• Wie alleine muss man sein?

    Letztlich stirbt jeder alleine. Die Welt betritt man noch durch Mutters Schoss. Die Welt verlässt man auf-sich-alleine-gestellt. Und auch zeitlebens ist man alleine, wenn die Not am grössten ist.

    War ich jemals alleine, auf mich selber gestellt? Total zurückgelassen geworden? Durfte ich jemals erfahren, was es bedeutet, niemanden und nichts zu haben? Bloss alleine zu sein? Oder stürze, flüchte ich mich in Bekanntschaften, Liebschaften, in Gefühle oder in Arbeit? Ich bin hier Sowohl-Als-Auch.

    Das Auf-Sich-Selbst-Zurückgeworfen-Sein

    Die Moderne zwingt einen, und mich besonders als ihr bester «Prototyp», sich pur und total zu individualisieren. Hier anders, dort anders, hier sich abgrenzen, dort sich abheben. Hier die eigene Bedürfnisse stillen, dort andere für eigene Interessen einspannen. Doch diese Individualisierung empfinde ich nicht bloss materiell und im Dschungel der Privatwirtschaft. Vielmehr empfinde ich diese Individualisierung auch geistig und im Sinne der Lebensphilosophie-Weltanschauung. Wir sind alle verloren, wieso nicht, wer wir sind und wieso wir hier sind. Wir können fundamentale Fragen nicht zweifelsfrei beantworten.

    Das Experiment

    Vor geraumer Zeit durfte ich erleben, was es bedeutet, total auf sich selber zurückgeworfen-zurückgefallen zu sein. Geistig wie materiell. Ich war physisch und psychisch alleine. Ich hatte kein Geld. Ich irrte durch Deutschland. Im Dschungel Afrikas, in der Steppe Asiens, wohl überall könnte man mit einem Dollar, mit einem Euro pro Tag überleben. In der westlichen Zivilisation stirbt man aber. Ein Dollar, ein Euro genügen nie. Sie entwürdigen. Sie vernichten dich. Sie beschämen dich. Du bist total ausgeliefert. Du bist keine Existenz mehr. Du bist Abfall. Und du bist alleine. So alleine. Die Menschen scheuen deinen Anblick. Sie ignorieren dich. Sie verachten dich, sie stigmatisieren dich, sie pathologisieren dich. Du bist selber schuld.

    Du lungerst alleine durch teuerste Passagen. Du bettelst, du gestaltest Plakate. Doch dir ist nichts vergönnt. Du weisst nicht, wo und wie du schlafen wirst. Du weisst bloss, du wirst alleine irgendwo-irgendwie nächtigen müssen. Du löst immerhin Probleme seriell; zuerst kommt das Essen, dann der Schlaf.

    Die ewige Einsamkeit

    Das alles ist längst vorbei. Mich tröstete damals, dass ich das Experiment jederzeit abbrechen konnte. Schliesslich habe ich es auch vorzeitig abgebrochen. Ich habe gestoppt. Ich konnte irgendwann nicht mehr. Ich war zerfetzt, ich war gebrochen. Ich war zerstört. Ich war nicht ansehnlich. Diese Einsamkeit aber wurde ich nicht los. Ich war seitdem mehr als vorher einsam. Ich wusste, dass in Zeiten grosser Not ich alleine sein werde. Aber auch in Zeiten grossen Glückes ich niemanden hatte, der es mit mir teilen konnte oder es zu würdigen verstand.

    Ich hatte mich damit abgefunden, ich war resigniert. Ich war zeitlebens in Beziehungen, aber fühlte mich gleichzeitig einsam und unverstanden. Ich fühlte mich zuweilen ausgegrenzt und verachtet. Auch entfremdete ich mich immer mehr von meinem Umfeld; ich bin zu zynisch und zu abgeklärt geworden. Irgendwann rettete mich die Berufsarbeit. Doch das linderte nicht meine tiefe Einsamkeit. Das tröstete mich bloss. Berufsarbeit schenkt Aufmerksamkeit, Anerkennung und gewisse Würde. Und sie löhnt einen mehr oder weniger angemessen. Das kann das Leben versüssen. Drogen tun das Ihrige. Sie säuseln, versprechen Eskapismus.

