• Das Lebensmodell eines Berufsjugendlichen

    Ja, wir alle wollen nicht altern. Wir wollen unsere Möglichkeiten möglich wissen. Wir spielen mit Optionen. Wir sind hier und da, tun dies und das. Und tun uns schwer, uns festzulegen. Die totale Finalität verängstigt uns. Wir wollen nicht Entweder-Oder, sondern Sowohl-Als-Auch. Wir schattieren das Leben. Wir bleiben jugendlich. Oder so.

    Die Moralprediger

    Alle, die einigermassen gesetzt sind, beneiden, welche nicht sich setzenlassen wollen oder können. Das ist bereits ein kleiner Kulturkampf. Hier die Angepassten, die sich arrangieren, nach Heim und Anstand sich bemühen. Dort die Unangepassten, die das Leben verprassen. Beiden gemeinsam ist, dass sie ihre Lebensmodelle überhöhen und die Gegenseite moralisieren.

    Der ultimative Berufsjugendliche

    Wer mit dreissig das Wahre, Echte, bishin den Schmerz, die Grenzen und die Gefahr sucht und ersehnt, muss früher oder später in eine westliche Weltstadt flüchten. Olten alleine lässt einen nicht spüren, dass man noch lebt. In Olten ist das Konzept eines Berufsjugendlichen, der mit dreissig weiterhin feiert, als könne er die Jugend täuschen, schwer und wird immer schwerer vermittelbar. Es ist schwierig.

    Der faustische Drang

    Ich kann allen gut nachempfinden, die himmelhoch stürmen wollen. Ich kann allen verzeihen, die immer noch nicht satt genug sind. Ich kann es verschmerzen, wenn mein Umfeld das Unendliche anstrebt. Ich-will-leben. Ich weiss. Und ich schätze das sehr. Unsere Zivilisation baut darauf, dass Unangepasste immer höher, immer weiter und immer schneller vorwärts wollten. Das waren keineswegs Halbstarke, welche fremde Ländereien ausbeuteten, tausendjährige Reiche begründeten oder Konglomerate konstruierten. Nicht die Gier, sondern die Sehnsucht nach Leben, nach Grenzen, nach Härte und nach Gefühlen trieben alle diese Menschen.


  • Bitte mit Ziele

    Wer ohne Ziele ist, kann gut überleben. Aber er wird vermissen, was andere tief und schwer motiviert und antreibt. Wer mit Ziele ist und welche hat, kann eher begeistern und inspirieren. Ziel-, weil leidenschaftslose Menschen sind zwar «gut» fürs System. Sie schultern gewissermassen das Gesamtsystem. Aber sie sind nicht nachhaltig. Sie verglühen vergebens. Eine Verschwendung.

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    Die grosse, weil wichtige Zielfrage übt man, indem man sich kontinuierlich hinterfragt. Wer bin ich? Und wieso bin ich hier? Solche Frage sind fies, weil sie werfen uns zurück.


  • Durchbrennen?

    Ich kann allen nachempfinden, die durchbrennen möchten. Wer einigermassen offen, achtsam und einigermassen empfindsam hier lebt, wird früher oder später sich hintersinnen, ob er weiterhin sich stets bemühen soll. Ich möchte mich manchmal nicht immer bloss bemühen. Ich möchte tun, was mir gefällt. Ich möchte durchbrennen, mein Sparkonto plündern, meine Säulen veräussern und verreisen.

    Italien-Meer

    Doch wird’s anderswo besser, schöner als hier? Wird man zufriedener und glücklicher? Was ist der benchmark? Wie kann vergleichen und vermessen? Das Wetter könnte in südlicher Lage gewiss genüsslicher sein. Die Unterhaltskosten gewiss günstiger. Die Menschen gewiss freundlicher und zuvorkommender und sogar hilfsbereiter. Gewiss könnte man den Nutzwert anderer Regionen analysieren und gewissenhaft bewerten. Aber leider werden weltliche Anforderungen übergewichtet und übergewichtig bleiben, die einen in der Schweiz zu verbleiben erinnern. Und das ärgert mich.

