Autor: bd


  • Der Transhumanismus kommt

    Kann der Transhumanismus den sexuellen Wettbewerb disruptiv aufwirbeln? Können mit nützlichen, weil effektiven Mitteln erweiterte, aufgewertete Menschen plötzlich dominieren, überragen, Männchen massenhaft Weibchen begatten? Drohen uns in letzter Konsequenz eugenische Kriege, wo verbesserte oder originale Menschen den Weltmachtanspruch entscheiden?

    Kann ich damit meine natürlichen Defizite überwinden? Kann ich meine Alkoholsucht therapieren? Kann ich meine Vergesslichkeit auslösen? Meine Dauerschwitzen bremsen? Meine Konzentrationsschwäche minimieren? Kann ich besser, rascher schlafen, kann ich meine Sorgen vergessen lassen? Und kann ich morgens schneller, einfacher und unbeschwerter aufwachen?

    Kann ich glücklicher werden? Kann ich mehr Ausdauer erhalten, beweglicher sein, meine Partnerin befriedigen? Achtzig Kilogramm herumschleppen? Muss ich fortan kein Zügelunternehmen mehr engagieren? Kann ich mit meinen Zehen meine Drohne aufschrauben und mit meinem Ringfinger die Velokette reparieren? Kann ich effektiver und effizienter Holz hacken?

    Oder werde ich eloquenter? Konversationssicherer? Kann ich müheloser Fremdsprachen lernen? Kann ich mir alle Zahlen, Werte und Formeln merken? Kann ich Google vergessen? Kann ich alle technischen Frameworks und die literarischen Klassiker gleichzeitig rezitieren? Kann ich stets überragen, alle Diskussionen dominieren, lenken? Kann ich stets Worte finden, die ich sonst suche?

    Wir sind unvollkommen bekanntlich. Wir alle haben unsere Defizite. Wer solche Drogen legalisiert, institutionalisiert, kann bald in Basel einen weiteren Turm bauen. Ich wette, dass in zwanzig Jahren wir uns permanent mit entsprechendem Soma ergänzen, komplettieren, je nach dem, was die konkrete Situation erfordert. Manchmal der Intellektuelle, manchmal der Frauenversteher, manchmal bloss der Handwerker.


  • Schlecht in Beziehungen

    Ich bin nicht unbedingt gut in Beziehungen. Alle meine Beziehungen sind entweder zu schnell oder zu spät gescheitert. Ich bin ziemlich fehlbar. Ich kann mich nicht gut entschuldigen, ich kann mich auch nicht gut konzentrieren, aber das sind noch meine harmlosesten Eigenschaften. Denn wirklich bedenklich ist mein Egoismus.

    Obgleich ich technisch als empathisch gelte, deswegen mich permanent abgrenze und ausblende, bin ich zutiefst egoistisch und gewissermassen vertunnelt. Ich kann weder links noch rechts etwas wahrnehmen. Meine Partnerin ist erkrankt? Droht zu erkranken? Keine Ahnung. Ihr Zustand verschlechtert oder verbessert sich? Nicht gesehen.

    Meine Partnerin verabredet sich unabhängig von mir? Ich tobe. Ich verreise aber wöchentlich, selbstbestimmt, ohne überhaupt etwas aushandeln zu müssen. Für mich selbstverständlich, ich fühle mich nie verpflichtet, etwas erklären zu müssen. Schliesslich entscheide ich, schliesslich bestimme ich. Das ist mein Egoismus.

    Ich denke, handle bloss für mich. Ich kaufe bloss für mich ein. Das Lieblingsjoghurt meiner Partnerin? Unbekannt. Das Lieblingseis? Eis? Was für Eis? Die Lieblingsblumen? Ach Gott, Blumen, sind wieder überfällig. Ich bin überhaupt vergesslich, ich kann mir nichts merken, ich muss mir alles notieren. Morgen Arzttermin? Ok, ich aktualisiere meinen Kalender.

