• Ueli der Unternehmensberater

    Meine Bewerbung hat die erste Hürde genommen. Ich muss nun eine Probe liefern. Ich berichte aus dem Alltag abgetretener Unternehmensberater, die auch ihre Mütter sinnlos beraten würden. Es soll derb, sexistisch, lustig und vor allem anonymisiert sein. Es ist eine naturgemäss männliche Perspektive, weil Männer diese Branche dominieren.

    Der Konzern. Die wuchtige Zentrale in der Innenstadt. Die Assistentinnen schnittig und adrett gekleidet. Die Bevölkerung weiss nicht, was und wie dort geschäftet wird. Offenbar ist alles sehr wichtig und dringend.

    Unser Unternehmensberater Ueli hat sich auf Übergangslösungen spezialisiert. Er ist das fleischgewordene Provisorium. Er muss einen gefallenen, geschassten und/oder erkrankten Manager vorübergehend ersetzen. Seine Beratungsleistung ist minimal. Er muss einfach aushalten. Er kann im Jahr eine halbe Million Schmerzensgeld verrechnen. 

    Er muss nicht brillieren. Er muss nicht politisieren. Er kennt auch niemanden. Er ist isoliert. Aber dennoch ist er hier. Eh da. Er stiftet auch wenig Mehrwert. Dessen ist er sich bewusst. Er will einfach möglichst sanft und widerstandslos am Erfolg partizipieren. Das ist okay, die Organisation toleriert.

    Manchmal muss er hinhalten. Ein Ausschuss tagt, er muss vertreten, einen Misserfolg berichten. Die harten Kerle im Ausschuss im obersten Stockwerk der wuchtigen Zentrale in der Innenstadt listen Verfehlungen und Rückstände in Projekten und im Betrieb Uelis Vorgängers. Budget um 5% abgewichen, Lieferung verzögert, Umfang reduziert. 

    Ueli nickt und protokolliert. Danach vernichtet er seine Notizen und entlädt das Bewusstsein in der verwegenen Bar in der Unterführung. Einmal wöchentlich den ganzen Dreck wegspülen, ist seine Maxime. Daneben finanziert er eine Familie, die in einem steuergünstigen Kanton haust. Er übernachtet unterwöchig Nähe der Zentrale in der Innenstadt.

    Nicht weil er muss, sondern weil er nicht mit seiner Frau und seiner Tochter zu viel Zeit vergeuden möchte. Er arbeitet aber dennoch nicht häufiger, länger, mehr oder sonst überhaupt. Er trottet ca. um zehn Uhr in sein verstecktes Einzelbüro, raucht alle dreissig Minuten drei Zigaretten. Mittags trinkt er mindestens eine Maschine Weizen, meistens zwei.

    Um vier verabschiedet er sich bereits. Gemäss eigenen Angaben muss er sich noch um andere Mandate kümmern. Das bedeutet, er muss sein Portfolio überwachen. Hier eine Immobilie, dort Spielgeld für Day-Trading. Alles erledigen, was er nicht zwischen den Zigaretten im eingeklemmten Raucherzimmer erledigen kann.

    Er wird entsandt. Er muss einen fernen Lieferanten inspizieren. Warum und weshalb ist irrelevant. Er ist Bote, Richter und Henker zugleich. Eine Geschäftsreise, freilich verrechenbar. Die Anreise und Rückreise hat er mit einem grosszügigen Multiplikator belegt, eine ausserordentliche Spesenpauschale hat er selbstredend vereinbart. 

    Geschickt hat er den Auftrag bereits an einen anderen Unternehmensberater delegiert. Er muss den Mehraufwand der Koordination zusätzlich verrechnen. Und ausserdem müssen die beiden Unternehmensberater zusammen anreisen. Er verrechnet 20% für seine Dienste, zumindest diesmal transparent.

    Der beauftragte andere Unternehmensberater inspiziert den Lieferanten, kopiert die Beurteilung vom letzten Lieferanten, ändert das Logo, überprüft die Metadaten des Dokuments, perfektioniert hier und da Floskeln. Fertig. Sie haben fünf Tage Inspektion budgetiert. Faktisch brauchte der beauftragte Unternehmensberater bloss vier Stunden.

    Derweil sündigen sie in der fernen Stadt des Lieferanten. Geschäftsessen sind selbstverständlich. Auch Bordellbesuche frappieren nicht. Einmal weilen sie erneut im Bordell. Sie haben vier Nutten bestellt. Omnipotent fürwahr. Eine genügt ja nicht, weil ja bloss Nutte. Die jeweils zugewiesenen Nutten müssen sich zunächst selber befummeln.

    Das klappt. Die beiden Berater fühlen sich einigermassen angeregt, obwohl oder weil bereits betrunken. Die eine Nutte Uelis ist sehr motiviert. Sie nimmt wohl ihren Beruf ernst. Das ist okay. Sie will ihre Nutten-Kollegin für Wachsspielchen begeistern. Vermutlich sind Schmerzen aphrodisierend.

    Sie hat eine ordentliche Kerze organisiert, die sehr wahrscheinlich tagsüber als sensibler und penisähnlicher Dildo fungiert. Den Wachs lässt sie langsam auf den Rücken der räkelnden Nutten-Kollegin tropfen. Die Darbietung gelingt. Ueli ist entzückt. Vergessen sind die Enttäuschungen, Erniedrigungen und Schmerzen im Ausschuss in der Zentrale.

    Ueli nähert sich, will den semiblanken Po der Nutten-Kollegin tätscheln. Im kichernden Frohlocken allerdings der engagierten Nutte verschüttet sie versehentlich einen Tropfen Wachs auf die Anzugshose Uelis. Falls der Ständer wahr war, jetzt ist er hinüber. Ueli ist empört und rauft über die Inkompetenz der motivierten Nutte. Er hat die Kontrolle verloren. Er ist erneut Opfer.

    Die Party droht zu enden. Doch die engagierte Nutte ist tatsächlich engagiert. Sie sucht ein Bügelbrett, ein Löschblatt und bemüht sich in knapper Reizwäsche, Uelis Hose zu säubern. Dennoch will Ueli nicht mehr. Man verabschiedet sich, Ueli bezahlt Nutten wie Champagner.

