Month März 2019

Apache Downtime

Die kleine Downtime des Apache Webservers war nicht beabsichtigt. Ich hatte in den jüngsten Wochen keine Kapazität. Diese Perioden wiederholen sich. Ich war bereits von meinem ersten Leben gefesselt. Ich musste dringend mein Leben strukturieren und ordnen. Ich kann aber meiner Leserschaft versichern, dass ich wieder gefestigter bin. Natürlich so gefestigt bloss wie man als Doppelgänger in diesem Leben sein kann. Also erwartet nicht, dass ich mich verhäusliche und benehme und dem Mythos des Erwachsenseins folge. Ich werde weiterhin den Futurismus verehren und mein Leben verschwenden. Bis bald.

Neuer Abschnitt

Ich beschrieb einst einen kleinen Kulturkampf zwischen jenen Angepassten, die ab dreissig den Schalter umlegen, ihr Leben normalisieren, ihre sozialen Beziehungen reduzieren und etwas von Familie und Liebe faseln. Und zwischen jenen Unangepassten, die das verneinen und stattdessen ihre Lebenszeit verschwenden.

Ich spüre diesen Konflikt ebenfalls. Es ist ja bekanntlich das grosse Motiv dieses Blogs. Leider muss man sich bewusst entscheiden. In dieser Lebensfrage kann bloss das Entweder-Oder klären. Man kann nicht tagsüber ein Familienleben simulieren und nachts vagabundieren. Das ist zumindest mittelfristig nicht vereinbar.

Ich selber werde mich niemals entscheiden. Ich werde gewiss nicht mich mässigen und disziplinieren, dass ich ein Heimchen liebe. Ich werde immer rasen und mich verausgaben. Dennoch bleibt die Sehnsucht nach einer anständigen Existenz latent. Denn mein Seiltanz kann bloss im Absturz enden.

Ich muss derzeit erneut, abermals die Konsequenzen meiner grobfahrlässigen Entscheidungen verantworten. Ich muss erneut, abermals eine neue Existenz, eine neue Identität bilden. Ich muss erneut, abermals ein neues Bett irgendwo im Internet bestellen, eine neue Klobürste erneut, abermals.

Ich habe schon so viele Wohnungen aufgebaut und ebensoviele wieder aufgegeben. Alleine das Geld, das dadurch sinnlos vergeudet wurde, könnte ich bedauern. Erneut, abermals muss ich nun wieder alles einrichten. Ich werde mich gewiss wieder arrangieren. Ich werde meine Identität stabilisieren.

Diesmal werde ich nicht erneut, abermals mit einer Frau zusammenziehen können. Diesmal hemmt mich mein kleines Mädchen, das ich formal im Pensum von 40% betreuen kann. Das kleine Mädchen begrenzt mich wohl zum ersten Mal in meinem unerschöpflichen und masslosen Futurismus. Und das ist gut so.

Ich kann damit das Doppelgängertum offizialisieren. Ich kann mich als Teilzeit-Papi gerieren, wenn gerade notwendig oder hilfreich im sozialen Umgang. Gleichzeitig kann ich verantwortungslos mich zerstören, hingeben und immer wieder verjüngen. Und das gefällt mir sehr gut. Ich kann Sowohl-als-auch praktizieren.

Die finanziellen Kosten für den Eintritt in den neuen Abschnitt werde ich bald meistern. Ich werde bald meine neue Wohnung schmücken, ich werde bald neue Alltagsroutinen entwickeln und sie im Ablauf festigen. Ich werde einen Ausgleich finden. In der Zwischenzeit werde ich noch ein wenig leiden dürfen. Doch das ist okay.

Das Schreiben als Arbeit

Wer arbeitet, muss überleben. Tätigkeiten, die ich Arbeit heisse, garantieren mein Funktionieren. Sie sind kein Tun, das ich freiwillig praktiziere. Sondern weil ich muss, überleben und funktionieren muss. Schreiben kann auch eine Schreibarbeit sein. Insbesondere, wer journalistisch ist.

