• Aus dem Alltag eines leblosen Lebens

    Mit diesem Beitrag experimentiere ich weiterhin. Ich versuche einen typischen Alltag eines erloschenen Menschen zu beschreiben. Fiktional. Aber das Leben ist ohnehin fiktional. Daher können wir allmählich nicht mehr eine Realität differenzieren. Doch das ist eine andere Geschichte. Viel Vergnügen.

    Fünf Uhr morgens. Der Wecker klingelt. Tagwacht! Aufstehen. Er bestätigt seinen Wachzustand. Er steigt ausm Bett. Er sitzt aufs Klo. Kackt. Guckt xhamster.com. Ah, neue facial-Beiträge. Sehr schön. Er öffnet seine Playlist. Er würfelt; heute mal etwas anderes. Heute mal etwas wagen und riskieren. Nicht immer dasselbe. Der Zufall kürt Pink Floyds Any Colour Like You. Gut. Noch ausreichend Shampoo? Perfekt.

    Er betritt die Dusche. Er mixt sich eine wohlige Wärme. Er streichelt seine Hoden. Er seift seine Rosette. Er schamponiert die Haare. Er putzt das Gesicht. Er säubert seinen Schwanz. Er duscht schlicht und einfach. Er pfeift die hypnotisierende Bassmelodie des Liedes. Das Ende des Musikstückes taktet seine Vorbereitszeit. Nun sich beeilen. Fünf Minuten in der Dusche überzogen. Also raus, anziehen.

    Er will masturbieren. Doch die Zeit ist nicht dafür kalkuliert. Der Zeitplan ist streng. Der Zug in die grosse Stadt leider stets pünktlich. Socken, Unterhose. Grauer Standardanzug, tailliertes weisses Hemd. Oh, Zähne putzen. Parfüm. Bald komplett? Seine Lederware ist farblich abgestimmt. Alles braun. Tasche gepackt. Natel geladen. Türe auf. Er entsichert das Velo. Er legt die Tasche ins Körbchen. Radelt durch das weitläufige Einfamilienhausquartier.

    Er überquert Strassen, rast aufm Trottoir. Er stoppt beim Bahnhof. Zeit für Kaffee und Wasser. Er schlendert zum Perron. Dort schlürft er seinen Kaffee. Raucht Zigaretten. Beobachtet die Mitmenschen. Nichts besonderes. Er muss keine Heldentat meistern. Er muss keine Drachen töten. Er muss nicht um sein Leben bangen. Er muss sich nicht fürchten. Pünktlich ist der Fernverkehrszug.

    Er öffnet seinen Laptop. Er aktualisiert Berichte des gestrigen Einsatzes. Der Kunde in Basel entwickle sich gut. Die Maturität sei seit zwei Monaten über vier Agililisierungspunkte gestiegen. Das sei zuversichtlich. Der Job kann bald erledigt werden. Allerdings könne man noch weitere Verbesserungen prüfen. Der Kunde sei noch nicht am schweizerischen Durchschnitt. Um weiterhin zu überleben, müsse er sich mehr agilisieren.

    Agil oder stirb! So lautet die Kampagne, die ihn seit Wochen beschäftigt. Er selber ist längst gestorben. Er schlafwandelt bloss. Sein Leben ist funktionalisiert. Es erfolgen zwar Ereignisse, doch diese überwältigen ihn nicht. In Bern spaziert er zu seinem Kunden. Er grüsst und wird begrüsst. Er installiert seinen Arbeitsplatz. Er verkabelt sich. Er liest Emails. Er kontrolliert seinen Kalender. Was nun?

    Er raucht erneut. Ein weiterer Kaffee. Über die Bedeutung des Kaffees mag er nicht philosophieren. Oh, ein Gespräch unterbricht seine Ruhe. Er darf über das sogenannte Offenheitsprinzip schwärmen. Er hofiert seinen Gesprächspartner. Aber geschickt dosiert. Zumindest muss er nichts vorspielen. Denn seine Bewunderung ist im Kern ehrlich und authentisch. Er muss bloss kritische Distanz simulieren.