    Die Inspektion war erfolgreich. Nun wissen alle, was alle ohnehin wussten, aber niemand wissen wollte. Endlich eine einigermassen sinnvolle Tat Uelis. Das Eskapaden der Geschäftsreise sind zwar privatisiert, indirekt aber durch die Gesellschaft finanziert. Er geniesst seine kleine, aber durchaus feine Genugtuung. 

    Zwei Wochen später erkrankt Ueli. Er kriegt einen dicken Hals. Vermutlich mehr als eine blosse Metapher. Er muss sich kurz kurieren, kann dennoch wenigstens 50% verrechnen. Er möchte nicht mehr zurückkehren. Er tut noch mehr so als ob – bloss remote und mit Lync, der damals gängigen Corporate Collaboration Lösung. 

    Was heute diese Unternehmensberater so tun, das nächste Mal.


  • Kolumne ausm Herz des Kapitalismus›?

    Wie ihr ja wisst, will ich bald mein Comeback feiern. Nicht als Party-Dave oder Rave-the-Dave oder was auch immer. Sondern als verdorbener und depressiver Schreiberling. Was ich stets war und auch bleibe – trotz geänderter Verhältnisse, die derzeit immer mehr mich fordern und meine Prioritäten verschieben.

    Diese Plattform hier genügt mir durchaus. Ich kann meiner Leserschaft Links teilen. Manche kommentieren das Geschriebenen auf privateren Kanälen. Das freut mich jeweils. Ihr seid eine kleine Leserschaft von maximal zehn Lesern gemäss Statistik. Das soll sich auch nicht ändern. 

    Ich bin aber erneut verführt, beim lokalen «Verleger» mich zu bewerben. Erneut. Meine letzte Bewerbung stammte ausm 2016. Glücklicherweise habe ich sie nie versendet. Denn man kann auf eine Stelle bloss einmal sich bewerben – und nicht zwei Jahre später mit einem anderen Konzept.

    Ob ich diese Bewerbung jemals absenden werde, hängt von meiner Tagesform ab. Ich brauche keine Kolumnenplatz, weil ich hiermit mich ausreichend befriedigt fühle. Wenn, dann würde ich das tun, bloss um irgendwelchen hippen Grossstadt-Weibern zu gefallen. Ich könnte – als betrunken – herumposaunen und so jeden sozialen Kredit verspielen.

    Das würde auch mir gefallen. 

    Das Konzept wäre diesmals anders. Ich möchte über meine Berufszunft schreiben. Unternehmensberater sind nicht unbedingt angesehen oder vertrauenswürdig. Bloss Handyverkäufer und Versicherungsmakler gelten als dubioser und undurchsichtiger. Der Beruf hat kaum Reputation oder Glaubwürdigkeit. 

    Unternehmensberater sind gefangene Kapitalisten, Statussymboljäger, unbefriedigte Narzissten, selbstherrliche Blender und verjubeln das Geld anderer. Sie verwirren mehr als sie vereinfachen. Sie sind verschworen und erkennen sich sofort. Sie haben alle dieselben Schulen besucht. Sie sind uniform und Kopfnicker. Und sie mögen schnelle Porsches.

    In der Kolumne sollen weniger die gestressten, stets beschäftigten und eloquenten Männer fokussiert werden. Vielmehr soll das Absurde und Sinnlose des Geschäftsmodells kritisch gewürdigt werden. Ich möchte von Aufträgen erzählen, die unglaublich sind, weil sie sich stets wiederholen und in den grossen Zentralen der Firmen üblich sind. 

    Ich glaube, die Kolumne könnte auch kurzweilig unterhalten. Sie soll keine Business Class gemäss Martin Suter nachspielen. Ich möchte bloss ausm Herz des Kapitalismus› berichten. Dort, wo unsere wahre Lebenswirklichkeit sich ereignet. Dort, wo unsere Verhältnisse sich verfestigen und wo wir grösste Ohnmacht erdulden müssen.

    Natürlich müsste ich alles anonymisieren. Die Firmen dürfen dabei nicht erkannt werden. Das ist Bedingung. Ich habe so viele Erklärungen unterschrieben, dass ich sie gar nicht mehr archiviere. In meinem Beruf müsste ich sehr verschwiegen sein. Mittlerweile weiss ich selber nicht einmal mehr, was ich eigentlich tue. 

    Ich glaube, ich wäre der bessere Martin Suter, weil ich nicht dazugehören möchte. Vermutlich muss ich aber anfänglich mich auf ihn beziehen; Referenzen schaffen, Sicherheit simulieren oder so. Das wäre niederschwelliger, das würde meine Chancen erhöhen. Und sobald mal engagiert, würde ich dann wüten. 

    Cool, oder?


  • Warum ich mich nicht behandeln lasse

    Natürlich sind wir alle verrückt, manche verrückter. Ein Viertel der Menschen hierzulande erkrankt früher oder später psychisch. Es ist der Alltag, der uns alle erdrückt; wir alle ähneln Sisyphos, quasi ein sinnloses und permanentes Mühen ist die Konsequenz. Zuweilen empfinden wir so, als würde uns das moderne Leben strafen. Alltag halt.

    Ich leide nicht, ich erdulde. Ich bin manchmal betrübt. Ich muss mich wieder motivieren wie energetisieren. Ich bin nicht todessehnsüchtig dergestalt, dass ich mein Leben terminieren möchte. Ich bekämpfe bloss den Selbstzerstörungstrieb, der manchmal ausbricht und mein Glück sabotiert. Bislang gewann ich stets, obschon häufig als Pyrrhussieg.

    Ich bin kein gebrochener Mann, der nicht mehr strebt, sondern bloss noch vom Mitleid attraktiver Frauen zehrt, sexuell kompensiert, den Selbstwert dadurch vergebens erhöht oder Drogen konsumiert. Ich überlebe, funktioniere und gedeihe weiterhin, auch wenn gestaffelt und unregelmässig und nicht immer berechenbar. 

