Kategorie: Unbestimmt


  • Was sind unsere Bedrohungen?

    In der Sicherheitspolitik werden die einzelnen Bedrohungen gerne kategorisiert. Man unterscheidet zwischen inneren wie äusseren Bedrohungen. Sie werden weiter spezialisiert. Ich selbst empfinde aber bloss eine einzige Bedrohung. Eine grosse Bedrohung: Es ist die Bedrohung der Demokratie. 

    Freilich ist die Demokratie im Innern wie im Äussern bedroht. Sie trägt unterschiedliche Larven. Manchmal entpuppt sie sich als Rechtspopulismus, manchmal als Gewaltherrschaft einer Einzelperson. Die Bedrohung ist auch beständig, sie wandelt lediglich in Gestalt und Intensität. Sie erfordert unterschiedliche Abwehrmassnahmen.

    Der islamistische Terrorismus der wilden 00er-Jahren war für mich niemals eine Bedrohung. Es war ein notwendiges Übel, das wir einfach aushalten respektive ignorieren mussten. Wir bezahlten manchmal Menschenleben. Aber unsere Demokratien waren niemals ernsthaft bedroht. Im Gegenteil, die Antiterrormassnahmen waren wesentlich gefährlicher. 

    Mittlerweile sind die Gegner der Demokratien nicht mehr zu übersehen. Im Äussern wie im Innern. Die meisten Sicherheitsorganisationen müssen umrüsten. Der Islamismus, der Krieg gegen den Terror hat sich automatisch erübrigt. Auch der einst so prominente Krieg gegen Drogen ist vergessen. 

    Die ewigen Feinde der Demokratien sind sehr fluid, agil und daher schwierig aufzudecken. Manchmal tarnt man sich als Freund, als Retter der Demokratie. Manchmal will man bloss Familien schützen oder christliche Werte verteidigen. Manchmal will man auch nur Ordnung in einer vermeintlich unruhigen Welt schaffen. 

    Demokratien werden in den Sonntagsmedien gerne als lebendig betitelt. Ich teile das. Demokratien sind per Definition lebendig, aber dadurch auch verletzlich. Keine Demokratie ist gesetzt. Der Lack der Zivilisation ist bekanntlich dünn – zweidrei Zwischenergebnisse, und wir fallen wieder der Barbarei anheim. 

    Ich unterstütze hiermit alle Sicherheitsorganisationen, ob bewaffnete oder nicht, welche entschieden echte Gegner der Demokratien bekämpfen. Allerdings sind Sicherheitsorganisationen bloss soweit alimentiert, wie Demokratien das selber zulassen oder zutrauen. Die letzte Verteidigungslinie bleibt der Souverän

    Der Souverän hat aber ganz andere Alltagssorgen als eventuellen Gegnern der Demokratien zu begegnen. Die Gegenwarts- ja Alltagsbewältigung alleine ist bereits herausfordernd. Hier sehe ich den modernen Familienvater, der erzieherische Fürsorge wahrnehmen möchte, drum zwischen Kind, Kita und Karriere balanciert – ohne gross um Demokratien sich sorgen zu können. 

    Ich sehe alle überforderten Familien, die zwischen unterschiedlichen Interessen ausgleichen müssen, stets übermüdet und erschöpft sind, die sich teure Ferien leisten können, aber dennoch sich nicht erholen werden. Demgegenüber bangt eine anwachsende Unterschicht, wie sie Nahrungsmittel und Zahnarztrechnungen bezahlen soll. 

    Die Mehrheit der Bevölkerung der Demokratien ist nicht empfänglich für die wahren Bedrohungen derselben. Manche wählen sogar ihren eigenen Schlächter. Und ich kann es ihnen nicht verübeln. Sie können nicht anders. Sie aufzuklären, wäre gleichsam weltfremd. Man würde sie nicht in ihren Alltagssorgen respektieren. 

    Was mir bleibt, ist die Hoffnung, dass die Gegner der Demokratien sich nicht vereinigen, die inneren wie die äusseren sich nicht verschwören.


  • Ups, ich habe mich angemeldet

    Ich habe mich jüngst für den Basler Ableger VOLT angemeldet. Diese Sektion ist vermutlich seit Jahren eingeschlafen. Sie fristet wohl. Die Zürcher Variante hat mal vor der Pandemie ein Meetup organisiert. Mehr war nicht zu registrieren. VOLT ist wohl hierzulande nicht einmal als offizielle Partei zugelassen. Macht nichts. 

    Ich bin zwar ein funktional depressiver Möchtegern-Schriftsteller, der hier für Freunde und Feinde publiziert, nebenbei ein umtriebiger Unternehmensberater, der Sinn, Zukunft und Motivation verkauft, wo bloss noch Erschöpfung und Entpersonalisierung drohen. Aber ich bin auch politisch beseelt; anfangs Jahr habe ich mein Parteiprogramm veröffentlicht

    Politisch harre ich auf verlorenem Posten. Eine eigene Partei zu gründen, ist sehr anstrengend. Das würde mich überfordern. Überhaupt bin ich alleine nicht lebensfähig; privat, beruflich wie politisch. Ich bin auf Gesinnungsgenossen angewiesen; ich brauche ein Team, das ich aktivieren und entfalten kann. 

    Ich erhoffe mir von VOLT, eine zwar einigermassen motivierte, aber eingerostete Gruppe zu finden, die auf Führung resoniert. Ich beanspruche keine ultimative Führung; ich könnte auch höchstens im Hintergrund unterstützen. Aufgrund meiner vielfältigen Fähigkeiten bin ich allerdings flexibel einzusetzen – wo gerade im Sinne der Sache es Wert schöpft.

    Aufgrund meiner ebenso vielseitigen Vergangenheit könnte man öffentlich mich gut demontieren. Ich wäre maximal exponiert und verletzlich. Das könnte mich auch menschlich und authentisch zeigen. Immerhin wäre ich kein Recht-und-Ordnung-Politiker, der etwas heuchelt oder verheimlicht.

    Ich könnte einfach alles im Voraus offenlegen, was man mir vorwerfen könnte: finanzielles, moralisches, familiäres, emotionales oder auch berufliches. Ich kann alles vertreten, ich schäme mich nicht. Ich kann mich einfach prospektiv denunzieren – dadurch alles entwaffnen; ich könnte ebensogut eine Serie starten; jede Woche eine Überraschung.

    Aber ja, Politik sollte nicht auf die Person sich fixieren; nicht auf den Botschafter. Aber ich bin abgeklärt genug, dass man auch die Person bespielen muss. Ich würde sogar noch Grünzeug beifügen, weil es bei den Weiber gut ankäme; schliesslich dürfen sie ja auch wählen.