    Mittags isst er in der Stadt. Alleine. Er schlendert durch die breiten Gassen. Er hält kurz inne, raucht. Erblickt eine alte Inschrift eines alten Hauses. Alles hier ist mit Geschichte beseelt. Seine Geschichte ist aber erloschen. Er fühlt sich geschichtslos. Er telefoniert mit seiner Frau. Sie rapportieren den bisherigen Tag. Das Gespräch langweilt ihn. Er nennt es Arbeit. Eine Beziehung ist immer strenge Arbeit.

    «Arbeiten kann er gut», beruhigt er sich und beendet das Gespräch. Er verlängert die Mittagszeit. Er wartet auf prominenten Bank an der Schanze. Er starrt den Alpen entgegen. Links und rechts diskutiert das gemeine Bürovolk. Mittagszeit in der Stadt. Technisch ist er besser gekleidet als alle diese Leute. Technisch ist er besser bezahlt. Sie beachten ihn denn auch. Sie wundern sich bloss, wieso er alleine wartet. Und worauf.

    Er wartet auf tausend Düsenjäger. Auf einen Meteoritenhagel. Dass der Himmel endlich verfinstere. Dass Nazis die Welt bombardieren. Atombomben explodieren. Menschen ringsherum panisch hetzen. Die Ordnung zusammenbreche. Dass das Leben ende. Er erwacht ausm Tagtraum. Links und rechts prüft er. Alles normal. Niemand stirbt. Keine Nazis erobern Bern. Keine Stahldüsenjäger donnern.

    Er steht auf. Verabschiedet sich. Beim Bahnhof bezahlt er einen weiteren Kaffee. Er wartet auf die pünktliche Abfahrt seiner S-Bahn. Weil er muss wieder arbeiten. Oder so tun als ob. Denn in Wirklichkeit arbeitet er nicht. Er plaudert bloss. Manchmal stützen schriftliche good practices seine Worte. Er schreibt Analysen und Empfehlungen. Und kommuniziert sie mündlich den Kunden. Sie hören und befolgen.

    Es ist keine ehrliche Arbeit. Aber er kann sie gut. Er hat auch eine wahre Vision. Er will den Arbeitsplatz Schweiz retten. Die Konkurrenz ist gross. Er glaubt ans gute System Schweiz. Das ist seine Vision. Er hat einen richtig grossen Auftrag. Das erfüllt ihn. Zuweilen. Doch manchmal möchte er bloss ausbrechen. Doch wohin und wozu? Er muss nirgends hin. Weil Glück kennt er nicht. Daher auch ohne Antrieb. Kein Streben nach Glück.

    Wer nicht strebt, stirbt. Er strebt nicht. Er ist tot. Seine Organe funktionieren. Sein Gehirn verknüpft und vernetzt. Aber er ist tot. Er erwartet nichts vom Leben. Seine Frau drängt zwar zur Heirat, zum gemeinsamen Kind. Das könne Sinn und Glück stiften. Er will und braucht das nicht. Weil Glück kennt er nicht. Glück ist seine Fata Morgana. Eine optische Täuschung. Alle glauben, sie zu erreichen, doch sie verschwindet immer wieder.

    Sobald man sich ihr nähert. Also bemüht er sich nicht. Er lässt sich nicht verführen. Er kauft sich kein Auto. Er verreist nicht. Er isst weder gesund noch ausgewogen. Er tut nichts, was Glück verspricht. Er hat keine Kinder. Er hat zwar eine Frau, doch sie funktionieren bloss. Keine Leidenschaft. Diese Beziehung gleicht einer Zweckehe. Sie bewirtschaften ein gemeinsames Haus. Essen meistens zusammen und alleine.

    Er muss aufs Klo. Durchfall. Ein ziemlich zehrender Durchfall. Er verliert Vitamine. Er verliert Substanz. Durchfall ist wie Kotzen. Der Körper rebelliert. Er dankt seinem Körper. Doch er ignoriert die Warnsignale. Wieder Kaffee. Ein Vitaminwasser zusätzlich. Leicht abführend. Er vollendet seinen Tagesbericht. Schliesst mit weiteren Empfehlungen für den Kunden. Die er gerne nächste Woche begleiten möchte. Er verlässt das Gebäude.