    Kompetitiver könnte es in westlichen Weltstädten sein. Alleine unser Kontinent zählt mindestens deren zehn. Die Umstände, der Kontext ist dort ein ähnlicher. Zwar funktionieren die dortige Staaten nicht so reibungslos wie der unsrige, aber die klassischen beruflichen Chancen sind vergleichbar intakt. Kompetitiver ist denn auch, was mich lockt. In Olten beispielsweise ist man rasch ausser Konkurrenz. In Zürich habe ich bereits bedeutend mehr Konkurrenz, die einen stimulieren-inspirieren kann. In Zürich können auch Lebensmodelle entworfen werden, die in Olten undenkbar sind. Das verspricht Mut und Zuversicht.

    Wohin soll’s denn gehen? Südlich, nördlich, westlich oder östlich? Ich bevorzuge entweder nördlich oder südlich. Vorläufig harre ich aber in Olten. Ich habe mir schon einige Male vorgestellt, wie es wäre, wenn ich auswandern würde. Damals bedeutete für mich Auswandern, nach Biel, La Chaux-De-Fonds, Genf oder nach Dübendorf zu emigrieren. Heute müsste es schon Berlin, Frankfurt oder Boston sein.


  • Meine erste Misserfolgsgeschichte – mein enttäuschter Lehrmeister

    Ich genoss eine spezielle Lehre. Der Umfang meiner Lehre war ziemlich einzigartig und ungewöhnlich. Ich hatte wirklich eine sichere Basis. Mein Lehrmeister vertraute mir. In dieser Geschichte erzähle ich, wieso ich meinen Lehrmeister enttäuschen musste.

    Novo-Inform-AG-Scope

    Ich hatte aussergewöhnlich viele Freiheiten in meiner Lehre. Das war sehr unüblich. Meine Schulkameraden konnte ich stets verblüffen. Weil sie in ihren Gemeindekanzleien, Anwaltskanzleien oder Bankfilialen sich veradministriert-verwaltet fühlten. Ich musste Umsätze generieren; ich durfte Produkte testen und damit grandios scheitern. Und ich wurde mit einem wöchentlichen Barbonus entschädigt, sofern meine Gesamtkosten inklusive Marge gedeckt waren. Das war in der Tat sehr berauschend.

    Der grosse Plan

    Mein Lehrmeister hat mich zu seinem Nachfolger erkoren. Ich hätte sein Büro und seinen Stamm in Othmarsingen betreuen sollen. Er hätte in Dietikon ein neues Büro eröffnet und den Zürcher Markt bearbeitet. Denn dort war das viele und liebe Geld; viel mehr als im Raum Lenzburg, in Niederlenz, Dottikon oder Wildegg. An einer Verkaufsveranstaltung eines international tätigen Anlagefonds erfuhren wir, dass im Raum Zürich «500 Mio CHF brachliegen», die man verwalten könne.

    Der geplatzte Nachfolger

    Ich hätte mit 18 richtig Verantwortung übernehmen sollen. Ich hätte mit dem Auto meinen Kunden besuchen sollen. Ich hätte sie in allen Lebenslagen beraten sollen. Ich hätte mein Lebensstil aber mässigen sollen. Weniger kiffen, weniger trinken, weniger rauchen, weniger ausgehen. Dafür mehr lesen, lernen und mich stets weiterbilden. Das ist alles vernünftig und triffig. Aber ich wollte es nicht verstehen. Ich war damals 18 Jahre jung, das kann man mir verzeihen.

    Aber mein Lehrmeister wollte und konnte mir nicht verzeihen. Ich habe ihn enttäuscht. Ich habe sein Vertrauen missbraucht. Doch wie konnte das bloss geschehen? Ich kann mich nicht mehr erinnern, ich habe es wohl verdrängt. Kleine Ereignisse, kleine Enttäuschungen, die isoliert und alleine eigentlich nicht viel bewegt hätten, haben sich gehäuft. Das alles hat sich in einer grossen Enttäuschung verdichtet und bishin erhärtet. Als Abschluss bescheinigte er mir bloss, dass ich eine Lehre absolviert habe. Eine simple Arbeitsbestätigung, mehr nicht. Sie war knapp und trocken formuliert. Ich musste sie sogar selber schreiben, ausdrucken und von ihm signieren lassen.

    Der Abschied

    Der Abschied war kühl, distanziert. Er warnte mich, dass ich mit meiner Einstellung und Gabe, mir das Leben selber zu erschweren, niemals Erfolg haben werde. Ich werde niemals ein Teil dieser Gesellschaft werden können. Er hatte gewissermassen recht. Denn was danach folgte, war, dass ich mich radikal von dieser Welt abwendete und mich massivst zurückzog. Ich hatte mich verabschiedet.

