Month Oktober 2016

Wie gefällt der Blog?

Ich weiss, dass meine Freunde und Kollegen diesen Blog lesen. Ich könnte jeden einzelnen von euch personalisieren, tracken und eure Klickverhalten analysieren. Ich habe die Werkzeuge und das Wissen dazu. Ich könnte. Ich könnte euch mit einer Email in meine Falle locken. Wenn ihr klickt, dann kann ich bereits erhobene Bewegungsprofile mit einer realen Person verknüpfen.

Aber ja, ich könnte, aber das würde nichts aussagen, ob der Blog euch gefällt. Primär schreibe ich für mich; ganz egoistisch. Ich betreibe Selbsthilfe im Internetz, das ist der Untertitel des Blogs. Die Motivation ist, das Antibürgerliche und Bürgerliche miteinander zu verheiraten. Ich schildere, ich berichte von diesem grossen Konflikt. Ich reflektiere gelegentlich, fordere und/oder erzähle.

Ein Feedback, das mir kürzlich zugetragen wurde, heisst, ich schwanke, ich streue. Die Qualität ist nicht konstant; ebenso die Themen nicht. Ein anderes, jüngst mitgeteiltes Feedback besagt, ich sei zu wenig reflektiv, zu fordernd und zu forsch. Ich würde meine Person bloss überhöhen und mich hier möglichst günstig darstellen. Ich selber bin betriebsblind geworden. Ich schreibe bloss.

Ich kann also nicht mehr ehrlich, objektiv oder besonnen beurteilen, ob dieser Blog einigermassen inspirieren könnte. Ich unterhalte weniger; ich erzähle viele Geschichten und Einsichten. Ich informiere euch nicht, wir haben kaum Tagespolitisches oder grosse Analysen. Ich verblogge meine Befindlichkeiten; meine Sorgen und Ängste. Die mögen bloss jene interessieren, die mich kennen.

Ihr könnt anonyme Kommentare hinterlassen.

Die geregelte Arbeit

Die Arbeit regelt das Leben. Umso wichtiger ist also eine geregelte Arbeit. Eine Arbeit strukturiert den Alltag. Ohne Alltag wäre ich längst versoffen. Ich würde in Oltens Gassen versumpfen; unter der Alten Brücke hausen, rasierte und geduschte Passanten anbetteln. Die geregelte Arbeit erleichtert mir das Leben.

Bald verliere ich meine geregelte Arbeit. Ich will sie gegen das Abenteuer Selbständigkeit eintauschen. Ich habe meinen Entschluss bestärkt, bekräftigt. Im Business Alltag kommuniziere ich neuerdings, dass man sehr wahrscheinlich mich im nächsten Jahr als Unternehmer betiteln darf.

Auch selbständig werde ich weiterhin arbeiten. Die Arbeit ordnet weiterhin mein Leben. Hier ändert sich nichts, vorläufig nichts. Als ich noch keine geregelte Arbeit hatte, musste ich mich selber orientieren. Niemand hat mich morgens irgendwo erwartet. Niemand hat meine Leistung gewürdigt oder eingefordert. Ich existierte; fern und abseits und unbemerkt.

Ich musste mich selber motivieren. Heute tröstet, dass ich Ende Monats einen anständigen Batzen ausbezahlt erhalte. Damals hatte ich kein Geld; ich war stets blank. Aber ich hatte mir einen Alltag irgendwie auferlegt. Ich weckte mich freiwillig bis allerspätestens um 09:00 Uhr. Ich las danach den Perlentaucher. Und schrieb.

Ich schrieb meistens bis ungefähr bis 11:00. Danach wusch ich mich. Weil ich musste einkaufen. Ich konnte bloss frisiert Oltens Gassen betreten. Ungeduscht, ungekämmt konnte man mich nicht herauslocken. Dieser kleine Zwang hege ich heute noch, aber ich toleriere mittlerweile auch Abweichungen und Ausnahmen.

