Die Arbeit und die Automation

Die Arbeit und damit die Begriffe der Arbeitswelt durchringen unsere Lebensbereiche. Die Arbeitswelt ist die erfolgreichste Konstruktion des letzten Jahrhunderts. Die Arbeit erobert das komplette menschliche Tun. Wir arbeiten bloss noch. Selbst seriöse menschliche Beziehungen nennen wir Beziehungsarbeit.  

Sie hat die Kriege der grossen Ideen überlebt. Der Erste wie auch der Zweite Weltkrieg konnten die Arbeitswelt nicht stören. Die Arbeitswelt hat die komplette Welt besiedelt. Die meisten Existenzen dieses Planeten unterwerfen sich der Arbeit. Doch die Arbeit kleidet sich harmlos. Sie gebiert sich als Befreier. Arbeit macht frei.

Die Arbeit kontrolliert den Planeten. Sie hat eine eigene Sprache und Zunft herausgebildet. Es sind Blätter wie The Economics, The Wall Street Journal, Financial Times, weniger die NZZ und die FAZ, die weltweit rezipiert werden. 50% der realistischen Kulturgüter behandeln die Arbeit, die übrigen etwas wie Liebe.

Gewiss irrlichtere ich ebenfalls in der Arbeitswelt. Ich bin ebenso darin verwickelt. Ich habe die Fachbegriffe verinnerlicht. Ich kenne die Prozeduren und Mechanismen. Das sind wiederholende Muster. Sie regeln nicht bloss den Arbeitsprozess, sondern auch die Arbeitsbeziehungen. Ich könnte technisch hier, in Hongkong oder in Kapstadt wirken.

Die Arbeitswelt vernichtet Individualismus und Menschlichkeit. Sie ist eine Maschine. Ironischerweise automatisiert seit den 50er die Maschine die Arbeit. Die Automation dominiert die Investitionen in der Arbeitswelt. Die höchste Wertschöpfung erzielt die Arbeit derzeit, wo sie völlig von Materie und Gütern entfesselt ist: an den vernetzten Börsen.

Gerade dort ist die Automation vollends geglückt. Man schätzt, dass die Hälfte des Handels automatisiert und ohne menschlichen Einfluss getätigt wird. Algorithmen wetten gegeneinander. Selbst der entfernte und schusselige Privatanleger nutzt solche Algorithmen in seinem eBanking, wenn er Handelsaufträge mit Limiten zeichnet.

Die Automation gefährdet die menschliche Identität. Spätestens seit der protestantischen Arbeitsethik, exemplarisch durch Max Weber analysiert, ist die Arbeit “gut” und “notwendig”. Sie stiftet Sinn, Identität. Wir sind alle aufs Arbeitsleben ausgerichtet. Auch die staatlichen Institutionen sind beflissen, uns für die Arbeitswelt zu rüsten.

Es ist das Wesen der Arbeit, dass sie reproduzierbar ist. Der Mensch ist ersetzbar. Die Textilindustrie ist eine klassische Wanderindustrie. Sie bewegt sich gerade dorthin, wo die Bedingungen des Arbeitsmarktes günstig sind. So war vor der Industrialisierung die Ostschweiz der Hotspot der damaligen Textilindustrie.

In unserer Alltagssprache wissen wir, dass wir immer jemanden finden, der arbeitet. Wir gingen nun aber jahrhundertelang davon aus, das seien Menschen mit vermeintlich niedrigeren Anforderungen. Wir haben akzeptiert, dass die Dritte Welt fabriziert, wir konstruieren und konsumieren. Das war für alle irgendwie gut.

Nun bedroht die Automation den Menschen in der Arbeit. Ich persönlich befürworte das. Denn die Arbeit hat den Menschen entwürdigt. Die freien Griechen der Antiken mussten nicht arbeiten. Sie durften philosophieren, denken und handeln. Doch sie waren eine Minderheit. Die Mehrheit der Gesellschaft waren Sklaven.