    Aber in dieser Lehrzeit hatte ich sinnigerweise viel gelernt. Und dennoch konnte ich meinen Lehrmeister nicht zufriedenstellen. Ich bin gescheitert. Und ich konnte mich auch nie richtig bedanken. Denn er verstarb einige Jahre später und hinterliess Kinder und Frau. Ich hätte mich gerne ausgesöhnt und ich hätte ihm gerne gedankt, dass er mir die Augen und die Welt damals öffnete. Leider werde ich das nie tun können.


  • Meine erste Erfolgsgeschichte – meine eigene Zeitung

    Die Lektüre Kohlriesers Fördern und Fordern, die zeitgemässe Management-Bibel, hat mich angeregt, drei Erfolgs- sowie Misserfolgsgeschichten meines Lebens zu reflektieren. Ich möchte heute mit einer Erfolgsgeschichten beginnen.

    Ein Computer, ein Anfang

    Sehr jung erhielt ich einen Computer, einen ausgedienten Apple Macintosh SE. Ich war neugierig. Ich wollte damit etwas kreieren. Damals hatten wir noch kein Internetz. Dieser Apple wäre auch gewiss nicht internetzfähig gewesen. Ich ersehnte mir das Leben als Journalist, als rasender Reporter.

    Macintosh_SE

    Also wollte ich eine Zeitung erschaffen. Ich informierte mich über Zeitungen im Allgemeinen und übers Oltner Tagblatt im Speziellen. Ich hatte die kindliche Vision, eine eigene Zeitung herausgeben zu können. Der Apple unterstützte mich. Es war eine Applikation namens PageMaker vorinstalliert. Ich glaube, das nennt man eine Publishing-Software. Ich experimentierte.

    Das dreispaltige Layout

    Ich orientierte mich an den grossen Zeitungen, die mir damals bekannt waren. Das Oltner Tagblatt war damals noch sehr grau, dreispaltig und mit einer sehr kleinen Schriftart. Ich vermute, sie bereiteten damals gerade einen grossen Relaunch vor. Ich wollte das Layout des Oltner Tagblattes imitieren. Ich probte, tüftelte, bis ich zufrieden war. Aus heutiger Perspektive war das Layout natürlich unterentwickelt. Aber ich war damals in der 5. Klasse, also ungefähr 11 Jahre jung. Das darf man mir verzeihen.

    Going public

    Ich hatte eine Ausgabe publiziert. Ich erkundete meine Nachbarschaft, fotografierte analog und schrieb Geschichten. Ich schrieb über den Umbau des Hallenbads im Hinterbühlschulhaus, über die Aktivitäten meiner Jugendgruppe HGD. Ich beschwerte mich über die Verkehrssituation im Hombergerquartier. Und so weiter. Ich war eine richtige Quartierzeitung. Aber ich war alleine. Ich verkaufte die Zeitung von Tür zu Tür. Sie kostete fünfzig Rappen. Gedruckt habe ich sie selber.

    In der Schule war ich damals aufgefordert worden, einen Vortrag über ein freiwählbares Thema zu halten. Ich wählte natürlich Zeitung. Darin verglich die Zeitung der Oberstufe und meine Zeitung mit dem Oltner Tagblatt. Der Vortrag begeisterte meine Kameraden. Sie wollten mitwirken. Plötzlich wollten alle profilierten und klugen Kameraden mit mir eine Zeitung gestalten. Das war mein Erfolg.

    DBE-Homberger-Zeitung-Unterschiede

    Weitere Ausgaben und das Ende

    Ich war der unangefochtene Chefredakteur. Wir waren knapp sechs gleichartige Kinder. Ich war für die Auswahl der Beiträge und das Redigieren zuständig. Ich war der unbestrittene «Chef». Sie arbeiteten mir alle zu. Wir hatten gewissermassen drive. Wir produzierten noch weitere Ausgaben, wir erhöhten den Preis und vertrieben die Zeitung im ganzen Dorf und nicht bloss in meinem Quartier. Allerdings endete der Erfolg bald, weil die Schulbehörde meine Organisation HGD als kriminelle Organisation erklärte. Ich musste alle meine Aktivitäten auf Geheiss eines Jugendanwaltes im Kontext HGD abbrechen. 