    Ebenso in der Sexualität. Manchmal harmoniert etwas zufällig. Harmonie bedeutet, wenn ich nicht viel tun muss, wenn ich ein wenig streicheln, eindringen und küssen darf. Ja, und das der Partnerin gefällt. Und ich nichts mehr machen muss, mich nicht verkrümmen, dehnen oder sonstwie abartig bücken oder übermässig anstrengen.

    Wenn das aber nicht passiert, wenn ich mich irgendwie bemühen muss, dann bin ich blockiert, dann verkrampfe ich. Ich kann mich nicht begeistern und motivieren. Stattdessen entledige ich mich meiner Sexualität. Ich spare für andere Zeiten, vermeintlich bessere Zeiten, die aber nie folgen, weil ich längst kapituliert habe.

    Und meistens bin ich nicht ehrlich. Gewiss darf man keiner Partnerin weismachen, das Kleid sei nicht optimal oder ihr Verhalten wäre nicht vorbildlich oder sonstwie sie grundlegend anzweifeln. Man darf nicht drauflos spiegeln, man muss immer abwägen, politisch formulieren, verklausulieren, aber nicht zu offenkundigst, sonst ist man doppelt vergrämt.

    Ich kann das aber schlecht, ich bin kein guter Politiker, ich kann mich nicht zurückhalten. Ich denke, was ich rede und rede, was ich denke, und zwar meistens asynchron. Im Nachhinein bemerke ich. Ups, und im Nachhinein bedauere ich, aber entschuldigen kann ich mich nicht. Ich bin wirklich unverbesserlich. Ein Satz kann wochenlange Aufbauarbeit vernichten.

    Ich sorge nicht fürs Heim. Eingebrochen? Ich tue, als wäre nichts geschehen. Der Staub in der Leiste verwandelt sich in Moos? Ich beobachte die rasante Vermehrung. Kein sauberes Besteck? Ich kaufe Plastikgeschirr. Das Leergut stapelt sich? Ich schmeisse Alu und PET in den regulären Brandabfall. Der Abfluss ist verstopft, ich verschwende kein Wasser mehr.

    Ich kann gut ignorieren, ein wenig schmollen. Werde ich angegriffen, schnaube ich zurück. Ich kann nicht entgegenkommen, ich kann nicht nicht mein Gesicht verlieren; ich muss überlegen und Recht behalten. Wenn ich entgegenkomme, werde ich noch monatelang darauf hinweisen und darauf basierend Sonderrechte beanspruchen.

    Und nebenbei muss ich mich masslos betrinken. Ich kann nicht eine Woche lang ruhig sitzen. Wenn ich keinen ordentlichen Kater erlebe, fühle ich mich spiessig und angepasst. Ohne Kater kann ich nicht entspannen. Ich bin abhängig. Doch ich möchte mich am liebsten ohne Partnerin betrinken, bloss mit Freunde.

    Denn die Partnerin erinnert mich immer an meine Pflichten, die ich eben trinkend vergessen möchte, obwohl ich meine Pflichten ja überhaupt nicht erfülle und dadurch eigentlich auch keinen Grund hätte, derentwegen mich zu betäuben. Wenn die Partnerin beisitzt, fahre ich mit angezogener Handbremse, manchmal ein mieser chauvinistischer Spruch höchstens.

    Ich kann gut jemanden enttäuschen, verlange dauernd eine zweite, dritte oder vierte Chance. Ich kann gut heulen. Ich kann dann alles versprechen, ich werde besser haushalten, mehr Geld sparen. Ich werde im Heim mithelfen, ich werde irgendwas erledigen, ich werde putzen, Leergut sammeln oder was weiss ich, den Keller räumen.

    Aber meistens vergesse ich alles, nach einer Woche werde ich wieder routiniert. Irgendwann betrinke ich mich, kann nicht recht mitteilen, wann ich heimkomme, weil ich am liebsten gar nicht heimkehren möchte. Aber sobald ich eintrete, zu laut, zu stinkend, keineswegs konversationssicher, habe ich allen Vertrauensvorschuss verspielt.

    Ich versuche dann wieder zu beteuern, dass ich alles, mich, mein Leben ändere und meinen Egoismus züchtige. Aber ja, ich wiederhole mich bloss. Ich repetiere die immer gleichen Phrasen, die ich quasi in jedem Endsiegzustand abrufen kann. Vermutlich jahrelang trainiert. Danach reflektiere ich mich oberflächlich im Tagebuch und fasle von Kompromissen.