    Ich bin durch einen Nordstern beseelt, ich kann ausgiebig begründen, warum ich mich nicht umbringen werde, ich könnte Frauen erobern und meinen Samen verstreuen. Ich fühle mich nicht begrenzt oder eingeschränkt oder limitiert. Ich fühle mich relativ frei, wenngleich ich das Konzept des uneingeschränkt freien Willens ablehne.

    Ich jammere nicht – es sei denn, die heimtückische und lebensbedrohliche Männergrippe befällt mich. Auch wenn mein Geld selbstverschuldet verknappt ist, beklage ich mich nicht einmal darüber, sondern ertrage die Last. Ich bin grösstenteils resilient gegenüber den Ereignisse meiner Verhältnisse. Eventuell bin ich ja bloss zu gleichgültig?

    Ich verspüre keine Notwendigkeit, meine Psyche zu therapieren. Ich fühle mich als vollwertig, als vollendet, aber stets reflektiv und lernend. Ich fühle mich natürlich fehlbar, unvollkommen, unfertig – aber nicht derart, dass ich mich sorge oder aktionistisch mich gestalten und formen sollte hin zum anderen, vermeintlich besseren Menschen.

    Einige Fehler habe in meinem Leben wiederholt, einige Krisen ähneln sich. Ich bin mit meinen Lastern aufgewachsen und habe mich mit ihnen arrangiert. Die Summe meiner Verfehlungen, die Summe meiner Aufgaben und die Komplexität meines Lebens bleibt dieselbe; die Inhalte, Themen und Prioritäten verschieben sich bloss.

    Ich fühle keine zusätzliche Herausforderung, die meine Belastbarkeit strapaziert, sodass ich nicht mehr handlungsfähig sei. Gewiss endet meine Resilienz irgendwann und irgendwo, einige Triggers habe ich bereits identifiziert, die mich zweifelsfalls kurzzeitig aushebeln könnten. Ich agiere aber stets mit gedanklichen Szenarien.

    Ich bin bereits für alle Szenarien geistig gerüstet. Ich könnte morgen ebensogut sterben und es wäre okay. Ich könnte morgen ebensogut meine Tochter verlieren. Ich könnte morgen ebensogut meinen Job kündigen. Alles ist bereits antizipiert. Ich fühle mich gerüstet. Ich wappne mich täglich mit allen Optionen. Ich bespiele Gedanken.

    Was mich überdies auszeichnet, ist meine Anpassungsfähigkeit. Ich kann Ereignisse deuten und notfalls auch umschlüsseln. Ich bin zäh, robust und stur. Ich konstruiere mir die Welt, die Welt als Wille und Vorstellung habe ich verinnerlicht. Stets kann ich mich zurückziehen, stets betrete ich solche Lebensabschnitte. 

    Ich überlebe gut. Ich muss nichts ändern. Ich schätze und würdige die Momente des Glücks, auch wenn sie naturgemäss selten und vor allem vergänglich sind. Das Futuristische ist nicht erloschen. Ich bin weiterhin zuversichtlich, ich glaube. Ich freue mich. Oder so. 


  • Die zerbrechliche Männlichkeit

    Männlichkeit ist gewiss schwierig zu feiern. Männlichkeit hat Angriffskriege, Atomwaffen und Umweltverschmutzung verursacht. In der postmodernen Beliebigkeit und Fragmentierung der individuellen Wertesysteme ist Männlichkeit das letzte, das fasziniert, verzaubert oder die Halbstarken der Grossstädten fängt. 

    Auch im Sexkampf, der auf diversenen Dating-Plattformen als eine Art Stellvertreterkrieg geführt ist, ist der protzige und vor Kraft strotzende Mann nicht gerade begehrt oder nicht erfolgreich. Ein angemessener Körperbau unterstützt zwar beim Manipulieren und Beeinflussen von potenziellen Sexualpartnerinnen.

    Doch Männlichkeit ist kein Alleinstellungsmerkmal. Auch eine sexuelle Potenz ist nicht länger erforderlich und somit obsolet, seit beide Geschlechter zunehmend sexuell frustriert sind und die Fortpflanzung pathologisiert ist. Der ernährende Brotberuf kann ebenfalls nicht beeindrucken. Wir alle arbeiten und sollen unsere Identität jenseits des Jobs bilden.

    Vielmehr ist eine zerbrechliche Männlichkeit geboten und erfolgreich. Scheiternde, zögernde, zaudernde, zuweilen hilflose und überforderte Männer reüssieren. Es sind verlorene Biografien, die in den Anstalten des Landes sich begegnen. Sie tanzen nachts als Berufsjugendliche voller Koks.

    Sie arbeiten bestenfalls als Landschaftsgärtner, Velomechaniker, radeln für grossstädtische Kurierdienste, versuchen sich literarisch oder musikalisch oder bespielen die Bühne der Kleinkunst der rebellischen Quartieren. Die meisten verdingen nebenbei sich als Bartender. Manche studierten Pädagogik, die restlichen etwas mit Sozialarbeit.

    Sie verbergen ihre Hilflosigkeit, Lustlosigkeit und Erfolglosigkeit mit Verletzlichkeit. Sie zitieren den in Basel verwurzelten Hermann Hesse, kaufen bloss lokal und jenseits ihrer Einkommensgrenze, schätzen die BH-freie Bedienung im Frühling und wollen auf Tinder die Welt erobern. 

    Wer nicht mit den üblichen Drogen der Berufsjugendlichen verendet, der Heilsarmee sich anschliesst oder mit 35 noch Unternehmensberater werden will, belastet alsbald die Anstalten und die Invalidenversicherung. Gleichzeitig gefallen sie den Frauen. Sie simulieren eine komplexe Persönlichkeit. 

    Weltschmerz, Überforderung, Ohmacht, Gefühle vermengen sie gekonnt. Sie wecken die natürlichen Beschützerinstinkte der Frau, sodass die Frau den armen und hilflosen Mann retten will. Sie werden bemitleidet und bemuttert. Das betrifft insbesondere die ebenfalls hilflosen, überforderten und vor allem nutzlosen Frauen ohne Sinn und Zweck.

