Der Selbstwert misst die Achtung und den Respekt mir selber gegenüber. Ich kenne keine genormte Grösse. Ich kenne nichts, wie man Selbstwerte vergleichen könnte. Daher muss ich auf mein Gefühl meines Selbstwertes achten.
Als ich mich das erste Mal in Ton und Bild synchron begegnete, erstaunte ich. Bin ich das wirklich? Ich habe mich selber befremdete. Eine solche unheimliche Begegnung erhöht wohl kaum den Selbstwert. Der Selbstwert ist eine komplexe Grösse, der sich vor allem, aber nicht nur aus persönlichen Anforderungen an die eigene Person und die persönliche Wahrnehmung der Erfüllung derselben bildet.
Das Gleichgewicht
Wenn ich alle meine Anforderungen übererfülle, bin ich unzufrieden. Wenn ich alle meine Anforderungen untererfülle, bin ich unzufrieden. Ich bin bloss im Moment des Gleichgewichts garantiert nicht unzufrieden. Dieser Moment dauert aber nie Jahre; Selbstanforderungen oder auch die Selbstwahrnehmung verändern, entwickeln sich. Sie werden beeinflusst, geprägt, gestaltet. Denn wir sind nicht immer so selektiv, so abgeschottet von Welt und Umwelt wie wir uns selber vortäuschen.
Das liebe Geld
Ich erlebe derzeit ein Ungleichgewicht. Ich spüre, dass ich sehr strenge Selbstanforderungen bemühe, aber diesen nicht gerecht werde. Ich kann die Selbstanforderungen nicht recht entschlüsseln; sie verkleiden sich als Sehnsucht nach mehr Geld und Liebe. Geld kann ich rasch wegdiskutieren; technisch geht’s mir gut. Aber ich vergleiche mich gerne mit anderen. Ich bin gewissermassen eifersüchtig; ich will meinem Umfeld auch mehr bieten können und bin unzufrieden, dass ich das nicht kann, aber könnte, hätte ich mich doch früher mehr bemüht und mich von der Gesellschaft nicht losgesagt.
Ich bin gewissermassen verspätet. Zu spät in die Karriere eingestiegen, um richtig und klassisch durchstarten zu können wie meine Mitbewerber. Die sind nun erfolgreich, können sich Boote und Autos finanzieren. Ich kann mein Umfeld spärliche Kredite geben und mir knapp Urlaub leisten. Ich weiss gut genug, dass man sich nicht mit Geld differenzieren muss. Aber es ist schwierig in einer Welt, die sich bloss übers Geld definiert. Also muss ich mitspielen und irgendjemand irgendwas «beweisen» und meinen Selbstwert an mein Jahreseinkommen koppeln.
Schrei nach Liebe
Liebe ist komplexer. Ich fühle mich zwar durchaus gewertschätzt und anerkennt, aber irgendwie brauche und will ich mehr. Ich weiss nicht, was mein Schrei nach Liebe ist, den ich kürzlich dramatisierte. Was wünsche ich mir? Koks und Nutten? Ist das Liebe? Kaum, das sind bloss Ersatzstoffe, sie verbergen das wahre Bedürfnis darunter. Wir alle wollen bloss geliebt werden und lieben. Wir wollen den unendlichen Spiegel der Liebe. Ich bin hier überhaupt nicht «besser». Ich möchte der perfekte Zuhörer, Freund, Liebhaber, Geschäftspartner, Debattierer und so weiter sein. Ich beanspruche, in vielen Disziplinen gleichzeitig zu brillieren. Weil das aber gefühlt nicht tue, weil ich dafür nicht anerkennt werde, schreie ich umso lauter nach abstrakter Liebe.
Was bleibt?
Meine Beiträge enden selten mit einer Konklusion, die noch alles nochmals zusammenfasst und folgerichtig resümiert oder etwas abschliessend schlussfolgert, das man «mitnehmen» könnte. Beim Thema Selbstwert ist’s nicht anders. Hier kann ich bloss versichern, dass ich «dranbleibe». Sofort verfügbar wäre das Rezept, meine Selbstanforderungen zu «mässigen». Ich würde damit meinen Selbstanspruch verkleinern. Ich würde damit mein ganzes System entspannen. Aber ohne diesen so ganz faustischen Anspruch, ins Unendliche zu streben, würde auch mein inneres Feuer erlöschen und ich allmählich erschlaffen. Vermutlich muss ich damit leben können, dass ich stets unvollkommen bin und ich stets mich selber antreibe.
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