    Das private Glück

    Ich idealisiere, romantisiere keine Einsamkeit. Ich bin mir der Einsamkeit bewusst und gewahr. Ich verteufle sie nicht, ich praktiziere sie. Aber Einsamkeit verneint mir nicht Geselligkeit oder eine Beziehung. Einsamkeit kann man denn auch teilen. Mit Teilen meine ich nicht, man solle Einsamkeit lindern, sich gegen die Einsamkeit verschwören. Mit Teilen meine ich, man solle gemeinsam sich bewusstmachen, dass man prinzipiell und letztlich immer einsam ist und auch bleibt. Das, auch wenn man sich noch so anstrengt. Einsamkeit ist eine Zivilisationskrankheit, verursacht durch gefühlte Entwurzelung, niedergerungene Religionen und das Fernbleiben grosser Ideen und Geschichten, verstärkt durch die totale Ökonomisierung aller Lebensbereichen und den ewigen Konkurrenzkampf aller Akteuren.

    Wahr ist, dass ich mich in letzter Zeit nicht mehr so intensiv einsam fühlte wie noch vor einiger Zeit. Ich erwache zwar noch sporadisch in der Nacht und fürchte mich vor der Dunkelheit, weil ich mich nicht orientieren kann, weil ich mich nicht sicher fühle. Aber ich meine, dass das ewige Band der Einsamkeit weniger leistet als noch zuvor. Vermutlich hebt die Zeit das Band an und ab. Ich werde mich irgendwo nivellieren, aber gänzlich entfernen und kann ich meine Grundeinsamkeit, die grundlos ist, nie.


  • Wie viel weiblicher Erfolg erträgt mein Ego?

    Frauen zieren Männer oder umgekehrt? Das klassische männliche Ego fühlt sich herausgefordert durch «erfolgreiche» Frauen. Wie ich’s damit habe, versuche ich in diesem Beitrag zu erklären.

    Die Klassik

    Klassische Männer bevorzugen klassische Frauen. Klassische Frauen bestätigen sich durch ihre Mutterrolle. Sie sind esoterisch, sie sind liebenswert, sie vermitteln Wärme und Geborgenheit. Sie kümmern sich, sie fühlen sich verantwortlich, sie sind häuslich. Sie sind weder zu verurteilen noch zu verachten. Sie stützen das System und begünstigen den Fortbestand der Rasse.

    DBE-Bierwerbung

    Der klassische Mann darf ernähren und beschützen. Er sollte mehr Kohle schaufeln. Er sollte erfolgreicher sein. Ich nenne das alles klassisch, weil es überschaubar, einfach, aber irgendwie auch zeitlos und sicher ist. Man sichert damit Identitäten, man stiftet Lebenssinn. Man muss sich nicht quälen, wer man sei und wieso man hier sei. Das beruhigt und entspannt.

    Inkompatibel

    Bekanntlich bin ich inkompatibel, ich kann und will kein klassisches Leben führen. Ich habe zwar gewisse klassische Werte verinnerlicht und fühle mich deswegen gelegentlich daran erinnert. Aber je länger ich lebe, umso mehr spüre ich, dass mein Leben nicht klassisch enden wird. Das bedeutet, ich muss mich damit auseinandersetzen, dass ich eine Frau habe, die vermutlich erfolgreicher sein kann als sich. Erfolgreicher heisst nicht bloss, dass sie eventuell mehr steuerbares Einkommen generiert, erfolgreicher darf auch heissen, dass sie mehr externe Aufmerksamkeit, Anerkennung, mehr Würdigung und Bestätigung erhalten kann. Mehr als ich?

