Mit Gelassenheit

Eventuell habe ich meine Mikrodosen an Eskapismus der ununterbrochenen Programmierung überstrapaziert. Derweil die Pandemie längst historisch ist, weil alle Menschen hierzulande nicht im Home-Office vereinsamen können oder zwanghaft verreisen müssen, habe ich sie genutzt, um mich zurückzuziehen, um der Welt zunehmend mich zu entfremden.

Leider muss ich wieder zurückkehren. Zaghaft resozialisiere ich mich. Ich treffe mich in Olten mit Gleichgesinnten. Die politischen Debatten verweigere ich weiterhin. Kommunal wähle ich bloss plusminus gleichaltrige Frauen des Aussehens wegen. Die Vorstellung, dass eine geile Mieze, die höchstwahrscheinlich sexuell aktiv ist, den Stadtstaat regiert, ist eine anregende.

Föderal sind einige Abstimmungen pendent. Sie sind allesamt uninteressiert, sie betreffen nicht meinen politischen Kern. Daher ignoriere ich sie. In Whatsapp- oder Threema-Gruppen versuchen mich Mitmenschen aufzuklären. Ich erwidere jeweils mit einem angemessenen Emotion. 

Die westliche Zivilisation ist weiterhin stabil. Die EU existiert, die NATO ebenfalls. Natürlich provozieren die Herausforderer. China, Russland, manchmal sogar der Irre am Bosporus. Das beunruhigt mich nicht. Ich habe die Planspiele Denkfabriken konsultiert, wie hoch die wirtschaftlichen, menschlichen und moralischen Verluste wegen eines konventionellen Taiwan-Konflikts ausfallen könnten.

Das alles beunruhigt mich nicht. Wir erleben eine typische Transformation. Die Geschichte ist längst nicht aufgehoben. Hier eine mutmassliche zurückfallende Supermacht, die aber unbeirrt einen ganzen Kontinenten beherrscht, wo Einzelne unterdessen den Mars kolonisieren oder die Welt digitalisieren wollen. Dort ein gealtertes Europa, das innerhalb der Blauen Banane weiterhin dynamisch und pulsierend ist. 

Dazwischen eine Schweiz. Als Kleinstaat sind wir der Geschichte ausgeliefert. Während einer globalen Transformation isolieren wir uns. Emotional mit dem Reiheneinfamilienhaus im dritten Agglomerationsring Zürichs, politisch mit Scheindebatten, ob der unschuldige Berset heimlich eine Corona-Diktatur installiert habe oder ob Pestizide Babys vergiften könnten. 

Ich bin überzeugt, dass die Transformation glücken mag. Ich favorisiere weiterhin den Endzustand einer globalen Föderation. Ein geeinter Planet. Einheitliche Forschung, soziale Wohlfahrt, Lebensmittelversorgung; kluge und nachhaltige Ausbeutung der regenerativen natürlichen Ressourcen und freilich eine friedliche Erkundigung Sonnensystems. 

Der Weg dorthin ist beschwerlich. Und gewisse Rückschritte muss man verkraften. Die letzte US-Administration war beispielhaft, dass die Menschheitsentwicklung nicht linear ist. Selbstredend vermute ich noch einen grösseren Krieg, der schliesslich uns befähigt, nicht bloss den Nationalstaat oder halbherzig die EU als grössere Identifikationsnenner zu akzeptieren, sondern auch den gesamten Planeten.

Bis dahin werden noch einige Krisen, Pandemien und Kriege wüten. Sie werden versuchen uns zu entmutigen. Ich empfehle Gelassenheit. Und natürlich eine nette Aussicht. Dank Internetz ist es möglich, jede Krise, jede Administration, jedes Scharmützel irgendwo auf der Welt in Echtzeit zu geniessen.