Der kleinbürgerliche Lebensentwurf erfordert spätestens ab dreissig eine stabile Partnerschaft. Diese Partnerschaft soll einen beruhigen. Sie soll den Appetit aufs Leben zügeln. Stattdessen erotisieren nun gemeinsame Sparkonten und Eigenheimfantasien den Alltag. Das gemeinsame Kind schliesslich krönt diese Bemühungen. Wer diesem Entwurf nicht folgt, den verachten und bemitleiden sie. Willkommen.
Ja, ich akzeptiere und verstehe das. Man darf mich als gutmütig verunglimpfen. Schliesslich bevorschusse ich jeden Menschen. Ich habe in meiner Vergangenheit mit N. auch schon debattieren müssen, dass C. und C. verzweifelt seien, weil sie keine Liebe spüren. Weil sie immer noch alleine seien. Weil sie sich nicht zusammenreissen können. Man hat jene Menschen pathologisiert, welche nicht in einer Beziehung sich glücklich wähnten. Oder zumindest so taten als ob. Schlimm.
Ich gestehe, dass ich jeweils für einige Sekunden diese Menschen auch bemitleidet habe. Ich habe ihr Sehnen, ihr Unglück gefühlt. Ich habe ihr Leiden aufgesogen. Ich erblickte das erloschene Glühen in den Augen deren, die längst vom Leben abgehängt worden sind. Ein durchaus bemitleidenswertes Fristen rettet solche Menschen irgendwie durch den Alltag. Kalt und leer, leblos. Einige Tinder-Dates kitzeln die noch nicht abgestumpften Sinne. Sie werden vermutlich verbittern.
Die Frau mit stämmigen Dunkelhäutigen, der Mann mit dehnbaren Asiatinnen. Irgendwann nämlich bricht der letzte vermeintliche «Stolz». Dann werden sie gevögelt. Doch sobald sie erwachen, überfährt sie ein rücksichtsloser Selbsthass. Weil die geforderten Anforderungen und deren tatsächliche Erfüllung nicht korrelieren. Depressiv. Und spätestens dann sind sie gefangen. Sie werden nie mehr sich befreien können. Denn sie werden sich allmählich entfremden. Sie werden sich am Sexmarkt verausgaben.
Sind solche Menschen nun unvollkommen? Dürfen wir sie verurteilen? Ich sicherlich nicht. Denn ich bin jenseits. Der Kleinbürger kann, soll und tut auch. Er muss sich abheben, abgrenzen. Sexuellen Klassenkampf gegen unten quasi. Ich bezweifle, dass glückliche Paare lästern müssten, wenn sie nicht selber so unglücklich und unzufrieden wären. Sie wollen selber bloss sich zerstreuen, dass andere vermeintlich einsamer, vermeintlich unglücklicher sich durchquälen. Trost.
Ich persönlich hause derzeit ohne Beziehung. Vermutlich werde ich irgendwann mich wieder in eine reizende Frau verlieben. Ich werde mich mässigen. Meine Liebe verabreichen. Liebe empfangen. Mittlerweile könnte ich aber auch ohne Frau mein Leben verschwenden. Ich will mein Leben nicht verplempern. Aber solange ich nicht in totaler Funktionalität einer Beziehung eingekettet bin, kann ich mich auseinandersetzen, kostbare Lebensenergie in Selbständigkeit und Schreibtum verprassen.
Rücksichtslos, egoistisch. Und ganz faustisch bloss mit dem eigenen Werk, mit dem eigenen Schaffen verheiratet. Eine unheimliche Entschlossenheit. Der klassische Teufelspakt. Ein Leben ohne Liebe, nun denn. Ich hatte technisch bereits genügend Liebe, ich hatte technisch bereits genügend Sex. Mein Leben kann in dieser Hinsicht durchaus enden. Ich müsste nichts bedauern. Ich müsste keinen verfallenen Optionen nachtrauern. Ich bin abgeklärter. Vermutlich abgeklärter als alle die Einsamen.
Mein Leben also kann auch vollkommen sein, ohne dass eine Beziehung mich stabilisiert. Ich bereue nichts. Denn ich erhalte dadurch unendliche Schaffenskraft. Ich werde demnächst vielfältig durchbrechen. Mein nächstes Umfeld betöre ich bereits. Sie ahnen, dass ich demnächst explodiere. Sie können meinen Lebenshunger wahrnehmen. Denn ich könnte die komplette Welt verschlingen. Niemand kann mich bremsen. Das ist das grosse manische Gefühl. Faustisch durch und durch.
Und das komplett ohne Frau. Bemerkenswert. Ein «Glück» gewissermassen, das ursprünglich ist, das weder vom Wetter noch von Launen eines Geschöpfs abhängt. Als ich meine berufliche Karriere wiederaufnahm, war ich fasziniert vorm Irrtum, dass man bloss beruflich im klassischen Sinne reüssieren könne, wenn man verheiratet sei, Bike fahre, Tauchferien plane. Weil bloss so ist man «unverdächtig» und «vertrauenswürdig». Kein klassischer Top-Manager ist alleinstehend; mindestens geschieden sind sie alle.
Als exzentrischer Creative Director einer übertriebenen Agilisierungsgesellschaft, die beansprucht, den Arbeitsplatz Schweiz zu sichern, der nebenbei das Ende der Liebe, der Welt und überhaupt schreiend schreibt – als solche Figur bin ich durchaus alleinstehend lebensfähig. Und nebenbei irgendwie glaubwürdiger. Ich muss kein Familienglück heucheln, wo keines ist. Ich muss nichts simulieren. Ich muss keine sozialen Anforderungen erfüllen. Ich kann stattdessen perforieren. Yeah.
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