    Ein perfekter Match. Hier der verletzliche Mann, dort die sinnlose, verausgabte und überforderte Frau. Beide unfähig, das Leben einigermassen zu meistern. Beide unfähig, kleinste Aufgaben im Backlog zu bewältigen und das Leben einigermassen zu strukturieren. Und beide im schlechtesten Fall fremdfinanziert. 

    Ein Kollege bezeichnet solche Männer als eine Art «Lauch», benannt nach diesem krummen und ekligen Gemüse, das mir überhaupt nicht schmeckt. Ich mag keinen Lauch, auch wenn er tätowiert und besonders verletzlich sich zeigt. Auch Frauen meiden ihn, sobald es ernst gilt, sobald die Fortpflanzung relevant ist.

    Instinktiv will keine Frau einen Lauch als fürsorglicher Vater und leidenschaftlicher Ehemann wissen. Weil ein Lauch muss sich stets therapieren, muss sich stets wieder erfinden, muss stets seine Masche erneuern. Ein Lauch zehrt auch von der Schönheit und vermeintlichen Jugendlichkeit. Nach 35 zählt bloss noch Coolness. 

    Dazwischen engagiert sich der Lauch für den Tierschutz, tut so als ob er politisch interessiert und informiert sei, geriert sich gesellschaftlich liberal, weltoffen und so weiter. Dabei bleibt der Lauch ein kleiner Mann, der nichts bewältigen kann. Entweder ist er früher gemobbt worden oder seine Eltern haben ihn verlassen. Das ist seine grosse Ausrede. 

    Gewisse beneide ich den Lauch um seine Frauen, um die Aufmerksamkeit, die er dennoch, wenngleich befristet, auslösen kann. Ich beobachte. Natürlich bedauere ich den Lauch. Er ist sich seiner selbst weder bewusst noch gewahr. Ich kann ihn nicht beeinflussen, ich kann ihn nicht spiegeln. Er muss sich autonom weiterentwickeln. 

    Frauen sind schrecklich. Gäbe es keine Frauen, würde mich der Lauch überhaupt nicht interessieren. Mich interessiert, welche Frauen sich für den Lauch interessieren. Ich könnte technisch alle Frauen haben. Ich bin schliesslich einigermassen geübt und sehr vielseitig und anpassungsfähig. Ich könnte auch eine lauchige Frau begeistern.

    Aber ich will ja nicht. Ich möchte nicht zerbrechen. Meine Männlichkeit ist eine natürliche. Ich kann weder zimmern, schreinern oder bin sonstwie handwerklich begabt; meine Muskeln sind durchschnittlich, mein Körper leicht angefettet. Keine Tattoos, kein Cap, keine übertriebenen Kopfhörer, kein Fixie schmücken mich – wie ein Lauch. 

    Ich bin stattdessen futuristisch, ganz Futurist, ganz entschlossen, ganz faustisch, ganz himmelhoch jauchzend und gelegentlich zu Tode betrübt. Ich bin gleichzeitig. Ich kenne mein Potenzial, meine Fähigkeiten. Ich kann meine Kräfte und meinen Willen dosieren und erfolgreich investieren. Ich bin stets strebend und der Zukunft ausgerichtet.

    Ich jammere nicht, ich erdulde zuweilen bloss. Ich überlebe und funktioniere im Zweifel. Ich kann dennoch Glück und Zufriedenheit empfinden. Ich bin genügsam und asketisch und apollinisch, gleichzeitig dionysisch und leidenschaftlich und unersättlich. Ich bin einfach. Ich muss mich nicht künstlich überhöhen. Ich lebe. Keine zerbrochene Männlichkeit.


  • Der sexuell frustrierte Mann

    Das männliche Geschlecht möchte eindringen, erobern, begatten, befruchten. Das männliche Geschlecht möchte im Zweifel dominieren und beherrschen und schliesslich unterjochen. Der Samenerguss ist die maximale Bindung, die ein Mann naturgemäss erzeugen kann.

    Geld, Immobilien oder Kunst mögen keine Frau so sie sehr binden wie das gemeinsame Kind. Dessen ist sich jedermann unterbewusst irgendwie bewusst. Egal ob Unter-, Mittel- oder schliesslich gar Oberschicht. Die einzige Macht und die grösste Kontrolle, die man ausüben kann, heisst Schwangerschaft.

    Damit ist jede Frau mindestens für vierzig Schwangerschaftswochen einigermassen verpflichtet und wird während dieser Phase tendenziell nicht auffällig. Vielmehr ist sie ausgeliefert und abhängig der Fürsorge und Liebe des Mannes, der in diesem Moment wohl seine grösste und einzige Genugtuung zelebriert.

    Denn niemals vorher oder nachher wird er mehr vermeintlich «seine» Frau kontrollieren können. Männer, die ihre Frauen zur Abtreibung nötigen, sind wohlgemerkt verlorene Seelen und Gestalten, die vermutlich auch jahrzehntelang das bedauern und darüber wehklagen. Sie habe ihre einzige Chance verpasst und spüren das unterbewusst-bewusst.

    Vorher und nachher ist der Mann naturgemäss sexuell frustriert. Zwar ist erwiesen, dass Männer in stabilen Partnerschaften tendenziell mehr Sex haben als alleinstehende Männer. Doch wie bewertet man Sex? Man kann wöchentlich irgendwas wie Sexualität praktizieren, dennoch sexuell frustriert sein. 

    Gleichzeitig kann man alleinstehend sein, bestenfalls maximal einmal monatlich sich sexuell austoben, dennoch es so empfinden, dass man nicht darin frustriert sei. Die Wahrnehmung ist erneut naturgemäss verrückt. Die hingegen in sexuell abgelöschten Partnerschaften fristenden Männern könnten täglich über ihre Frustration jammern. 

    Gewiss können auch Frauen sexuell frustriert sein. Das ist ebenso möglich. Sei es in Partnerschaft oder alleinstehend. Das ist notabene nicht bloss aufs männliche Geschlecht beschränkt, sondern vielmehr eine allgemeine Zivilisationskrankheit. Denn im prallen Alltag ist die natürliche Sexualität schwierig einzuplanen. 

