Ich kann derzeit mir nicht vorstellen, mein Leben hier und jetzt zu beenden – oder vielmehr beendet zu werden. Ich befürchte, dass ich noch nicht alles ausgekostet hätte. Ein Drittel des Lebens habe ich bewältigt, jetzt kommt das mittlere Drittel. Ich bin ausgereift, im Leben angekommen, habe wichtige Entscheidungen und so weiter getroffen.
Im letzten Drittel endlich werde ich bloss siechen dürfen. Ich werde fristen, bis ich sterbe, bis alle Bekannten und Verwandten mich vergessen. Vermutlich werde ich staatlich deponiert, schäme mich als Nettoempfänger des Gesundheitssystems. Später beerdigt man mich mit dem Restgeld, feiert und vergisst. Das Leben wie alle anderen. Tot.
Ich fordere für gewöhnlich, dass man jeden Tag sterben könnte. Man sollte dergestalt ausgeglichen, zufrieden und ausgeruht sein, dass man sterben könnte. Zufrieden, tiefenentspannt. Die Dinge geregelt wissen. Doch von diesem zeitlosen Zustand habe ich mich entfernt. Ich kann noch nicht sterben.
Ich hetze derzeit von Kleinigkeit zu Nebensächlichkeit. Ich bin vollends in der operativen Hektik gefangen. Der Beruf dominiert, die Familie erledigt den Rest. Ich werde immer schwerfälliger, ich reagiere statt zu agieren. Ich kann mich nicht zurückziehen und somit beruhigen. Lediglich der latente Alkoholismus tröstet.
Wenn ich heute verunfallen würde, vom Tram oder Auto überfahren werden würde, mein Pendelzug mit einem entgegenkommenden kollidieren würde, wenn eine unheilbare Krankheit ausbrechen würde, wenn ich mich verschlucken würde oder mein Herz kollaborieren würde – dann würde mich das bedauern.
Irgendwas hätte ich mir doch noch vorgestellt. Ich bin kein Narziss, der seine eigene Rolle überhöht. Keineswegs, ich bin mir meiner lokalen wie globalen Bedeutungslosigkeit bewusst. ich wehre mich dagegen nicht. Ich engagiere mich auch nicht für impact oder reach. Ich verkrieche mich im Beruflichen wie Privaten.
Dennoch flüstere ich mir selber ein, dass noch etwas fehle. Dass dieses kleine Oltner Leben doch etwas bewirken könnte. Dass ich gar etwas verpasse, was ich noch nicht kenne. Doch vermutlich irre ich bloss, bin durch das Zeitalter des totalen Individualismus dermassen verfremdet, dermassen dem Realitätsbezug entrückt.
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