    VOLT ist leider derzeit noch ziemlich vergrünt; auf Velo und Windrädern sexuell verarmt. Velos sind bequem, Windräder schmücken jeden Hügel, sind noch imposant anzuschauen – aber leider keine Zukunftstechnologie, keine faustische Naturbeherrschung, die ungemein erotisiert und elektrisiert. 

    Man müsste noch einiges auch inhaltlich korrigieren. Immerhin behauptet VOLT, man sei pragmatisch. Ich könnte dadurch eine Kriterienmacht bemühen; mittels Sprachregelung die Wirklichkeit ändern. Aber auch das wäre intensiv. Ich hoffe, dass die Basler VOLT Sektion tatsächlich eingeschlafen ist; man müsste sich bloss wachküssen, befeuern. 

    Wie auch immer. Jetzt warte ich mal mindestens einen Monat. Ein lokaler «Community Manager» werde mich kontaktieren. Vermutlich wird nichts passieren. Ich habe nicht einmal eine Rechnung erhalten. Das beweist, dass bereits Kernprozesse nicht mehr automatisiert sind; vermutlich ist das Personal wegen den Feiertagen anderweitig beschäftigt. 

    Das motiviert mich.


  • Meine Lieblingsserie: Babylon Berlin

    Ich berücksichtige selten zeitgenössische Erzeugnisse der Kulturindustrie. Ich habe einige Bücher Houellebecqs hier besprochen. Das war bislang eine Ausnahme. Eine neue Regel möchte ich nicht schaffen. Dennoch umtreibt mich ein Produkt dergestalt, dass ich es hier erwähnen respektive lobpreisen möchte. Es ist Babylon Berlin, die preisgekrönte Serie. 

    Die Serie hat alles, was eine Serie braucht. Ein wenig Nazis, die anfänglich noch im Hintergrund agieren, aber über die Staffeln immer präsenter werden. Einige historische Figuren wie Stresemann oder Hindenburg. Einige angelehnte Figuren wie Alfred Nyssen statt Fritz Thyssen, Günther Wendt statt Hans Friedrich Wendt, Hans Litten statt Hans Achim Litten und so weiter.

    Auch die Ringvereine Berlins sind vertreten und konkurrieren um den Kuchen des Milieus. Drogen sind alltäglich; Opium wie Kokain – Tabak und Alkohol sowieso und maximal gewöhnlich. Die Armut Berlins in den Hinterhäusern der riesigen Mietskasernen ist ebenfalls dramatisiert, das Schlafgängertum normalisiert, die Gelegenheitsprostitution üblich.

    Die Serie zitiert die Zwischenkriegszeit permanent – logischerweise. Auch wenn einigermassen in Geschichte bewandert, erkennt man nicht alle Zitate. Die Serie regt zum permanenten Nachforschen und Auskundschaften an. Beispielsweise ist die Quellenlage einer Organisation namens Die Weisse Hand ziemlich dürftig. 

    Meine Lieblingsfigur ist eine nebensächliche. Es ist Doktor Anno Schmidt, vormals Rath. Vermutlich hat er nach dem Krieg eine neue Identität angenommen, um seiner Herkunft zu entfliehen. Er stammt aus dem Umfeld Adenauers Kölns; war verheiratet, hatte einen Sohn und einen Bruder. 

    Er hat sich in Berlin neu erfunden als Psychoanalytiker und Allgemeinarzt. Er hat sich auf die Leiden von Kriegsveteranen spezialisiert. Vermutlich herrschte er im Invalidenhaus Berlin. Er experimentierte mit Elektroschocks, Amphetamin und anderen Medikamenten, um aus den «Krüppel» perfekte Maschinenmenschen zu formen. In der Freizeit unterstützt er eine okkulte Szene mit seinem hellseherischen Medium.

    Er ist auch Analytiker von beispielsweise Alfred Nyssen und beeinflusst so dessen Werdegang. Schliesslich ist Nyssen aufgrund des Schwarzen Donnerstags der damals reichste Mann der Welt; fantasiert von bemannten Mondflügen und finanziert Werner von Braun sowie Hitler. 

    Auch ist Dr. Schmidt Mentor des brutalsten Gangsters der Stadt. Er flickt ihn nach jeder Schiesserei zusammen, motiviert und lenkt ihn. Er designt in der letzten Staffel eine Art Privatarmee von abgestumpften Maschinenmenschen, die nach Führung und Ordnung trachtet; eine Art Borg-Kollektiv. Das gefällt mir. 

    Wie so oft erreichen Serien rasch einen «Zenit». Dann überschlagen sich die Ereignisse, sie werden immer unglaubwürdiger und absurder. Immerhin weiss man, wie diese Serie enden wird. Die Machtergreifung Hitlers ist noch knapp zwei Jahre entfernt. Die meisten Protagonisten werden dann deportiert; ein Journalist ist bereits jetzt eingesperrt. 

    Da die Serie in einem spezifischen historischen Kontext ist, sind gewisse Ausgänge vorhersehbar. Man weiss bereits, wie alles ausgeht. Das entspannt und beruhigt. Man kann quasi zuschauen, wie eine Gesellschaft sich selbst sabotiert und in den Abgrund wirft. Und alle sind ahnungslos.

    Noch ist Hitler Vertreter einer rechtmässigen Partei, von den Konservativen als «böhmischer Gefreiter» verunglimpft. Niemand nimmt ihn ernst – wie vormals Alfred Nyssen, der zuvor als Strohmann für die schwarze Reichswehr wirkte, belächelt und als verweichlichtes Muttersöhnchen abgetan wurde. Er konnte sich dank Dr. Schmidt umrüsten. 

    Männer, die sich benachteiligt fühlen, verletzt, ignoriert, belächelt wurden, können eine gewaltige Wirkung entfalten. Nyssen reflektierte das mit Dr. Schmids Hilfe richtig als Rache; er will nicht dem deutschen Volk dienen, sondern sich primär seiner Mutter und den Generälen rächen, die ihn stets klein hielten. 

    Wie auch immer. Die Serie lebt von historischen und auch psychologischen Referenzen. Die Serie ist ebenfalls perfekt produziert; die düstere, schwarze Stimmung Berlins, beinahe stets dunkel oder regnerisch im maximal urbanisierten Raum, ist sehr ansehnlich. Natürlich schwebt auch ein Luftschiff und ist Schauplatz einzelner Szenen; die LZ 127 Graf Zeppelin. 

