Ich hasse das Wort «Funktionieren». Ich will nicht funktionieren. Ich bin zwar durchaus Spezialist, Prototyp, mich anzupassen und so. Aber ich will eigentlich nicht. Meine ganze Biografie liest sich permanenter Ablehnung des Funktionierens. Ich habe mir stets Räume geschaffen, wo ich nicht funktionieren musste, weil dort ausreichend Alkohol floss. Als Ausgleich fürs stete Funktionieren.
Ohnmächtig gelebt, darüber habe ich vor Jahren mal erzählt. Wer funktioniert, lebt ohnmächtig, überantwortet das Leben der Funktion. Man ist nunmehr eine Funktion, eine Rolle, die man zwar einigermassen selber basteln kann, dennoch eine Rolle und dadurch Fassade und Hülle bleibt, von der Individualität einen weiter entfremdet.
Wenn ich arbeite, funktioniere ich, obwohl ich durch meine Arbeit das allgemeine Funktionieren der Arbeitswelt aufheben möchte. Ein naheliegender Mitbewerber hat mir mal attestiert, ich hätte zu viele Kompromisse getätigt, mich zu sehr angepasst und mich von meinem Herzen entfernt. Ich konnte ihm nicht widersprechen oder nichts relativieren.
Gewiss muss ich funktionieren, damit ich in der Leistungsgesellschaft überleben kann. Das Hofnarr-Konzept tröstet mich zuweilen, weil ich aussprechen darf, was niemand sich traut. Die Arbeit konsumiert derzeit die meiste Lebenszeit. Sie kann erfüllen. Doch auch andere Herausforderungen des Lebens können beseelen. Und diese Seele kann man nicht funktionierend erstreben.
Wenn ich nach Anleitung LEGO baue, dann funktioniere ich. Ich studiere, versuche den Bau zu optimieren. Das neue Yoga für alle Gestresste, LEGO, funktioniere ich um in eine blosse Funktion. Zuweilen esse ich auch funktional. Ich träumte früher von einer rein funktionalen Ernährung. Es gibt sogar einen Wikipedia-Artikel über Functional Food, ich bin weiterhin süchtig nach künstlichen Vitaminen und so.
Es ist nicht okay, dass ich bei der Arbeit funktioniere. Es ist ebensowenig okay, dass ich auch jenseits der Arbeitszeit funktioniere. Das allgemeine Steigerungsspiel soll mich nicht stets verfolgen. Weil Funktionieren bedeutet letztlich Optimieren und Anpassen und Zurückziehen.
Eine erste Methode, das Funktionieren aufzubrechen, ist das LEGO-Spielen ohne Anleitung. Es gibt keinen Sinn, die Bauschritte zu parallelisieren oder zu optimieren. Schneller bauen zu können ist sinnlos. Vielmehr ist die Auseinandersetzung, das Fühlen und Tasten der Steine, das unkoordinierte und unkontrollierte Spielen Sinn und Ziel. Etwas zu schaffen, ohne zu wissen, was. Es ist eine bewährte Methode, mit den Händen, damit mit dem Körper anstatt mit dem Kopf zu denken.
Darin kann und muss man nicht funktionieren. Auch die menschliche Sexualität muss nicht funktional sein. Sie ist es, sobald man sie funktional erledigt. Wie ein Job, eine Pendenz, ein Issue aus dem Backlog zieht. Man hat dann genügend Gründe, Sex zu haben, Sex zu rationalisieren, und zwar alles funktionale. Um etwas zu vergessen, verdrängen, um sich selber zu bestätigen, belügen oder was auch immer.
Auch Beziehungen können funktional bewältigt werden. Es ist dann aber ein Bewältigen. Die Alternative ist die nicht-funktionale Beziehung. Eine nicht-funktionale Beziehung ist ehrlich, augenblicklich und nicht wiederholend. Sie ist empathisch und nicht strategisch. Strategisch ist der Schachspieler, der Narzisst, der sich ins Gegenüber hineindenken versucht, um mögliche Schritte zu antizipieren. Das ist nicht emphatisch. Eine empathische Beziehung ist, miteinander zu reflektieren, wachsen, gedeihen, aneinander reiben. Derweil mit grösstem Verständnis und Zufriedenheit.
Ich hasse funktionale Beziehungen. So wie auch funktionale Arbeit hasse. Ich will nicht bloss tätig sein, damit ich nicht Blöderes anstelle. Ich will nicht einfach funktionieren, damit ich funktioniere und mich funktional bestätigt fühlen kann. Ich will lebendig sein, agieren, interagieren und mich befruchten lassen. In meiner Arbeit bin ich zu oft strategisch statt empathisch. Ich bin zu funktional statt menschlich.
Ich bin trainiert und ausgebildet worden als funktionaler Arbeiter. Ich kann für einige Monate gut funktional sein. Doch ohne Alkohol oder sonstige Substitutionen könnte ich maximal eine Woche funktionieren. Ich habe mich jahrelang belügt, ich könnte funktionieren. Ich konnte bloss funktionieren, weil ich mich alternativ berauschte. Ich bin daher ziemlich mies im Funktionieren. Ich könnte keinen Tag funktionieren.
Ich werde deswegen nicht meinen Job kündigen und so, eine neue berufliche Anstellung wünschen und so weiter. Ein neuer Job löst das Grundproblem nicht. Ein neuer Job schafft bloss einen neuen Rausch, der mir Funktionalität simuliert, weil er mich frisch stimuliert. Deswegen bin ich auch Unternehmensberater geworden, damit ich niemals lange an einem einzigen Ort weilen muss und so stets mit frischer Stimulanz mich versorgt weiss. Nett.
Derweil ich im grossen Funktionszusammenhang gefangen bin. Ohne dass ich es bemerkt habe. Sehr tragisch. Bald ist ja wieder ein Montag, ich werde pünktlich meine Reise antreten, zum fernen Kunden pendeln. Ich werde dort alle Menschen begrüssen. Ich werde mich als erstes mal sehr verletzlich zeigen. Bloss dass die Mitmenschen wissen, dass ich auch menschlich bin. Weiterhin menschlich bleibe. Man muss sich nicht fürchten, weil ich kann nichts besser, ich bin auch nicht besser, bloss weil ich besser funktional scheine.
Ich glaube, mit mehr Menschlichkeit kann ich insbesondere in den Unternehmen mehr Menschlichkeit schaffen. Einfach mit Vorleben, Vormachen, Vorführen. Und nicht mit strategischen oder gezielten Absichten. Einfach natürlich. Ohne Hintergedanken oder geheimer Agenden. Dadurch funktioniere ich auch weniger, muss weniger funktionieren, und bin weniger im Widerspruch zwischen meiner Arbeit, meiner Identität und meinem Sinn.
Ich will nicht funktionieren.
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