Mittags ass ich immer dasselbe. Entweder kochte ich mir Teigwaren mit Fertigsaucen. Oder ich verschlang ein Fertigsandwich ausm nahen Discounter. Meine Nahrung war funktionalisiert. Ich wollte nicht geniessen, feinschmecken oder kosten. Ich wollte einfach überleben, weil funktionieren. Meine Nahrung war rasch verzehrt.

Anschliessend gönnte ich mir einen Mittagsschlaf. Ich lag im Bett und las meine Bücher weiter. Bis ich plötzlich eindöste und schnarchte. Ich programmierten meinen Linux-basierten Musikwecker allerdings. Dieser begrenzte meinen Mittagsschlaf; sonst hätte ich wohl den Tag verpennt. Man muss sich also bloss disziplinieren.

Nachmittags schrieb ich wieder. Ich las und schrieb. Was ich damals schrieb, kann ich heute aber nicht mehr lesen. Ich habe mich mittlerweile sehr entfremdet. Ich bin altersmilder, versöhnlicher und ausgeglichener worden. Ich war damals sehr radikalisiert. Ich verachtete die Privatwirtschaft, die geregelte Arbeit und alle die netten Nebeneffekte davon.

Und heute? Ich verfluche die Arbeit nicht. Ich freue mich wie alle anderen aufs wiederkehrende Wochenende. Auf diese kurze Zeit, die einen erlöst und entspannt. Ich möchte mein Geld verschleudern. Ich möchte nicht dauernd philosophisch mich erinnern, dass die Mehrheit der Menschheit hungert.

Ich bin heute angepasster, geregelter. Ich muss niemanden mehr beunruhigen. Schliesslich arbeite ich. Denn ich muss mich morgens ausm Haus zehren. Ich pendle. Ich muss in einem Büro sitzen, dort beraten und so. Abends darf ich heimkehren. Das Leben schenkt mir einen Feierabend; einige Stunden der totalen Selbstbezüglichkeit.

Ich muss weder philosophieren noch debattieren. Meine geregelte Arbeit entschuldigt mich. Sie legitimiert alles, auch dass ich bloss konsumiere. Deswegen schmäht mich niemand. Die Gesellschaft schätzt mich als Steuerzahler, als verschwenderischen Konsumenten. Als Produktivitätsbeschleuniger. Man respektiert mich.

Aber das befriedigt mich nicht. Weil ich weiss, wie rasch diese Anerkennung wegbrechen, sich verflüchtigen kann. Es hängt bloss davon ab, ob ich eine geregelte Arbeit habe oder nicht. Das verstimmt mich gelegentlich. Ich bedauere, dass die Gesellschaft mich bloss wegen meiner geregelten Arbeit wahrnimmt und würdigt.

Ja, die geregelte Arbeit. Derzeit schätze ich meinen gedämpften Arbeitsrhythmus. Ich arbeite minimalistisch. Ich bilde mich kaum beruflich fort. Ich investiere nichts. Weil ich einen nahenden Sturm erwarte. Denn bald überbeansprucht meine Arbeit mich wieder. Sie bannt meine gesamte Energie und Aufmerksamkeit.

Und zwar ziemlich bald. In wenigen Monaten muss ich mein Schreibpensum reduzieren. Ich muss stattdessen mich einlesen, mich vorbereiten und mich selber vermarkten. Ich wühle wieder an diesen Fachtagungen, ich fresse mich durch Apéros. Ich setze mein beinahe vergessenes Studium an der business school fort.

Bis dahin werde ich hier gewiss noch berichten, Erwartungsmanagement betreiben.

Die schnelle Liebe

Ich habe jüngst gefordert, wir sollen uns verlieben und uns nicht fürchten oder selber ausbremsen. Heute möchte ich nachdoppeln, meine Forderungen radikalisieren. Ich werde heute die schnelle Liebe konzipieren für unsere liebeshungrigen Seelen in den grossen Städten der westlichen Hemisphäre.