Der zähste Text ist, der nicht mit einen fokussierten Akt erstellt werden kann. Sondern der Fleiss und eben Arbeit bedeutet. Man arbeitet sich Absatz für Absatz vor. Man jongliert mit Synonymen und achtet auf Wiederholungen. Alle fünf Minuten muss man sich kurz zerstreuen, das Tab respektive den Bildschirminhalt wechseln.

Eine A4-Seite muss so in mühseliger Stunden erkämpft werden. Kein Satz ist geschenkt. Irgendwann ist das Tageswerk beendet. Sodann prüft man es kritisch und ist unzufrieden. Man fühlt sich entsaftet, man zweifelt. Wie einfältig, wie alltäglich ist nun mein Text? Man glaubt, den Text verschlimmbessert zu haben.

Ich kann nicht auf Befehl formulieren. Also ich könnte schon, aber dann produziere ich, was ich als standardmässig und gewöhnlich empfinde, worauf mein Selbstbewusstsein nichts sich einbilden kann. Solche Produkte sind Arbeit. Und ich hasse Arbeit. Ich meide Arbeit, wo möglich.

Demgegenüber verehre ich natürlich den sogenannten “Fluss”. Das ist der spontane, weil unaufgeforderte und nicht planbare Schreibfluss, der unmittelbar sich entladen muss. Und dann muss ich nichts nachdenken, nichts korrigieren oder erzwingen. Dann kann meine optimierte Mensch-Maschine-Schnittstelle die Gedanken verstofflichen.

Solche Momente sind rar. Ich glaube, wer hauptberuflich schreibt, kennt diesen Fluss gewiss, aber dieser Fluss entspricht selten dem Alltag. Man kann nicht quasi berauscht einen Roman aus einem Guss vollenden. Das Produkt ist viel zu komplex. Das überfordert die kognitiven Kapazitäten. Zumindest meine.

Der ultimative Schreibfluss kann sich bloss im Essay-Charakter behaupten. Ein kleiner Gedanke, der sofort anregt und diesen Schreibfluss verursacht. Doch solche befruchtenden Gedanken sind sprunghaft, scheu und wegen der Arbeitsdisziplin vorm Aussterben bedroht. Sie können also nicht in einem Essay-Labor gezüchtet werden.

Was bleibt, ist zu erkennen, dass Schreiben auch Arbeit bedeuten kann. Und dass weder Künstlertum noch Genialität notwendig sind, um irgendwas schreiben zu können. Schreiben kann jeder. Man darf das Schreiben nicht romantisieren oder mystifizieren. Es ist kann auch blosse Arbeit sein. Harte Arbeit.

Im Berlaymont-Gebäude in Brüssel

Das Berlaymont-Gebäude in Brüssel kann den kleinen und bäuerlichen Schweizer durchaus beeindrucken. Ich weilte bislang bloss in den Zentralen grosser Unternehmen. Das sind funktionale Bauten, aber ohne jegliche Symbolik und Pathos. Die Bedeutung des Unternehmens misst sich an der Ausstattung dieser Bauten.

Ein prosperierendes oder ehemals prosperierendes Unternehmen muss einen repräsentativen Hauptsitz im Zentrum einer Grossstadt besitzen. Dieser Hauptsitz soll den Mitarbeitenden primär, Kunden wie Lieferanten sekundär die Grösse des Unternehmens veranschaulichen. Es ist eine Architektur eines unterschwelligen Imposantismus’.

Das Berlaymont-Gebäude verzichtet hingegen auf explizite Merkmale der Angeberei. Die künstlichen Säulen sind nicht marmorn. Der Boden spiegelt sich nicht. Überteuerte Kunst ziert keine Wände. Das Berlaymont-Gebäude ist unaufgeregt. Es ist bescheiden, aber weitläufig im Geiste und eine sinnliche Erfahrung für den Besucher. Vor allem als kleiner und bäuerlicher Schweizer.

Das Berlaymont-Gebäude ähnelt im Grundriss einem geschwungenen Kreuz. Das erschwert die Orientierung. Hier residiert die Exekutive der EU, der grössten Volkswirtschaft der Welt und das wichtigste Projekt des Westens, weit vor anderen Vorhaben wie CERN, ISS, UNO oder NATO. Hier konzentriert sich die kryptische Macht Europas.