    Seine Frau erwartet ihn zum Znacht. Er hat noch eine Stunde freie Zeit. Die nutzt er, um sich in einer Bar rasch zu betrinken. Es ist ein Ort der Verstossenen. Kranke, verfaulte Menschen irren dort. Sie betteln für Geld oder Drogen. Sie tragen abgewetzte Kleidung. Sie stinken. Ihre Augen verraten Leere und Enttäuschung und Ablehnung. Hier fühlt er sich aufgehoben und geborgen. Hier entdeckt ihn niemand.

    Drei grosse Bier würgt er herunter. Er bezahlt. Zwei Dealer offerieren Drogen. Er muss ablehnen. Seine Frau hasst Drogen. Er fürchtet sich nicht. Aber er muss später noch Normalität simulieren. Also verzichtet er. Nun stresst er auf den Bus. Der fährt glücklicherweise nicht pünktlich. Im Bus ist er eingeengt. Schüler und Schülerinnen quatschen. Die Mehrheit vergnügt sich mit Alltagsspiele. Er liest. Sein Velo vergisst er.

    Dreissig Minuten später ist er Zuhause. Das ist dort, wo er funktioniert. Wo er seine workflows automatisiert hat. Er kaut einen Kaugummi, spült den Mund. Er wechselt die Kleidung. Fünfzehn Minuten später kehrt seine Frau heim. Sie küsst ihn flüchtig. Er liest weiterhin. Sie berichtet nochmals, was heute geschah. Er hört zu, nickt. Gelegentlich kommentiert er. Doch grösstenteils hört er zu.

    Sie kochen. Er isst. Sie liegen aufs Sofa. Kalt. Er liest. Sie schaut fern. Ihre Serien. Diese zerstreuen sie. Er kann nicht zusehen. Er verabscheut das zeitgenössische Angebot der Kulturindustrie. Er konsumiert lieber nichts als den Schrott. Manchmal erbarmt er aber. Und investiert in seine Beziehung. Er quält sich durch voraussehbare Sendungen. Seine Frau darf sich empören. Er möchte sterben.

    Um 22:00 Uhr bemerkt er, dass er nun schlafen solle. Er müsse morgen ja früh aufstehen. Seine Frau protestiert. Er erwidert, er brauche den Schlaf. Sonst könne er sich nicht konzentrieren. Erneut Zähne putzend. Er zieht sich aus. Legt sich ins Bett. Er denkt nicht nach. Er fühlt nichts. Er schläft einfach ein. Eine halbe Stunde später weckt seine Frau ihn unabsichtlich. Er wünscht ihr eine gute Nacht. Und schläft wieder ein.

    Er hofft, dass er nie erwachen muss. Er träumt, dass er ausbricht. Dass er auswandert. Dass er alles hinschmeisst und zerstört. Dass er seinen Job kündigt. Seine Frau betrügt. Dass er sein Sparkonto plündert. Dass er sich verausgabt und alles verschwendet. Leider erwacht er. Fünf Uhr morgens. Der Wecker klingelt. Tagwacht! Aufstehen. Er bestätigt seinen Wachzustand. Er steigt ausm Bett. Er stürzt die Treppe herunter. Er verstirbt vor Ort.


  • Der depressive Künstler

    Ich bin ein Prototyp eines depressiven Künstlers. Ich möchte am liebsten bloss schreiben und Ausstellungen veranstalten, welche die Menschen entrücken, provozieren und entsetzen. Ich ernähre mich von der Verachtung meiner Mitmenschen. Früher Klassenclown, heute Hofnarr. Ich giere nach Aufmerksamkeit. Und negative Aufmerksamkeit bevorzuge ich, weil sie intensiver ist. Negative Gefühle sind ohnehin stärker und grösser. Wir erinnern uns regelmässig an unsere negativsten Momenten. Ans Unglück. Doch selten können wir eine alte, positive Erfahrung rekonstruieren. Das Glück.


  • Ich an Fachtagungen

    Ich mag keine Fachtagungen. Dennoch bin verpflichtet, dort meine Persönlichkeit zu präsentieren. Mittlerweile könnte ich stundenlang durch und mit Gesprächen hetzen. Ich kenne allmählich die Szene. Schliesslich habe ich für etliche Personen bereits gewirkt. Die kennen, grüssen mich weiterhin. Sie wollen austauschen.