Sklaven mussten arbeiten. Das war ihre Bestimmung. Deswegen nannte man sie auch Sklaven. Das war ehrlich und transparent. In der Schweiz müssen alle arbeiten, ausgenommen Erbreiche, aber auch die müssen arbeiten, damit sie gesellschaftlich nicht ausgestossen werden. Dass alle arbeiten können, ist der Primärzweck der Politik.

Die Politik beabsichtigt die sogenannte Vollbeschäftigung. Das ist der ideale Zustand einer arbeitenden Gesellschaft, wo alle Arbeit haben. Unsere Gesellschaft ist so konzipiert, dass sie grösstenteils arbeitend ist. Das Nichtarbeiten ist verboten. Wer ohne Arbeit ist, also arbeitslos, muss sich sofort bei der Arbeitslosenversicherung anmelden.

Die Arbeitslosenversicherung respektive die korrespondierende Ausgleichskasse (kantonale oder private) berechnet basierend auf der letzten Arbeit das Taggeld für die Arbeitslosigkeit. Das Taggeld ist zeitlich beschränkt. Die oberste Priorität hat die sogenannte Wiedereingliederung. Dafür ist die regionale Arbeitsvermittlung beauftragt.

Wer innerhalb dieser Frist nicht wieder arbeitet, verliert den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Man nennt diese Menschen “ausgesteuert”. Sie verschwinden fortan aus der Statistik der Arbeitslosen. Wir alle schämen uns derentwegen. Sie sind der “Schandfleck” der Gesellschaft, weil sie nicht mehr arbeiten.

Wer kann, rettet sich in die Invalidenversicherung. Dort ist aufgehoben, wer wegen nachweisbaren Gründen nicht mehr arbeiten kann. Doch auch die Invalidenversicherung verfolgt die oberste Maxime der Wiedereingliederung. Das führt teils zu absurden Situationen, wenn die Bürokratie zu bürokratisch ist.

Wen die invalidenversicherung nicht akzeptiert, weil er eine Arbeitsunfähigkeit nicht begründen kann, muss mit der Sozialhilfe sich arrangieren. Das ist eine kommunale Fürsorge, die in der Schweiz weder garantiert noch reglementiert ist. Eine Konferenz verabschiedet regelmässig Empfehlungen, doch jede Gemeinde kann selber walten.

Die Sozialhilfe wiederum ist bemüht, die Arbeitslosen möglichst rasch an die Invalidenversicherung zu delegieren. Oder zur Arbeit zu zwingen. In der Sozialhilfe herrscht in den meisten Kommunen ein Arbeitszwang. Die Sozialhilfe kürzt, wer nicht teilnimmt. Es ist Fronarbeit. Wer genügend front, erhält einen symbolischen Zuschlag.

Ich möchte nun nicht mit der Altersvorsorge fortfahren. Es ist unmissverständlich, dass die Altersvorsorge ebenso an der Arbeitstätigkeit gekoppelt ist. Wer nicht genügend gearbeitet hat, muss sogenannte Ergänzungsleistungen beantragen. Diese kompensieren. Die Zweite Säule hingegen verdienen bloss die fleissig Arbeitenden.

Nicht bloss unsere Sozialversicherungen, unsere Politik und unsere Gesellschaft beruhen auf der Arbeit, sondern auch unsere zwischenmenschliche Beziehungen, unsere Identitäten und unsere Weltanschauungen. Wenn wenigstens eine Religion den Zweikampf zwischen Arbeit und Mensch schlichten könnte, dann wäre ich weniger besorgt.

Die Arbeit fängt den Menschen auf. Die Arbeit beseelt den Menschen. Die Arbeit beruhigt den Menschen. Die Arbeit besänftigt den Menschen. Die Arbeit befriedet den Menschen. Ohne Arbeit ist der Mensch unglücklich, unvollkommen, unzufrieden. Wer arbeitslos ist, fühlt sich minderwertig, mangelhaft, verbannt quasi.

Die Automation existiert. Sie hat noch nicht beschleunigt. Wir domestizieren die Autoḿation. Die Politik bekämpft die Automation, indem sie sogenannte Arbeitsplätze reklamiert. Die Automation ignoriert Arbeitsplätze. Die Automation automatisiert die Arbeit. Die Automation ist die Evolution der Arbeit.