    Mal schauen.


  • Ich bin kein Klimaretter

    Ich bin ein mieser Klimaschützer. Ich trenne kaum Abfall; PET, Alu und Glas lasse ich zur lokalen Kehrichtverbrennungsanlage liefern. Ich dusche stets heiss und zu lange, weil ich mich säubern muss. Alle meine Geräte sind elektrizifiziert, mindestens funken sie Telemetrie in hoher Auflösung und zwar periodisch.

    Alle meine Lampen sind vernetzt; sie sind smart, doch ich lasse sie permanent eingeschaltet. Ich wasche auch bloss drei Hemder; ich reinige mein Geschirr entweder in einer halbleeren Geschirrspülmaschine oder mit fliessendem Heisswasser. Ich lasse manche Fenster permanent geöffnet; ich stossschliesse bloss.

    Ich bin nicht sonderlich motiviert, etwas zu ändern. Ich befürworte stattdessen starke Atomkraftwerke, welche die Natur zu beherrschen versuchen; ich würde sogar oberhalb eines Endlagers wohnen. Ich könnte auch zweifelhafte Uranquellen verschmerzen, die Transport- und Produktionskosten der nuklearen Wertschöpfung weglächeln.

    Ich fühle mich nicht mies dabei. Ich bin auch nicht die Zielgruppe der Energiekrise. Vermutlich ist irgendwo eine Krise; eine Krise ist stets, die Krise ist ein Dauerzustand, der uns anspannt und erinnert, dass wir endlich seien. Die Energiekrise motiviert mich, noch mehr Energie zu verschwenden.

    Man könnte mich problemlos verurteilen. Ich würde es einfach hinnehmen, erdulden. Ich würde mich auch nicht rechtfertigen oder erklären wollen. Ich würde keinen Naturbeherrschungstrieb vorschieben. Ich bin bloss erleichtert, dass mein Verhalten niemanden beeinflusst; niemand mich nachäfft.


  • Warum Paarbeziehungen mich so beschäftigen

    Wir investieren die meiste Lebensenergie in unsere Paarbeziehungen. Manchmal auch Dreiecks- oder Vierecksbeziehungen. Polyamore Konzepte erfreuen sich gewisser Beliebtheit. In der Schweiz betrüben nicht die Energiekrise, der Krieg, die persischen Aufstände unser Glück – sondern unsere gescheiterten Beziehungen. 

    Wenn Menschen hierzulande brechen, dann nicht wegen einer posttraumatischen Belastung, ausgelöst wegen einer rohen Fronterfahrung in Afghanistan, Irak oder endlich im Donbass. Die jüngste Pandemie hat ebenfalls keine Psychen ruiniert, lediglich einige Psychosen gelockert oder ersetzt. 

    Putzwahn beispielsweise war akzeptiert, alleine sich zu betrinken ebenfalls – oder im Virus eine globale Verschwörung von Computermilliardären zu vermuten oder einer demokratisch legitimierten Regierung autokratische und faschistische Tendenzen zu attestieren. Doch das waren bessere Hobbys, sorgsam gehegte Psychosen. Nichts Existenzbedrohendes. 

    Gescheiterte Paarbeziehungen hingegen bedrohen unsere komplette Existenz. Sie umfassen, wer und was wir sind. Sie rauben die meiste Lebensenergie. Im Privaten, wenn wir nicht gerade übers Tagesgeschehen oder übers Fernsehen schwurbeln, beschäftigen uns vor allem die gescheiterten Paarbeziehungen. 

    Gescheiterte Paarbeziehungen werden künstlerisch wie industriell ausgedrückt. Die meisten Künstler therapieren sich selbst. Die (freilich nicht kontrollierte oder gar gelenkte) Kulturindustrie wiederholt Muster und Abgründe gescheiterter Paarbeziehungen. Selbst James Bond reflektiert seine gescheiterten Beziehungen. 

    Auch ich bin ein bislang erfolgloser Beziehungsmann. Auch ich möchte mich ewig binden; treu ergeben und loyal sein. Auch ich litt wegen blutarmen, leeren, funktionalen, abgestumpften oder einseitigen Beziehungen. Auch ich könnte technisch Bücher füllen und Abgründe öffnen oder selbst offenbaren. 

    Vermutlich werde ich das nachholen, ich gelte gemeinhin als Experte für gescheiterte Beziehungen. Ich konnte mich nie länger erfolgreich binden. Manchmal habe ich mich selbst blockiert oder sabotiert, manchmal habe ich mich einfach in die falsche Person verliebt. Doch immerhin habe ich stets gesehnt und gestrebt. 

    Allerdings habe ich dadurch auch viel Lebensenergie, Geld und künstlerische Kraft vergeudet. Ich habe in Paarbeziehungen manchmal überinvestiert, ich habe mich verausgabt und stets in meinem Umfeld mein Unbehagen abgeladen. Mein erster Kreis kann sich wohl noch alle Episoden vergegenwärtigen. 

    Vermutlich quälten mich keine anderen Sorgen, die mich ernsthaft besorgten – sodass ich all meine Kraft in sinnlose und ergebnislose Beziehungen verschwendet habe, wo ich stets entweder geduldet war oder selber bloss fristete und mich in Geduld vergebens beübte. Ich habe manchmal in Beziehungen mich gezwängt oder Beziehungen verherrlicht. 

    Vermutlich vermochte ich zeitlang auch nicht anders meine Persönlichkeit auszudrücken als mit der Übersteigerung und maximalen Fokussierung in eine Paarbeziehung. Ich habe Beziehungen wissentlich mit Schulden gestartet, weitere Schulden dabei angehäuft. Manche Beziehungen habe ich bloss trotzig kurzzeitig bewältigt – weil ich mich bewähren wollte. 

    Die Paarbeziehungen in meinem entfernten Umfeld sind hingegen geregelt. Sie überdauern Jahre oder sogar Jahrzehnte. Natürlich lodern da keine Leidenschaften. Die Beziehungen sind funktional und eingefroren. Sie müssen sich nicht entwickeln. Sie garantieren Stabilität und Verlässlichkeit; sie dominieren auch nicht die eigene Persönlichkeit. Sie ergänzen.

    Auch ich könnte beiläufig eine Beziehung führen. Ich könnte meine Beziehung reduzieren, künstlich begrenzen meines Erachtens. Zweidrei Routinen wären rasch etabliert. Ich habe bereits erfolgreich bewiesen, dass ich technisch dazu befähigt wäre. Aber ich wäre tatsächlich nicht ausgefüllt, ich würde weiterhin lechzen und nach mehr mich sehnen. 

