Bekanntlich bin ich nicht sozial. Ich verkrieche mich gerne. Ich spiele, masturbiere und schreibe. Ich gehe selten aus. Wenn ich ausgehe, dann immer an denselben Ort, immer mit demselben Programm. Bier und Zigaretten, bis sie mich erschöpfen. Ich bin routiniert, ich habe mich längst mit meiner Lebenssituation arrangiert.
Gelegentlich werde ich dennoch angesprochen. Normalerweise versuche ich stets zu wiederholen, dass man mit mir sich nicht unterhalten solle. Warum? Weil ich kein angemessener Gesprächspartner sei und die Bedeutung meiner Aussagen stets überbewerte. Und überhaupt sei ich sehr grüblerisch und fatalistisch.
Nichtsdestotrotz führe ich Gespräche mit fremden Menschen. In Olten muss ich mich niemals erklären. Es ist allen alles klar. Ich muss meinen Lebenslauf nicht rekapitulieren. Man weiss es. Ich muss meine Ereignisse nicht aufzählen. Sie sind bekannt. In Basel hingegen bin ich unbekannt. Ich bin keine Person des öffentlichen Interessen.
In Basel bin ich anonym. Manchmal fühle ich mich daher unverstanden und fremd. Jüngst empfand ich eine angenehme Bekanntschaft in Basel. Sie ist insofern bemerkenswert, als sie äusserst selten ist. Ich bin dermassen mit mir selber beschäftigt, dass ich meine Mitmenschen, die manchmal Raum und Zeit zufällig teilen, nicht wahrnehmen will.
Ich durfte mich ausdrücken, wer und was ich bin. Ich kann diese Fragen klar und einfach beantworten. Ich bin geübt, mich zu verständigen, sofern notwendig oder schicklich. Was mich diesmal verwunderte, war, dass ich intrinsisch bemüht war, die Mitmenschen meiner Existenz partizipieren zu lassen.
Ich teile ungern, sofern ich nicht mich wohl, geborgen, vertraut und damit sicher wähne. Ich kann aber gleichzeitig offen und ehrlich sein, sofern eine Zufallsbekanntschaft eine einmalige bleibt – ich also keine Konsequenzen fürchten muss. Ich kann dadurch nicht aufgrund meiner Aussagen oder meiner Geschichte diskreditiert werden.
So entstand eine Situation, in der ich ausnahmsweise, weil gerade unverbindlich und unverfänglich, offen und ehrlich war – und beantwortete, wonach man mich fragte. Es entstand eine kurze Geschichte meines Lebens. Natürlich habe ich dennoch Details entfernt, die das Gegenüber schockieren könnte. Ich habe meine Geschichte zensiert.
Ich kann auch bei einer Zufallsbekanntschaft nicht wirklich offen und ehrlich sein, sofern ich nicht sofort spüre, dass diese Zufallsbekanntschaft im Hintergrund und Kontext mir ähnelt – was wiederum naturgemäss sehr unwahrscheinlich ist, weil etlich variable Verhältnisse das Verhalten und letztlich die Haltung formen.
Ich möchte keine neuen Menschen kennenlernen, weil ich meine eigene Geschichte nicht stets aufrollen möchte. Ich fürchte mir vor Unglaube und/oder Unverständnis. In ganz seltenen Konstellationen fühle ich mich automatisch wohl und geborgen. Ich muss mich nicht maskieren oder sonstwie schützen oder das Gegenüber schonen.
Ich bin bereits herausgefordert, tagsüber einigermassen zu funktionieren. Ich war jüngst zum Zmittag mit einem prominenten Gast verwickelt. Als angepasster Narzisst glaubte ich mich ertappt und aufrührerisch, als ich verbotene Literatur zitierte. Ich habe über die Gesellschaft des Spektakels berichtet. Das Werk ist spätestens seit Bush Junior ziemlich unspektakulär.
Wer tagsüber also glaubt, er müsse sich irgendwie mässigen oder disziplinieren, der kann auch abends sich nicht wirklich befreien. Ich bleibe angespannt. Und daher verschweige ich gewisse, aber gewichtige Details meiner Geschichte. Dennoch hört sich meine Geschichte unglaublich an.
Ich glaube nicht, dass ich unglaublich bin. Ich arbeite einigermassen, ich zahle Steuern, ich pflege Beziehungen, ich kann sogar etwas wie Sexualität erfahren. Und ich berausche mich. Ich bin weitaus langweiliger als man mir zutraut. Vielmehr bin ich kastriert. Ich friste lediglich auf verlorenem Posten, warte vergebens auf Ablösung, die mich auflöst.