Wenn wir sie suchen, finden wir sie nicht. Wir werden stattdessen gefunden. Gewiss erinnert der Spruch ans kindliche Meine-Freunde-Buch. Der Spruch könnte ebensogut eine Klowand einer mittleren Mittelschule zieren. Das sind Allgemeinplätze, die jedermann überquert. Aber daher irgendwann nicht mehr wahrnimmt und entsprechend würdigt.

Das Rezept der schnellen Liebe ist, dass man sich sofort verliebt. Man soll keine Optionen abwarten. Man soll keine Eventualitäten prüfen. Man soll nicht testen, ob der künftige Partner auch in diesem oder jenem Szenario sich eigne oder gut, den Anforderungen entsprechend darstelle.

Man sollte stattdessen sich in die Liebe stürzen. Idealerweise bereits in wenigen Wochen zusammenziehen. Tatsachen schaffen. Hier darf man nicht zögern, eine fixe Frist abwarten. Das vergeudet bloss Lebenszeit, welche die grauen Männer sofort verrauchen. Das ist in meiner Branche waste. Man muss handeln.

Denn man muss die Liebe bezirzen und notfalls überrennen. Bloss so prüft man und bloss so reift eine Liebe. Man soll nicht zögern oder Entscheidungen vertagen. Man soll heute und hier und jetzt lieben. Man soll die Komödie der Unabhängigkeit nicht spielen. Man soll reintreten, man soll experimentieren.

Denn man wird früh genug erkennen und spüren, ob eine Liebe funktioniert oder nicht. Ob man ein Verliebtsein konservieren und vor allem konvertieren kann. Konvertieren kann in eine Partnerschaft, in eine Teambildung. In eine Gemeinsamkeit. Man soll gemeinsame Ziele träumen. Man soll gemeinsam verreisen.

Man darf gerne voneinander abhängen. Man soll das persönliche Glück beeinflussen lassen. Nicht ausschliesslich, aber gewiss hauptsächlich. Man soll nicht verurteilen, wenn man glückt und behaglich sich fühlt, wenn man zusammen ist. Man muss sich bloss beeilen, weil ansonsten verflüchtigt sich die Liebe.

Also liebt so, als würdet ihr das letzte Mal lieben. Fürchtet keine Enttäuschung, sondern geniesst den Gewinn der momentanen Liebe. Ob die Liebe verschwindet oder sich selber erhält, kann man bloss mit Liebe, mit ehrlicher und warmer Liebe herausfinden. Man soll sich nicht auf Annahmen stützen, sondern drauflos lieben. Schneller bitte. Danke.

Der Sumpf Oltens

Ich stampfe im Sumpf, gewiss. Ich stamme aus Olten, diese beschauliche Kleinstadt, die momentan literarisch bescheint ist. Olten verkleinert mein Potential, weil Olten meinen Benchmark verfälscht. Weil ich mich nicht wirklich messen und vergleichen kann. Solange ich in Olten hause, werde niemals wissen können, ob ich wirklich so gut, so einzigartig und so unvergleichbar bin wie ich mich manchmal fühle.

Ich brauche Konkurrenz. Nicht alle Männer wollen nach Olten konkurrieren, nicht alle tummeln sich im Coq d’or. Darüber schrieb ich bereits jüngst einen Beitrag. Das Thema beschäftigt mich dermassen, dass ich mich heute wiederholen möchte. Ich muss ausbrechen und hinaustreten. Ich muss mich messen und vergleichen können. Ich muss meine Wettbewerbsfähigkeit stählern können.

Olten ist vermessen. Unsere Kleinstadt beherbergt einige Grüppchen. Wir zählen etliche Randständigen, die mir gut vertraut sind. Ich erhalte dort gewissen Strassenkredit. Das tröstet, wenn in den grossen Städten die dortigen Randständigen mich beglotzen-beargwöhnen. Wir besitzen in Olten auch eine kleine Yuppie-Szene. Diese ist aber nicht spektakulär; man arbeitet in den grossen Städten.

