Der Sonntag

Sonntags spaziert das gepflegte Volk durch Museen, danach durch Stadtparks. Sonntags flaniert man. Die wildlederne Slippers geputzt, der Trenchcoat halb zugeknöpft. Das pastellblaue Hemd für ihn, die pastellrosene Bluse für sie. Gepunktete, blaue Hüfthosen beidseits. Die Sonnenbrille vom lokalen Designer.

Gelegentlich ein weltmännisches “no way, never”, um den heruntergekommenen Türken in der Nachbarschaft zu negieren. Stattdessen ist der kleine, aber überteuerte Italiener mit der engen Bestuhlung bevorzugt, der auch veganes Eis serviert. Das Lächeln gequält, wenn die Familienplanung thematisiert ist. Bald, so der Konsens, werde sie akut.

Die NZZaS begleitet den Sonntag, Themen wiederholen sich. Heute mal Superfood, das Flirten in den grossen Städten, der Sonntagsausflug, wer heiratet wen; manchmal ein wenig Aussenpolitik, heute die EU, morgen wie die USA. Die Beilagen konzentrieren entweder schicke Immobilien an den Goldküsten der Schweiz oder Hausfrauen-Bücher.

Ich glaube, der einzige gute Sonntag ist der vollends verkaterte. Die Frisur verweht, die Haut ausgetrocknet. Klebrige Rückständen zieren den linken Schuh, das eine Brillenglas verschmiert. Gelbe Schweissränder verkrusten das original weisse Hemd. Die Lippe verdorrt, die Zunge verfärbt. Um 14:00 konnte man sich ausm Bett jagen.

Danach eine Dusche und die Futtersuche. Döner? Nein, nicht schon wieder. Luftiges Dreiecksandwich? Ich weiss nicht. Selber kochen? Nicht mehr in dieser Wohnung. Wo ist das Velo vergessen? Hoffentlich “nur” am Bahnhof, hoffentlich nicht am Fluss liegen gelassen. Wen habe ich gestern beleidigt? Wo hoch ist mein sozialer Kredit?

Wen muss ich anrufen? Wo muss ich mich entschuldigen? Wem schulde ich wie viel? Ich möchte nie mehr Alkohol trinken. Der Jammerlappentag. Der Sonntag. Der wahre Sonntag. Um 16:00 konnte mich sich regenerieren, man scherzt bereits. Man ist gut drauf. Es läuft langsam wieder. Das Konterbier. Und alles wird gut.

One thought on “Der Sonntag

  1. […] Testfälle mit Akzeptanzkriterien. Diese sammeln wir in Testsets, die wir beispielsweise am Beziehungssonntag durchackern. Solange, bis das Testergebnis unseren Erwartungen entspricht. Denn unsere Grundannahme […]

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