    Obwohl das horizontale Gewerbe hier Linderung verspricht, reduziert Prostitution, unabhängig ob fürs weibliche oder männliche oder sonstwie nicht definierbare Geschlecht, nicht die sexuelle Frustration, sondern bestärkt sie bloss. Jeder Puffbesuch verfestigt gewissermassen die sexuelle Frustration. 

    Die allgemeine sexuelle Frustration verärgert unsere Zivilisation. Sie unterminiert unsere physische Gesundheit. Sie provoziert Kriege, Embargos, Drohnenangriffe und Hungersnöte. Ein einigermassen sexuell ausgeglichener Oberbefehlshaber ist wesentlich entspannter als ein sexuell angespannter. 

    Über beispielsweise Trump kann man mutmassen, ob die inzestuöse Sehnsucht, seine eigene Tochter flachlegen zu können, ihn unterbewusst motiviert, das präsidentielle Amt zu erhalten. Herrscher der derzeit einzigen Weltmacht zu sein, verheisst doch, seine eigene Tochter schwängern zu können, ohne Repressalien fürchten zu müssen?

    Ein sexuell einigermassen ausgeglichener Trump könnte den Weltgeist eher aushalten und müsste weniger mit Kompensationen handeln. Ebenso der unbedeutende Manager einer grösseren Organisation. Oder der Vorsteher einer lokalen Sektion einer Gewerkschaft. Oder der Geschäftsführer eines Wohnheims für vergessene Menschen. 

    Die sexuelle Frustration kann einen zermürben. Obwohl wir alle geschult sind, unsere eigene Natur zu beherrschen, sind wir letztlich ausgeliefert und ohnmächtig. Das Sexuelle beherrscht uns. Es ist männlich. Es ist unnachgiebig. Wir sind im Zweifel getrieben. Jeder sexuelle frustrierte Mann gleicht eine Zeitbombe.

    Jeder Mann tickt. Denn die Momente der relativen Befriedigung sind eben auf diese neunmonatige Schwangerschaft reduziert. Während dieser Phase ist der Mann seiner selbst und seines Einflusses gegenüber der Welt gewahr und kann sich dadurch selber mässigen. Es sind die heimlichen Momente, wo der Mann kurz und knapp triumphieren kann.

    Ansonsten lebt er frustriert.


  • Alternativer alltäglicher Alltag

    Alltäglicher Alltag. Du versuchst zu arbeiten. Du musst dich konzentrieren. Nein, nicht masturbieren, keine Zivilisationen oder Städte am Computer erbauen. Nicht nachdenken über den Unsinn, den du fühlst. Du musst dich fokussieren. Du hast gewichtige Aufgaben zu erledigen. Zu trödeln ist verboten. Deine Arbeitszeit ist kostbar und muss priorisiert sein.

    Du verwaltest deinen Backlog; eine unendliche Liste nicht erledigter Aufgaben. Du gruppierst den Backlog nach Themen. Die Themen sind wiederum relativ bewertet. Sales ist beispielsweise wichtiger als Marketing, obwohl Marketing auch sehr-sehr dringend ist. Du musst dich selber irgendwie organisieren, denn niemand «managt» dich. 

    Der Backlog beschränkt sich aber nicht bloss aufs Berufliche. Auch dein Privatleben ist theoretisch sehr geordnet und verlangt Fokussierung. Du hast sicherlich einen Haushalt zu bewältigen. Wäsche waschen, Staub saugen, Toilette säubern, Dusche entkalken. Die Aufgaben wiederholen sich stets und enden niemals. 

    Daneben kümmerst du dich gewiss ums eigene Büro. Die Steuererklärung ist zwar bloss jährlich, doch Rechnungen bezahlen musst du minimal monatlich. Du musst deine Korrespondenz sammeln, deine Ausgaben überblicken, die nächsten Ferien budgetieren. Manchmal musst du eine Wohnung wechseln oder Kaufverträge abschliessen.

    Auch diese Tätigkeiten wiederholen sich stets. Du bist stets im Alltag herausgefordert. Du kannst dir wenig Zeit reservieren, wo du idle und damit untätig bist. Denn der stets pralle Backlog erinnert dich daran, dass du verpflichtet bist. Das Leben hierzulande ist kein Müssiggang, kein Flanieren, kein Schlendern oder alleiniges Biertrinken.

    Das Leben hier bedeutet Arbeit. Vermutlich musst du auch an deiner Beziehung arbeiten. Alleine könntest du alles aufschieben, hinauszögern; du könntest deine eigenen Standards reduzieren und vermutlich auch im Dreck und administrativen Chaos überleben. Doch in einer Beziehung musst du stets einen Mindeststandard aushandeln und aushalten.

    Vermutlich fühlst du dich zuweilen überfordert. Aber das darfst du nicht. Denn du musst funktionieren und dich wieder einreihen. Du kannst zwar aussteigen, aber sodann kannst du auch nicht mehr von der Privilegien dieser Zivilisation profitieren. Du musst irgendwo an der Peripherie der Zivilisation von Früchten, Gemüsen und sonstigem dich ernähren. 

    Selbst der Ausstieg ist schwerwiegende Arbeit. Du tauschst einen Backlog gegen einen anderen. Auch dort bist du abhängig; vermutlich mehr vom Wetter, von den Jahreszeiten und vom Ertrag deines Bodens und natürlich von der Gesundheit, die nicht durch eine allgemeine Grundversicherung gedeckt respektive finanziert mehr ist. 

    Gewissermassen ist das Leben hierzulande alternativlos. Leben bedeutet Arbeit. Auch wilde Tiere sind grösstenteils beschäftigt. Die Nahrungsmittelbeschaffung beansprucht die meiste Lebenszeit. Daneben noch Schlaf. Nicht einmal die Fortpflanzung vergnügt wilde Tiere. Sie ist funktionalisiert und aufs Befruchten reduziert.

