Meine Lieblingsserie: Babylon Berlin

Ich berücksichtige selten zeitgenössische Erzeugnisse der Kulturindustrie. Ich habe einige Bücher Houellebecqs hier besprochen. Das war bislang eine Ausnahme. Eine neue Regel möchte ich nicht schaffen. Dennoch umtreibt mich ein Produkt dergestalt, dass ich es hier erwähnen respektive lobpreisen möchte. Es ist Babylon Berlin, die preisgekrönte Serie. 

Die Serie hat alles, was eine Serie braucht. Ein wenig Nazis, die anfänglich noch im Hintergrund agieren, aber über die Staffeln immer präsenter werden. Einige historische Figuren wie Stresemann oder Hindenburg. Einige angelehnte Figuren wie Alfred Nyssen statt Fritz Thyssen, Günther Wendt statt Hans Friedrich Wendt, Hans Litten statt Hans Achim Litten und so weiter.

Auch die Ringvereine Berlins sind vertreten und konkurrieren um den Kuchen des Milieus. Drogen sind alltäglich; Opium wie Kokain – Tabak und Alkohol sowieso und maximal gewöhnlich. Die Armut Berlins in den Hinterhäusern der riesigen Mietskasernen ist ebenfalls dramatisiert, das Schlafgängertum normalisiert, die Gelegenheitsprostitution üblich.

Die Serie zitiert die Zwischenkriegszeit permanent – logischerweise. Auch wenn einigermassen in Geschichte bewandert, erkennt man nicht alle Zitate. Die Serie regt zum permanenten Nachforschen und Auskundschaften an. Beispielsweise ist die Quellenlage einer Organisation namens Die Weisse Hand ziemlich dürftig. 

Meine Lieblingsfigur ist eine nebensächliche. Es ist Doktor Anno Schmidt, vormals Rath. Vermutlich hat er nach dem Krieg eine neue Identität angenommen, um seiner Herkunft zu entfliehen. Er stammt aus dem Umfeld Adenauers Kölns; war verheiratet, hatte einen Sohn und einen Bruder. 

Er hat sich in Berlin neu erfunden als Psychoanalytiker und Allgemeinarzt. Er hat sich auf die Leiden von Kriegsveteranen spezialisiert. Vermutlich herrschte er im Invalidenhaus Berlin. Er experimentierte mit Elektroschocks, Amphetamin und anderen Medikamenten, um aus den «Krüppel» perfekte Maschinenmenschen zu formen. In der Freizeit unterstützt er eine okkulte Szene mit seinem hellseherischen Medium.

Er ist auch Analytiker von beispielsweise Alfred Nyssen und beeinflusst so dessen Werdegang. Schliesslich ist Nyssen aufgrund des Schwarzen Donnerstags der damals reichste Mann der Welt; fantasiert von bemannten Mondflügen und finanziert Werner von Braun sowie Hitler. 

Auch ist Dr. Schmidt Mentor des brutalsten Gangsters der Stadt. Er flickt ihn nach jeder Schiesserei zusammen, motiviert und lenkt ihn. Er designt in der letzten Staffel eine Art Privatarmee von abgestumpften Maschinenmenschen, die nach Führung und Ordnung trachtet; eine Art Borg-Kollektiv. Das gefällt mir. 

Wie so oft erreichen Serien rasch einen «Zenit». Dann überschlagen sich die Ereignisse, sie werden immer unglaubwürdiger und absurder. Immerhin weiss man, wie diese Serie enden wird. Die Machtergreifung Hitlers ist noch knapp zwei Jahre entfernt. Die meisten Protagonisten werden dann deportiert; ein Journalist ist bereits jetzt eingesperrt. 

Da die Serie in einem spezifischen historischen Kontext ist, sind gewisse Ausgänge vorhersehbar. Man weiss bereits, wie alles ausgeht. Das entspannt und beruhigt. Man kann quasi zuschauen, wie eine Gesellschaft sich selbst sabotiert und in den Abgrund wirft. Und alle sind ahnungslos.

Noch ist Hitler Vertreter einer rechtmässigen Partei, von den Konservativen als «böhmischer Gefreiter» verunglimpft. Niemand nimmt ihn ernst – wie vormals Alfred Nyssen, der zuvor als Strohmann für die schwarze Reichswehr wirkte, belächelt und als verweichlichtes Muttersöhnchen abgetan wurde. Er konnte sich dank Dr. Schmidt umrüsten. 

Männer, die sich benachteiligt fühlen, verletzt, ignoriert, belächelt wurden, können eine gewaltige Wirkung entfalten. Nyssen reflektierte das mit Dr. Schmids Hilfe richtig als Rache; er will nicht dem deutschen Volk dienen, sondern sich primär seiner Mutter und den Generälen rächen, die ihn stets klein hielten. 

Wie auch immer. Die Serie lebt von historischen und auch psychologischen Referenzen. Die Serie ist ebenfalls perfekt produziert; die düstere, schwarze Stimmung Berlins, beinahe stets dunkel oder regnerisch im maximal urbanisierten Raum, ist sehr ansehnlich. Natürlich schwebt auch ein Luftschiff und ist Schauplatz einzelner Szenen; die LZ 127 Graf Zeppelin. 

Mal schauen.


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert