Der vorgeschobene Altersroman

Ich las kürzlich Houellebecqs Karte und Gebiet. Da ich meine Serie begonnen habe, möchte ich gerne weiterhin gelesene Bücher hier besprochen. Um einerseits natürlich üben zu können, andererseits um das Gelesene nochmals reflektieren zu dürfen.

Worum geht’s? Ein Anti-Künstler erobert den Kunstmarkt, ohne standesgemäss sich zu vernetzen und zu sozialisieren. Eigensinn halt. Die Kunstmotive sind simpel, dennoch durchschlagend: Die industriellen Produkte und deren Berufe. Darauf konzentriert sich der Künstler in sehr grossen und langatmigen Zyklen. Irgendwann reüssiert er, verdient viel, verdammt viel Geld, das er aber nicht in Nutten und Koks vergeudet.

Der Roman ist sehr «gemütlich». Wirklich gemütlich. Es öffnen sich keine Abgründe. Man muss sich nicht quälen. Die Geschichte ist auch nicht sonderlich «tragisch». Niemand muss langsam sterben oder verhungern. Niemand muss verzweifeln. Niemand ist suizidal. Natürlich sind die Umstände des Künstlers kaum erquickend; die Mutter erhängt, der Vater überarbeitet. Aber dennoch ist’s irgendwie «entspannt».

Der Roman enttäuscht mich, weil er mich nicht aufwühlt. Mir scheint, als ob Houellebecq seinen Altersroman vorgeschoben hätte. Natürlich glückt ihm die Integration seiner eigenen Person, die dann schliesslich als Mordopfer zu beklagen ist. Ein Opfer einer sexuell sehr abgestumpften, aber professionell agierten Verbindung, die Leichen möglichst kunstvoll zerstückelt. Der Tod als ultimatives Kunstwerk; gleichzeitig als sexuelle Lust.

Mir gefiel natürlich die Geschichte des Aufstieges des Künstlers. Ich mag Aufstiegsgeschichten. Und das Schöne ist, dass der Aufstieg nicht endet. Er pausiert bloss. Der Tod des Autors unterbricht diese Geschichte. Plötzlich sind Kriminalbeamte fokussiert. Hier experimentiert Houellebecq. Ich kann nicht referenzieren oder vergleichen; ich weiss nicht, wie ein Kriminalroman ausgestaltet werden muss. Für mich ist’s gut gelungen.

Nachdem Houellebecqs fiktionaler Tod enträtselt ist, kann der Künstler nochmals wirken. Mittlerweile hat der Roman auch die Gegenwart überschritten. Frankreich ist ein Vergnügungspark quasi. Ein Museum. Doch Houellebecq skizziert bloss. Es ist eine sanftmütige, altersmilde Gesellschaftskritik. Keine ultimative «Abrechnung» wie bereits in Die Möglichkeit einer Insel.

Vermutlich hat Houellebecq bereits alles gesagt, was er sagen musste. Er hat sich ausgedrückt und krönt sein Lebenswerk mit einem kombinierten Künstler- sowie Kriminalroman, dessen Hauptopfer er selber verkörpert. Damit kann er sich von seiner eigenen, realen Person distanzieren. Er lässt offen, ob seine reale Geschichte sich fortsetzen mag oder nicht. Das ist irgendwie «nicht schlecht». Kein cliffhanger.

Mit diesem Buch schliesse meine Houellebecq-Phase. Ich muss anerkennen, dass R. in der Ferne Recht behielt. Das Buch ist wirklich aufmunternd und entspannend. Es ist wohl Zufall, dass mit dem Abschluss des Buches meine allgemeine Lebenssituation ebenfalls bessert.


Eine Antwort zu «Der vorgeschobene Altersroman»

  1. […] guten Leben erzählen können. Ob ich jemals übers gute Leben schreiben kann? In bekannt gütiger Altersmilde? Heute jedenfalls nicht, denn das Schreiben soll mich bloss befreien, besänftigen und trösten. […]

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