Manche verdingen sich als Anwälte, andere als Wirtschaftsprüfer, einige als Ärzte, andere als App-Entwickler. Ich kann sie alle namentlich erwähnen, ich teilte Schule oder Frauen. Sporadisch auch eine wilde Nacht Oltens, wo wir uns gegenseitig befeuerten. Sie waren zu keinem Zeitpunkt klüger als ich. Sie werden mich auch nicht überholen können, obgleich ich viel mehr mich verausgabt-verschwendet habe.

Daneben haben wir noch eine Kunstszene. R. und S. komponieren Stücke. K. schreibt. R. ist nach Bern ausgewandert; bewährt dort sich als Aktions- und Performancekünstler. Der gestalterische Künstler L. inspirierte kürzlich mich. K. und S. sprachwitzeln, ziemlich erfolgreich mittlerweile, vor allem K. Und ja, D. schauspielert, ebenfalls sehenswert. S. illustriert Wissenschaft. Diese Herren haben mich kunstmässig getoppt.

Ich kann weder musizieren, schauspielern noch sprachwitzeln. Ich kann ein wenig über meine Befindlichkeit bloggen, für das privat geweihte Publikum. Ich kenne auch die Jungpolitiker oder politisch Engagierten. So arbeitet J. beispielsweise bei der UNO, C. amtet als Kantonsrat im fernen Solothurn. S. hat sich im Gemeindeparlament verewigt. Sie streuen von der Jungen Alternative bishin zur dumpfen SVP.

Das war’s. Ich rivalisiere bloss mit den gleichaltrigen Männern. Da ich aber nicht mehr beanspruche, in allen Disziplinen zu dominieren, habe ich meine Energie fokussiert. In meinem Berufssprache nennt man das Vorgehen crossing the chasm. Ich muss einen Graben überwinden, um zu reüssieren. Ich kann irgendwie reüssieren, es ist gleichgültig mit welchem Produkt. Wichtig ist, dass ich reüssiere, impact und reach schaffe.

Sobald ich einmal reüssiert habe, kann ich meine Tätigkeitsfelder ausweiten. Derzeit plane ich beruflich zu reüssieren. Danach investiere ich in Kunst. Ich möchte mit der Politik abschliessen. Um daraufhin mich zurückziehen zu können. Dieser grosse Plan unterscheidet mich. Diese grossen Ziele sind auszeichnend, weil kennzeichnend. Sie motorisieren mein Leben.

Der Sumpf Oltens orientiert mich. Er vergewissert mir, dass ich mich und alle anderen Gleichaltrigen übertreffen kann. Er bewahrt mich vor Depressionen, wenn ich gelegentlich und im Kleinen scheitere. Aber er redimensioniert zugleich meine Ziele. Vermutlich sind weitaus grössere Ziele möglich. Aber niemand hat mich angespornt, niemand provoziert mich. Niemand kitzelt mich. Niemand hat mich herausgefordert.

Ich quäle mich stets, ob mehr möglich sei. Ich hungere nach Leben. Ich bin entfesselt. Könnte ich noch mehr erzielen? Könnte ich noch mehr Gewinne heimbringen? Olten beengt meine Fantasie. Olten beschränkt aber auch meinen Grössenwahn. Wenn wirklich everything goes, was dann? Was würde eine grosse Weltstadt mit und in mir auslösen? Würde ich umherfransen, ausfransen, mich verzetteln und verlieren?

Ich will es aber irgendwann genauer wissen.

