Die befreite Brust

Ich mag keine BH. Sie verquetschen die Brust. Sie maskieren die Brust. In den westlichen Grossstädten wie beispielsweise Basel und Brussels tragen Frauen nicht zuverlässig oder konsequent einen BH. Ich kann den kulturhistorischen Kontext nicht einordnen. Vermutlich hat die Frauenbewegung die Brust vorm BH befreit.

Ich befürworte die Gleichberechtigung. Als Arbeitgeber sind Frauen bei uns nicht diskriminiert oder eingeschränkt. Im Gegenteil, Teilzeitpensen z.B. werden grosszügig honoriert, indem der versicherte Lohn stets 100% entspricht. Auch praktizieren wir kompromisslose Lohngleichheit. Keine sozialen oder demografischen Faktoren beeinflussen den Lohn. Einheitslohn halt.

Als Arbeitgeber bin ich also okay. Aber als Partner? Ich bin ja kein Spezialist in Hausarbeit. Ich kann sicherlich Fenster putzen, Teigwaren erhitzen, den Grill schrubben, Feuer entfachen, Geschirr einräumen, staubsaugen oder weitere klar definierte Aufgaben verantworten. Doch erfahrungsgemäss hat die Frau stets mehr geschultert als ich. 

Frauen ohne BH sind auf ihre Brüste reduziert. Automatisch. Man kann nicht wegschauen. Auch wenn man gerade befriedigt, entsaftet oder was auch immer ist, eine befreite Brust ist jederzeit reizend. Mich irritiert bloss deren Häufigkeit. Ich zähle nicht, doch ich verwette, dass hier in Basel-Stadt 20% der Frauen keinen BH tragen.

An der Feldberg- und Klybeckstrasse vermutlich noch häufiger, wobei ich mich dort auch regelmässiger tummle respektive verstecke. Ein Kollege in Babylon Europas konnte meine Beobachtung bestätigen. Am Place Eugene Flagey vermutlich auch vielfacher als im Europaviertel. Meine Brüsselerinnerungen sind ohnehin verdunkelt und kaum signifikant. 

Der Sexmarkt ist bekanntlich sehr kompetitiv. Die Frauen altern, der Körper verwest, die Männer können kaum noch Lust empfinden. Die Sexualität ist vielmehr eine Tragödie, sehr angestrengt und zumeist einseitig befriedigend. Die Männer verzögern das Altern mit Kokain, Skateboards und exklusiven Hobbys wie Biken, Bierbrauen oder Basejumping. 

Anatomisch ist die Sexualität stets auch ein Eindringen. Es ist etwas Ergreifend-Besitzendes. Die Frau ist ausgeliefert. Nicht bloss Krankheiten, sondern auch Säfte gefährden und beschmutzen die Frau. Die alternde Frau ist lediglich vor ungewollter Schwangerschaft einigermassen geschützt aufgrund der männlichen Unfruchtbarkeit. 

Die befreite Brust provoziert mich nicht. Ich schätze die Darbietung. Ich geniesse die Reize. Ich lehne mich zurück, blicke hin, inspiziere und studiere und vergleiche. Ich befürchte, das ist aber nicht im Sinne der Erfinderin. Die befreite Brust sollte gleichsam die moderne Frau in den westlichen Grossstädten befreien.

Der BH sollte das Patriarchat symbolisieren. Meinetwegen. Das Patriarchat hat sicherlich gut gelebt, so wie Göring bei seiner Verhaftung überliefert haben soll. Ich habe leider nie vom Patriarchat profitiert. Ich habe deswegen keinen besseren Job, nicht mehr Einkommen und auch sonst keine Vorzüge. Schade. 

Für mich ist das Patriarchat real nicht existierend. Der grosse Männer-Filz, entstanden durch Militär und FDP, ist ohnehin längst ausgestorben. Die Verhältnisse sind einigermassen entspannt. Frauen dürfen und können alles. Gewisse Branchen sind durchaus veraltet, müssen noch nachholen. Ich denke hier an die Sozialindustrie und an die Gastronomie.

Dort regieren oftmals männliche Gewaltherrscher, kleine, aber unbefriedigte Narzissten, welche die Schwäche jener Frauen ausnutzen, die typischerweise in diese Branchen sich verirren, weil sie keine Alternativen finden. Und dann sind diese Frauen diesen gewalttätigen Männern ausgesetzt. Keine schöne Beobachtung und mein Beileid. 

Ich bin also verunsichert, ob die befreite Brust etwas symbolisiere oder bloss eine modische Erscheinung sei. Vermutlich will die befreite Brust nicht politisieren. Vermutlich ist die befreite Brust bloss bequem, weil durchlässiger, frischer, gesünder. Auch reduziert die befreite Brust sicherlich Komplexität in der Morgenroutine.

Frauen spüren wohl, wenn man ihre Brüste überprüft. Ich habe mich bislang noch nie gemustert gefühlt, ausgenommen bei der Aushebung mit achtzehn. Das war aber staatlich angeordnet. Damals bin ich für untauglich erklärt worden. Vermutlich überschreite ich eine Grenze, wenn ich die Brüste angaffe. Vermutlich verletze ich die Intimsphäre damit.

Ich will mich dafür entschuldigen. Falls eine befreite Brust etwas Politisches ist, dann muss ich wohl alsbald aufgeklärt werden. Ich bin ziemlich unpolitisch, ich verfolge das Tagesgeschehen nicht. Ich vernehme gelegentlich Direktiven des Bundesrates über das neuartige Coronavirus. Ansonsten bin ich ziemlich isoliert und entfremdet. 

Ich bin ein grosser Anhänger der befreiten Brust. Sie ist natürlich einfach besser und hübscher anzusehen. Ich kann mich gut auf eine befreite Brust fokussieren und mich daran erfreuen. Ich möchte mich hiermit bedanken für alle diese Frauen in den westlichen Grossstädten, die das kultivieren. Ich bin entzückt.