    Eine bürgerliche Existenz würde eine langweilige Beziehung versprechen. Doch ich bin überzeugt, dass auch eine bürgerliche Existenz eine opulente und grosszügige Beziehung beinhalten könnte. Beziehungsintensität kann nicht bloss mit dem Lebenswandel alleine begründet oder bemessen werden. 

    Solange ich die offenbar erforderliche Menge Beziehung nicht feiern kann, beschäftigen respektive umtreiben mich Beziehungen. Ich kann meine Sehnsucht nicht stoppen; ich habe genügend experimentiert, genügend Lektionen erlitten. Ich habe letztlich auch akzeptiert, dass eine gesunde und glückliche Beziehung mich bereichert. 

    Ich externalisiere nicht primär mein Glück. Doch ich möchte auch nicht komplett isoliert mir selbst begegnen müssen. Ich antizipiere nicht bloss das gemeinsame Altern, ich fantasiere auch gemeinsame Aktivitäten jenseits Haushalt, Sport, Alkohol und/oder Sex. Ich lobpreise die schöpferische Kraft des engagierten Paares, das sich in diversen Disziplinen betätigt.

    Ich möchte bekanntlich teilen und teilhaben können und auch lassen. Ich möchte nicht ruhelos steppen und an meine Vergänglichkeit ermahnt werden. Ich möchte gemeinsam erschaffen. Ich möchte, dass mindestens eine Person sich erinnere. Dass ich nicht ganz vergebens gewirkt habe. Das kann ich in einer Paarbeziehung verwirklichen. 

    Es frustriert mich bereits, die Welt ohne Hinterlassenschaft dereinst verabschieden zu müssen. Wir alle müssen uns trennen. Ich werde auch nicht ewigs wirbeln können. Auch ich werde ermüden. Ich schone mich bereits heute; ich sondiere meine Investitionen gewissenhaft; nunmehr insbesondere in besonderen Beziehungen.


  • Wahlen entscheiden den Krieg

    Der Krieg ist noch längst nicht gewonnen. Die jüngsten Offensiven verheissen Optimismus, weil der Winter naht. Der Winter war stets Russlands Wunderwaffe. Diesmal droht Russland mit frierenden Wutbürgern in den labilen westlichen Demokratien, die bereits durch die innere Konservative Revolution unterminiert sind. 

    Ich befürchte keinen baldigen Zusammenbruch der ukrainischen Stellungen im Donbass, im Süden oder im Nordosten. Der Verteidigungswille ist intakt; die Menschen leisten an allen Fronten Aussergewöhnliches. Das Einzige, was sie fürchten, ist alleine gelassen zu werden. Dass man sie vergisst, dass man sie nicht mehr unterstützt.

    Denn trotz des Improvisationsgeschickes, trotz überlegener, weil vernetzter Aufklärung sind ihre Truppen je länger desto mehr angewiesen auf westliche Waffen, westliche Munition, Nahrungsmittel und vor allem uneingeschränkte finanzielle Unterstützung für alle laufenden Ausgaben des Staates. Der Staat ist bereits jetzt ausserordentlich überschuldet.

    Der Krieg ist längst nicht mehr hyperreal. In den ersten Wochen berichteten Sondersendungen über minimalste Veränderungen während der Schlacht um Kiew. Mittlerweile publiziert selbst die NZZ bloss noch lustlose Tageszusammenfassungen. Corona plant wohl ein Comeback. In der Schweiz versucht man die Energiekrise zu antizipieren.

    Für mich ist der Krieg weiterhin präsent. Kürzlich ging ich mit zwei ukrainischen Frauen aus. Sie sind beruflich in die Schweiz gereist und freuen sich auf die Auszeit. Die eine lebt provisorisch in Polen. Sie will alsbald heimkehren. Sie fristet seit mehr als sechs Monaten von ihrer Familie getrennt. Sie bewohnten ein Mehrgenerationenhaus. 

    Sobald die Menschen hierzulande frieren, hungern oder sich einschränken müssen, beispielsweise auf die diesjährige Weihnachtsbeleuchtung verzichten müssen, werden sie anfälliger gegenüber Voten, die einen eindeutigen Urheber dieser Entbehrungen verorten und eine sofortige Lösung versprechen. 

    Man müsste bloss die Sanktionen gegenüber Russland aufheben – die Energiekrise wäre abgewendet, die Teuerung normalisiert. Man müsste bloss die Ukraine opfern. Wir haben schon so viele Völker vergessen – es wäre eigentlich ziemlich vertretbar und wir könnten alle wieder in unseren beheizten Bädern sprudeln und günstige Fossilien verbrennen. 

    Wir könnten uns durchaus arrangieren. Wir müssten einfach die Ukraine ignorieren. Bald startet ohnehin die europäisch dominierte Fussballweltmeisterschaft. Herbstmesse, Weihnachtsmarkt und Fussball könnten uns ausreichend sedieren. Das Gewissen könnten wir noch mit einem Corona-Comeback beruhigen. 

    Ich glaube nicht, dass die Ukraine den Krieg noch vor der Herbstmesse entscheiden kann. Momentan werden ja noch keine modernen Panzer ausgeliefert. Mit den elf deutschen Panzerhaubitzen kann man keinen Krieg gewinnen; man kann ihn höchstens verlängern. Falls wir den Krieg beenden möchten, müsste man Putin zum Verhandlungstisch schiessen.

    Ich befürchte, dass die westliche Unterstützung nachlässt; in den nächsten Monaten werden keine Panzer verfrachtet. So verharren die Fronten weiterhin. Stattdessen werden die inneren Feinden beklagen, dass sich das Leben verteuere. Bereits positioniert sich die SVP. Im aktuellen Klartext titelt sie «Frieren, hungern und ein leeres Portemonnaie».

    Ukraine ist dem Populismus der westlichen Demokratien ausgesetzt. Die Wähler hierzulande richten über Sieg oder Niederlage im Krieg. Glücklicherweise ahnen die Ukrainer nichts; sie glauben, sie alleine können ihr Schicksal beeinflussen. Wir dürfen sie nicht vergessen, wir müssen sie weiterhin fördern, ist ja auch ein Stellvertreterkrieg.


  • Die derzeitige Konservative Revolution

    Unsichere Zeiten beschwören sichere Werte. Die Menschen sehnen sich nach Ordnung, nach Regeln, nach Mustern. Damit man erklären und in der Welt navigieren kann. Damit man sich selber beruhigen kann. Damit man nicht ausgeliefert ist. Damit man seine Ohnmacht verstecken kann. 