    DBE-Frau-Bett

    Aber kann ich damit umgehen, wenn meine Frau angehimmelt, verehrt, gewertschätzt wird? Und das ausserhalb vom geschützten Hause? Von mir Unbekannten, und natürlich von teils noch erfolgreicheren, noch besser aussehenden Männer? Kann das mein Ego verkraften? Wie viel Frau erträgt mein Ego? Stört das nicht die Balance, das private Glück, das auf einer gewissen Gleichartigkeit, auf einem ausgeglichenen Haushalt von externen wie internen Anerkennung und Würdigung und Aufmerksamkeit basiert? Wie werde ich morgens aufstehen, wenn ich weiss, dass die halbe Welt meine Frau bewundert? Dass sie Verehrer abweisen muss?

    Das Gleichgewicht

    Gleichartigkeit und Gleichgewicht stabilisieren jede Beziehung. Sobald eine Ungleichheit entsteht, sei es intellektuell, finanziell oder auch im Thema «Erfolg», das sehr mehrschichtig ist, fühlt sich immer eine Partei schlechter, benachteiligter, minderwertiger und muss und wird sich automatisch selber anzweifeln. Mittels Gesprächen lassen sich zwar viele Missverständnisse klären, aber das Unbehagen wird fortbestehen und sich einschneiden. Ich glaube, ich könnte nicht damit umgehen, wenn ich ein Verlierer wäre, nirgends anerkennt und gewertschätzt werde, aber meine Frau gleichzeitig die Gewinnerin wäre, die allenorten bewundert und verehrt werde würde. Ich würde mich nicht adäquat fühlen. Daran könnte eine Beziehung brechen.

    Was nun?

    Der ausgeglichene Haushalt externer Anerkennung wie Wertschätzung muss und will ich anstreben. Das gilt für mich wie auch für meine Frau. Ich selber kann nicht erfolgreich sein, wenn meine Frau sich so nicht fühlt. Umgekehrt dasselbe. Das bedeutet, wir müssen beide uns bemühen, dass wir auch ausserhalb des gemeinsamen Hauses gewisse Anerkennung und Wertschätzung erhalten. Wir müssen beide ausserhalb unsere Eitelkeiten schmeicheln lassen. Aber letztlich ist viel wichtiger, dass man sich innerhalb gegenseitig wertschätzt und anerkennt. Damit kann man auch gewisse externe marginale Ungleichheit ausgleichen.

    Ich bin bereit.


  • Schlaflosigkeit

    Ich hasse, nicht einschlafen zu können. Schlaflosigkeit empfinde ich als das schlimmste Übel. Diverse Organisationen werten Schlafentzug denn auch als Folter. In diesem Beitrag erzähle ich von meiner unregelmässigen Schlaflosigkeit.

    Schlaflosigkeit ist nicht etwas, das ich erst seit einigen Jahren oder so erleiden darf. Schlaflosigkeit kannte ich bereits in meiner Kindheit. Viele Reize, viele Gedanken, viele Ideen verursachten meine damalige Schlaflosigkeit. Einerseits beschäftigten mich unterschiedliche Dinge, offene Fragen, andererseits phantasierte ich vorm Einschlafen die grössten Visionen. Das Einschlafen war und ist für mich auch heute noch eine Art Verarbeiten, also eine Art Bewusstmachung meiner Gegenwartsbewältigung.

    Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich mich das erste Mal über Schlaflosigkeit beklagen durfte. Ich vermute, ich war knapp elf Jahre jung. Die Sorgen damals waren diffus. Später plagten mich Existenzsorgen, Anerkennungsdefizite, Selbstzweifel, sexuelle Sehnsüchte. Manchmal schämte ich mich auch bloss.

    Das ist die eine Seite der Schlaflosigkeit, die nachdenkliche, die aufwühlende. Die andere Seite der Schlaflosigkeit ist die geistige Rastlosigkeit. Ich fühlte mich zeitlang mit Ideen überschwemmt. Und auch heute noch überraschen mich vorm Einschlafen konkrete Ideen. Mein Geist ruht selten. Früher geiselte mich die Angst, eine Idee verlieren zu können. Ich konnte nicht einschlafen, weil ich mich fürchtete, damit meine Ideen zu verlieren. Ich versuchte, meine Ideen aufzuschreiben. Aber der damalige Akt des Niederschreibens verkrampfte mich derart, dass ich alles wieder vergass.

