Alltäglicher Alltag. Du versuchst zu arbeiten. Du musst dich konzentrieren. Nein, nicht masturbieren, keine Zivilisationen oder Städte am Computer erbauen. Nicht nachdenken über den Unsinn, den du fühlst. Du musst dich fokussieren. Du hast gewichtige Aufgaben zu erledigen. Zu trödeln ist verboten. Deine Arbeitszeit ist kostbar und muss priorisiert sein.
Du verwaltest deinen Backlog; eine unendliche Liste nicht erledigter Aufgaben. Du gruppierst den Backlog nach Themen. Die Themen sind wiederum relativ bewertet. Sales ist beispielsweise wichtiger als Marketing, obwohl Marketing auch sehr-sehr dringend ist. Du musst dich selber irgendwie organisieren, denn niemand «managt» dich.
Der Backlog beschränkt sich aber nicht bloss aufs Berufliche. Auch dein Privatleben ist theoretisch sehr geordnet und verlangt Fokussierung. Du hast sicherlich einen Haushalt zu bewältigen. Wäsche waschen, Staub saugen, Toilette säubern, Dusche entkalken. Die Aufgaben wiederholen sich stets und enden niemals.
Daneben kümmerst du dich gewiss ums eigene Büro. Die Steuererklärung ist zwar bloss jährlich, doch Rechnungen bezahlen musst du minimal monatlich. Du musst deine Korrespondenz sammeln, deine Ausgaben überblicken, die nächsten Ferien budgetieren. Manchmal musst du eine Wohnung wechseln oder Kaufverträge abschliessen.
Auch diese Tätigkeiten wiederholen sich stets. Du bist stets im Alltag herausgefordert. Du kannst dir wenig Zeit reservieren, wo du idle und damit untätig bist. Denn der stets pralle Backlog erinnert dich daran, dass du verpflichtet bist. Das Leben hierzulande ist kein Müssiggang, kein Flanieren, kein Schlendern oder alleiniges Biertrinken.
Das Leben hier bedeutet Arbeit. Vermutlich musst du auch an deiner Beziehung arbeiten. Alleine könntest du alles aufschieben, hinauszögern; du könntest deine eigenen Standards reduzieren und vermutlich auch im Dreck und administrativen Chaos überleben. Doch in einer Beziehung musst du stets einen Mindeststandard aushandeln und aushalten.
Vermutlich fühlst du dich zuweilen überfordert. Aber das darfst du nicht. Denn du musst funktionieren und dich wieder einreihen. Du kannst zwar aussteigen, aber sodann kannst du auch nicht mehr von der Privilegien dieser Zivilisation profitieren. Du musst irgendwo an der Peripherie der Zivilisation von Früchten, Gemüsen und sonstigem dich ernähren.
Selbst der Ausstieg ist schwerwiegende Arbeit. Du tauschst einen Backlog gegen einen anderen. Auch dort bist du abhängig; vermutlich mehr vom Wetter, von den Jahreszeiten und vom Ertrag deines Bodens und natürlich von der Gesundheit, die nicht durch eine allgemeine Grundversicherung gedeckt respektive finanziert mehr ist.
Gewissermassen ist das Leben hierzulande alternativlos. Leben bedeutet Arbeit. Auch wilde Tiere sind grösstenteils beschäftigt. Die Nahrungsmittelbeschaffung beansprucht die meiste Lebenszeit. Daneben noch Schlaf. Nicht einmal die Fortpflanzung vergnügt wilde Tiere. Sie ist funktionalisiert und aufs Befruchten reduziert.
Du kannst diesem Leben nicht trotzen. Du kannst lediglich deine persönlichen Freiraum erschaffen. Die Berufsjugendlichen feiern den Eskapismus im sogenannten «Ausgang». Die Angepassten konsumieren Erzeugnisse der Kulturindustrie; Serien, Sport, Romane, Filme, Theater oder was sonst noch gerade Mode ist.
Aber auch der Eskapismus, die vermeintlich befreite und verantwortungslose, dennoch befristete Privatzeit repetiert sich. Und dadurch verliert sie ihre Kraft. Ein Bier am Feierabend kann zwar manchmal entspannen, doch das tägliche Feierabendbier ist irgendwann nicht mehr effektiv. Die Lieblingsserie beglückt dich einmal, zweimal – doch bald ist sie erschöpft.
Du musst stets frisch und anders dosieren. Und dadurch bist du bald wieder «gefordert» wie bereits im Alltag. Du musst dich immer wieder frisch erfrischen und vergnügen. Angemessen sich zu zerstreuen zu können, eine erlebbare Privatzeit zu verschaffen – auch das ist letztlich anspruchsvolle Arbeit und landet in deinem Backlog.
Gewiss kannst du den Freitod wählen und damit alle Verpflichtungen terminieren. Solange du aber mindestens begründen kannst, warum du das nicht tun sollst und dabei nicht auf dein Umfeld dich eingrenzt, musst du dich nicht sorgen. Ein einzelner Grund genügt bereits fürs Überleben.
Eventuell bist du zuweilen überfordert. Berufliche, private wie soziale Aufgaben häufen sich. Dein Backlog ist nicht mehr serialisiert oder als Liste strukturiert, vielmehr wuchert und übermannt er dich. Du bist unfähig, eine einzige Aufgabe zu erledigen, weil die Vielfalt und Wucht der Aufgaben dich lähmt. Du bist blockiert, in deinem persönlichen Lockdown.
In dieser Situation musst du mutig und tapfer sein. Mutig daher, weil du dich Schritt um Schritt vorkämpfen musst. Du musst die erste Aufgabe nehmen und sofort erledigen. Und tapfer, weil der Backlog unendlich ist. Du wirst dich gewiss ein wenig ausruhen können. Doch das Leben verpflichtet. Bereits in der Schule wirst du damit konfrontiert.
Ich weiss nun auch, wieso ich gerne hänge und nichts tue respektive möglichst wenig tue. Ich rebelliere still und heimlich, aber vergebens. Ich weiss auch stets, dass meine Untätigkeit kurz und nicht nachhaltig ist. Ich habe wenige Minuten, manchmal Stunden im Tag, die ich verplempern kann. Diese nutze ich effektiv. Das ist mein Freiraum.
Schreiben Sie einen Kommentar