    Die derzeitige Weltordnung gleicht keiner Ordnung. Der Westen bröckelt, genauer seit 11. September 2001. Nicht der Anschlag selber hat den Westen verletzt, sondern dessen Reaktionen darauf. Zwei sinnlose Kriege, die Milliarden von Steuergeldern verschwendeten und haufenweise Kollateralschaden verursachten. Das waren vergeudete Jahren. 

    Nun ist der Westen tatsächlich herausgefordert. Extern wie intern. Vor allem China möchte den Westen herausfordern. Noch nicht jetzt, die Zeit ist noch nicht reif – aber irgendwann. Mit dem zweiten ewigen Herausforderer Russland ist der Westen bereits in einem Stellvertreterkrieg verwickelt. Ich möchte nichts prognostizieren – ich impfe mich mit Zuversicht. 

    Die externen Herausforderungen sind beherrschbar. Sie könnten militärisch gelöst werden. Wesentlich komplexer sind die internen Herausforderungen. Diese können nicht mit China, Putin und so weiter externalisiert werden. Sie können nicht einmal konkret benannt oder verortet werden. Es gibt nicht den inneren Feind, den man wegsperren könnte. 

    Wer bekämpft wen oder was? Der Westen ist keine homogene Gemeinschaft. Es ist keine Föderation. Westliche Politiker bemühen gerne eine internationale Staatengemeinschaft oder die regelbasierte Weltzusammenarbeit. Der Westen ist für mich lediglich eine Interessengemeinschaft, die manchmal nützt. 

    So ist der Westen derzeit gestaltet. Die einzige Institution, die ambitionierter ist, ist die Union. Die Union ist derzeit aber geografisch begrenzt. Gleichfalls ambitioniert, aber vergeblich ist die UNO. Die UNO war seit jeher machtlos – war sie bereits während des Kalten Krieges. Gut, dass sie wenigstens existiert. 

    Der Westen ist für mich also eine opportunistische Interessengemeinschaft, die in wechselnden Allianzen innerhalb sich zeigt; es gibt ein Westen unterschiedlicher Geschwindigkeiten – und alle ihre Anstrengungen sind unausgerichtet. Es gibt gemeinsamer Nordstern, der orientiert, verbrüdert oder Entbehrungen rationalisiert. 

    Wohlgemerkt projiziere ich mehr in den Westen, insbesondere in die Union. Sie ist ein notwendiger Zwischenschritt zu einer Weltföderation. Aber momentan sind die Hälfte aller Demokratien im Westen beschädigt, der Materialismus und Hedonismus begeistern Massen und finanzielle wie geistige Armut mehren sich. 

    Und dabei bin ich noch wohlwollend und zweckoptimistisch. Der Westen ist sehr verwundbar, unvollkommen, sehr schwierig zu legitimieren oder zu beschönigen. Der Zustand ist beschissen. Was fehlt, ist das gemeinsame Ziel, die gemeinsame Ausrichtung, die wahrhaftig alle eint und Distanzen oder Kulturen überbrückt. 

    Und gerade während dieser Ziellosigkeit, die auch selbstzufrieden, arrogant und verzweifelt gleichzeitig anmutet, ist der Westen hauptsächlich intern bedrängt. Ich kann nicht alle westlichen Populisten auflisten; ich beginne mal mit den offensichtlichen wie Le Pen, Trump, Johnson, Berlusconi, Haider, Kurz, Petry, Weidel, Blocher, Orban, Kaczyński, Modi. 

    Ich habe vermutlich südamerikanische wie asiatische Populisten vergessen. Man verzeihe mir. Vermutlich auch dänische, schwedische und holländische, spanische und portugiesische. Und in Italien ist meine Liste sicherlich nicht komplett, allerdings überblicke ich seit Jahren nicht mehr die Verhältnisse in Italien. Ich habe es aufgegeben. 

    Diese hauptsächlich Männer, aber auch Frauen verbindet eine gemeinsame Mission. Sie sind wesensverwandt. Sie sind Verführer. Sie können die Welt reduzieren. Indem sie ihre Welt auf die Vorstellung ihrer Nation verkleinern. Dein Land zuerst. Zudem ordnen sie die Haltung. Sie wollen sich befreien von der Beliebigkeit des Westens.

    Sie wollen die Haltung klären, Identitäten stiften, Werte versprechen. Sie führen mit Klarheit, mit Mission und sind daher so verführerisch. Sie haben einen Auftrag – sie alle. Entweder befreien, trennen, gewinnen oder ignorieren. Sie begeistern die nationalen Massen. Aber sie optimieren bloss lokal.

    Der Westen profitiert nicht als Gesamtheit. Es ist immer bloss ein lokaler Nutzen. Sie unterminieren das Ganz-Grosse. Vermutlich nicht wissentlich. Ihre Haltung gleicht jener der Konservativen Revolution – ein erst im Nachhinein bestrittener Begriff für eine Sammlung von Geisteshaltungen während der Weimarer Republik. 

    Sie verurteilen die liberale Demokratie als ungezügelt, dekadent, verweiblicht, als zu internationalistisch, zu pöbelhaft oder als zu elitär. Sie jagen das Establishment, um selber sich zu etablieren. Sie garantieren Klarheit in der Geschlechterfrage, in der Erziehung, in der Ernährung oder ob man sich impfen solle oder nicht. Sie haben eine Alternative.

    Für mich gibt es keine Alternative. Ich leide in dieser Zwischenkriegszeit. Weil niemand die Menschen zu einer echten Weltföderation animiert. Auch das globale Klima kann nicht mobilisieren. Weil das ist keine Idee, die begeistert, sondern empört. Und mit Empörung alleine kann man keine Gesellschaft bessern – höchstens alte Herren köpfen. 

    Dieser innere Feind ist schwierig zu bekämpfen. Ich glaube, dass ohne gemeinsamen Nordstern der innere Feind nicht zu bezwingen ist. Weil wir so beliebig, unausgerichtet, so opportunistisch sind, kann man den Westen jederzeit und beinahe überall angreifen. Es war nie einfacher als heute Populist zu sein und sich selber zu bereichern. 

    Wesentlich anspruchsvoller ist, den Westen tatsächlich zu vereinigen und auf ein gemeinsames Ziel auszurichten. Das bedinge Leadership – kein starker Mann, wie von den Populisten gewünscht. Sondern ein komplexer Mensch, der alle Wertesysteme aufspüren, annähern und auch aussöhnen kann. Der jeden versteht und jeder verstehen kann. 