    Du kannst diesem Leben nicht trotzen. Du kannst lediglich deine persönlichen Freiraum erschaffen. Die Berufsjugendlichen feiern den Eskapismus im sogenannten «Ausgang». Die Angepassten konsumieren Erzeugnisse der Kulturindustrie; Serien, Sport, Romane, Filme, Theater oder was sonst noch gerade Mode ist. 

    Aber auch der Eskapismus, die vermeintlich befreite und verantwortungslose, dennoch befristete Privatzeit repetiert sich. Und dadurch verliert sie ihre Kraft. Ein Bier am Feierabend kann zwar manchmal entspannen, doch das tägliche Feierabendbier ist irgendwann nicht mehr effektiv. Die Lieblingsserie beglückt dich einmal, zweimal – doch bald ist sie erschöpft.

    Du musst stets frisch und anders dosieren. Und dadurch bist du bald wieder «gefordert» wie bereits im Alltag. Du musst dich immer wieder frisch erfrischen und vergnügen. Angemessen sich zu zerstreuen zu können, eine erlebbare Privatzeit zu verschaffen – auch das ist letztlich anspruchsvolle Arbeit und landet in deinem Backlog. 

    Gewiss kannst du den Freitod wählen und damit alle Verpflichtungen terminieren. Solange du aber mindestens begründen kannst, warum du das nicht tun sollst und dabei nicht auf dein Umfeld dich eingrenzt, musst du dich nicht sorgen. Ein einzelner Grund genügt bereits fürs Überleben. 

    Eventuell bist du zuweilen überfordert. Berufliche, private wie soziale Aufgaben häufen sich. Dein Backlog ist nicht mehr serialisiert oder als Liste strukturiert, vielmehr wuchert und übermannt er dich. Du bist unfähig, eine einzige Aufgabe zu erledigen, weil die Vielfalt und Wucht der Aufgaben dich lähmt. Du bist blockiert, in deinem persönlichen Lockdown.

    In dieser Situation musst du mutig und tapfer sein. Mutig daher, weil du dich Schritt um Schritt vorkämpfen musst. Du musst die erste Aufgabe nehmen und sofort erledigen. Und tapfer, weil der Backlog unendlich ist. Du wirst dich gewiss ein wenig ausruhen können. Doch das Leben verpflichtet. Bereits in der Schule wirst du damit konfrontiert. 

    Ich weiss nun auch, wieso ich gerne hänge und nichts tue respektive möglichst wenig tue. Ich rebelliere still und heimlich, aber vergebens. Ich weiss auch stets, dass meine Untätigkeit kurz und nicht nachhaltig ist. Ich habe wenige Minuten, manchmal Stunden im Tag, die ich verplempern kann. Diese nutze ich effektiv. Das ist mein Freiraum.


  • Komplexität reduzieren

    Im Beruf ist Komplexität oft als Totschlagargument bemüht. Komplexität mag niemand. Komplexität braucht Managementkapazitäten. Irgendjemand muss Komplexität verwalten. Organisationen wollen also allesamt Komplexität reduzieren. Ich gebärde mich gerne als verführerischer Vereinfacher. Ich simplifiziere.

    Privat ist mein Leben einigermassen komplex und undurchsichtig. Ich könnte derzeit meine Herausforderungen nicht abschliessend auflisten. Weil ich nicht kann und nicht will. Einige Themen verdränge ich auch. Andere bearbeite ich bloss im Ereignisfall und operiere im maximalen Priorisierungsmodus wichtig-dringend sofort erledigen und den Rest ignorieren.

    Daher pflege ich Bereiche meines Lebens, die ohne Komplexität auskommen. Die Körperpflege ist auf fünf Artikel beschränkt. Ein überteuertes Shampoo. Ein ordinäres Deo. Ein Universaldusch. Ein zerbrechlicher Rasierer. Und ein schlichter Nagelknipser.

    Weisse oder blaue Hemder, blaue oder weisse Hosen und bunte Socken limitieren meine Kleiderwahl. Unterhosen sind Verbrauchsmaterial. Schuhe sind auf zwei Marken eingegrenzt, im Sommer trage ich ohnehin hauptsächlich Adiletten. Meine Morgenroutine ist dadurch sehr verkürzt.

    Bei der Nahrungsmittelaufnahme, die ich gerne so expliziere, könnte ich wochenlang bloss mit Würstchen, Teigwaren und Burger überleben und dabei keinen Mangel empfinden. Ich muss nicht täglich unterschiedlich speisen. Die Nahrungsmittelaufnahme hat im Alltag auch etwas Funktionales.

    Das Wetter beeinflusst auch nicht meine Stimmung. Ein verregneter oder sonniger Tag lässt weder mich vergraulen noch erfreuen. Ich beobachte das Wetter gelassen. Ich versuche mein Glück möglichst zu internalisieren und/oder auf Bereiche des Lebens zu dämmen, die ich auch mitgestalten kann, wenngleich mehr theoretischer denn praktischer Natur.

    Ich weiss, ich habe noch genügend Komplexität abzubauen. Gewisse Beziehungen haben eine Historie, die mit Muster verfahren sind, die zu brechen zuweilen mich überfordert. In der zwischenmenschlichen Beziehungen gedeiht Komplexität. Letztlich soll, wer ohne Komplexität leben will, alleine bleiben.

    Deswegen isoliere ich mich gelegentlich. Ich möchte niemanden treffen, kennenlernen oder begegnen. Ich möchte keine weitere Komplexität in eine Beziehung hinzufügen. Ich möchte gelegentlich bloss schweigen und aushalten. Doch ich bin ebenso destruktiv, dass ich Komplexität provoziere, indem ich sabotiere. Leider.

    Ich sollte also mit der erhöhte Komplexität meiner Beziehungen, egal welcher Natur, mich beschäftigen. Weil das treibt und verursacht in Summe die Komplexität meines Lebens – nicht eine vermeintlich unermessliche Auswahl von Kleidungsstücken oder Nahrungsmitteln oder Wetterbedingungen.