    Dank ständiger Cloud, ständiger Tastatur und ständiger Bestromung konnte ich diese Angst überwinden. Allerdings häuften sich die Ideen immer seltener.

    Klassiker der Schlaflosigkeit sind seit Jahren Ferienende. Wenn ich zeitlang mich meines üblichen Alltages befreite, konnte ich danach kaum einschlafen. Ich war nervös. Vor allem nervös, zu verschlafen, eine weitere Urangst. Das hat bis heute überdauert und äussert als heute als ironisches Wochenende-Jetlag. Meine reguläre Montagsmüdigkeit erklärt also sich mitm tendenziell schlechteren Einschlafen. Manchmal erwischt mich auch ein kleines Gefühl der Überforderung. Schaffe ich alles noch? Kann ich noch arbeiten? Kann ich alles noch beherrschen?

    Beim Einschlafen verdaue ich meinen Tag. Ich bin zuweilen gestresst. Manchmal mehr, manchmal weniger. Wenn ich nicht einschlafen kann, muss ich mich auseinandersetzen mit Themen, die mir drücken. Bloss ist man beim Einschlafen meistens alleine, auf sich selbst gestellt und zurückgefallen. Man hat niemandem, den man konsultieren könnte. Ich kann tendenziell besser einschlafen, wenn ich jemanden in meiner Nähe weiss.

    Ich habe letzte Nacht sehr gut geschlafen. Allerdings wollte ich morgens nicht aufstehen. Aber das hat andere Gründe.


  • Der Brüssel-Unterbruch

    Brüssel ist speziell, den Umständen entsprechend. In diesem Beitrag resümiere ich meinen kurzen Brüssel-Unterbruch. Die wahre europäische Hauptstadt.

    Natürlich war freitags die Stimmung aufgekratzt. Der Taxifahrer in Basel suchte mit mir zu diskutieren. Seine Vision: eine grosse Weltregierung und eine Sprache. Brexit hatte ihn bestürzt. Ich konnte gut und gerne beipflichten. Schliesslich teile ich seine Vision.

    DBE-Brussels-Parlement

    In Brüssel war Brexit weit weg. Die Einheimischen hatten andere Sorgen. Ein nationaler Streik hatte die komplette öffentliche Infrastruktur ausgehebelt. Ich war quasi am Flughafen «eingeschlossen». Es fuhr bloss eine Linie in die Innenstadt. Die städtische Metro wurde ebenfalls bestreikt. Also wieder ein Taxi.

    Der Taxifahrer in Brüssel war nicht so redselig. Ich erkundigte mich, ob heute abends gross gefeiert werde wegen Brexit. Brexit? Haben die irren Briten bereits gewählt? Ich belehrte den Taxifahrer, dass die Briten entschieden haben und der EU austreten werden. Doch das interessierte den Taxifahrer nicht gross. Ist auch recht so.

    Mich fasziniert das Kosmopolitische in Brüssel. Alle grossen europäischen Sprachen kann man in Brüssel hören. Man kann polnisch, türkisch, deutsch, italienisch, griechisch, französisch und was auch immer essen.

    DBE-Brussels-Au-Suisse

    Die Stimmung zwischen den Menschen ist offen, unbeschwert, zugänglich. Obgleich man irgendwie den Terror fürchtet. Das äusserte sich, dass kein Public Viewing stattfand und das breit munitionierte Männer in der Stadt patrouillierten. Trotzdem kann man Diskussionen mit Einheimischen anregen, auch mit ganz normalen Familienvätern. Das Thema EU ist rasch vorgegeben und derzeit kaum erschöpfend.

    Ich war in Brüssel, aber irgendwie war auch nicht dort. Die Expats haben in Brüssel ihre eigene Welt geschaffen. Die Eingeweihten nennen das die dicke EU-Blase. Darin kann man sich verstecken. Hier und da überschneiden sich die Blasen, typischerweise an lokalen Frittenbuden. Doch grösstenteils spurt man grosszügig einander vorbei.