    Allerdings müsste dieser Mensch sich zunächst in den westlichen Wahljahren behaupten. Er müsste sich verbiegen respektive Widersprüche aushalten könne. Er müsste das und sich auch gleichzeitig vermarkten können. Er müsste authentisch bleiben – trotz der Gefahr der korrumpierenden Macht oder des gleichsam korrumpierenden Geldes. Wer das wohl kann?

    Für den inneren Feind gibt es keine vergleichsweise einfache militärische Lösung. Der innere Feind müsste von Innen umfasst werden. Das gelingt bloss, wer eine Identität, Vision authentisch, gleichzeitig charismatisch und begeisternd kommunizieren kann. Und das ist letztlich auch Teamarbeit – das kann kein einzelner Mensch bewältigen. 

    Alleine diese Erkenntnis kann ernüchtern. Weil niemand uns erlösen wird – bloss wir selber, wenn wir uns zusammentun. Wir können also auch keine Verantwortung wegdelegieren. Wir können nicht warten, bis der Erlöser sich erbarmt. Weil das ist bereits die Erzählung der Konservativen Revolution: Der handelnde und zumeist männliche Mann, der ordnet.


  • Meine Beziehungsängste

    Wir altern, wir werden unbeweglicher. Wir werden gewöhnlich auch interessanter. Ich habe vor mehr als fünf Jahren eine unbeschwerte Bedienungsanleitung formuliert. Leider sind Beziehungen umso schwieriger je mehr man durchlitten hat. Die Liste der Belastungsstörungen kann stets ergänzt werden. 

    Fürs hypothetische Szenario einer Partnersuche zwecks Vermählung möchte ich gerne die wichtigsten Belastungsstörungen aufdatieren. Diese sollen einerseits abschrecken, andererseits ein mögliches Zusammenleben begünstigen. Jede Dating-Plattform müsste statt Interessen die Belastungen ausweisen. Das würde das Filtern erleichtert.

    Angst vor Liebesentzug

    Mit dem Liebesentzug soll der Partner gestraft werden. Der Liebesentzug ist sehr generalisiert, meistens äusserst er sich durch Absenz oder Kommunikationssperren. Spieltheoretisch ist der Liebesentzug selten wirkungsvoll, führt bloss zu einer Verloren-Verloren-Situation. Ich kann darauf nie angemessen reagieren. Manchmal flüchte ich in die Liebesdusche; überschütte den Partner deswegen mit Liebe. Oder ich antworte ebenfalls mit Liebesentzug. Beide Varianten sind nicht konstruktiv, ich habe beide getestet und dann folgt sofort die Angst vor Überforderung. 

    Angst vor Kommunikationssperren

    Kommunikationssperren sind eine spezialisierte Form des Liebesentzug. Man schweigt. Man hat bewusst nichts mehr zu sagen. Man teilt nicht mehr. Man lässt gleichzeitig auch nicht mehr teilhaben. In manchen Fällen ist die Kommunikation aufs Funktionale beschränkt. Man kommuniziert lediglich noch das Minimale wie allfällige Einkäufe oder gemeinsame Zwecktermine. Kommunikationssperren überfordern mich. Ich bemühe sodann mich um eine partizipatorischen Kommunikation, dass sie zu beflissen und zu aufgesetzt wirkt. Damit verschlimmere ich aber die Kommunikationssperren, weil meine Anstrengungen zu angestrengt ankommen. Ich kann mich selber auch mehr richtig ernstnehmen. Und so überkommt mich allmählich die Angst vor Überforderung. 

    Angst vor Ablehnung

    Der Vorwurf der allgemeinen Ablehnung ist ein schwerwiegender. Ich fühle mich rasch abgelehnt. Eine Kommunikationssperre oder ein Liebesentzug bestätigen mir, dass ich abgelehnt werde. In dieser Phase der gefühlten Ablehnung suche ich noch mehr Liebe und Anerkennung, die unterschiedlich transportiert werden kann. Was mit einer mittleren Wahrscheinlichkeit funktioniert, ist das Sexuelle. Dadurch kann ich mich wieder anerkannt und geliebt fühlen – allerdings bloss eine leidenschaftliche und authentische Sexualität. Eine meinetwegen erzwungene erhöht das Gefühl der Ablehnung. Dann lieber gar keine – dafür eine aufrichtige Anteilnahme.

    Angst vor Veränderungsdruck

    Ich ändere mich ungern, insbesondere nicht wegen den gutgemeinten Ratschlägen eines Partners. Meistens betreffen sie auch immer dieselben Themen: Ernährung, Körperpflege, Kleidung, Wahl der Freunde, Ferienorte, Zukunftsziele. Vermutlich wollte man mich schon öfters umerziehen oder disziplinieren. Meistens passe ich mich ohnehin automatisch an; die Veränderung ist schleichend und daher nachhaltiger als eine invasive. Ich reagiere gewöhnlich trotzig, zickig, falls man mich bevormunden möchte. Meistens quittiere ich Ratschläge mit der blossen Kenntnisnahme und kommentiere sie nicht wirklich. Ich ignoriere sie lediglich. Deren Wiederholung verstimmt mich, ich fürchte mich dann vor Ablehnung, dass ich nicht akzeptiert bin – dass ich nicht genüge wie ich bereits bin. 

    Angst vor Überforderung

    Ich bin stets herausgefordert und kann nicht einmal alle Baustellen seriös aufzählen, die mich beschäftigen oder meine Aufmerksamkeit verlangen. Ich balanciere auch stets zwischen unterschiedlichen Anspruchsgruppen, die irgendwie besänftigt werden müssen. Das ist nicht bloss beruflich so, sondern auch privat. Ich bin belastbar mit den Summen aller Problemen, die ich bereits zu bewältigen habe. Aber neue, unbekannte oder bislang verborgene Probleme drohen mich zu überfordern. Eine Beziehungskrise ist für mich sofort eine existenzielle Krise. Ich werde dann schlaflos, dadurch noch gehässiger und enttäuschter. Ich werde sofort Entweder-Oder respektive «Alles-oder-nichts». Ich verlange nach Aufmerksamkeit, Anerkennung, nach einem Liebesbeweis – irgendeine Geste, die mich beruhigt. Sie kann auch bloss körperlicher Natur sein; Küssen, Schmusen lösen meine Anspannung unmittelbar. Falls ich mich nicht entkrampfen kann, verkrampfe ich mich umso mehr; ich steigere mich hinein. Meine Augen glühen, ich bin wie blockiert und kann mich selber kaum noch befreien. Ich verfalle zeitweise dem Wahn.

