Vorlieben denkbar.

    Porno ist so normal geworden. Darunter leidet die Pornoindustrie selber. Die grossen Häuser sind grösstenteils verschwunden. Pornografie ist eine Massenware, weltweit verfügbar, rasch fabriziert. Man muss den Stoff nicht mehr in Illegalität beschaffen. Man kann einfach eine URL eintippen und ist versorgt.

    Mein Konsum schwankt. Manchmal bin ich abhängig, manchmal kann mich nichts begeistern. Derzeit klicke ich lustlos durch mein Genre. Ich reibe meinen Penis, mehr mechanisch als enthusiastisch. Ich praktiziere, weil ich gewohnt bin, dass ich muss. Und nicht, weil ich will.

    Weitaus effektiver ist derzeit das sogenannte Kopfkino. Ich kann meine Augen schliessen, mich zurücklehnen und überraschen lassen, was mein Kopf mir heute zeigt. Es sind meistens kurze Aufnahmen, die aber endlos sich wiederholen. Ich kann nicht wirklich etwas wählen, sondern bin ausgeliefert.

    Diese kurzen Aufnahmen lassen mich schnell anschwellen. Sobald ich meine Augen öffne, verliere ich meine Errektion innert wenigen Sekunden. Das ist sehr stark ans Kopfkino gekoppelt. Der Kopf ist wohl weiterhin das primäre Sexualorgan. Und so bin ich eigentlich froh, trainiere ich meinen Kopf statt meine händische Mechanik.


  • Der Untergang des Westens

    Die westliche Zivilisation hat seit 2000 alles falsch gemacht. Bis Ende 1999 gehörte die Welt uns. Wir beherrschten Menschen und Naturgewalten. Es war unsere Welt. Doch seitdem verlieren wir sie allmählich. Wir werden bald bloss noch reagieren statt regieren. Wir werden bald unseren eigenen Untergang umsetzen können.

    Wir führten in den 90er-Jahren mit einer Idee bishin Ideologie. Wir versprachen Wohlstand, Menschenrechte, Umweltbewusstsein und globalen Frieden. Alles schien möglich, jeder konnte es schaffen. Das war unsere Verheissung, unsere damalige Leitkultur. Die dritte industrielle Revolution befeuerte unsere Fantasien und die Nasdaq.  

    Es war aber nicht überschätzte 11. September, der unseren Abstieg ankündigte. Der 11. September war bloss ein weiteres Zeichen des Terrorismus’ der 90er-Jahren, den wir einfach aushalten mussten als quasi einzig möglichen, aber nicht realistisch das Komplettsystem gefährdenden Widerstand gegen unsere Weltmacht.

    Gewiss mussten wir periodisch einige Todesopfer bedauern. Doch die waren unbedeutend, rasch vergessen und wir konnten davon profitieren, dass wir einfach weitergefeiert haben, als wäre nichts geschehen. Das war auch jeweils das Mantra unseren gewählten Repräsentanten. Wir liessen uns nicht beeindrucken.

    Weitaus tragischer war, dass wir begannen an unseren Idee, an unseren Ideologie zu zweifeln. Wir haben eine sogenannte pluralistisch-liberale Gesellschaft, die unterschiedliche Meinungen toleriert. Unsere ebenso sogenannte Leitkultur konnten wir nie verbindlich vereinbaren. Sie war stets ein Projekt der Eliten.

    Unsere Idee einer freien Welt war also keine, die vom Volke getragen wurde. Diese Idee ist uns empfohlen, ja auferlegt worden. Das war keine Volksstimme, die tief und kräftig die Idee hatte, die Welt zu missionieren. Das Volk stattdessen war beschäftigt, Steuern zu bezahlen, einen anständigen Beruf zu erlernen, sich zu vergnügen und sexuell zu betätigen.

    Hier zeigt sich eine erste Entfremdung zwischen Politik und Volk. Heutzutage brechen die Volksparteien in fast allen westlichen Staaten zusammen. Sie werden durch fokussierte und ideologische Kleinstparteien ersetzt. Diese politische Entfremdung ist nur eine Folge der ideologischen Entfremdung, leider folgerichtig.