    Ich weiss und verkünde es hiermit, dass ich ziemlich unmöglich und unerträglich sein kann. Ich weiss gar nicht, wieso ich die Frauen immer wieder blende, wieso sie immer wieder meinen, ich sei ein passabler Typ, mit mir könne man gut zusammenleben; ich sei liebenswert und verantwortungsbewusst. Oder man kann mich zähmen.

    Ich weiss es auch nicht. Ich kenne meine Muster. Wenn Konflikte sich ankündigen, verharre ich, stelle mich tot, ich erkalte, distanziere mich, melde mich weniger, interessiere mich weniger. Ich verstärke den Konflikt, ich beschwöre ihn damit. Ich strapaziere die Leidensfähigkeit meiner Partnerin – oder ihren guten Willen.

    Ich erfülle dann die Selbstprophezeiung, dass alles irgendwann zugrunde geht, man immerhin den Zeitpunkt kontrollieren kann. Ich provoziere einen zu frühen Zeitpunkt, ohne dass ich überhaupt etwas bemerke. Im berühmten Nachhinein aber will ich von alldem nichts gewusst oder geahnt haben. Ich stelle mich blöde und verweigere die Aussage.

    Ich nicke und antworte mit meinen Floskeln. Ja, ich werde mich ändern. Ja, man kann mir vertrauen. Ja, gemeinsam schaffen wir das. Ja, wenn X eintritt, ändert sich alles; konstruiere unsinnige Abhängigkeiten, damit ich die wahren Ursachen verbergen kann. Denn vermutlich bin ich einfach nicht liebensfähig. Vermutlich bin ich zu selbstreferentiell.

    Ich bin wahrlich schlecht in Beziehungen. Tragischerweise observiere ich mich selber, ohne dass ich interveniere. Ich gemahne zwar, diesmal alles anders, besser und so weiter machen zu wollen, doch ich stolpere immer wieder am selben Orten. Diese Orte konzentrieren sich um den Begriff Empathie.

    Ich bin keineswegs empathisch. Ich habe noch nie mich bei einer Partnerin ehrlich erkundigt, wie es ihr geht. Ich erwarte nämlich, dass sie so etwas automatisch anspricht. Ich kann keine Veränderungen erkennen, ich bin ziemlich unaufmerksam. Deswegen verstricke ich mich in Missverständnissen, wovon ich mich nicht mehr lösen kann.

    Und so weiter. Wenigstens fühle ich mich stets verpflichtet, bin loyal und lasse niemanden irgendwo zurück. Ich würde sogar verletzen, Gesetze biegen, alles opfern, alles verschenken, alles riskieren, um alles zu gewinnen. Wenn man mich hat, muss man mich schon mutwillig loswerden, dauernd peinigen, demütigen und blossstellen, bis ich gehe.


  • Das Fremdbild

    Nein, nicht selber gemalt. Ich kann mich diesbezüglich nicht rühmen. Aber das Bild berührt mich. Es war original mein Geburtstagsgeschenk. Eine Woche später bewegt es mich mehr als zuvor. Denn das Bild erinnert mich an den Nachtschwärmer. Ich weile zwar inmitten eines weitläufigen Neubaugebietes, dennoch bin ich alleine.

    Das Bild repräsentiert das Scheitern eines Strebens nach Glück. Ein abgekämpfter, gleichgültiger, fader Blick; ein unendliches Starren auf eine unattraktive Fassade gegenüber, die keine Aufregung oder Sinnerfüllung verheisst. Egal was gegenüber ist, ich könnte es nicht erkennen, weil ich bin zu sehr vertunnelt und versunken.

    Rechts die mittlerweile aufgegebene Zigarette, links einen Handgriff entfernt mit der Welt vernetzt, lauernd, irgendwas erwartend, was aber nie eingetroffen ist. Stattdessen versumpfte ich damals in Olten, erwachte in Olten, ernährte mich mit Döner und Bier, das klassische Junggesellenleben.