    Angst vor fehlender Anteilnahme

    Anteilnahme bedeutet, dass man sich ein wenig interessiert. Interessiert, was der Partner denkt, fühlt, wie es ihm ergeht, was er so tut, wo er war, wohin er geht. Nicht nur so als ob – sondern aufrichtig. Lieber sich wenig interessieren als gar nicht oder bloss Interesse heucheln. Ich kann nicht gut damit umgehen, falls jemand nicht anteilnimmt, nicht teilnehmen möchte – sondern einfach sich zurückzieht. Fehlende Anteilnahme wiederum provoziert die Angst der Ablehnung. Man fühlt sich nicht ernstgenommen, man fühlt sich auch nicht «wahrgenommen», bishin nicht existent. Ich antworte mit fehlender Anteilnahme für gewöhnlich ebenfalls mit Anteilnahmslosigkeit oder versuche ich zu interessieren – dabei ertappe ich mich selber, dass mein Interesse nicht aufrichtig ist, sondern erzwungen ist als Reaktion auf die fehlende Anteilnahme. Hier kann ich bloss schwer wieder durchbrechen, ich bin auch ganz verkrampft und will unbedingt Anteilnahme signalisieren – womit ich potenziell natürlich jemanden aufschrecke und versteife. 

    Ich bin eigentlich schon recht einfach zu bedienen, gleichzeitig leider auch recht rasch bei diesen Ängsten zu triggern. Aufgrund negativer Erfahrungen bin ich derzeit beschädigt. Mir ist bewusst, dass man nichts stets 100% aufmerksam, anteilnahmevollst, verständlichstvollst, anerkennend und so weiter als Partner sein kann. Mein Kompass ist hier derzeit gestört. Ich weiss, dass manche Menschen halt manchmal auch bloss erschöpft und ermattet sind und dadurch keinen Liebesentzug oder eine Ablehnung aussenden wollen. Manchmal ist alles viel trivialer als man sich vorstellt. Aber manchmal nicht, vor allem nicht, wenn es chronisch ist und ein Dauerzustand, den man irgendwie überdauern muss.


  • Auftauend

    Es ist nicht unbedingt der Krieg, der mich betrübt. Der Krieg dauert. In Rzeszów werden vermutlich Waffen verschoben, alle fünfzehn Minuten solle ein Transportflugzeug landen. Der Flughafen selber ist wie eine Frontstadt gesichert. Gerne würde ich diesem Schauspiel beiwohnen. Ich befürchte, dass die Waffenlieferungen unzureichend und verspätet sind.

    Vielmehr versucht die EU den Weizen zu retten, weil auch abermals eine Nahrungsmittel globalen Ausmasses drohe. Zuerst kommt das Fressen, dann Moral, so will eine Oper uns überliefern. Vermutlich akzentuiert sich das nochmals, sobald wir hier frieren. Momentan ist der Winter aber weit weg; dazwischen liegt ausserdem noch ein Corona-Herbst. 

    Nein, ich will nicht weiter über den Krieg oder den ungünstigen Kriegsverlauf mich beklagen, dass eine Handvoll Panzerhaubitzen noch keinen Krieg entscheiden oder dass die Waffenlager der Demokratien längst nicht geöffnet sind. Diesmal nicht, meine allgemeine Stimmung ist wegen anderen Gründen betrübt.

    Nein, auch nicht die spezifische Ohnmacht bedauert mich, nichts entgegen oder bewirken zu können, stattdessen den Krieg erleben zu müssen wie ein Schauspiel – er ist zwar real existierend, aber dennoch abstrakt, fern und nicht spürbar. Nicht einmal weiblichen Flüchtlingen begegne ich. Auch MS Teams filtert die Sirenen mittlerweile heraus. 

    Ich bin ja bekanntlich ein Glücksritter. Ich bin unruhig, strebsam. Ich fühlte mich vor einigen Jahren wahrhaftig angekommen und aufgehoben. Ich meinte, einer wunderbaren Frau begegnet zu sein. Wir waren losgelöst und liebten uns leidenschaftlich. Alles schien möglich, ich war sehr energiegeladen und futuristisch. Ich war sehr zuversichtlich. 

    Doch diese Beziehung endete tragisch, unglücklich. Sie erkrankte ziemlich früh. Vermutlich war sie seit jeher veranlagt. Eine schwierige Geschichte rechtfertigt ja nicht, erklärt bloss ein wenig. Unsere Beziehung hat sich davon nicht erholt – vielmehr verschlimmert oder manchmal verschlimmbessert. Ich bin ja kein Experte in Beziehungen. 

    Ich bin Täter wie Opfer und Retter in einer Person vereint. Wir haben das perfekte Drama gespielt. Ich habe den ungünstigen Verlauf begünstigt. Doch ich würde mir nicht erlauben, alle Schuld zu schultern für dieses Ende. Natürlich bewirkt man nicht immer das Gute, wenn man Gutes beabsichtigt. Das Gegenüber muss auch empfänglich sein.

    Und sie war keineswegs empfänglich oder kompromissbereit. Vermutlich war sie benebelt von Schuldgefühlen, Psychopharmaka, Alkohol, Kokain und von den Geschichten ihrer Mitmenschen, die sie stets wichtiger nahm als ihre eigene, die deswegen kaum weiter gestaltet werden konnte. 

    So stapelten sich hilflose Sozialisierungsversuche mit Menschen mit deutlich schlechterem Einfluss, angebrochenen Hobbys, stets verzweifelten Gebesserungsgelübnissen – während die Wohnung immer mehr verkam, verpackte Schuhe, luftige Kleidchen und Korrespondenz sich stauten und Lebensmittel verdarben. 

    Ihre Kommunikationsfähigkeiten waren ebenfalls unterentwickelt. Vermutlich waren sie mal besser. Ich kann mich noch so knapp erinnern. Ihre Kommunikation basierte auf Trotz und Schweigen. Bloss wenn sie betrunken war, konnte sie «reden» – doch stets wiederholend und ohne Gedächtnis. Vor allem war es ein betrunkener Monolog. 

    Sie erzählte ihre «Geschichte», die einfach nicht mehr weiterging. Man konnte jeweils ihre Reaktionsfähigkeit mit einem Zwischenruf testen. Kann sie noch empfangen? Kann sie noch auf das Gegenüber eingehen? Sie vermochte nicht. Irgendwann war ich zu abgemüht und abgekämpft. Ich war nicht wirklich traurig, sondern bloss abgestumpft. 

    Traurig bin ich heute, weil ich solange meine Zeit verschwendet habe. Und weil ich wirklich verliebt war. Ich liess mich wohl von einem aufreizenden Körper täuschen und verführen. Vermutlich liess ich mich auch verzaubern von ihren gespielten Unbeschwertheit, die bloss ihre Sinnlosigkeit verdeckt. 

    Ich habe drei Jahre verschwendet. Wenigstens bloss drei Jahre. Von diesen drei Jahren erlebte ich drei Monate Unbeschwertheit. Die Ausbeute ist ziemlich gering. Das einzige, was ich lernte, ist Sachen zu verdrängen und wieder zu programmieren. Die Lernkurve war beinahe negativ – das Verdrängen mittels Programmieren hat mich gerettet. 

    Doch nun erwache ich allmählich. Ich bin nicht mehr so erstarrt und apathisch. Ich kann mir allmählich vergegenwärtigen, was geschah. Ich bin nun wieder zurück, aber beschädigter als vorher. Immerhin bin ich gewachsen an dieser Herausforderung. Ich hätte aber gerne darauf verzichtet. So dringend war diese Leidenserfahrung auch nicht. 

    Meine Schwermut wird voraussichtlich noch einige Monate andauern. Ein baldiger Herbst wird wieder mich frohlocken lassen. Ich werde wie gewohnt in Como spazieren, essen, schlafen und eventuell Flüchtlinge beobachten können. Vermutlich werde ich mich bis dahin hier noch einige Male äussern.


  • Wofür bin ich dankbar?

    Ich habe mich längst mit etlichen Privilegien arriviert. Meine übliche Wohnsituation, die besonderen Umständen derzeit ausgenommen, ist sehr komfortabel. Ich habe alles, was man zum gediegenen Leben benötigt. Gewiss wäre noch Eigentum erstrebenswert, aber das ist mit der jetzigen Einkommenssituation nicht zu finanzieren. Ich habe Tumbler, Abwaschmaschine, eine begehbare Dusche, eine Badewanne, technisch genügend Stauraum, einen grosszügigen und schattigen Balkon mit direktem Blick auf die A2 und Wohnateliers der lokalen Berufskünstler. Das ist alles sehr angenehm. 

    Zudem habe ich eine wunderbare Tochter, die hauptsächlich mich anstrahlt und – obwohl sie spezielle Bedürfnis hat – eigentlich ziemlich bedürfnisarm ist. Sie braucht Aufmerksamkeit, Nähe und ihre Esswaren – fertig. Natürlich erfordert sie Pflege, aber sie ist dankbar und vor allem mit mir gnädig. Man kann sich kaum eine bessere Tochter vorstellen. Natürlich vermisse ich auch das normale Familienleben, aber das ist ohnehin vergebens und bloss eine Illusion der Kinder, dass sowas überhaupt funktioniere und Glück verspreche. Ich kann echt nicht klagen.

    Ich bin sogar sozial einigermassen eingebunden, ich bin Teil einer kleinen Bewegung Oltens. Wir sind unbedeutend und ohne jeglichen sozialen Einfluss. Wir bespassen vor allem uns selber. Das ist okay. Der Zusammenhalt existiert, auch wenn die Exponenten verteilt und persönlich mannigfaltig herausgefordert sind. Wir können uns aufeinander verlassen – lediglich IT-Support bieten wir kaum, weil einige besser mit Computer als mit Menschen umgehen können, vermutlich auch ich. Man könnte in meinem Alter auch bereits vollends vereinsamt sein. Ich bin es nicht. Ein Jugendfreund wohnt sogar ebenfalls in Basel, wir treffen uns sporadisch und unternehmen Gemeinsames.

    Meine Arbeit ist natürlich auch sehr aussergewöhnlich. Ich bin sehr flexibel, auch wenn meine Arbeit kaum planbar ist. Ich weiss selten, was mich morgen erwartet. Ich kann mich bloss einige Minuten vorbereiten. Ich muss stets improvisieren, bin ständig in einem neuen Kontext unterwegs. Ich lerne, zeitgleich vermittle ich Wissen und Erfahrung, ich kann wirklich helfen. Ich befeuere und befreie Organisationen. Ich arbeite auftragsbezogen. Alle Aufträge sind terminiert. Sie sind endlich. Ich kann mich stets notfalls abgrenzen, weil ich ausserhalb des Systems schwirre. Ich bin selten Teil des Problems, sondern ich bin die Lösung. Ich agiere gelegentlich als Diva. Ich regle meine Arbeitszeiten selber. Ich bin nicht auskunftsfähig über mein Feriensaldo. Ich walte mit «Gefühl». Manchmal verstecke ich mich seit Corona im Homeoffice, ich trete bloss virtuell an. Ich sitze in Badehosen in meinem klimatisierten Homeoffice, ich esse Burger mittags, spaziere morgens und abends. Weil ich kann und will. Ich bin gleichzeitig abhängig und unabhängig. Ich weiss, dass die wenigsten Menschen so arbeiten können. Mein Einkommen dabei ist bemessen, wer es nachfragt. Und alles ist legal und ich kann es auch moralisch vertreten. 

    Auch mein Körper und ich sind okay. Mein Körper ist für Burger und Cordon Bleu optimiert, Weissbier verträgt er auch sehr gut. Ich putsche mich mit Redbull und Zigaretten. Vermutlich lebe ich ungesund, ich erhalte die Rechnung dereinst. Aber ich fühle mich nicht wie 37. Ich konnte zwar den Zerfall einer ehemals lebenshungrigen Frau beobachten, die aber sturr und trotzig alle Anzeichen der natürlichen Alterung ignorierte und kaschierte, sofern möglich – dennoch ist mein Zustand trotz körperlichen Schulden einigermassen vertretbar. Ich habe seit einigen Wochen etwas zu bemängeln, mein rechtes Auge zuckt gelegentlich. Ich vermute, dass ich insgeheim sehr gestresst bin, was sich auch in meiner privaten Wohnungssituation zeigt. Ich spekuliere, dass sich das rechte Auge bald beruhigt, als ich endlich meine Wohnung eigen heissen kann. Ansonsten starten Abklärungen, die oftmals Psychosomatisches diagnostizieren. Hierfür kann ich mich dankbar schätzen. Natürlich weiss ich auch um meine «Baustellen»; Rücken, Computer-Hände, mangelnde Bewegung. Eventuell kann ich mit einer aktiven Sexualität einiges kompensieren. Vermutlich nicht, aber sicherlich hinauszögern.

    Ich kann also sehr gut dankbarst sein. Dessen bin ich mir bewusst, auch wenn diese Leiden hier häufig dramatisiert sind. Danke für alles.