    Ohne Ideen, ohne Ideologien haben wir nicht das Sendungsbewusstsein, den Planeten nach unserem Willen zu gestalten. Ohne Ideen dämmern wir quasi “geschichtslos” und “bewusstlos”. Die heutigen Eliten sind überfordert. Sie bewundern insgeheim die nun sogenannten autoritären Gesellschaften wie China oder Russland mit Ideen und Plänen.

    Die Schweiz ist in dieser Hinsicht ein sehr komplizierter Fall. Die Schweiz ist sich ihrer Nichtigkeit bewusst. Die Schweiz kann keine globale Leitkultur prägen. Die Schweiz arrangiert sich lediglich. Daher reüssieren in der Schweiz seit 2000 Isolationisten politisch. Es ist der Aufstieg der SVP, die die Idee der Weltabgeschiedenheit proklamiert.

    Die Schweiz ist keine führende Gesellschaft im Westen. Wir sind einfach dabei, finanzieren hier und da Projekte wie ITER, ESA, unterstützen, wo es gerade gefordert ist wie die Kohäsionsmilliarden. Wir können nicht erwarten, dass die Schweiz den Westen inspiriert und eine globale Ideologie manifestiert.

    Anders die USA. Die USA haben den Westen des 20. Jahrhunderts geformt. Die USA haben eine Idee und eine Ideologie verlautbart. Die USA haben Angriffs- wie Verteidigungskriege gemeistert. Die USA haben weltweit Stützpunkte und Handelsrouten errichtet. Die USA haben Börsenplätze vernetzt, Unternehmen globalisiert, Handelsabkommen erleichtert.

    Das 20. Jahrhundert war ein sehr amerikanisches. Das vormals herrschende Regime des alten Europas hat sich per 1914 erübrigt. Deutschland und Japan wollten sich jedoch nicht unterjochen. Sie wollten selber die Welt dominieren. Sie sind bekanntlich gescheitert und haben sich seitdem zu ergebenen Vasallen der USA gewandelt.

    Doch die USA haben seit 2000 alles falsch gemacht. Der Afghanistan-Krieg ist offiziell irgendwie beendet, aber war faktisch ein Desaster, ein weiteres Vietnam. Der Afghanistan-Krieg war anfänglich als Strafexpedition geplant und auch ausgeführt worden. Man wollte die Terroristen endlich auslöschen.

    Doch der Terrorismus war Teil unseres Systems. Man kann ihn nicht einfach ausradieren. Es ist eine symbiotische Beziehung. Zudem konzentriert sich der Terrorismus nicht an einem einzelnen Ort oder ist nicht durch eine einzige Person verkörpert. Der Terrorismus ist virtuell, er existiert als Idee und ist somit nicht konventionell bekämpfbar.

    Ebenso der Irak-Krieg. Die Kriegsgründe waren grösstenteils gefälscht. Die wahre Intention, Ölreserven zu verwestlichen, kann man gutheissen. Doch die Öltechnologie war damals bereits veraltet und ist es heute noch mehr. Man hat falsch gewettet. Tragischerweise hat lediglich das Bush-Kabinett persönlich vom Irak-Krieg profitiert.

    Der Irak-Krieg war somit ein Selbstbereicherungsfeldzug. Die Ideologie von Demokratie ist vorgeschoben worden, doch das Volk durchschaute das Manöver. Es ist vermutlich eine Ironie der Geschichte, dass heute China die Ölindustrie im Irak kontrolliert. Der Westen hat doppelt verloren; er hat einen Krieg finanziert und verpasste den Zugriff aufs Öl.

    Präsident Cool Obama konnte Vertrauen wiedergewinnen. Er erhielt viel Kredit, alleine wegen seines Lebenslaufs. Er spürte die Wichtigkeit der automatisierten Kriegsführung und investierte in den sogenannten Drohnenkrieg. Zudem förderte er neue Schlüsseltechnologien wie E-Mobilität und wollte die westliche Institutionen wieder stärken.