  • Zwischen den Welten

    Ich vereine modernste und agilste Management-Techniken mit klassisch-fatalistischem Weltschmerz sowie aufgeklärter Abgeklärtheit. Typischerweise ist man hier Entweder-Oder. Ich bin Sowohl-Als-Auch. Und das ist explosiv. Für beide Welten.

    DBE-Gesellschaft-Spektakel


  • Ohne Grundeinkommen keine Digitalisierung

    Wie ihr wisst, ist das bedingungslose Grundeinkommen einer meiner drei politischen Themen. Neben dem bedingungslosen NATO-Beitritt und dem ebenso bedingungslosen EU-Beitritt wünsche ich mir ein bedingungsloses Grundeinkommen. Darüber darf das Volk demnächst richten.

    DBE-Tagi-Magi-Frei-von-Arbeit

    Meine Branche phantasiert von einer Digitalisierung. Jeder zweite Tweet in meinem Umfeld beschwört die sogenannte Digitalisierung. Doch leider wird die Digitalisierung verkümmern. Wir wollen alles automatisieren, verbessern, sprich digitalisieren, aber wir stoppen, enden immer bei gesellschaftlichen Diskussionen.

    Wie gehen wir mit allen diesen Menschen um, die nach der Digitalisierung niemand mehr will?

    Hier trumpft das Grundeinkommen. Das Grundeinkommen grundiert den sozialen Frieden. Es sichert jedem ein einigermassen würdiges Leben. Niemand ist mir angehalten, um eine soziale Existenz kämpfen zu müssen. Das Grundeinkommen festigt den berühmt-berüchtigten brüchigen Lack/Kitt der Zivilisation. Wir können Aufstände und Hungersnöte und individuelle oder kollektive Gewaltexzesse, politisches Irrlichtern – zumindest hierzulande – endgültig verbannen.

    Weil das Grundeinkommen befreit die Wirtschaft von ihrer sozialen Verantwortung. Die Wirtschaft kann nun digitalisieren. Die Wirtschaft kann automatisieren. Und eine automatisiert-digitalisierte Wirtschaft könnte sogar bedürfnisgerechter produzieren. Wir sind bereits defacto eine Überflussgesellschaft, welche Ausschuss (Abfall!) produziert, den wir alle irgendwie bezahlen. Aber wir sind noch zu wenig digital, um wirklich-wirklich lean fabrizieren zu können, was wir wirklich-wirklich benötigen.

    Die totale Digitalisierung bedingt ein bedingungsloses Grundeinkommen.

    Ohne ein bedingungsloses Grundeinkommen endet die Digitalisierung in der Angst, Arbeitsplätze zu vernichten. Wir dürfen radikal und visionär sein. Das Grundeinkommen schafft komplett neue Arbeitsplätze. Das Grundeinkommen steigert die Produktivität, weil es die Digitalisierung moralisch-sozial legitimiert. Ansonsten streiten wir in einigen Jahren, wenn alle sich digitalisieren wollen, wohin wir den menschlichen Altlasten, wohin wir die Jungen und Alten, die überflüssig geworden sind – wohin wir sie möglichst unauffällig verfrachten sollen.


  • Wer erinnert sich noch ans Millennium?

    everything goes – so prahlten wir Ende Neunziger. Man verabschiedete die Weltgeschichte, man feierte das Internetz und eine komplett neue Industrie. Man beschwor die Automatisierung aller Bereiche. Man wähnte sich liberal. Man fühlte sich sicher. Man hatte gewonnen. Everything goes. Wir waren alle trunken.

    DBE-Millennium-Symbol

    Was war geschehen? Sechszehn Jahre später? Sechszehn Jahre älter? Haben wir einen Kater?


  • Die alles durchdringende Kälte

    Ich sehe zwei Möglichkeiten, wie sich unsere Welt weiterentwickeln könne. Die eine ist die eines natürlichen Kältetodes. Die andere ist die einer klassischen Utopie gemäss Star Trek. Heute befasst ich mich mit dem Kältetod.

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    In Adornos Dialektik der Aufklärung wiederholt sich der Begriff der bürgerlichen Kälte. Darin befürchtet Adorno eine lediglich funktionierende Warengesellschaft. Die Kulturindustrie Kaliforniens hat Adorno gewiss beeindruckt während seines Exils. Doch seitdem hat sich alles verändert. Aus heutiger Perspektive können wir bloss schmunzeln, dass jemand die Zerstreuung und die Kälte menschlicher Beziehung bemängelte. Wir haben uns längst daran gewöhnt und sind viel weiter.