    Die Vorträge der immer gleichen Exponenten unterbrechen die immer gleichen Gesprächen über momenten Auftrag, Wohlbefinden und Zivilstand. Ich kann jeweils mit Zivilstand verblüffen. Ja, ledig. Nein, keine Kinder. Stattdessen Teilzeit mit einem Kind zusammenwohnend. Auch irgendwie erwähnenswert.

    Ich bin und bleibe freundlich. Doch bereits die erste Hauptpräsentation habe ich ausgelassen. Ich alberte mit dem Organisationsteam. Ich war gelöst und befreit. Ich musste nicht künsteln. Ein Spässchen darf sein. Die zweite Hauptpräsentation investierte ich in Weisswein. Wieder plauschen und faulenzen und viel rauchen.

    Zwischendurch inspizierte ich einige Vorträge. Ich dokumentierte Höhepunkte, resümierte. Und veröffentlichte meine Erkenntnisse auf Twitter. Das war mein Job. Ein easy Job. Manchmal musste ich meine ironische Lust dämpfen. Ich durfte nicht zu zynisch in Name und Bild der Fachtagung selber twittern. Ich war nett.


  • Mit Dialogen experimentierend

    Dialoge müssen manchmal sein. Ich schreibe vorzugsweise stets in einer dritten Person. Das distanziert. Doch manchmal muss man das Dramatische verstärken. Man muss einen Dialog wiedergeben. Aber bitte behutsam. Denn ich verabscheue Romane, die bloss mit direkten Reden sich irgendwie füllen können. Ich hatte kürzlich einen Dialog über den Selbstmord rezitiert. Heute experimentiere mit einem Gespräch mit einem Treuhänder.

    «Wir müssen einen Strohmann installieren. Wir müssen uns unbedingt tarnen. Niemand soll erfahren, dass wir ausscheren. Dennoch müssen wir bereits jetzt rechtskräftig agieren können. Erste Verträge müssen bereits vorm operativen Start unterschrieben werden können. Was meinst du?», so präzisierte D. sein Begehren unmittelbar, ohne Umwege, ohne Floskeln der Nettigkeiten. Er missachtete gewiss Begrüssungsrituale, banale Fragen nach dem Wohlbefinden, nach dem Wohlbefinden der Familie und so weiter. Doch die Situation hat ihn so angespannt, diese Fragen bangen und besorgen ihn dermassen, dass er sie unmittelbar und ungefiltert ausdrücken musste. Er konnte nicht anders.

    «Keine Sorge», versicherte der Treuhänder, «wir werden eine Lösung finden. Ich habe solche Gründungen bereits mehrmals praktiziert. Ich bin darin erfahren. Allerdings basieren solche Lösungen immer auf Vertrauen. Du musst also mir vertrauen können. Glaubst du, du kannst das?» – «Ich will meinen. Ja, ich muss dir vertrauen, habe ich denn auch Alternativen? Wem soll ich noch vertrauen, wenn nicht dir? Ich muss. Ohnehin bin ich dafür bekannt, dass ich Vertrauen gerne auch vorschiesse. Du hast also nun die Möglichkeit, mein Vertrauen zu missbrauchen. Aber ich denke, wir wollen gemeinsam wachsen.», entschärfte D. und liess damit bereits eine klassische Win-Win-Situation andeuten.

    Die beiden Herren einigten sich ohne Vertrag. Der Treuhänder amtet für einen definierten Abschnitt als alleiniger Verwaltungsratspräsident. Er kann über das vollständig verflüssigte Aktienkapital der Gesellschaft verfügen. Er hat alle Vollmachten. Er kann Verträge abschliessen, Barbezüge tätigen und alles, was ihm begehrt. «Ich werde alles mit deiner Absprache erledigen und nichts ohne deine Einwilligung tun.», beruhigte der Treuhänder D., «Du brauchst dich also nicht  zu sorgen. Stattdessen kannst du dich ums Fachlich-Inhaltliche kümmern. Ich werde dir den Rücken freihalten.» – «Gut, genau das brauche ich», dankte schliesslich D.

    Oder so. So ganz zufrieden bin ich nicht. Aber bekanntlich übe ich hier auch bloss. Eine spätere Iteration überzeugt mich dann wohl mehr.