    Doch Obama hat sich längst vom Volk entfremdet. Seine Ideen waren zwar geopolitisch und weltpolitisch angemessen, aber er konnte sie nicht kommunizieren. Weitaus profanere Sorgen bedrückten sein Volk. Zwei Amtszeiten konnte er sich mindestens halten. Die wirtschaftliche Realität im Westen hat zwischenzeitlich das Volk eingeholt.

    Das Volk kürte Trump zum neuen Führer. Das war absehbar. Trump versprach keine Weltpolitik. Trump ist der grosse Verführer und Vereinfacher. Trump ist auf seinem ganz persönlichen Feldzug, er müsse sich irgendwie beweisen. Er hält derzeit das wichtigste Amt weltweit inne. Er hat ultimativen Erfolg. Sein Narzissmus ist wohl überhitzt.

    Nach zwei Jahren Trump haben die USA ihren Führungsanspruch offiziell abgetreten. Die EU derzeit bröckelt. Die schwachen Staaten werden einerseits von China, andererseits von den USA selber hofiert. Die Union, einst ein Vorzeigeprojekt des Westens, ist heutzutage der Sündenbock für alles und eine Problemorganisation für das Volk.

    Wir können nicht erwarten, dass die EU eine neue globale Leitkultur entwirft. Die EU hat derzeit andere Aufgaben zu bewältigen. Sie muss ihrer Selbstauflösung entgegenwirken. Solange sie nicht stabilisiert ist, kann sie nicht führen. Ebenso die USA. Trump hat eine grosse Identitätskrise in den USA ausgelöst. Wer sind die USA und was ist ihre Rolle?

    Bis auch die USA sich festigen, können Jahrzehnte dauern. Dann aber schliessen sich Optionen. Bis dahin haben andere Mächte zugeschlagen. China lauert. Anfang 2000er war China noch diskret, unauffällig. Doch seit 2016, seit Trump operiert China selbstbewusster und machtbewusster. Das ist sehr geschickt.

    Der westliche Lebensentwurf erleidet eine grosse Krise. Das Volk ist irritiert, das Volk ist ohne Identität, Sinn und Aufgabe. Es gibt kein “Ich bin ein römischer Bürger”, das beseelt, motiviert und Lust entfacht. Wir werden somit einfach zugrundegehen. Die westliche Gesellschaft überaltern und büssen Wettbewerbsfähigkeit ein.

    Heutzutage kann man durchaus befürchten, dass die nachfolgende Generation hier im Westen nicht noch mehr iPads, noch mehr Geld, noch mehr Wohlstand haben wird, sondern bedeutend weniger. Stattdessen werden wir uns selber bekämpfen, wir werden uns abermals selber vernichten und kapitulieren.


  • Der überraschende Amokläufer

    Der Amokläufer war stets integriert. Er grüsste die Nachbarschaft. Er war nicht sonderlich auffällig. Er engagierte sich im lokalen Verein. Er musizierte mit einer Trompete in der dörflichen Guggenmusik. Er hatte sogar eine Freundin, eine kleine, leicht mollige Blondine aus dem Nachbardorf. Dieselbe seit acht Jahren.

    Sie war durchschnittlich hübsch, ihr rundliches Gesicht und ihr hängender Busen versprachen Devotheit, entsprachen ganz den Vorlieben des Amokläufers. Man wollte glauben, sie führten eine gesunde Beziehung. Die Frage nach dem Kind war die einzige unbeantwortete. Aber so ist halt die heutige Generation, hat man sich beschwichtigt.

    Seine Kindheit war unbescholten. Er wurde nie Opfer eines Skandals, er hat nie randaliert, man erwischte ihn auch nie beim Kiffen. Er musste auch nie nachsitzen. Einmal hat mit zehn Jahren ein wasserlösliches Tattoo in der Bravo-Zeitschrift geklaut. Nur eines, und er hat das gross bereut, Demut gezeigt, sich bei allen Beteiligten entschuldigt.