    Die Kunst erzieht nicht bloss den Künstler, sondern auch das Publikum. Das Bild ermahnt mich, wachsam zu bleiben, das Glück nicht zu vernachlässigen, nicht sich zu verzetteln, nicht alles zu vergessen. Auch dagegen zu halten, wenn jemand oder etwas das Glück bedroht, mich zu wehren und nicht einfach zu kapitulieren.


  • Das zweiunddreissigste Lebensjahr

    Ich unterbreche eine repetitive, aber notwendige Arbeit. Ich vergesse meinen prallen Backlog. Ich versuche innezuhalten, meinen morgigen Geburtstag zu reflektieren. Morgen zähle ich zweiunddreissig Jahre. Ich bin angejährt, ich bin gealtert. Meine Haare ergrauen, mein Bauch schwillt, ich schnarche regelmässiger. Soweit bekannt.

    Grundsätzlich bin ich zufrieden. Ich habe zwar einige Leichen produziert, ich habe einige Menschen enttäuscht; ich mag nicht zählen. Ich habe durchaus Leiden verursacht. Andererseits habe ich viele Menschen beeinflusst, habe Gutes geschaffen, ich habe inspiriert und begeistert, ich habe immer wieder motiviert.

    Ich habe auch geholfen, war loyal, verständnisvoll, geduldig, wo andere längst davonrannten, wo andere sich längst trennten. Gewiss ich nachträglich anders reagiert, gezielter unterstützt, einige Konflikte anders geschlichtet, nicht gewisse Muster wiederholt, nicht gewisse Menschen ausgenutzt. Ja, späte, aber richtige Einsicht.

    Ich kann gewissen Erfolg bilanzieren. Mein Lebenslauf kann durchaus verblüffen. Kürzlich wollte mich F., der seine Lehrzeit im selben Unternehmen abdiente, vor versammelter Alumni bei Bier und Burger mich überhöhen. Ich konnte bloss herunterspielen, relativieren und Demut wahren. Weil sonst hätte ich meinen Selbstwert überladen.

    Vermutlich kann ich faszinieren. Manchmal überrasche ich mich selber, inwieweit ich mich verändern, anpassen und lernen kann. Aber wiederum wiederhole ich mich gerne, ich verfalle denselben Mustern. Wenn ich unruhig bin, irre ich. Wenn ich sehnsüchtig bin, erkalte ich. Ich bin freilich unvollkommen und stets unvollendet.

    Also, zweiunddreissig Jahre. Mein kleiner Zirkel, verstreut lebend, aber ausm Mittelland stammend, teilt mein Schicksal. Wir müssen resümieren. Wir müssen schlussfolgern. Wir müssen neue Lebensabschnitte riskieren. Wir können nicht weiterhin uns im Tag verwirklichen, sondern müssen allmählich das Gross-Ganze planen.

    Denn wir vergehen allmählich. Ich muss mich beeilen. Ich erlebe nun nochmals dreissig Jahre ähnlicher Blüte, mit hoffentlich höherem Nettoeinkommen. Doch der körperliche Zerfall limitiert die Schaffenskraft. Bald beansprucht mich eine kleine Tochter. Das Leben hier in Basel fordert. Die Firma will auch, der kleine Zirkel, der Master, alles will mich.

    Ich spüre bereits jetzt, dass mir die Momente fehlen, dass ich zurücklehnen und entspannen kann. Ich flüchte stattdessen ins Velo. Ich werde tausende Franken in ein überschickes Elektrovelo investieren. Damit durchlüfte ich bloss, aber hintersinne damit nicht. Du kannst nicht nachdenken, wenn du radelst, wenn der Sport alles überdeckt.

    Sport ist keine Lösung, Sport ist bloss Eskapismus, gleichwertig wie Alkohol, ebenfalls mit Nebenwirkungen, es könnte mich ebenfalls töten. Aber im Sport vergesse ich, muss nichts nachdenken, weil ich nicht kann, weil ich mich nicht konzentrieren kann. Meine Hirnaktivitäten werden aufs Wesentlichste reduziert. Ich funktioniere.

