Herkunft Olten

Meine Herkunft ist eigenartig. Olten ist in der Schweiz bekannt, doch nicht gerade für Schönheit und Urbanität. Olten fristet im Mittelland. Olten war jahrhundertelang ein Untertanenstädtchen des schön-fernen Solothurns. Erst die Industrialisierung und damit die SBB befreiten Olten. Seitdem hat sich Olten einigermassen “entwickelt”.

Es ist eine mittelländische Kleinstadt. In Nachbarschaft liegen Zofingen, Langenthal und Aarau. Diese Städte konkurrieren stets. Sie sind alle innerhalb zehn Minuten Zugverkehr erreichbar. Aarau gleicht aber bereits Zürich West. Die Bars und Menschen orientieren sich nach Zürich. Zofingen harmoniert mit Luzern und Bern. Langenthal kennt nur Bern.

Olten ist ein Kaff. Olten aber behindert einen nicht oder nie. Die Stadt ist grossgenug, dass man jahrzehntelang nebeneinander leben kann. Ich kenne weiterhin Menschen, die weiterhin in Olten wohnen, die ich aber nirgendwo treffe. Manchmal erstaunt mich diese Art der Fragmentierung. Bereits in Olten existieren Parallelgesellschaften.

Gewiss können die Menschen hier einen erschrecken und ekeln. Wer den Bahnhof betritt, muss sich mitm Elend, was die Schweiz zu bieten hat, auseinandersetzen. Dieses Elend kann man zwar nicht mit deutschen Grossstädten mithalten. Dort, wo eine richtige Unterschicht sich ausbreitet. Aber für schweizerische Verhältnis dennoch beachtenswert.

Unsere Oltner Literatur beschreibt schwierige Lebensläufe. Fragile, gescheiterte. Sie streben nach Glück, werden aber enttäuscht. Sie zerbrechen. Sie sind nicht geschult oder trainiert fürs Leben. Sie alle wollen das Kaff verlassen, wollen in die ferne Grossstadt auswandern. Sie alle fühlen sich erdrückt und beobachtet. Man kennt sich.

Aber die Literatur dramatisiert. Sie überzeichnet. Die Lebenswirklichkeit in den mittelländischen Kleinstädten ist weitaus unaufgeregter. Olten ist ein solider Wohnort, die Mieten sind preiswert, das Angebot bemerkenswert. Die Kultur lebt. Die Randständigen sind gut versteckt. Die Ausländer hausen in Rankwog und Chalchofen und rauchen Shishas.

Derzeit formiert sich eine Gruppe Bekannter. Ich habe kürzlich ihren Antrag auf politische Ernsthaftigkeit bezeugt. Diese Gruppe möchte demnächst kandidieren. Ihr Frontmann K. gastierte an den letzten Wahlen auf einer sozialistischen Freak-Liste. Er konnte immerhin weitaus mehr als zweitausend Stimmen mobilisieren. Beachtenswert.

Oltens Ausgangslage ist nicht so trostlos wie oftmals bedauert. Ich möchte Olten nicht heiligsprechen. Olten kämpft mit gewissen issues. Doch die schlimmsten wie Drogenhandel und Prostitution konnten eingedämmt werden. Auch die Finanzkrise ist mittlerweile überwunden. Das vormals national bekannte Budget-Desaster ist weitgehend vergessen.

Ich werde Oltens Schicksal gewiss weiterhin beobachten. Wenn auch aus der Ferne. Trotz alldem bin ich der Stadt verbunden und auch dankbar. Dankbar, dass sie mich stets aufgenommen hat. Dass sie mich niemals verurteilt oder ausgestossen hat. Olten ist eine geduldige und leidensfähige Mutter. Sie liebt alle.