Das Sexdate

Du magst es explizit? Dann verabrede dich zum Sexdate! Du magst nicht lange diskutieren, von deinem Tag berichten, sondern willst die Frau einfach bloss stossen und besamen? Dann verabrede dich zum Sexdate! Du willst die Zeit zwischen der Begrüssung und dem Vorspiel verkürzen? Du willst nicht lange palavern und schönreden? Dann verabrede dich zum Sexdate! Du willst dich mehr fühlen, du willst intensiver fühlen? Du willst deine und ihre Erektion spüren? Dann verabrede dich zum Sexdate! Du willst manchmal auch sehr explizit gebraucht werden, du willst manchmal jemanden explizit gebrauchen; du willst Sexobjekt sein und über dein Sexobjekt walten? Dann verabrede dich zum Sexdate! Du willst schmutziger sein als du bist, du willst dich mal austoben, aber stets kontrollieren? Dann verabrede dich zum Sexdate! Du willst überdrehen, überreizen und überspannen, du willst deine Rolle spielen und deine Grenzen testen? Dann verabrede dich zum Sexdate!

Meine mangelnde Mobilität

Die Schweiz beschränkt meine Mobilität. Weil sie so kleinräumig ist. Wer in Olten lebt, kann in diversen Lebenswirklichkeiten sich verwirklichen. Ich kann problemlos in Zürich arbeiten, in Bern feiern und in Basel lieben. Und ich kann gleichzeitig in Olten eine secure base festigen, wo ich mich zurückziehen kann.

Ich muss mich nicht total entscheiden, entweder einem Beruf oder einer Liebe oder einem Studium bedingungslos zu folgen. Ich kann alle Ziele gleichzeitig vom selben Ort erfüllen. Ich kann mich gleichzeitig in unterschiedlichsten Kreisen bewegen und interagieren. Ich kann diese Kreise wie bei G+ sogar überschneiden lassen.

Das hat Vorteile. Das macht mich multifunktionaler, multipotentialer. Das macht mich flexibler und anpassungsfähiger. Das macht mich agiler. Agiler leben. Aber das hat auch Nachteile. Ich werde weniger mit dem Unbekannten konfrontiert. Ich war noch nie herausgefordert, ein komplett neues Leben in einer komplett fremden Stadt zu etablieren.

Weil ich muss mich weniger behaupten, weil ich alle Lebenswirklichkeiten jederzeit konsumieren kann. In Deutschland hingegen schwärmt die Jugend nach dem Abitur quer durchs Land. Und rotiert nochmals für den ersten Beruf. Die Menschen konsolidieren sich in den gross-attraktiven Zentren.

In der putzigen Schweiz allerdings können Bekannte in Zürich wohnen und sind weiterhin gute Bekannte, weil stets zugänglich und erreichbar. Vor allem und insbesondere aus einer privilegierten Oltner Perspektive. Niemand ist gezwungen, einen komplett neuen Bekanntenkreis zu schaffen.

Was verursacht diese mangelnde Mobilität in und mit mir? Sie versprüht eine gewisse Gemütlichkeit und Entspanntheit. Sie beruhigt mich. Sie stabilisiert meine Beziehungen. Sie hemmt meinen Reisedrang. Aber gleichzeitig verringert sie meine Wettbewerbsfähigkeit. Weil trotz all dem ich weiterhin in Olten mich konzentriere.

Und hier habe ich meinen lokalen Benchmark. Der kann den Effekt meines bedingungslosen Aufstiegswillens schmälern, weil ich mich bloss mit einem kleinen Ausschnitt der Welt und des Möglichen vergleichen kann. Statt dass ich mich mit die volle Härte der Potentiale aller Gleichartigen auseinandersetzen müsste.

Mein Aufstiegswille

Ich bin ein Hochstapler. Ich will aufsteigen. Ich will reüssieren. Ich habe einen Benchmark, den ich übertreffen möchte. Ich vergleiche mich mitm Umfeld, mit meiner Herkunft. Allerdings bin ich begrenzt. Ich kann höchstens wirtschaftlich mich durchsetzen. Denn die Jahrzehnte in der Privatwirtschaft haben mir bildungstechnisch mehr geschadet als alle meine Exzesse.