    Doch mit zweiunddreissig will nicht nur funktionieren. Ich will diesen Blog weiterhin nutzen. Ich muss begreifen, dass ich trotz Familie weiterhin Zeit reservieren sollte: für die gewisse Stille, für die gewisse Einsamkeit, nicht die velofahrende Hast, nicht die alkoholisierte Manie, keinen Betrug bitte.


  • Mit mir selber

    Ich beschäftige mich bevorzugt mit mir selber. Ich habe früher schon stundenlang gespielt, meine Legowelten erschaffen, darin Geschichten erzählt. Niemand konnte je teilhaben, niemand liess ich teilnehmen. Ich war Schöpfer meiner eigenen Welt. Niemand konnte mich beeinflussen, mich stören oder sonstwie verändern.

    Später erschuf ich virtuelle Welten, grossartige Netzwerke, Verbindungen. Gemeinnützige Server, liberale Ideen; ich lebte einen gewissen internationalen und digitalen Idealismus vor. Ich war aber ziemlich alleine physisch. Niemand verstand, was ich dort tat. Ich traf mich selten mit diesen virtuellen Personen.

    Ich konnte ihnen bloss in Basel und Bern und Brugg begegnen, allesamt fern meiner Heimat Olten. Ich war in den virtuellen Welten ein Meister, ein Schöpfer; ich war mit mir selber beschäftigt. Ich konnte stundenlang basteln, mit Ports und Konfigurationen experimentieren, einen kleinen Cluster errichten, Netze knüpfen. Und so weiter.

    Ich war alleine, ich war auch glücklich. Dasselbe in der Sexualität. Ich kann mich selber perfekt steuern. Niemand kann das so gut wie ich. Ich kann voraussagen, wann ich komme, wie ich komme. Ich kann meine eigene Sexualität kontrollieren. Ich hänge nicht von der Erfahrung oder vom Können einer Drittperson ab. Manchmal ist das einfach besser.

    Oder ich träume alleine. Ich kann meine Träume nie teilen. Sie sind nicht teilbar, weil ich sie (noch) nicht richtig artikulieren kann. Irgendwann kann ich sie ausdrücken, ich kann sie der Welt zugänglich gestalten. Doch bis dahin bin ich einsam damit. Ich erprobe Kunstformen, um diese Visionen und Träume zu vergegensächlichen. Bislang vergebens.

    Ich kann einfach zurücklehnen, irgendwohin starren und dann alle Gedanken rasseln und purzeln lassen. Ich kann so stundenlang verweilen, gedanklich hoch und hinabsteigen. Ich phantasiere dann von anderen Zeiten, ich erweitere meinen Lebensentwurf. Ich bin dann einfach froh, glücklich. Diese Momente kann ich leider nicht vermitteln.

    Leider ist letztlich Vieles niemals oder schwer vermittelbar. Die Kunst war stets ein Ausdrucksmittel einsamer Stunden. Man wollte Gedanken, Phantasien, Gefühle, Ideen kommunizieren. Oftmals misslang das Anliegen, man verstand selten, meistens missverstand man bloss. Man konnte stets überinterpretieren, verfälschen.

    Das viele mit-mir-selber allerdings hat aber den Effekt, dass ich mich zu oft bloss auch mich selber drehe und meine Mitmenschen vernachlässige. Alleine dieser Blog nährt meinen kleinen Narzissmus. Doch ich muss, ich war schon immer so. Ich muss irgendwie überleben, irgendwie auch mich selber überlisten – mich selber.


  • Ich kiffe nicht

    Ich meide Drogen, die ich nicht kontrollieren kann. Ich bevorzuge üblicherweise Alkohol. Doch früher konsumierte ich auch Marihuana, das robuste und zähe und hier heimische Kraut. Das meine Generation entfesselte, das gleichzeitig beinahe legalisiert wurde, das die gesamte Freizeitkultur steuerte.

    Alle waren kiffend. Der Tag war kiffend strukturiert. Zunächst musste man Gras beschaffen. Dazu konnte man entweder in die liberalen Kantone reisen oder selber anbauen. Ich fuhr viel ins Baselbiet. In Sissach versorgte ich mich bevorzugt, notfalls auch in Olten. Aber dem Oltner Shit misstraute ich – wie die meisten.

