Das ewige Machtringen

Beziehungen erfordern Gleichgewicht. Wir balancieren zwischen Selbstaufopferung und Selbstüberschätzung. Zuweilen verschütten wir etwas; wir überladen uns, den Partner und riskieren damit den Fortbestand der Beziehung. Ich selber pendle zwischen Aufopferung und Überschätzung. Ich übertreibe in beiden, allen Extremen.

Einerseits: Du willst alles tun, du würdest dich totalst aufopfern; du investierst, du verausgabst dich. Du willst alles geben, alles zeigen, allen beweisen, wie sehr du jemanden magst. Du verknappst deine eigenen Ressourcen, Ansprüche; du reduzierst, du schweigst bishin. Du erduldest fast alles. Du bist wahrhaft verpflichtet und fühlst dich gut dabei.

Andererseits: Du sehnst nach Anerkennung, Bestätigung. Du rast, du zweifelst konstant. Du fühlst dich nicht ausreichend gewertschätzt, ausreichend gewürdigt. Du bist schliesslich ohnegleichen; ohne Beispiel und wahrlich ein flotter Gewinn. Du erwartest, dass man in dich investiert, dass jemand alles für dich aufgibt, dich überallhin begleitet und hochblickt.

Eine ausgemittete Beziehung kann gut funktionieren. Aber sie entwickelt keine Spannung, weil niemand angespannt ist; man ist stets sicher, sicher seiner selbst oder auch der Liebe des Partners. Man kann heimkommen und muss nichts befürchten. Man ist gemeinsam routiniert; man hat sich seit Jahren bereits arrangiert, bishin eine Erziehung geteilt.

Menschen mit ähnlicher Persönlichkeitsstruktur stimulieren, überfahren einander. Wenn beide einerseits himmelhoch nach Anerkennung jauchzen, nach Selbstaufopferung gieren und andererseits gleichzeitig mit sich hadern, sich überfordern und Anspruch und Wirklichkeit verwechseln, dann ist eine “lebendige” Beziehung vorherbestimmt.

Denn ansonsten würde ein Partnerteil automatisch glätten, abfedern; die Beziehung insgesamt beruhigen und damit entspannen, eben auch Spannung entladen und so verlangsamen. Ich könnte gut funktionieren; ich kann monatelang schweigen und ausharren, ich kann warten. Aber ich muss gelegentlich ausbrechen und eine Linie markieren.

Mit Selbstüberschätzung argumentieren. Ich bremse die Selbstaufopferung. Ich kann bissig, irrational sein und mich zuweilen selber verschrecken. Doch ich stabilisiere mich schnell wieder; ein lieber Satz, eine liebe Geste und oder eine späte Selbsteinsicht normalisieren mich. Ich taumle dann wieder regulär zwischen Selbstaufopferung und Selbstüberschätzung.

Ich habe vielfach beobachtet, dass Paare einander mit Machtspielchen anketten. Sowohl Mann wie auch Frau verfügen über eine gewisse naturgemässe “Hausmacht”. Der Mann droht mit fehlender Aufopferung, die Frau mit fehlender Zuneigung. Sie können sich tagelang ignorieren und aneinander vorbeileben. Eine kleine Gest kann’s unterbrechen.

Ansonsten eskaliert das Machtspiel. Denn wenn beide einigermassen “ebenwürdig” sind, möchte niemand sich zurückziehen, so sich blossstellen und vermeintliche Schwäche offenbaren. Im Machtspiel muss man Härte und Entschlossenheit strotzen; man simuliert Unbeirrtheit und Unfehlbarkeit, obwohl alle wissen, dass wir uns selber täuschen.

Ich habe unlängst übers Wechselwirken geschrieben. Das Machtspiel steigert das natürliche Wechselwirken innerhalb einer Beziehung. Die Intensität hat sich erhöht, was vor einigen Monaten noch harmlos war, kann sich nach Monaten folgenschwer und als verletzend herausstellen. Denn die Verletzungsgefahr wächst; man ist nicht mehr so immun.

Man schwankt immer mehr. Die Alternative wäre, dass man nichts mehr zulässt oder wahrnimmt, der Partner bloss noch da, daneben und selbständig lebend ist. Man sich also allmählich entzweit, dennoch gut funktioniert. Selten darf man sich überschneiden; gemeinsame Kinder können das begünstigen.

Eine Konklusion? Man soll sich nicht entmutigen lassen. Man soll weiter seiltanzen. Beziehungen erfordern kontinuierliche Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Man darf vor allem nicht bloss den anderen beschuldigen; man haftet immer gemeinsam, man bürgt gemeinsam. Und sobald institutionalisiert, bis zum Tod.