  • Zurückkehrende alte Männer

    Die Stadt fängt sie alle ein. Alle diese Männer, die nach Jahren Zweisamkeit und Abgeschiedenheit Haus und Familien pflegten, kehren nach ihrer Trennung wieder ein. Heim ins Reich. Sie bevölkern die verblichenen Symbole ihrer Jugend. Manche Orten mögen sich äusserlich nicht gewandelt haben. Das Publikum aber hat sich jedenfalls verjüngt.

    Sie vergeilen nun wegen prallen Titten, Sommerkleidchen ohne Höschen. Sie bemerken allerdings nicht, dass sie nicht bemerkt werden. Sie werden nicht mehr wahrgenommen. Man ignoriert sie als veraltetes Mobiliar. Als jene verlebten Lebensläufe, die wegen fehlender Beziehung als unvollkommen verurteilt sind.

    Gelegentlich beglückwünschen sie sich gegenseitig. Loben den guten Geschmack, die gute Wahl eines Getränkes. Sie respektieren sich untereinander. Weil sie im Allgemeinen keinen Respekt mehr abgewinnen können. Sie schachern, sie parfümieren sich. Sie kleiden sich mondän. Sie wirken durchaus gepflegt. Doch das interessiert nicht mehr.

    Sie sind gescheitert, weil alt und ohne Liebe. Der Alkohol tröstet sie. Sie dürfen nun als Beobachter nicht teilnehmen, indirekt befangen sein. Ohne impact. Später am Abend vergessen sie sich. Sie lallen, klönen und wehklagen. Sie trinken mehr. Kein Glück rettet sie. Doch zum Sterben sind sie zu jung. Was wohl aus ihnen noch werden mag? Amoklauf!


  • Mit welchem Tier identifizierst du dich?

    Tiere? Mit welchem Tier identifiziere ich mich überhaupt? Spontan antworte ich Fuchs, Reh und Delfin. Das sind meine liebsten Tiere. Ja. Man kann nun deuten, wieso und weswegen. Ich mag nicht immer und ständig psychologisieren. Ich akzeptiere einfach. Trotzdem möchte ich meine Wahl grob begründen.

    Ich erinnere mich an eine Sendung namens Als die Tiere den Wald verliessen. Das war sehr betrübend, weil tragisch. Der Fuchs führte die vertriebenen Tiere durch alle Gefahren. Damit kann ich mich identifiziere. Ich führe die Menschen durch psychologische Krisen dieser Zeit. Ich tröste. Ich diene. Ich helfe. Leider bloss lokal begrenzt. Meine Hilfe ist denn auch eingeschränkt. Ich kann bloss Worte schenken. Worte können einen aber treffen, wo keine Geschlechtsteile hinkommen, so las ich mal bei M.

    Das Reh symbolisiert Unbeschwertheit. Ich möchte tanzen wie ein Reh. Früher kiffte ich viel alleine im Wald. Manchmal begleitete mich der Hund meiner Mutter. Ich überquerte immer dieselbe Wiese. Auf dieser Wiese hüpften regelmässig mehrere Reh-Familien herum. Sie galoppierten. Das entzückte mich. Das beglückte mich jeweils. Der Hund jagte die Reh-Familien. Aber vergebens. Sie versteckten sich erfolgreich im Wald.

    Schliesslich ist der Delfin wohl das klügste Tier. W., drei Jahre vor seinem goldenen Schuss, formulierte eine rauschhafte Abwandlung, wie es irren Gonzo-Drogenforschern gelungen sei, mittels LSD mit Delfinen zu kommunizieren. Man muss mittlerweile anerkennen, dass Delfine untereinander sich mitteilen können. Zudem beeindruckt mich ihre Eleganz, ihre «Stromlinienförmigkeit». Anmutig wie ein BMW i7, das Produkt straffster Naturbeherrschung. Ich fühle mich selber also schlau, führungsstark, unbeschwert, zeitgleich elegant und galant.

     


  • Die tragische Geschichte von P.

    P. hat nichts falsch gemacht. P. spielte Fussball, lernte Mädchen kennen. P. tanzte im Metro und im Terminus. P. stammt aus R. P. absolvierte das KV. P. arbeitete als Backoffice. P. erledigte Routine- wie Regel-Aktivitäten. P. war stets loyal und engagiert. P. hat das interne Verbesserungswesen gestützt. P. war selbständig und beflissen. Aber doch ist P. im Leben gescheitert. Wieso erzähle ich heute.