    DBE-Brussels-Quartier

    Irgendwie war ich also dort.


  • Der Weltgeist in Brüssel

    Während ich schwitze, mich nach Italien zurücksehne und hier und da Beratungsgespräche führe, hat sich der Weltgeist in Brüssel offenbart.

    DBE-Google-Brexit

    Die Leitartikler deutschsprachiger Medien fluten bereits meinen feed. Heute ist jeder Publizist bemüht und betroffen, welcher der Weltgeschichte mächtig ist. Heute wird gross und klein kommentiert. R. im fernen Exil wird denn auch uns überraschen müssen. Es ist ein besonderer Tag. Es sind Momente der Entscheidung. Daher wissen wir, dass sich gewisse Muster bloss wiederholen. Ich zitiere:

    Und endlich erscheint das letzte, verzweifelte Mittel der todkranken Nationalwirtschaften: die Autarkie oder mit welchen großen Worten man sonst dies Verhalten sterbender Tiere bezeichnet, die gegenseitige wirtschaftliche Abschliessung auf politischem Wege durch Kampfzölle, Einfuhrverbote, Boykott, Devisensperren und was man sonst noch erfunden hat oder erfinden wird, um den Zustand belagerter Festungen herzustellen, der schon fast einem wirklichen Kriege entspricht und eines Tages die militärisch stärkeren Mächte daran erinnern könnte, mit einem Hinweis auf Tanks und Bombengeschwader die Öffnung der Tore und die wirtschaftliche Kapitulation zu verlangen.

    Ich interpretiere Brexit als eine Art Abschottung. Es siegen die Verzweifelten, Verängstigten. Solche Resultate könnten sich überall in der westlichen Hemisphäre zeigen. Weil wir alle die Zukunft fürchten. Allerdings korreliert die Zukunftsangst der schweigenden Mehrheit nicht mit den Rüstungsausgaben der jeweiligen Volkswirtschaften. Vermutlich noch nicht? Wie wird’s nun weitergehen mit der grossen Angst? Mit dem grossen Unbehagen?

    Die USA werden Ende November antworten.


  • Der Widerstandskämpfer

    Unser, mein Widerstand ist etwas Abstraktes und Nicht-Gegenständliches. Der Feind ist ein gedanklicher. Ich werde nicht konkret meines Lebens bedroht. Ich muss nicht hungern. Und doch fühle ich mich als Widerstandskämpfer. Mein Widerstand verblasst aber, wenn ich solche Geschichten lese. Kürzlich in der NZZ am Sonntag aufgeschnappt:

    Die Freiheiten, welche die europäischen Gesellschaften bieten, empfindet er als Leerraum. Nur theoretisieren, demonstrieren und studieren hilft ihm nicht, diese Leere mit Inhalten zu füllen. In dieser Zeit vermittelt eine befreundete Anwältin einen Kontakt zu kurdischen Widerstandskämpfern. Das ändert alles.


  • Wie viel Tragödie erträgst du?

    Ich bin sehr empfänglich für Tragödien. Tragödien ermuntern, erfrischen und verjüngen. Sie erinnern, dass man lebt und spürt. Früher war ich (sehn-)süchtig nach Tragödien. Mein Lebenslauf kann man denn auch tragisch lesen. Mittlerweile ist mein Verhältnis abgeklärter. Darüber reflektiere ich in diesem Beitrag.

    Viele Menschen fürchten das Tragische. Sie sehnen sich nach dem happy end der Kulturindustrie. Darin lösen sich alle Spannungen und Erregungen. Zeitgemässe Serien wie Gute Zeiten Schlechte Zeiten erregen die Gefühle der Zuschauer. Sie dramatisieren, sie übersteigern, bis sie alle Gefühle sich wieder in guten Zeiten lösen und senken. Das Wechselspiel ist absehbar und jedem Zuschauer gewohnt-bewusst.

