Ich und die Literaturszene und mein Gesellschaftsroman

Die Schweiz hat eine kleine Literaturszene hervorgebracht. Sie sind alle ungefähr in meinem Alter. Manche kenne ich sogar persönlich. Andere nicht, noch nie etwas gehört. So oder so muss ich irgendwie mich anbiedern oder vernetzen. Also habe ich mich durchgeklickt. Doch was unterscheidet mich? Was ist mein USP, mein Alleinstellungsmerkmal? Ein Annäherung.

Ich habe weder Germanistik noch Publizistik studiert. Ich schreibe weder Theater noch Rezensionen. Ich bin bloss kaputt. Das ist mein Vorteil. Mein Leben ist kaputt, ich habe Kaputtes in meiner Nähe erlebt. Das lässt mich absondern, aber nicht unbedingt abheben. Denn so kaputt bin ich auch nicht. Es gäbe durchaus kaputtere Menschen, die Kaputteres erlebt hätten. Doch diese sind entweder weggesperrt, gestorben oder können sich nicht ausdrücken.

Wie kürzlich erklärt, vereine ich modernste Management-Techniken mit fatalistischem Weltschmerz. Meine Vollbildung beschränkt sich aufs Wirtschaftlich-Nützliche, meine humanistische Halbbildung kaschiere ich mit einer einseitigen Leseliste. Ich empfinde diese Kombination aber als «explosiv». Ich stamme nicht ausm Milieu, ich habe einen anderen Hintergrund. Ich habe nie Gedichte in Studentenzeitschriften verewigt. Ich habe mich nie fürs Theater interessiert. Ich war stattdessen «draussen» und unterwegs. Ich füllte unter anderem mich mit Alkohol.

Ob das alles mich auszeichnet? Ich kann gut Befindlichkeitsprosa. Ich kann gut Utopien und Dystopien. Ich verfüge über eine unendliche Vorstellungskraft. Schlussendlich kann alles mit Autobiografischem anreichern. Denn ein prekäres Leben erzählt mehr Geschichten als ein mediokres. Aber genügt das? Weshalb muss man mich lesen; weshalb beispielsweise auch bloss diesen Blog, diese Selbsthilfegruppe für anonyme Futuristen? Für alle Irrenden, Suchenden, Sehnenden und Verrückten? Keine älteren Frauen wie Capus mit romantischer Sehnsucht?

Mein Kolumnenkonzept, das ich wohlgemerkt noch nicht versendet habe, hält nichts zusammen. Es mangelt am Über- respektive Unterbau; am Rahmen, am Plot. Eine grosse Geschichte, damit sich die kleinen nicht verlieren. Das fehlt mir noch. Der Gesellschaftsroman als Genre dokumentiert den Menschen. Den roten Faden meiner Geschichte bilden entweder der Aufstieg oder der Abstieg oder das unstete Zwischenbad. Ich liebäugle mit dem Amoklauf als vorschnelles Ende; mit dem Massaker an der Autobahnraststätte.

Die Geschichte beginne klassisch mit der Geburt. Ein anonymer Freund will sie erzählen. Er will «die Tat» erklären, aber nicht rechtfertigen. Er ist der einzige Freund des Amokläufers. Er schildert den Aufstieg, den Abstieg, die Zwischenerfolge, die Enttäuschungen. Schliesslich endet alles im besagte Amoklauf. So kann ich den Gesellschaftsroman relativ früh abschliessen; ich muss mich nicht ums Altern, ums Verheiraten und Kinderkriegen kümmern.

Aber ja, wer möchte so etwas lesen? Ich habe mir mal die entsprechende Domain reserviert. Eine Art spin-off dieses Blogs? Oder der Überbau meiner Kolumne? Ich werde mich noch beraten und auch beraten lassen. Ich treffe mich in dieser Woche noch mit einem Vertreter der Szene. Ich will seine Meinung erfahren.


4 Antworten zu «Ich und die Literaturszene und mein Gesellschaftsroman»

  1. […] nach Thailand buchen. Ich fürchte Thailand. Ich werde mich dort verausgaben. Ich werde meinen Gesellschaftsroman vollenden. Nachts trage ich meine Dandy-Anzüge, kokse und zahle Lokalrunden. Tagsüber schreibe […]

  2. […] auch kurz vorm relativen Durchbruch als Schreiberling. Als depressiver Autor Oltens. Bevor K. und Konsorten überhaupt jemals als Schreiben […]

  3. […] Stoff muss reifen. Ich habe Skizzen. Ich habe einen Plot, eine Abfolge. Aber momentan vermisse ich die Notwendigkeit. Ich muss nicht […]

  4. […] bin ein Prototyp eines depressiven Künstlers. Ich möchte am liebsten bloss schreiben und Ausstellungen veranstalten, welche die Menschen entrücken, provozieren und entsetzen. Ich […]

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