    P. schmückte seinen Arbeitsplatz mit aufbauend-motivierenden Sprüchen wie «Ich kenne keine Probleme, sondern nur Herausforderungen» oder «Alles wird gut» oder «Wir schaffen das». Er wiederholte diese Sprüche in allen Bürosituationen. Er war stets optimistisch-zuversichtlich. Zuweilen verärgerte er damit seine Arbeitskollegen. Denn er war penetrant. Es war sein Versuch der bewussten Autosuggestion. Doch wozu?

    Obwohl P. nichts falsch gemacht hat. Er hat weder Drogen konsumieren, noch sein Leben dermassen verschwendet wie wohl andere (ich!). Er hat weder vom literarischen Giftschrank geschöpft, noch im depressiven Milieu sich versteckt. Er war technisch psychisch gesund. Ein Geburtsgebrechen konnte man ausschliessen. Das einzige, was man ihm allenfalls anlasten kann, ist seine Dümmlichkeit.

    Doch die Dümmlichkeit war herzlichst, erwärmend. Er war nicht dämlich, sondern liebenswürdig-dümmlich. Er war mit Liebe beseelt-beeifert. Obwohl er seit seinen späteren Jahren vergebens eine Freundin sucht und keine findet. Weil er zu nett ist. Weil die einheimischen Damen mehr Aufregung und Spektakel erwarten. Damit war er vom Sexmarkt quasi isoliert. Sein Alltag rotierte. Beruf und Sport simulieren Ausgeglichenheit.

    Also obwohl P. nichts falsch gemacht hat, bestrafte das Leben ihn. Plötzlich erlahmte sein Geist. Er konnte sich kaum noch an vergangene Worte erinnern. Er konnte nicht mehr repetitive Prozeduren ohne Anleitung durchführen. Sein Zustand verschlimmerte sich. Doch alles hat eine Ursache; kein Zufall kann einen Menschen so und so plötzlich deformieren. Denn das Leiden war klassisch psychosomatisch.

    P. liebte einen Bruder. Seinen Bruder. Sein Bruder entschied aber sich eines Dienstags, statt in den Zug unter den Zug zu steigen. Der am Bahnhof von R. einfahrende Zug hatte kurz vorm Perron A noch ausreichend Geschwindigkeit, einen Todessehnsüchtigen zu zerquetschen. Der Lokführer bremste. Der Lokführer wusste, dass nichts den Tod verhindern könnte. Er wählte gemäss Standardverfahren den internen SBB-Notfalldienst.

    Psychologische Sofortbetreuung. Der Zug verspätete sich aufgrund eines Personenunfalles. «Schon wieder!», empören sich die Zugwartenden im nahen Olten. Der Bruder von P. verstarb sofort. Das blockierte seitdem P. «Wie kann man bloss? Wie kann man bloss freiwillig sterben?», rätselt P. ununterbrochen. Er kann kein Motiv kognitiv reproduzieren. Er verzweifelt. Seine Mantras bewirken nun nichts mehr.

    Sprüche wie «Alles wird gut» verwirren, verunsichern bloss noch. Nichts mehr wird gut. Alles ist zerstört. Obwohl P. sich stets bemühte, obwohl er den Freitod rationalisieren möchte, war einige Synapsen unwiderruflich gekappt. Er konnte gewisse Informationen nicht mehr leiten. Gewisse Regionen seines Gehirns waren abgeschnitten.

    Und damit begann seine geistige Umnachtung. Fortan degenerierte er zum reinen beweglichen Körper. Sein Geist verkümmerte. Die staatliche Psychiatrie war überfordert. Auch Medikamente konnten die verschütteten Synapsen nicht mehr freilegen. Der Arbeitgeber musste das Anstellungsverhältnis nach Ablauf einer gesetzlichen Frist auflösen.

    Er konnte keinen Widerstand mehr leisten. Sein Lebenswille war erloschen. Er konnte auch nicht mehr letzte Kräfte mobilisieren, um im nahen Trübelbachweier sich zu ertränken. Seitdem strapaziert er die Gesundheitskasse. Niemand kann ihn «reparieren». Was ihm übrig bleibt, ist das grosse Unverständnis. Vermutlich bloss ein Missverständnis. Wie so oft.