Ich kann hier niemals mehr mit Gleichaltrigen konkurrieren, welche in den letzten Jahren ihre Studien vertiefen und ausweiten konnten. Ich kann aber hochstapeln. Ich kann so tun als ob. Das ist erwiesenermassen auch mein Beruf. Wir ironisieren das Konzept intern als “SABTA”, als sicheres Auftreten bei totaler Ahnungslosigkeit. Aber mit bitterem Ernst. Für diese Scheinsicherheit werden wir bezahlt.

Das bricht jedoch nicht meinen Willen. Ich kann mich dennoch irgendwann als sündigen und halbgebildeten Dandy verwirklichen. Natürlich kann man mich jederzeit enttarnen. Aber wer mich kennt, weiss, dass mich das nicht stört. Im Gegenteil, das befeuert mich. Das verkläre ich dann zum Gesamtkunstwerk, zum Drama meiner Existenz. Wer auch immer darüber richten mag, Gott gewiss nicht. Und das wiederum beruhigt mich.

Das lesenswerte Avenue Salon hat mich hierzu inspiriert. Um weitere Pingbacks zu vermeiden, möchte ich den Artikel nicht direkt zitieren. Schliesslich sind wir hier eine geschlossene Leserschaft. Der Titel lautet “Der Kleinbürger als Hochstapler”, fürs Protokoll zu empfehlen. 

Der Stadt-Land-Graben

Die Stadt existiert genauso wie das Land. Die Landbevölkerung allerdings lebt in zweier Lebenswirklichkeiten. Einerseits das verklärte Leben aufm Lande, andererseits das emsige Wirtschaften in der grossen Stadt. Sie pendeln wortwörtlich und im doppelten Sinne, weil wanken zwischen Lebenswirklichkeiten, die beide wirklich und real sind und schliesslich ihr Leben bilden.

Man kann argumentieren, dass die Agglomeration die Bedürfnisse der Stadt unterminiere. Dass die Agglomeration die Stadt verhindere. Dass die Agglomeration die Entfaltung und Selbstverwirklichung der Stadt bremse. Man kann. Ich widerspreche nicht einmal. Ich möchte aber die Städte nicht unnötig stärken. Ich möchte auch keine urbane Linke beschwören.

Grundsätzlich bin ich bekanntlich apolitisch. Ich interessiere mich für Grundeinkommen, EU-Beitritt und NATO-Beitritt. Punkt, das sind meine Themen. Tagespolitik beschäftigt mich nicht. Ich bedauere nicht Abstimmungsergebnisse. Die träge und konservative Agglomeration stört mich nicht. Die bloss sich zurückzieht und abschottet, aber lustigerweise gleichzeitig in der Stadt arbeitet und dort sich verwirklicht.

Unsere Probleme sind ohnehin hausgemacht. Der Schweizer und neuerdings die Schweizerin dürfen respektive müssen politisch sich engagieren. Andere Willensnationen können zentralistischer und gebannter regiert werden. Sie können ein radikalisiertes Fünfjahresprogramm durchsetzen. Sie können mit blossem Willen Autobahnen bauen, Menschen umsiedeln, Städte planmässig errichten.

Die Schweiz dagegen ist putzig. Wir sind keine Nation, die den Weltgeist formt. Wir können bloss profitieren, achten hier und dort einige Kunden. Ich erwarte nicht, dass wir die Lebenswirklichkeiten der Menschheit gestalten. Vielmehr haben wir uns hier gemütlich eingerichtet. Allein Deutschland ist derber, härter und hat wesentlich mehr Einfluss. Deutschland bewegt. Die Schweiz dagegen sucht das persönliche und private Glück.