    Anschliessend musste man sich zum Kiffen verabreden. Kiffen vernetzte, verstärkte soziale Bindungen. Die weiteren Aktivitäten umrahmten bloss das Kiffen; Kiffen war stets Primärzweck. Surfen, Boarden und Skaten durften das Kiffen begleiten; gerne auch das Knutschen oder Vögeln oder Saufen.

    Am nächsten Tag wiederholte sich das Muster. Der Kiffeffekt war bei mir auch stets derselbe. Eigentlich war er sehr unangenehm. Das Kiffen verstörte mich. Denn das Kiffen intensivierte meine Sinne. Eine Zugfahrt konnte mich durchschütteln. Weil ich spürte jede Beschleunigung, jedes Bremsen, jedes Ruckeln.

    Ich fühlte mich der Umwelt ausgeliefert; kein Schutzschild schirmte mich. Die Umwelt durchdrang mich, wehrlos und nackt war ich. Nicht bloss die Umwelt, auch die Musik bewegte mich, lenkte meinen Sinne und meine komplette Gemütslage. Die Musik konnte mich aufhellen oder verstimmen. Sie kontrollierte mich.

    Zusätzlich beeinflussten mich die Menschen meiner Nähe. Ich spürte ihre Gegenwart, ihre Gefühle, ihre Gedanken. Ich konnte vorausahnen, was sie erzählen würden. Ich fühlte mich entlarvt, gleichzeitig schuldig, dass ich sie so intensiv wahrnehmen konnte. Das würde nämlich besagen, dass ich sie bislang ignoriert habe.

    Das alles überreizte mich. Meine Mechanismen waren ausgehebelt, mein System aufgeflogen. Ich war schutzlos. Ich konnte mich nicht wehren, ich funktionierte und diente gewissermassen bloss noch. Ich habe mich dem Endzustand tiefster Ohnmacht genähert. Die Vorstufe einer zeitlosen Gleichmut.

    Das verursachte Unbehagen. Wenn Menschen spüren, dass sie die Selbstbeherrschung verlieren, und zwar im vollsten Bewusstsein wie anfänglich an Demenz Erkrankte, dann kann das einen verzweifeln. Ich wollte zwar ankämpfen, ich wollte mich zwar mässigen, mich disziplinieren, doch meine Selbstbeherrschung versagte.

    Ich habe mitm Kiffen aufgehört, weil das Kiffen mein Selbstsystem, meine Selbstfunktion, meine Selbstkontrolle, meine Selbsteinschätzung unterminierte. Ich kann besser funktionieren, besser sozial interagieren, einfach besser sein, wenn ich nicht kiffe. Ja, ich hadere dann weniger, ich zögere weniger.

    Ich will nicht als gesellschaftlichen Problemfall ausgemustert werden. Deswegen kiffe ich nicht mehr. Deswegen schule und trainiere ich meine Selbstbeherrschung. Gewiss verweigert sie manchmal Gehorsamkeit, sie missfällt im Ausbruch, in der Verschwendung, in der Beschleunigung; meine Selbstbeherrschung ist ein lebenslänglicher Kampf.

    Lebenslänglich muss ich balancieren, muss ich mich wieder erinnern und immer wieder zähmen. Ich muss mich disziplinieren. Ein Joint kann die jahrzehntelange Aufbauarbeit verpuffen. Mit einem Joint kann ich alles und jeden wieder verlieren. Mein System ist und bleibt verletzlich, jederzeit kann alles zusammenstürzen. Willkommen.


  • Zu viele Brüste

    Das Geschlecht identifiziert uns. Fickend wissen wir wieder, wer wir sind. Der Fortpflanzungstrieb dominiert unser Leben. Sobald die Jahreszeit es erlaubt, flanieren und vergnügen wir uns erneut. Wir kultivieren unseren Geschlecht; wir präsentieren unsere Titten, Ärsche, unsere Bretter und Hoden.

    Eine Industrie des Kultes begleitet uns. Sie stimuliert und inspiriert uns stets. Wir optimieren unseren Körper, wir steigern unsere Wettbewerbskraft. Wir vernetzen uns gezielt, wir knüpfen die richtigen Gesprächsfaden, wir wetteifern stets. Wir überbieten uns, wir überhöhen uns. Wir alle wollen bloss geliebt werden – und ficken.

    Ich verweigere mich nicht. Ich spiele mit. Ich kann mich nicht immunisieren. Ich bin ebenso übers Geschlecht geprägt. Ich muss mein Glied in einen empfangenden Frauenmund schieben. In der Zwischenzeit beobachte ich den knapp verdeckten Busen, die joggenden Bald-Muttis, die schwangeren Vollfrauen, die bemüht Studierenden.

    Ich möchte mich zuweilen auch kostümieren, mich inszenieren als angesagte, begehrenswerte oder erfolgreiche Persönlichkeit. Mich mit akzeptierten Hobbys schmücken, mit gut ausgestatteten Freunden zieren. Irgendwie etwas simulieren erneut, um damit meinen Durchschlag zu maximieren. Aber stattdessen verzichte ich.

    Ich betrinke mich. Ich erwarte nichts. Ich will nichts. Ich will keine Brüste mehr sehen, ich will nicht mehr kämpfen müssen. Ich bin einfach ermüdet. Ich sehne mich nach Ruhe, Normalität einerseits, nach Unruhe, nach Wildheit und Exzess andererseits. Irgendwas dazwischen zerreisst mich. Was fehlt mir bloss?


  • Hoch hinaus, aber vergebens

    Ich will alles verspielen, alles riskieren, gewinnen oder verlieren. Ich bin ein kleiner Spieler, unanständig, unbändig, ich möchte nicht verharren, ich möchte nicht warten und mich langweilen. Ich wünsche mir die Gefahr, die Auseinandersetzung; die Geschwindigkeit. Ich provoziere die Lust, ich vergesse alle Konsequenzen. Ich will leben ohne Folgen.

    Ich missachte Geschlechtskrankheiten, ich verneine Schwangerschaften, ich leugne meinen Körper. Ich ruiniere meine Finanzen. Ich verprasse und verschnelle. Ich kann in diesem Zustand selig und endlos werden. Ich kann mich nicht anders mässigen als darin, mich stets wieder zu entfesseln. Ich will ausbrechen.

    Doch letztlich züchtige ich mich selber. Ich bin längst erloschen, ich bin längst bürgerlich erwachsen. Mein Leben ist ziemlich routiniert und geregelt. Ich besiege keine Feinde, kämpfe keine Kriege, ich erobere keine Frauen. Ich kann mich höchstens täglich betrinken, meinen Umsatz marginal erhöhen.

    Ja, mein Leben ist quasi erschöpft. Ich befremde mich in Illusionen, dass ich mich und das Leben ändern könnte, dass ich Welten entdecken, Geheimnisse lüften und so weiter könnte. Ich simuliere mir einen Zauber, wo alles entzaubert ist. Letztlich kann ich bloss fristen, bis ich die nächste Stufe der Gesetztheit erreiche.

    Kein Stattdessen vertröstet und befriedigt mich. Ich lebe in einer grösseren Stadt, keine Weltstadt zwar, aber mindestens anständige Grossstadt gemäss schweizerischen Perspektive. Ich bewohne eine seriöse Altbauwohnung, ich teste das Abenteuer Vaterschaft, ich investiere in Beziehungen. Ich habe ein Unternehmen begründet.

    Ich bin aber nicht der Meinungsträger, der Schriftsteller und Liebling der Massen geworden. Ich werde teils geliebt, teils gehasst. Ich bin umstritten; manche möchten mich töten, ausschlachten, andere ehren und schätzen mich eben so wie ich bin. Mein impact und reach sind unbedeutend im lokalen wie globalen Kontext. Tja.

     


  • Frühlingsschlaf

    Ich möchte mich nicht wiederholen, ich möchte nicht wieder diese Sommerfrische beklagen, die kurzen Röckli bedauern, das Ableben als weltfremder Altherr beweinen, mangelnde Potenz attestieren, letzte Vitalität im Alkoholkonsum verorten. Nein, ich müsste nicht die Muster repetieren, ich möchte mich nicht selber langweilen.

