Wir orientieren uns an überlieferten Mustern, was eine Beziehung ist. Sie versprechen Sicherheit und Vertrauen. Demgegenüber provoziert das Konzept einer sogenannten Un-Beziehung, die sich nicht von überlieferten Mustern ableiten lässt. Willkommen.
Annahmen einer Beziehung
Klassische Beziehungen basieren auf gemeinsamen Annahmen, was eine Beziehung ausmacht, wo sie sich beginnt und wo sie endet. Das beinhaltet beispielsweise gemeinsame Annahmen, wie oft man sich trifft oder miteinander spricht. Aber es sind ferner Themen widerspruchsfrei erklärt, wie man die sexuellen Exklusivität einordnet.
Ich selber habe mich zeitlang auf eine klassische Beziehung gestützt. In der Diskussion mit meiner Partnerin forderte sie explizit ein, was «normal» sei. Ich nickte, ich kenne die Überlieferungen der Normalität. Ich kenne die herrschenden Normen. Ich willigte ein, pflichtete bei. Ich wollte schliesslich irgendwie dasselbe. Weil ich sehnte mich nach Normalität.
Das Rechtssystem
Die Un-Beziehung ist aber eine «Beziehung», die grundsätzlich alle Muster hinterfragt und verneint. Alles muss verhandelt, definiert werden. Diese Un-Beziehung ähnelt der angelsächsischen Rechtssprechung (common law), wo das Recht sich erst entwickeln muss.
Die Un-Beziehung entlässt uns auf eine Welt der konstanten Kommunikation. Wir können uns auf nichts mehr verlassen. Nichts ist wie es scheint und alles ist verhandelbar, veränderbar. Es ist typisch postmodern. Aber die Menschen fürchten die Un-Beziehung. Ich auch.
Dichtestress
Die klassischen Beziehungen beengen einen zwar. Man unterwirft sich, man ergibt sich der Normalität. Man übt Paarsein. Man kauft zusammen ein, verreist oder probt die Fortpflanzung. Sie repräsentieren das herrschende System. Wir marschieren im Gleichschritt und gemeinsam statt einsam unserem sinnlosen Ende entgegen. Aber dennoch ist man einsam, was wir allenfalls kurz vorm Tod anerkennen dürfen.
Klassische Beziehungen können einen erdrücken. Sie verlangen, dass wir uns aufgeben, dass wir uns aufheben. Sie normieren uns. Wir gleichen uns einander an. Wir verschmelzen. Endlich betitelt die Ehe uns als eine Rechtspersönlichkeit. Unsere Identität und Individualität fusst aufm Gegenüber. Wir haben kaum Freiraum. Und wenn, überdeckt die Eifersucht alles. Wir beargwöhnen, wenn wir Spass haben, Spass jenseits der klassischen Beziehung.
Die klassische Beziehung monopolisiert nicht bloss den Sex, sondern expandiert schleichend in alle Lebensbereiche. Zuletzt muss man alles teilen, sonst ist’s nicht wahr, ehrlich oder überhaupt je passiert. Sie ist total. Schliesslich teilen wir eine Wohnung und ersticken einander in der Übernähe. Wir wagen keinen Ausbruch.
Die unendliche Sehnsucht
Unsere menschliche Liebe ist so unendlich wie die Sehnsucht danach. Sie wird nie enden. Wir werden uns bloss belügen; wir werden betrügen. Wir sind alle grundsätzlich unersättlich. Wir domestizieren uns gegenseitig zwar, belehren uns der Genügsamkeit. Aber gleichzeitig begünstigt das System die unendliche Gier. Wir erleiden die unendliche Sehnsucht. Und wo sie nicht ist, erschafft man das Bedürfnis. Wie können wir also uns disziplinieren, aber müssen gleichzeitig faustische Grenzenlosigkeit, Masslosigkeit und Möglichkeiten dulden?
Die klassische Beziehung im maturen Stadium kennt den Swinger. Dieser Austausch therapiert das Sexuelle einer Beziehung. Doch oft kaschiert das Sexuelle bloss den ewigen Schrei nach Liebe. Swingend werden wir uns nicht erlösen. Im Gegenteil, wir hinterfragen, ja ermorden damit die klassische Beziehungen. Damit beschwören wir die unangenehm-anstrengende Situation, im Konsens stets entscheiden zu müssen, was eine Beziehung umfasst.
Denn die Un-Beziehung zwingt einen. Sie nötigt einen zum Konsens, zum common law einer Beziehung. Wir können uns nicht zurücklehnen und annehmen, das Gegenüber denkt und versteht gleich. Wir können nichts garantieren, sondern müssen jede Situation bewerten. Wir können uns nicht entspannen. Die Un-Beziehung ist kein Ort der Geborgenheit, sondern der Auseinandersetzung. Man mag das Offene, die Auseinandersetzung lieben, man mag Freiheiten gewinnen, aber man verliert Sicherheit.
Was will ich?
Sicherheit zwar ist ohnehin eine Illusion und ein Trost einer unsicheren Zeit. Aber Sicherheit stabilisiert und normalisiert einen. Wir müssen unsere Individualität zügeln. Wir können uns in einer Gemeinschaft nicht total entfalten. Wir können nicht total egoistisch durchdrehen. Alles ist irgendwie begrenzt. Ich will nicht werten, ich versuche bloss zu beschreiben Ich selber habe trotz meines freiheitsliebenden Wesens gewisse Sehnsüchte nach einer klassischen Beziehung, die mich ordnen und strukturieren. Ich kann im Geiste durchaus vermessen und masslos sein.
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