    Produkte der zweitmächtigsten Kulturindustrie, blockbusters, die den Zuschauer «hilflos» seinem Schicksal überlassen, werden bloss von Fachkundigen gewürdigt. Die Mehrheit der Zuschauer fürchtet sich vorm einsamen «Zurückgelassenwerden» in Ungewissheit, ob alles in guten Zeiten sich wieder aufheben mag. Soviel zum breiteren Kontext.

    Meine Tragödie

    Ich war jahrelang besessen, dass das Leben tragisch sei. Mittels der Tragik wollte ich meine Gegenwart bewältigen. Ich war tragisch, die Welt war’s folgerichtig umso mehr. Ich konnte mich erklären. Ich konnte Muster in meinem Verhalten begründen. Und wer begründet, tröstet. Denn ich brauchte Trost. Ich brauchte Erklärung. Ich brauchte Ahnung, wieso ich war, wer ich bin und so weiter. Alle Ereignisse meines bewegten Lebens könnte ich der allgemeinen Tragödie zuschreiben. Eingeweihte wissen vermutlich um diese Ereignisse; ich will sie hier nicht einzeln listen und bewerten. 

    Das gefühlte Leben

    Ich habe mich stattdessen am Leben selber berauscht. Wieso muss ich das Leben als grosse Tragödie führen? Wieso muss ich mich immer verausgaben? Ich strebe stattdessen nach Glück, nach privatem und zuweilen kleinem Glück. Im stillen, einsamen Augenblick, wenn ich meine Augen schliesse, wenn ich mein unstetes Herz spüre, wenn ich reflektiere und wortwörtlich innehalte, wenn ich dann zurückblicken kann und nichts bereuen muss, dann fühle ich mich. Ich fühle mich zufrieden und erfüllt.

    Ich träume gerne und viel. Träume haben nichts Tragisches. Stattdessen bejahen Träume das Leben. Ich möchte Momente teilen. Ich möchte gemeinsam Nachhaltiges schaffen. Ich möchte gemeinsam Widrigkeiten überwinden. Ich möchte gemeinsam Widerstand leisten. Ich werde nicht kapitulieren und resignieren und alles als Tragödie vermiesen.


  • Der Unruhe Friede

    Wenn Fussball alle Aufmerksamkeit trichtert und Einzelschicksale Amok laufen, dann bediene ich mich gerne im Giftschrank, um meine Zeitgenossen aufzumuntern:

    Einen langen Krieg ertragen wenige, ohne seelisch zu verderben; einen langen Frieden erträgt niemand.

    Frisch zitiert aus Spenglers Jahre der Entscheidung. Die entscheidenden Jahren mögen zwar nicht die heutigen sein, aber sie werden folgen. Das verspreche ich euch.


  • Was mache ich beruflich?

    Mein Umfeld beschäftigt, was ich so tue. Soviel vorweg: Ich baue nicht. Ich kreiere nicht. Ich ermögliche, befähige bloss. Ich bin Unternehmensberater. Ich möchte in diesem Beitrag nicht meinen Beruf heroisieren, sondern erklären, was ich tue und wieso ich es tue.

    Ich werde dort eingesetzt, wo es etwas schiefgeht. Ich bin selten unterwegs, wo alles floriert. Denn dort bin ich überflüssig. Ich nähre nämlich mich vom overhead, von Ineffizienz und Ineffektivität. Ich werde gerufen, um auszuhelfen, neue Wege zu weisen. Ich bin gewissermassen unbefangen, Hofnarr und darf aussprechen, was niemand sagt, weil wagt.

    Mein Auftrag

    Derzeit bin ich hauptsächlich in Basel. Ich berate ein Unternehmen, das die Agile Transformation anstrebt. Agile Transformation bedeutet, dass das Unternehmen sich radikal wandeln möchte. Unternehmen müssen sich anpassen, weil sie sonst disruptiv überholt werden. Etliche Branchen sind bedroht. Selbst die SBB fürchtet sich. Man vermarktet das alles unterm Schlagwort Digitalisierung.