    Doch ich bin ziemlich herausgefordert. Ich pausiere an den bekannten Promenaden meines Wohnortes. Ich will mich konzentrieren, ich will arbeiten, mich weiterbilden. Doch ich werde abgelenkt. Das frühlingsfrische Leben belästigt mich. Die Menschen verabreden sich, sie wetteifern, sie stählern ihre Wettbewerbskraft.

    Ich? Ich warte, ich müsste meine Sinne fokussieren. Doch die fruchtigen Brüsten, die wehenden Kleidli, die gesunde Gesichtsfarbe, die erwartungs- und verheissungsvollsten Augen müssen jeden Altherren aufs Neue traumatisieren. Wenn nebenan die Jugend wegzischt, das Leben auskostet, man selber aber verdurstet, dann darf man verzweifeln.

    Ich möchte das nicht auf mich übersetzen, aber ich muss darüber berichten. Ich identifiziere mich mit den Kellerkindern meiner Art, die einsam, aber irgendwie verschworen der Welt trotzen und damit Widerstand leisten. Wo verstecken sich die Einsamen, die Hässlichen, die Ungefickten, die Gestressten? Wo sind sie bloss?

    Vermutlich überfordert mich die Vielfalt der grossen Stadt. In Olten war alles einfach; kaum Konkurrenz, kaum Weiblichkeit, kaum Reize. Alle kannten alles. In Basel allerdings strotzt die Lebensfreude. Eine gewisse Internationalität verjüngt das Schweizertum; begüterte Südamerikanerinnen, die frontal flirten. Unvorstellbar in Oltens Nicht-Nacktbars.


  • Kein Hobby

    Ich kann mich nicht entscheiden, wie ich mich weiterhin ausfüllen soll. Welche Hobbys soll ich anstreben? Bald erwarten mich väterliche Pflichten. Bald muss ich mich um mein Studium kümmern. Und irgendwann meinen Master abschliessen. Irgendwie. Und meine Firma verlangt Aufmerksamkeit. Ich kann also kaum Hobbys intensivieren.

    Stattdessen vertrödle ich meine Zeit lustvoll. Ich möchte nicht mich beüben. Ich geniesse, wenn ich meine Zeit vergeuden kann. Ich liebe die Verschwendung, ich liebe die Verausgabung. Und das feiere ich privat, wo ich nur kann, wo ich es mir leisten kann, wo ich niemanden verletze oder verärgere.

    Denn ich kann selber gebieten, wie ich meine rare, vergängliche, meine bald schwindende Freizeit investiere. Ich muss mich nicht einmal rechtfertigen. Ich habe mich entschieden. Ich kann in Parks weilen, die Mütter beobachten, ich kann in Olten ausgehen, meinen dortigen Status zelebrieren, ich kann meine Drohne ausreiten.

    Ich bin privilegiert derzeit. Ich habe bloss die anfänglich genannten Pflichten. Ich muss glücklicherweise nicht um mein Überleben bangen. Ich bin relativ entspannt. Ich muss mich auch nirgends behaupten, ich muss niemanden mit exklusiven Hobbys beeindrucken. Ich muss meinen Selbstwert nicht mit Extremsportarten steigern.

    Das beruhigt ungemein. Ich spare damit Geld und Zeit, die ich gerne anderweitig verschwende. Nämlich in maximaler Unproduktivität; in Abhängen, in Abkacken, in Alkohol, in Blödeln, in Palaver, in Sinnlosigkeit. Weil ich kann und möchte, weil ich damit mich regeneriere. Damit ich morgen wieder ernsthaft sein kann.

    Damit ich morgen wieder den Widerspruch leben kann. Als Grenzgänger, als Zwischenwesen wandeln, sodass ich mich spüre, sodass ich mich vergewissere, dass ich lebe, auch wenn ich mich damit verletze und damit erneut Kredit verspiele. Doch tue ich es nicht, sterbe ich. Dann schlafwandle ich bloss noch.