Das Berlaymont-Gebäude ist wie ein Flughafen gesichert. Es ist eine kleine Welt, die kosmopolitischer wohl bloss noch am UNO-Hauptsitz sein kann. Alle Nationen sind anteilig ihrer Bevölkerung vertreten. Alle Nationen entsenden ihre hellsten Köpfe, ihre schönsten Männer und Frauen. Es sind Abgänger typischer Universitäten, der besten Schulen Europas.

Das Berlaymont-Gebäude regiert Europa. Doch es ist keine gewöhnliche Regierung. Hier muss man nicht mit einer Nation protzen. Hier muss man kein Volk beeindrucken, keine Massen besänftigen. Vielmehr ist es eine Spezialisten-Regierung. Man verunglimpft die EU gerne als Technokratie. Ich meine, anders könnte man die EU nicht regieren.

Die Menschen hier sind allesamt mindestens zweisprachig. Alle Pressekonferenzen werden zwar simultan in zwei Sprachen übersetzt, aber von den Journalisten beanspruchen gerade einmal fünf Prozent das Angebot. Die Journalisten stammen ebenfalls aus allen Nationen Europas Welt. Es soll auch ein Journalist aus Kasachstan sich tummeln, ein Exot.

Der Pressedienst ist gut organisiert. Überhaupt ist das europäische Organisationsgeschick bewundernswert, wenn man das politische Chaos Belgiens gegenüberstellt. Ich glaube, im Berlaymont-Gebäude geschieht nichts zufällig oder Zufälliges. Das ist eine perfekt abgestimmte Maschine, die seit Jahrzehnten erprobt ist und sich bewährt hat.

Hier arbeitet man nicht für acht Millionen verfettete Schweizer, die gerne sich isolieren und besserwisserisch die Aussenwelt verurteilen. Hier arbeitet man auch nicht für achtzig Millionen herausgeforderte Deutsche, die allmählich wieder ein Selbstwertgefühl empfinden. Hier arbeitet man für fünfhundert Millionen Europäer. Für etwas Grösseres.

Vermutlich für das Ganzgrosse. Die EU garantiert seit sechzig Jahren Menschenrechte, Friede und Wohlstand innerhalb der Grenzen. Es ist eine beispiellose Epoche seither. Es ist das komplexeste soziale System, das die Menschheit geschaffen hat bislang. Als Laie versteht man die Abläufe, die Rollen und Finessen nicht.

Das Standardwerk, das die EU erklärt, umfasst ungefähr fünfhundert Seiten. Populisten kritisieren die EU deshalb als volksfremd. Die EU ist aber keine Institution eines Volkes, sondern einer Idee, die weitaus mächtiger ist. Ein Volk ist stets künstlich begriffen, künstlich abgegrenzt, es ist eine vermeintliche “Ethnie”. Eine Idee ist aber übergreifend.

Eine Idee kann alle Menschen anfeuern. Die Idee der EU fasziniert weiterhin, trotz Kritik in allen Nationen, trotz Brexit, trotz Trump. Die EU ist das wahre Gegenmodell zu Trump und den digitalen Diktaturen wie China oder den Gewaltherrschern wie Putin oder Erdogan. Sie ist die letzte Idee des Westens.

Im Berlaymont-Gebäude spürt man diese Idee. Die Menschen, die hier arbeiten, sind von der Idee eines vereinigten Europas überzeugt. Das im Gegensatz zu den Parlamentariern im Espace Léopold, wo nach krummen Regeln das Europäische Parlament tagt und Euro-Skeptiker und Rechtsradikale einander freundlich grüssen.

Ich bin sehr dankbar, konnte ich zumindest einen Moment in diesem Gebäude wirken und einige Persönlichkeiten kennenlernen, die jenseits meiner Kategorien für Exzellenz sind. Das hat mich berauscht und meinen Glaube an der Idee der EU bekräftigt. Ich bin dankbar, dass ich als Schweizer einmal Teil etwas Grösserem sein durfte.