Unser politischer Stadt-Land-Graben muss uns also nicht beunruhigen. Unser politisches System schützt uns vor Aktionismus wie Visionen. Wir werden niemals das System komplett reformieren oder zertrümmern. Die Agglomeration wird niemals die Stadt verwüsten. Die Stadt kann sich niemals ausm Abstimmungsjoch der Agglomeration befreien. Wir werden koexistieren müssen. Wir werden beide Lebenswirklichkeiten bestätigen müssen.

Wieso trinke ich?

Der Alkohol tröstet die Menschheit seit mehr als viertausend Jahren. Alkohol tröstet mich erst seit 16 Jahren. Zudem pausierte ich zwei Jahre lang; von 18 bis 20. Ich hatte als Jugendlicher Alkohol missbraucht. Daher wollte ich bremsen. Ich trinke also seit 14 Jahren. Ich möchte meinen Konsum heute reflektieren.

Alkohol euphorisiert mich. Ich kann mit Alkohol mich beschleunigen. Als 17-Jähriger konnte ich alkoholisiert Treppen herunterpurzeln. Ich konnte nächtelang feiern, ohne einen Atomkater erleiden zu müssen. Alkohol verwandelt mich in ein unaufhaltsames, manisches, hyperaktives Reizwesen. Ich kann mit Alkohol leichter interagieren. Ich bin enthemmter, ich bin redseliger.

Allerdings verringert Alkohol mein normalerweise solides Benehmen. Ich möchte noch mehr provozieren, auffallen, negative Aufmerksamkeit saugen. Ich werde noch ungestümer, unberechenbarer als bereits nüchtern. Das kann Sozialkapital vernichten und schadet meiner allgemeinen Reputation. Ich laufe dann sozial Amok, zielstrebig und im vollen Bewusstsein.

Alkohol befeuert meinen latent selbstzerstörerischen Todestrieb. Die grosse Sehnsucht, mein Leben zu ruinieren, mein Leben zu beenden. Alles hinzuschmeissen, alles aufzugeben, einfach alles niederzuschmettern, alles zusammenbrechen zu sehen. Das ist der ultimative Hirnfick, ein Rausch. Der Seiltanz, die Gratwanderung. Das grosse Motiv dieses Blogs notabene.

Alkohol ist in dieser Hinsicht ambivalent. Alkohol bejaht einerseits das Leben. Andererseits verneint der Alkohol das Leben. Ich reagiere Sowohl-Als-Auch und nicht eindeutig. Das verkompliziert einen und meinen normalen Umgang mit Alkohol. Wenn ich trinke, dann überspanne ich mein Glück. Ich trinke solange, bis ich nicht mehr kann. Ich muss zwar nicht erbrechen, aber ich will meine Grenzen testen. Dann erfrische ich mich mit Wasser.

Mittlerweile habe ich mich gebessert. Früher konnte ich nicht einfach “eins ziehen”. Früher veranstalteten wir sogenannte futuristische Massakerabende. Diese konnten täglich sich ereignen, ohne jegliche Vorwarnzeit. Wir verendeten stets dämmernd, lallend und in grössten finanziellen, sozialen und/oder allgemeinen Trümmern. Die fotografische Beweislage kann einen zuweilen erdrücken.

Ich will den Rausch nicht verherrlichen oder romantisieren. Alkohol ist aber nicht grundlos erfunden respektive zufällig entdeckt worden. Der Mensch möchte sich stets überwinden. Der Mensch möchte vergessen oder sich befeuern. Alkohol ist ein Ersatzmittel, der grosse Trost der Menschheit. Es ist die Volksdroge, es ist unser Soma. Wir anerkennen das, wir respektieren die kulturelle Leistung des Alkohols. Aber sorgen uns gleichzeitig.

Nicht bloss mein Umgang mit Alkohol ist ambivalent. Das ist ein universaler, weil grosser Verblendungszusammenhang, um den Klassiker zu strapazieren. Wir verleugnen die alkoholisierte Realität. Und alkoholisieren uns deswegen umso mehr. Und ich projiziere das aufgrund meines normalen Grössenwahns auf mich selber und möchte damit mich rechtfertigen, erklären oder was auch immer. Oder mich mindestens ergründen.