  • Zwischenstand

    Ich kann momentan mich nicht planen, prognostizieren und angemessen verwalten oder gar haushalten. Ich bin momentan taumelnd, verzweifelt und traurig. Ich kann gar nicht mehr klar denken, sondern versuche mit Aufbauspielen mich selber zu vertreiben. Ich will die Gedanken austreiben. Ich will den Ernst des Lebens vergessen. Ich will unbekümmert sein, einfach vergessen, sehr gerne auch mich abschiessen. Ich habe momentan einige Baustellen ruiniert. Ich bin eine einzige Bauruine derzeit. Überall begonnen, nirgends vollendet. Ich bin gerade nicht sonderlich geerdet. Ich werde mir eine Auszeit gönnen. Vermutlich werde ich nichts berichten, vermutlich werde ich mich hinterm Laptop verkriechen. Ich sehne mich nach einer Auszeit. Ich sehne mich auch nach Normalität und gewisser Beständigkeit. Ich möchte nicht länger dramatisieren. Ich möchte nicht stets gehetzt mich fühlen. Ich wünsche mir eine einigermassen normale Beziehung, ein normalisiertes Verhältnis zu meiner Mutter, zur Kindesmutter ebenfalls. Ich wünsche mir regelmässigen sozialen Kontakt, der nicht im Botellon endet.


  • Die befreite Brust

    Ich mag keine BH. Sie verquetschen die Brust. Sie maskieren die Brust. In den westlichen Grossstädten wie beispielsweise Basel und Brussels tragen Frauen nicht zuverlässig oder konsequent einen BH. Ich kann den kulturhistorischen Kontext nicht einordnen. Vermutlich hat die Frauenbewegung die Brust vorm BH befreit.

    Ich befürworte die Gleichberechtigung. Als Arbeitgeber sind Frauen bei uns nicht diskriminiert oder eingeschränkt. Im Gegenteil, Teilzeitpensen z.B. werden grosszügig honoriert, indem der versicherte Lohn stets 100% entspricht. Auch praktizieren wir kompromisslose Lohngleichheit. Keine sozialen oder demografischen Faktoren beeinflussen den Lohn. Einheitslohn halt.

    Als Arbeitgeber bin ich also okay. Aber als Partner? Ich bin ja kein Spezialist in Hausarbeit. Ich kann sicherlich Fenster putzen, Teigwaren erhitzen, den Grill schrubben, Feuer entfachen, Geschirr einräumen, staubsaugen oder weitere klar definierte Aufgaben verantworten. Doch erfahrungsgemäss hat die Frau stets mehr geschultert als ich. 

    Frauen ohne BH sind auf ihre Brüste reduziert. Automatisch. Man kann nicht wegschauen. Auch wenn man gerade befriedigt, entsaftet oder was auch immer ist, eine befreite Brust ist jederzeit reizend. Mich irritiert bloss deren Häufigkeit. Ich zähle nicht, doch ich verwette, dass hier in Basel-Stadt 20% der Frauen keinen BH tragen.

    An der Feldberg- und Klybeckstrasse vermutlich noch häufiger, wobei ich mich dort auch regelmässiger tummle respektive verstecke. Ein Kollege in Babylon Europas konnte meine Beobachtung bestätigen. Am Place Eugene Flagey vermutlich auch vielfacher als im Europaviertel. Meine Brüsselerinnerungen sind ohnehin verdunkelt und kaum signifikant. 

    Der Sexmarkt ist bekanntlich sehr kompetitiv. Die Frauen altern, der Körper verwest, die Männer können kaum noch Lust empfinden. Die Sexualität ist vielmehr eine Tragödie, sehr angestrengt und zumeist einseitig befriedigend. Die Männer verzögern das Altern mit Kokain, Skateboards und exklusiven Hobbys wie Biken, Bierbrauen oder Basejumping. 

    Anatomisch ist die Sexualität stets auch ein Eindringen. Es ist etwas Ergreifend-Besitzendes. Die Frau ist ausgeliefert. Nicht bloss Krankheiten, sondern auch Säfte gefährden und beschmutzen die Frau. Die alternde Frau ist lediglich vor ungewollter Schwangerschaft einigermassen geschützt aufgrund der männlichen Unfruchtbarkeit. 

    Die befreite Brust provoziert mich nicht. Ich schätze die Darbietung. Ich geniesse die Reize. Ich lehne mich zurück, blicke hin, inspiziere und studiere und vergleiche. Ich befürchte, das ist aber nicht im Sinne der Erfinderin. Die befreite Brust sollte gleichsam die moderne Frau in den westlichen Grossstädten befreien.

    Der BH sollte das Patriarchat symbolisieren. Meinetwegen. Das Patriarchat hat sicherlich gut gelebt, so wie Göring bei seiner Verhaftung überliefert haben soll. Ich habe leider nie vom Patriarchat profitiert. Ich habe deswegen keinen besseren Job, nicht mehr Einkommen und auch sonst keine Vorzüge. Schade. 

    Für mich ist das Patriarchat real nicht existierend. Der grosse Männer-Filz, entstanden durch Militär und FDP, ist ohnehin längst ausgestorben. Die Verhältnisse sind einigermassen entspannt. Frauen dürfen und können alles. Gewisse Branchen sind durchaus veraltet, müssen noch nachholen. Ich denke hier an die Sozialindustrie und an die Gastronomie.

    Dort regieren oftmals männliche Gewaltherrscher, kleine, aber unbefriedigte Narzissten, welche die Schwäche jener Frauen ausnutzen, die typischerweise in diese Branchen sich verirren, weil sie keine Alternativen finden. Und dann sind diese Frauen diesen gewalttätigen Männern ausgesetzt. Keine schöne Beobachtung und mein Beileid. 

    Ich bin also verunsichert, ob die befreite Brust etwas symbolisiere oder bloss eine modische Erscheinung sei. Vermutlich will die befreite Brust nicht politisieren. Vermutlich ist die befreite Brust bloss bequem, weil durchlässiger, frischer, gesünder. Auch reduziert die befreite Brust sicherlich Komplexität in der Morgenroutine.

