Ich habe die Möglichkeit genutzt, meine Ferienzeit gut investiert und Houellebecqs Inselmöglichkeit studiert. Bekanntlich die Ferienlektüre schlechthin, so berichtete ich aus Como. Meine zweite Rezension hier, nach dem guten Leben Oltens Capus’. Ob ich die Serie fortsetzen werde, ist so ungewiss wie das Fortbestehen meiner Sex-Geschichten. Mal schauen!
Der Lebenslauf von Daniel berauscht mich. Ein Leben als Komiker, der witzelt und spottet, wo andere schweigen. Ein Geschäftsmodell, das zugleich ein Leben als Dandy finanziert. Viele Autos, viele Nutten, viele Exzesse. Das alles behagt mir. Ich kann mich gewissermassen mit Daniel identifizieren. Es verkörpert nicht den klassischen Helden, keineswegs. Er ist depressiv, unzufrieden und der Liebe wie des Lebens unfähig.
Er sehnt und trachtet und schmachtet. Das Glück, das Daniel erfährt, irritiert ihn. Es verflüchtigt sich immer. Manchmal verschuldet er das Unglück selber, manchmal sind’s einfach äussere Umstände, die das Glück verhindern. Liebe bedeutet für Daniel Glück. Doch Liebe ist das fragilste Glück überhaupt. Ich und du, wir alle sind unfähig das Glück namens Liebe zu konservieren. Wir verlieren Glück immer.
Denn Houellebecq erzählt die Geschichte von Daniel, dem Begründer einer Klonlinie, sowie von dessen Nachzügler, Daniel24 und Daniel24. Diese leben in einer kalten, zerstörten Welt. Die Welt ist deswegen zerstört, weil die Menschen nicht mehr lieben können. Bloss noch Klone funktionieren. Doch jede Liebensfähigkeit der Klone ist wegzüchtet worden. Die Klone sehnen sich nach Leben. Doch ohne Liebe werden sie niemals Leben erfahren. Manche, so wie Daniel25, wagen den Ausbruch. Sie flüchten von ihrer autarken Zelle, die sie nährt. Die Sehnsucht nach liebensfähigen Klonen motiviert sie. Doch vergebens; es ist nicht überliefert, ob jemals ein Klon diese Insel betreten werde.
Das Geschick Houellebecqs ist, dass die Taten, dass die Gedanken von Daniel1, der in einer verhängnisvollen Klonsekte sich bewegt, die Zukunft der Menschheit erheblich beeinflussen. Die sogenannten Lebensberichte Daniels sind Klassiker für die späteren Klone. Sie begründen, veranschaulichen, wieso die Welt der Liebe unfähig ist. Sie schildern den Aufstieg der Sekte, den Aufstieg des Bösen geradezu. Denn die Sekte will die körperliche Liebe abschaffen. Liebe ist das eigentliche Böse. Stattdessen verkündet die Sekte, Unsterblichkeit sei das Gute, das Erstrebenswerte. Wir haben alle Zeit der Welt. Und damit sind wir nicht gezwungen, hier und jetzt, spontan und manchmal zufällig zu lieben.
In der Gegenwart überholt die Sekte alle klassischen monotheistische Religionen. Sie befreit den Menschen vom Streben nach Liebe und Glück. Sie hat ein diesseitiges Glücksversprechen. Sie lindert die Sehnsucht, indem die Sekte Botschafterin in die Städte schickt, die Orgien veranstalten. Privat organisierte Liebesdienerinnen quasi. Sie verplakatieren Wände mit Sprüche, die von Goebbels stammen könnten. Blosse Sprüche wie “Die Ewigkeit, ein sinnliches Abenteuer”, “just say no, use condoms” oder “Macht den Leuten eine Freude – gebt ihnen Sex”. Sprüche, die darauf abzielen, die Vaterschaft, die Mutterschaft zu verachten und den Inzest zu loben. Ein Text, eine Telefonnummer, mehr nicht.
Bloss radikalisierte islamistische und katholische Gruppierungen terrorisieren die Sekte. Für den Durchschnittsverbraucher befriedigt die Sekte ein hedonistisches Bedürfnis, verspricht Sinn und Unendlichkeit. Keine faustische Sehnsucht mehr. Doch stattdessen bestraft die Sekte den Menschen mit einem ereignislosen, schmerzfreien Leben. Der Gleichschritt im Mittelmass ist perfektioniert. Die Klone funktionieren dann bloss noch. Sie müssen sich bloss von funktionalisierten Kapseln ernähren; können Hitze und Kälte ertragen und haben schliesslich auch einen oder mehrere Atomkriege überlebt. Das ist die schöne, aber leere Zukunft, die Houellebecq umtreibt.
Der Roman zerfranst nicht. Er ist fokussiert. Alles Erlebte von Daniel oder den späteren Daniels thematisieren die Sehnsucht nach unerfüllter Liebe. Zuweilen übersteigt sich Houellebecq darin, die Intensität des reinen Geschlechtsaktes zu dramatisieren. Hier entschuldigen aber Sexszenen, bei denen ich mir gerne vorstelle, dass sie bloss in Houellebecqs Fantasien wurzeln und keinen autobiografischen Bezug haben können. Denn typischerweise fickt Houellebecqs Antiheld junge und geile Miezen, so seine Sprache, die sexuell total entladen-enthemmt, aber dafür unendlich liebenswürdig sind. Solche Frauen existieren durchaus, das zeigt mein Bericht.
Aber meine und auch Houellebecqs Erfahrung bestätigen, dass solche Erlebnisse bloss kurz dauern. Hier ist Sexualität die Projektion für Glück. Ich persönlich sehne mich mehr als bloss nach Sexualität. Ich wünsche mir geistige Auseinandersetzung, Anziehung, Lust, aber gleichwohl Geborgenheit, Sicherheit, Akzeptanz, Respekt und Geborgenheit. Ich habe unlängst aufgelistet, was Liebe mir bedeutet. Das gilt weiterhin. Houellebecqs omnipotente Figuren beschränken sich bloss aufs Sexuelle. Sie kennen bloss bloss Entweder-Oder. Entweder sich geistig auseinandersetzen, stimulieren zu können. Oder sexuell sich befreien, austoben zu können. Ich kenne nicht bloss Entweder-Oder, sondern Sowohl-Als-Auch. Das macht wohl meine Situation tragischer, aber hat nichts mit einer Möglichkeit einer Insel zu tun.
Der Roman umfasst unsere Gesellschaft. Es ist quasi ein halber Gesellschaftsroman. Wir begleiten alle Daniels auf ihrer Suche nach Liebe. Nebenbei kommentiert Houellebecq das Tagesgeschehen. Tagesaktuell sind seine Beiträge durchaus. Das Internet, die aufkommende Mobiltelefone, die Arbeitswelt, die ebenso endlos strebende Wirtschaft. Alles behandelt Houellebecq, natürlich aus der Perspektive eines latenten Pessimisten, natürlich mit zynischen Maske Daniels.
Ich möchte den Roman empfehlen. Für alle, die sich nach Liebe und Leben sehnen, kann der Roman ernüchtern oder klarstellen, dass es immer schlimmer kommen könnte. Noch dominiert Houellebecqs Sekte nicht die Gesellschaft. Die “autobiografische” Religion heisst sich Raelismus, ist eine kleine und unbedeutende Sekte der Gegenwart. Houellebecq beschreibt sie bloss, er wertet oder kritisiert nicht. Quasi ein “Naturalismus”, jenseits von Gut und Böse. Man muss sich selber distanzieren, wenn man will oder kann.
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