  • Tragische Unfruchtbarkeit

    Die Unfruchtbarkeit dieser Tage belastet mich persönlich nicht. Ich empfinde Zufriedenheit. Ein unfruchtbares Einzelschicksal gefährdet unsere Rasse nicht. Als Gemeinschaft überleben wir. Einzelne werden gewiss aussterben. Andere sind längst verunfallt, erkrankt oder ins Wasser gestiegen. Sie hatten nie ihre Möglichkeit erhalten. Sie konnte nie ihre Fruchtbarkeit herausfordern. Also, wieso bedauern wir, dass einzelne technisch sich nicht vermehren können?

    Sich fortzupflanzen ist die unendliche Befriedigung unserer Ichs. Es ist der klassische narzisstische Grössenwahn, der sich verewigen möchte. Ein Kind muss denn auch verkörpern und verwirklichen, woran und womit wir selber scheiterten. Die grosse Projektion. Und eine genetische Mutation. Irgendwie verwandt. Zusätzlich stiftet ein Kind Sinn und Sicherheit. Das grösste Rätsel ist gelöst. Niemand muss mehr Sinn fragen. Niemand muss mehr verzweifeln.

    Was ich mir wünsche, ist eine kollektive, epidemische Unfruchtbarkeit. Ich kann mir gut vorstellen, dass ganze Jahrgänge verseucht sind. Männliche wie weibliche. Ich möchte bloss die politischen Reaktionen abwarten. Ich möchte gerne die Tagespresse konsumieren. Ich möchte die Massenpanik und den Aktionismus geniessen. Das wäre mir ein Spektakel. Aber leider sind wir eine zähe Gattung. Wir werden noch kommende Atomkriege bewältigen. Wir werden die Rasse genetisch aufwerten.

    Niemand muss sich fürchten. Trost für alle.


  • Ein reifender Roman

    Mein Stoff muss reifen. Ich habe Skizzen. Ich habe einen Plot, eine Abfolge. Aber momentan vermisse ich die Notwendigkeit. Ich muss nicht unbedingt. Ich übe hier in meinem kleinen Blog. Eine bescheidene Leserschaft. Maximal zehn unterschiedliche Personen. Ihr seid die grössten insiders. Ich warte. Ich habe zwar keine Fakten oder irgendeine «wissenschaftliche» Evidenz. Aber ich ahne und spüre, dass demnächst alles sich verdichten werde. Mein Roman entwickelt sich selbständig. Er überfällt mich bereits jetzt. In der Dusche, während der Arbeit. Aufm Klo. Jetzt ist’s noch angenehm und «lustig». Aber bald übermannt mein Roman mich totalst. Dann konkretisiert sich eine Notwendigkeit. Dann muss ich. Und dann wird’s genial. Ein Meisterwerk, das bloss scheitert, weil ich es mit meinen eigenen Anforderungen überfordere.


  • Ohne Beziehung unvollkommen?

    Der kleinbürgerliche Lebensentwurf erfordert spätestens ab dreissig eine stabile Partnerschaft. Diese Partnerschaft soll einen beruhigen. Sie soll den Appetit aufs Leben zügeln. Stattdessen erotisieren nun gemeinsame Sparkonten und Eigenheimfantasien den Alltag. Das gemeinsame Kind schliesslich krönt diese Bemühungen. Wer diesem Entwurf nicht folgt, den verachten und bemitleiden sie. Willkommen.

    Ja, ich akzeptiere und verstehe das. Man darf mich als gutmütig verunglimpfen. Schliesslich bevorschusse ich jeden Menschen. Ich habe in meiner Vergangenheit mit N. auch schon debattieren müssen, dass C. und C. verzweifelt seien, weil sie keine Liebe spüren. Weil sie immer noch alleine seien. Weil sie sich nicht zusammenreissen können. Man hat jene Menschen pathologisiert, welche nicht in einer Beziehung sich glücklich wähnten. Oder zumindest so taten als ob. Schlimm.

    Ich gestehe, dass ich jeweils für einige Sekunden diese Menschen auch bemitleidet habe. Ich habe ihr Sehnen, ihr Unglück gefühlt. Ich habe ihr Leiden aufgesogen. Ich erblickte das erloschene Glühen in den Augen deren, die längst vom Leben abgehängt worden sind. Ein durchaus bemitleidenswertes Fristen rettet solche Menschen irgendwie durch den Alltag. Kalt und leer, leblos. Einige Tinder-Dates kitzeln die noch nicht abgestumpften Sinne. Sie werden vermutlich verbittern.