    Konkret versuche ich, die Agile Transformation ganz unten und ganz lokal zu implementieren. Ich lebe vor, was Agilität bedeutet. Ich zeige, ich demonstriere. Ich führe mit Vorbild und Beispiel. Gemeinsam adaptieren wir die Agilität fürs Unternehmen. Ich bin stets bemüht, dass wir einen Standard stabilisieren können. Sobald einen Standard gesetzt, wagen wir den nächsten Schritt, den nächsten Standard. Schritt um Schritt. Das ferne Ziel ist die totale Agile Transformation des Unternehmens. Weil irgendwann wollen wir skalieren.

    Warum ich

    Unternehmensberater kann man technisch nicht erlernen. Man ist’s oder wird’s. Viele Hochschulabsolventen beschwören das unstete Leben als Unternehmensberater. Sie operieren weltweit und sind ungebunden. Sie werden okay bezahlt. Sie kosten intime Einblicke in unterschiedliche Branchen. Und irgendwann krönen sie ihre Karrieren mit einer Festanstellung im mittleren Management eines ehemaligen Kunden. So die gängige Meinung.

    Bei mir ist’s anders. Ich bin kein klassischer Hochschulabsolvent. Mein Lebenslauf ist bekanntlich bewegt. Ich entspreche nicht den gängigen Vorstellungen. Das hindert mich nicht, als Unternehmensberater mich zu profilieren. Denn mich motiviert was anderes. Mich umtreibt, möglichst viele Eindrücke zu sammeln. Ebenso geniesse ich, nicht jeden Arbeitstag als Alltag wiederholen zu müssen. Meine Arbeit fordert mich. Sie ist abwechslungsreich.


  • Was bedeutet für mich Liebe?

    Liebe bedeutet, wenn ich mich daheim fühle. Wenn es sich richtig anfühlt. Wenn ich nicht zweifle und stets hinterfragen muss. Liebe bedeutet, wenn ich mich angekommen fühle. Liebe bedeutet, wenn ich mich verstanden fühle. Wenn ich mich frei, weil geliebt fühle. Wenn ich mich nicht biegen und brechen muss. Wenn ich denken und atmen kann. Wenn ich nicht arbeiten möchte. Liebe bedeutet, wenn ich nicht nachdenken muss, ob ich das Richtige und es richtig tue.

    Liebe bedeutet, wenn ich geliebt werde. Wenn meine Liebe erwidert wird. Wenn ich spüre, dass jemand spürt, dass ich spüre. Wenn ich spüre. Wenn jemand spürt. Wenn ich begehrt werde und ich begehre. Liebe bedeutet, wenn die Zeit stillsteht. Liebe bedeutet mir viel. Liebe bedeutet, wenn ich glücklich mich wähne. Wenn ich in Liebe investiere. Wenn ich geilen Sex habe und dabei liebe. Liebe bedeutet, wenn ich zusammen lesen kann. Liebe bedeutet, wenn ich zusammen alles hinterfragen kann.

    Liebe bedeutet, wenn ich mich nicht verstelle. Wenn ich nicht abblocke. Wenn ich mich öffne. Wenn ich all-in gehe. Wenn ich ehrlich bin. Wenn ich über Ängste sprechen kann. Liebe bedeutet, wenn ich meine Träume erzählen kann. Wenn ich mich nicht schämen muss. Wenn ich ungezwungen bin. Wenn ich nicht Angst haben muss. Wenn ich nicht muss. Liebe bedeutet, wenn ich kann und will. Wenn ich darf.

    Liebe bedeutet, wenn man sich verschwört. Wenn man unter einer Decke steckt. Wenn man sich vor Welt und Barbarei versteckt. Liebe bedeutet, wenn man sein Refugium hat. Wenn man sich zurückziehen kann. Liebe bedeutet, wenn man gemeinsam entfliehen kann. Liebe bedeutet, wenn man Widerstand leistet. Wenn ohne Liebe Widerstand zwecklos ist. Liebe bedeutet, wenn man aufwacht und nicht vergisst.

    Das bedeutet mir Liebe.