Doch ich möchte zurückkehren und kundgeben, wieso ich trinke. Ich lebe gut. Ich habe keine Traumata zu ertränken. Bloss das Weltgeschehen betrübt mich. Oder wenn ich fernsehe, dadurch mit der Realität konfrontiert werde. Ich lebe also gut. Ich bin glücklich. Gewiss giere ich nach mehr von allem und von allem mehr. Aber technisch müsste ich mich nicht beschwipsen. Mein Leben bewegt mich zu sehr. Ich erlebe und liebe.

Also wieso muss ich trinken? Ich beklage schliesslich keine Depression. Ich fürchte weder Zukunft noch Vergangenheit. Ich scheue nicht die Tat oder eine Entscheidung. Ich widerspreche allen Klischees eines trübseligen, weltschmerzenden Alkoholikers; eines Intellektuellen irgendwo zwischen A1 und A2, eingefroren und zeitlos im Nebel auf verlorenem Posten harrend, flehend den Untergang erwartend, ohne Ablösung oder Aussicht.

Nein, das bin nicht ich. Ich bin stattdessen im Leben verwuschelt, ich bin stattdessen drängend und sehnend. Ich bin motiviert und übereifrig. Ich müsste mich nicht sedieren, abstumpfen oder sonstwie quälen. Ich müsste nicht. Aber ich liebe das kantige, extreme Leben; living on the edge. Weil ich das Mediokre verabscheue. Und hier polarisiert mich Alkohol. Hier öffnet mich Alkohol.

Denn mit Alkohol kann ich einen Ausbruch dosieren. Mit Alkohol strukturiere ich meinen Ausbruch. Es ist mein Eskapismus. Ich bin täglich angepasst, ich bin täglich eingespannt. Ich marschiere täglich im Gleichschritt. Ich verstecke mich im Herzen des Kapitalismus’. Ich agilisiere Unternehmen, ich automatisiere Prozesse, ich rationalisiere und spare Kosten. Ich steigere die Produktivität unserer Volkswirtschaft. Und ich kann’s verdammt gut.

Mein Beruf finanziert mich. Meine Leidenschaft investiere ich ins Private. Aber halt manchmal muss ich mich verausgaben. Ich zimmere mit Alkohol meine Umgebung; nur für Verrückte, nur für Entschlossene. Ich mag alle Menschen, die solche Augenblicke mit mir teilen. Sei es die R, sei es der R. und nochmals R. Sei es S. und O. Sei es schliesslich gewissermassen auch der M. wie der S.

Ich möchte, dass man mich begleitet. Ich wünsche mir einen kontrollierten Kontrollverlust, eine ordentliche Unordnung, ein planmässiges Chaos. Ich wünsche mir eine rationalisierte Irrationalität. Aber ich möchte stets in der Spur bleiben; Leitplanken achten und mich stets orientieren können. Ich möchte auch stets bremsen, umkehren, heimkehren können. Ich möchte mein Rückfahrticket behalten.

In der Zwischenzeit

Ich fühle mich wie vor einer Schlacht. Es ist die berühmte Ruhe vorm Sturm. Diese Zwischenzeit. Diese Zwanziger. Es ist wild, etwas entsteht, etwas wächst. Manches offensichtlich, anderes verborgen. Diese Zeit lockt Grenzgänger, Zwischenwesen. Sie verführt mich. Ich möchte mein Gefühl nicht verallgemeinern. Aber ich ahne, dass manche mitfühlen, manche ebenso in einer Zwischenzeit sich wähnen. Ein ereignisreicher, gleichwohl ereignisloser Abschnitt zwischen zweier Lebenszeitpunkten, wovon man weder der erste noch der zweite lokalisieren kann.

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