Noch ist die Automation zahm. Wir rechtfertigen sie, weil sie neue Arbeitsplätze schafft. Doch in wenigen Jahrzehnten übernimmt die Automation die Arbeit der Mustererkennung. Die Mustererkennung ist die Disziplin der sogenannten Wissensarbeiter. Das ist die Arbeit von Juristen, Ärzten, Beratern, Verkäufern, Analysten.

Als die Automation die Fabrik sanft optimierte, haben wir das als Fortschritt verkündet. Die Automation erlöse den Menschen. Wir fühlten uns stets der Automation überlegen. Wir haben deswegen den Begriff der Wissensarbeit erfunden, der uns von der ausführenden und repetitiven Arbeit unterscheidet.

Die Automation kann bereits heute Muster erkennen. Doch wir zögern. Wir sind verunsichert. Ist es die späte Einsicht? Jetzt bin ich zum Tod geworden, der Zerstörer der Welten? Warum entfesseln wir nicht die Automation? Irgendjemand wird es tun. Irgendjemand wird die Automation loslassen. Chinesen, FSF-Hacker, Spass-Terroristen oder EU-Bürokraten?

Sobald die Eintrittshürden fallen, vernichtet die Automation unsere bisherige Gesellschaft. Unsere sozialen Systemen werden zusammenbrechen. Wir sind nicht vorbereitet. Die Automation kann bloss mit einer Weltanschauung, mit einer Identität begegnet werden, die jenseits von Arbeit sich definiert.

Und das ist derzeit nicht aushandeln. Die Arbeit hat den Lebenssinn monopolisiert. Weil Arbeit Erwerbsarbeit bedeutet. Ohne Erwerb kein Einkommen. Ohne Einkommen kein Sinn, Identität; kein Leben. Wir arbeiten, um zu leben. Doch eigentlich leben wir, um zu arbeiten. Wir haben das einfach nicht bemerkt.

Hier muss man sich den herrschenden Verhältnissen unterordnen. Wer nicht arbeitet, ist ausgestossen. Wir beschimpfen Arbeitsverweigerer. Sie werden mehr geächtet als Militärdienstverweigerer. Linke wie Rechte jagen den Arbeitsscheuen. Es ist der gemeinsame Feind aller Politik.

Ich kann die Verhältnisse nicht ändern. Ich kann experimentieren. Ein Gedankenexperiment für heute, doch bereits morgen eine Wirklichkeit, weil sie keine Einstiegskosten verursacht. Die Idee ist, dass alle Menschen in der Schweiz, die seit ihrem 16. Lebensjahr mehr oder weniger ohne Unterbruch gearbeitet haben, zwei Jahre lang sich arbeitslos melden.

Die meisten Lebensläufe in der Schweiz sind lückenlos. Die meisten Menschen arbeiten seit ihrem 16. Lebensjahr. Die kleinen Lücken werden gefüllt, geschmückt. Niemand will eine Lücke wahrhaben oder preisgeben. Sie befremdet, sie irritiert. Ich fordere aber eine bewusste Lücke und propagiere deswegen:

Zwei Jahre Arbeitslosigkeit für alle mindestens einmal im Leben und besser jetzt als später. Damit will ich die Menschen provozieren. Wer bin ich? Und warum bin ich hier? Sobald ich keine Arbeit mehr habe, die mich hierüber aufklärt, muss ich nachdenken, ich muss philosophieren. Das kann das individuelle Wertesystem verändern.

Ich erachte diese Massnahme als eine Art ziviler Ungehorsamkeit. Die individuellen Kosten sind überschaubar. Die Arbeitslosenversicherung kann den Erwerbsausfall grösstenteils decken. Keine Familien werden wegen des Geldes auseinanderbrechen. Vermutlich eher wegen anderen Gründen.

Ebenso kann die Gesellschaft entspannt sein. Es ist keine eigentliche Rebellion. Es ist bloss befristeter Widerstand, der so individuell nicht auffällt. Man könnte das als eine Art Auszeit verallgemeinern. Es ist bloss ein Stresstest für unsere Gesellschaft, die nur noch arbeiten kann. Und daher ein spannendes Experiment.