    Die Frau mit stämmigen Dunkelhäutigen, der Mann mit dehnbaren Asiatinnen. Irgendwann nämlich bricht der letzte vermeintliche «Stolz». Dann werden sie gevögelt. Doch sobald sie erwachen, überfährt sie ein rücksichtsloser Selbsthass. Weil die geforderten Anforderungen und deren tatsächliche Erfüllung nicht korrelieren. Depressiv. Und spätestens dann sind sie gefangen. Sie werden nie mehr sich befreien können. Denn sie werden sich allmählich entfremden. Sie werden sich am Sexmarkt verausgaben.

    Sind solche Menschen nun unvollkommen? Dürfen wir sie verurteilen? Ich sicherlich nicht. Denn ich bin jenseits. Der Kleinbürger kann, soll und tut auch. Er muss sich abheben, abgrenzen. Sexuellen Klassenkampf gegen unten quasi. Ich bezweifle, dass glückliche Paare lästern müssten, wenn sie nicht selber so unglücklich und unzufrieden wären. Sie wollen selber bloss sich zerstreuen, dass andere vermeintlich einsamer, vermeintlich unglücklicher sich durchquälen. Trost.

    Ich persönlich hause derzeit ohne Beziehung. Vermutlich werde ich irgendwann mich wieder in eine reizende Frau verlieben. Ich werde mich mässigen. Meine Liebe verabreichen. Liebe empfangen. Mittlerweile könnte ich aber auch ohne Frau mein Leben verschwenden. Ich will mein Leben nicht verplempern. Aber solange ich nicht in totaler Funktionalität einer Beziehung eingekettet bin, kann ich mich auseinandersetzen, kostbare Lebensenergie in Selbständigkeit und Schreibtum verprassen.

    Rücksichtslos, egoistisch. Und ganz faustisch bloss mit dem eigenen Werk, mit dem eigenen Schaffen verheiratet. Eine unheimliche Entschlossenheit. Der klassische Teufelspakt. Ein Leben ohne Liebe, nun denn. Ich hatte technisch bereits genügend Liebe, ich hatte technisch bereits genügend Sex. Mein Leben kann in dieser Hinsicht durchaus enden. Ich müsste nichts bedauern. Ich müsste keinen verfallenen Optionen nachtrauern. Ich bin abgeklärter. Vermutlich abgeklärter als alle die Einsamen.

    Mein Leben also kann auch vollkommen sein, ohne dass eine Beziehung mich stabilisiert. Ich bereue nichts. Denn ich erhalte dadurch unendliche Schaffenskraft. Ich werde demnächst vielfältig durchbrechen. Mein nächstes Umfeld betöre ich bereits. Sie ahnen, dass ich demnächst explodiere. Sie können meinen Lebenshunger wahrnehmen. Denn ich könnte die komplette Welt verschlingen. Niemand kann mich bremsen. Das ist das grosse manische Gefühl. Faustisch durch und durch.

    Und das komplett ohne Frau. Bemerkenswert. Ein «Glück» gewissermassen, das ursprünglich ist, das weder vom Wetter noch von Launen eines Geschöpfs abhängt. Als ich meine berufliche Karriere wiederaufnahm, war ich fasziniert vorm Irrtum, dass man bloss beruflich im klassischen Sinne reüssieren könne, wenn man verheiratet sei, Bike fahre, Tauchferien plane. Weil bloss so ist man «unverdächtig» und «vertrauenswürdig». Kein klassischer Top-Manager ist alleinstehend; mindestens geschieden sind sie alle.

    Als exzentrischer Creative Director einer übertriebenen Agilisierungsgesellschaft, die beansprucht, den Arbeitsplatz Schweiz zu sichern, der nebenbei das Ende der Liebe, der Welt und überhaupt schreiend schreibt – als solche Figur bin ich durchaus alleinstehend lebensfähig. Und nebenbei irgendwie glaubwürdiger. Ich muss kein Familienglück heucheln, wo keines ist. Ich muss nichts simulieren. Ich muss keine sozialen Anforderungen erfüllen. Ich kann stattdessen perforieren. Yeah.