    1) Die künstliche Reproduktion

    Die künstliche Reproduktion wird demnächst institutionalisiert. Die künstliche Reproduktion erlaubt eine selektive Zucht. Wir produzieren on demand und bedürfnisgerecht. Die Notwendigkeit, dass zwei Menschen sich paaren und damit Widerstand leisten, wird obsolet. Und wenn es keiner Notwendigkeit bedarf, wieso muss man also sich zusammentun? Wieso muss man sich zuweilen mässigen und arrangieren? Die künstliche Reproduktion wird die Art und Weise, wie Menschen zusammenleben, radikal verändern. Statt Fleiss, Ausdauer bishin Beharrlichkeit motivieren einen Vergnügen, Zerstreuung und Selbstverwirklichung.

    2) Die Eigenverantwortung

    Heute schimpft man, wer keinen Erfolg habe, sei selbstverschuldet. Demnächst werden alle Verantwortungen einen übertragen. Man wird verantwortlich gemacht, wenn man zu früh stirbt, zu spät stirbt, wenn man erkrankt, wenn man einen Job verliert, wenn man depressiv wird. Alles ist pathologisch und alles hat eine Ursache. Man ist default schuldig und hat seine Unschuld zu beweisen. Und damit radikalisiert sich das Verhalten der Menschen untereinander. Man rutscht wie in einen Reptilienmodus. Entweder stellt man sich tot, fügt sich einem «Schicksal», man flüchtet oder man kämpft in einer Lose-Lose-Eskalationstufe. Jeder gegen jeden. Man fällt auf sich alleine zurück, man misstraut jedem.

    3) Die Virtualität

    Die moderne Maschine hat die klassische Kulturindustrie längst überholt. Bereits heute können wir uns in komplett austarierten virtuellen Welten vergnügen und zerstreuen. Wir müssen uns nicht mehr in der Realität binden und verpflichten. Wir können gezielt uns versenken. Demnächst können wir die Mensch-Maschine-Schnittstelle um weitere Geräte erweitern; Tastaturen und ähnliche Kontrollfunktionen werden überkommen. Wir verknüpfen unser Gehirn mit der Maschine und schaffen beliebige Welten. Diese Welten beherrschen wir. Wir können sie kontrollieren. Die Ungewissheit der realen Welt ist vergessen. Wir können uns entscheiden, ob wir unseren Lebensabend im Tessin oder als Millionär in einer weitaus gediegeneren Matrix geniessen wollen. Und Beziehungen werden funktional gesteuert, den momentanen Bedürfnissen entsprechend.

    4) Die Ernährung

    Das gemeinsame Mahl hat was Revolutionäres. Das letzte Abendmahl Jesu hat eine grosse Weltreligion begründet und überliefert die Gastfreundschaft eines gesamten Kulturkreises. Sich zusammentun, gemeinsam das wirklich Wichtigste zu vollenden, festigt menschliche Beziehungen. Dieser Event ist magisch. Wie viele Ideen, wie viele Kriege, wie viele Revolutionen, wie viele Entscheidungen wurden während einer gemeinsamen Mahlzeit getroffen? Wie viele Beziehungen gestärkt? Aber bereits heute haben wir eine stark erkaltete und isolierte Esskultur. Was in Adornos Kalifornien bloss eine Andeutung war, hat sich heute fast überall ausgebreitet. Und demnächst ersetzt der functional food das «echte» Essen. Und damit verlieren wir die Notwendigkeit, fürs gemeinsame Mahl uns zusammenzurotten. Und umso mehr wir uns auseinanderleben, umso kälter werden wir. Das Essen können wir vermutlich noch am längsten bewahren, wohingegen die Reproduktion, die Eigenverantwortung und die Virtualität uns längst besiegen werden.


  • Hungertod oder Heldentod?

    Aus zeitlosem Anlass ein Zitat kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Spenglers Untergang konstruiert einen Gegensatz zwischen Hungertod und Heldentod, worin er folgendes erkennt:

    Die Politik opfert Menschen für ein Ziel; sie fallen für eine Idee; die Wirtschaft lässt sie nur verderben.

    Wen die Armut plagt, der liest einen solchen Satz anders. Wer materiell einigermassen saniert ist, muss weder einen Hunger- noch einen Heldentod fürchten. Uns bedrohen keine Kriege. Wir kämpfen nicht für Ideen. Wir haben auch keine.