    Frauen spüren wohl, wenn man ihre Brüste überprüft. Ich habe mich bislang noch nie gemustert gefühlt, ausgenommen bei der Aushebung mit achtzehn. Das war aber staatlich angeordnet. Damals bin ich für untauglich erklärt worden. Vermutlich überschreite ich eine Grenze, wenn ich die Brüste angaffe. Vermutlich verletze ich die Intimsphäre damit.

    Ich will mich dafür entschuldigen. Falls eine befreite Brust etwas Politisches ist, dann muss ich wohl alsbald aufgeklärt werden. Ich bin ziemlich unpolitisch, ich verfolge das Tagesgeschehen nicht. Ich vernehme gelegentlich Direktiven des Bundesrates über das neuartige Coronavirus. Ansonsten bin ich ziemlich isoliert und entfremdet. 

    Ich bin ein grosser Anhänger der befreiten Brust. Sie ist natürlich einfach besser und hübscher anzusehen. Ich kann mich gut auf eine befreite Brust fokussieren und mich daran erfreuen. Ich möchte mich hiermit bedanken für alle diese Frauen in den westlichen Grossstädten, die das kultivieren. Ich bin entzückt.


  • Nach Corowahn

    Der Ausnahmezustand ist ja bekanntlich gelockert worden. Die Menschen wollen sich wieder vergnügen. Die berühmten Strassen der grossen Städten sind wieder bevölkert, manche sogar überbevölkert wie die Steinenvorstadt Basels, wo Halbstarke und Arrangierte zum Cüpli und zur Stange in der Systemgastronomie sich verabreden. 

    Auch ich habe mir bereits einen gewissen Eskapismus mikrodosiert. Ich sass einige Stunden in einer Bar, habe Weizenbier getrunken, die Menschen beobachtet, mich quasi versteckt; ich war ein kleiner geiler Voyeur. Ich genoss einen Abend ohne Verantwortung und Verpflichtung. Ich konnte einfach da sein und musste nichts. 

    Die Clubs sind jedoch weiterhin geschlossen. Die Öffnungszeiten der Bars sind ebenfalls eingeschränkt. Die vormalige Ausgelassenheit ist höchstens im Privaten zu zelebrieren. Die Gesprächsthemen sind weiterhin von Corowahn durchsetzt. Wo übrigens auch jedermann hierzulande anknüpfen kann. 

    Weil jeder hat seine persönliche Lockdown-Geschichte. Diese Geschichten können nun wieder geteilt werden. Das verbindet Menschen. Wer seit jeher leichte Gespräche sucht, findet sie mit Corowahn rasch. Selbst ich bin versucht, über Corowahn mich auszutauschen. Bislang konnte ich mich stets beherrschen. 

    Ich persönlich genoss den Ausnahmezustand. Der Ausnahmezustand hat mir meine grundsätzliche Einsamkeit nochmals verdeutlicht. Ich habe deswegen auch mehr mit meiner Heimat mich sozialisiert und noch verbundener gefühlt. Ich reiste gelegentlich nach Olten, traf dort Freunde und schätzte die mir vertraute und sichere Gesellschaft. 

    Neuerdings bin ich beruflich wieder unterwegs. Ich fahre Zug. Die Züge sind geringer ausgelastet als in den Sommerferien. Das entspannt das Zugfahren. Bislang ist der reguläre Fahrplan noch nicht vollständig reaktiviert. Manche Verbindungen sind noch unterbrochen. Das stört mich nicht sonderlich, ich wollte es lediglich erwähnt wissen. 

    Ich werde Corowahn als maximale Einsamkeit erinnern. Ich konnte reflektieren. Beruflich konnte die Firma neue Ideen konkretisieren. Die Firma hat nun endlich einen Weg zum Nordstern skizziert. Corowahn hat uns befreit und bestätigt und schliesslich bekräftigt, etwas zu riskieren. Wir sind mutiger und entschlossener geworden. 

    Manchmal müssen sich einfach die Verhältnisse ändern, damit die Menschen sich im Verhalten und somit in der Haltung irgendwann ändern. Ob im Beruflichen wie im Privaten. Nach Corowahn sind radikalere Veränderungen eher «toleriert». Ob man sich vom Beruf oder Partner trennt, man ist nun eher verstanden. 

    Doch das grosse gesellschaftliche Leben wird bald wieder normalisiert. Für eine grosse gesellschaftliche Veränderung war Corowahn doch zu gezähmt. Die Einschränkungen bedeuten lediglich gewisse Entbehrungen; die analoge Kulturindustrie war verboten, die digitale konnte stattdessen expandieren. 

    Auch die Todeszahlen waren nicht so erheblich. Nicht jede Familie hat einen Sohn geopfert. Nicht jede Familie hat eine Tante oder einen Onkel verloren. Es sind bloss Einzelfälle, die zerstreut und nicht signifikant sind. Keine verlorene Generation, kein Massensterben, keine geschundenen Jahrgänge waren die Folge.

    Der Kampf gegen den unsichtbaren Feind war auch keine klassische heroische Tat, die alle verbunden hat. Stattdessen verkümmern irgendwelche Forscher in irgendwelchen Laboratorien und tüfteln dort an einem möglichen Impfstoff. Die Mehrheit der Menschen ist hingegen ohnmächtig, ausgeliefert und weiss sich nicht zu schützen.

    Es ist keine «Kraftakt» der Gesellschaft, um Corowahn zu besiegen, sondern, wenn überhaupt, die Tat eines kleinen Teams. Und überhaupt, noch ist Corowahn nicht erledigt. Vielmehr bedroht uns Corowahn weiterhin, obgleich latent, unsichtbar, im Verborgenen und lustigerweise mit einer Verzögerung von zwei Wochen. Es ist stets eine Rückblende.

    Ich kann das Bedürfnis nach Eskapismus sehr gut nachempfinden. Auch ich hege den Wunsch, manchmal kontrolliert unkontrolliert zu sein. Die Menschen waren seit jeher für allerlei Rausche empfänglich; seien es Künste, Drogen oder Geselligkeiten. Die kurze Versorgungslücke wird rasch wieder gedeckt sein. 

    Ich freue mich auf die nächsten Lockerungen und aufs grosse Vergessen.