    Die obligatorische Schule absolvierte er ohne Widerspruch. Er war zwar nicht überdurchschnittlich, aber auch nicht unterdurchschnittlich. Er war stets im Gleichschritt. Die Pubertät überstand er innert Monaten. Er wollte weder seinen Vater ermorden noch mit seiner Mutter schlafen. Er war stattdessen sportlich und sozial begnügt.

    Er startete eine Lehre als Polymechaniker. Das ist der Beruf an der Schnittstelle zwischen Maschine und Material. Er programmierte CAD-Programme. Er beherrschte die Axiome der Mathematik. Nach dreijähriger Festanstellung hat er sich zum Eidg. Dipl. Betriebswirtschafter weitergebildet. Das festigte seine berufliche wie soziale Stellung im Dorf.

    In seiner Single-Dasein besuchte er regelmässig eine beliebte Tanzstätte in der Region. Dort gönnte er sich das sogenannte “Flatrate”-Trinken. Für bescheidene 35 Franken durfte man den Abend lang so viel trinken wie man möchte. Er war vielmehr besorgt, dass er die 35 Franken auch wirklich wieder reinholen könnte.

    Denn er interessierte sich nicht für den Rausch. Dass alle um ihn herum weitaus mehr als für 35 Franken tranken, hat ihn nicht motiviert. Im Gegenteil, die ultimativ besoffenen Zeitgenossen haben ihn verstört. Für ihn war wichtig, dass er niemals die Kontrolle verlieren konnte. Seine grösste Angst war, dass die Ambulanz ihn abtransportieren müsste.

    Dass er morgens ohne Erinnerungen in einem Spital erwachen müsste. Und dass er sich nicht einmal an den Abendverlauf erinnern könnte. Er hat sich somit bloss selber geschützt. Also fuhr er mit dem letzten Bus in sein Dorf, wo er auch als Erwachsener stets wohnte. Er war nie ambitioniert, das Dorf zu verlassen.

    Warum auch? Er fand Gefallen, er kannte die Nachbarschaft. Er war integriert. Er gehörte dazu. Er war respektiert. Er bezahlte seine Steuern in Akonto und pflichtbewusst. Er leistete Dienst in der Feuerwehr. Er unterstützte diverse Vereine, war in der Guggenmusik verpflichtet. Er half beim Dorffest.

    Er bewohnte vor dem Zusammenzug mit seiner Freundin eine kleine Dachwohnung einer frischen Überbauung. Das heisst man heutzutage Maisonette-Wohnung. Sie war ordentlich, strukturiert und ohne Zufall. Das war die inoffizielle Junggesellenwohnung des Dorfs. Der Vormieter flüchtete nach Mietschulden und Alkoholmissbrauch in die ferne Grossstadt. Alle waren erleichtert.

    Er lernte seine Freundin an einem Konzert seiner Guggenmusik kennen. In der Region treffen sich alle Guggenmusikgesellschaften einmal jährlich zu einem monströsen Konzert. Obwohl maskiert, geschminkt und unvorteilhaft gekleidet, haben sie durch ihre Körpersprache Interesse signalisiert und schliesslich beide geschickt reagiert.

    Doch bevor der erste Kuss vollstreckt werden konnte, mussten sie sich näherkommen. Er führte sie zweimal ins Kino aus. Er wählte sorgfältig einen Film, der ihr auch gefallen konnte. Der erste war Shutter Island, ein langwieriger bishin zäher Krimi, aber dafür mit DiCaprio gut bestückt. Seine Freundin war begeistert, weil keine Comicverfilmung.

    Der zweite Film war gleichsam erlesen, Black Swan mit Frau Portman. Ein Frauenversteher wohl. Die beiden Filme kombinierte er mit Nachtessen in einem angemessen bepreisten Lokal. Nicht zu hochgestochen, nicht zu dekadent, aber auch nicht zu billig und einfältig. Sondern exakt treffend. Einmal waren sie auch einen Cocktail geniessend.

    Er bestellte einen Mojito. Sie ein wenig unsicher, verlegen, bestellte ebenfalls einen Mojito. Ein Cocktail genügte, um das Gespräch anzuregen. Mehr oder ein anderer Cocktail wären auch ein wenig zu angeberisch gewesen. Sie hatten ausreichend Zeit beim Nachtessen und Cocktails, die Vorlieben und Interessen zu erkunden.

    Es war ein Match, würde man heutzutage verkünden. Nach einem scheuen ersten Kuss folgte das zurückhaltende Petting. Es war seine erste Freundin. Er hatte vorher noch keine Gelegenheit, sexuelle Erfahrungen zu sammeln. Doch das verstimmte ihn nicht. Bei ihr war es genauso. Obwohl beide Anfang Zwanziger, waren sie selbstbewusste Jungfrauen.

    Als er das erste Mal mit seinem Finger in ihre glühende Vagina eindringen konnte, völlig überrascht und völlig unvorbereitet, bloss durch die Lust und Extase des Augenblicks angestiftet, übermannte ihn das Schwindelgefühl tiefsten Glücks. Er musste innehalten. In diesem Moment ejakulierte er in seiner verschlossenen Hose.

    Das war der einzige Moment, als er sich deplatziert fühlte. In diesem Moment hat er versagt, würde man heutzutage urteilen. Doch der Umstand beeinflusste seine Freundin. Sie entkrampfte. Weil das der Freundin unmissverständlich bewiesen hatte, dass er sie begehrte. Auch sexuell, da das vorher nicht immer zweifelsfrei war.

    Fortan übernahm die Freundin die Initiative. Sie schenkte ihm etliche Orgasmen. Er später lernte auch ihre Sexualität zu verstehen und konnte sich revanchieren. Das Liebesglück entstand und wuchs gleichsam. Sie haben ihre Sexualität aber gezielt dosiert, sie nicht überbeansprucht. Sie haben gut gehaushaltet. Wohl ihr Erfolgsgeheimnis.

    Nach zwei Jahren Beziehung haben sie sich entschlossen, eine gemeinsame Wohnung zu suchen. Er hat in der Zwischenzeit gespart. Auf seinem Säule 3a Konto haben sich bereits 50’000 CHF angehäuft. Das ist viel für ein 25-Jähriger. Viel, aber machbar. Er verfügte ausserdem über 30’000 CHF, die ungebunden auf dem Postkonto lagern.

    Auch seine Freundin war genügsam. Sie konnte in Summe 40’000 Franken einbringen. Damit hatten sie zusammen Eigenkapital von 120’000 Franken. Rein rechnerisch könnten sie damit eine Wohnung im Wert von 600’000 Franken bei einer Eigenkapitalquote von 20% finanzieren. Mit 600’000 Franken lässt durchaus was bauen oder kaufen.

    Sie wollten aber nicht bauen. Sie haben schon zu viele Baugeschichten erzählt gehört. Sie wollten stattdessen kaufen. Also haben sie fixfertiges Musterhaus erworben. In derselben Überbauung, wo er schon seine Junggesellenwohnung hatte. Er musste somit nicht einmal die Nachbarschaft wechseln. Sie haben ein Häuschen für 540’000 Franken erworben.

    Sie mussten somit nicht alle Ersparnisse aufgeben. Die schweizweite Nummer 1 in der Immobilienfinanzierung gewährte eine übliche 1. und 2. Hypothek mit unterschiedlichen Bedingungen. Sie konnten den Traum vom Eigenheim nach zwei Jahren Beziehung bereits verwirklichen. Es glückte.

    Sie beide waren berufstätig. Er, gelernter Polymechaniker, nunmehr Betriebswirtschafter. Sie gelernte Kauffrau, nun in der Weiterbildung zur Fachfrau Personal. Beide in der Guggenmusik involviert, aber in unterschiedlichen, damit man zuhause spasseshalber einander schelten und ecken kann. Beide integriert.

    Aber er war Amokläufer. Völlig überraschend.