Der Liebesentzug

Eltern bestrafen das Kind durch Liebesentzug. Wenn das Kind nicht gehorcht, nicht verwirklicht, was die Eltern verpassten oder projizieren. Wir sind so selber erzogen worden. Die Liebe verknüpfen wir mit Bedingungen. Das ist ein Übel der Zeit. Wir materialisieren damit die Liebe zum Tauschobjekt, das man beliebig einsetzen kann.

Ich selber bin fähig, Liebe zu entziehen. Ich habe auch so meine ehemaligen Partnerinnen gequält, wenn sie mir nicht einen Wunsch erfüllten. Wenn ich mich ungerecht behandelt fühlte. Oder wenn ich mich einfach missverstanden wähnte. Der Liebesentzug ist eine schwierige Waffe. Ich konnte sie nicht recht bedienen, verletzte mehr.

Ich konnte durch Liebesentzug noch nie meine Ziele erwirken oder gar erzwingen. Liebesentzug ist nicht bloss ein Übel, sondern ein grosser Irrtum. Er verkompliziert menschliche Beziehungen. Ich wünsche mir eine Welt ohne Liebesentzug. Ich möchte niemanden bestrafen oder damit erziehen.

Gewiss erlebte ich auch Liebesentzug. Man kennt solche Alltagssituationen. Ein Streit eskaliert. Der Partner ignoriert einen. Wenn man sich als erster meldet, bekundet man Schwäche und akzeptiert quasi seine verlorene Position. Man disqualifiziert sich als Opfer, das zu wenig hart und standhaft ist.

Aber wenn man Liebesentzug offenkundig anprangert, dagegen ankämpft, riskiert man eine Eskalation. Denn das könnte den Partner bedrohen, hinterfragen und eine Grundsatzdebatte provozieren. Sooderso verlieren alle Parteien in diesem Spiel. Liebesentzug kürt keine Gewinner, vielmehr sind alle Verlierer und verringern ihre Liebesfähigkeit.

Die Aufmerksamkeitsökonomie im Allgemeinen durchdringt auch private Beziehungen. Man muss wahrgenommen, anerkannt und gewertschätzt werden. Wir sehnen uns lebenslänglich. Kein Alltag kann dieses Bedürfnis wegorganisieren. Eltern-Kind genauso wie Partner-Partner. Denn Aufmerksamkeit kann nicht konservieren oder als dritte Säule sparen.

Liebesentzug vergiftet den Aufmerksamkeitshaushalt einer Beziehung. Liebesentzug gefährdet das Wohlwollen, die Gutmütigkeit und die Geduld. Manche Beziehungen funktionieren bloss noch als Entzugserscheinungen. Man bekriegt sich, um sich zu versöhnen. Das kann pathologisch ausarten.

Als Opfer eines Liebesentzuges darf man sich nicht in diese Rolle drängen lassen. Man darf den Liebesentzug auch nicht ausblenden und verharmlosen. Aber gleichzeitig nicht dramatisieren und sich selber erregen. Man muss sich ausgleichen und seine eigenen Stärken und Schwächen reflektieren.

Als Täter eines Liebesentzuges muss man sich überwinden und signalisieren, dass man sich eventuell geirrt hat, aber ohne dass man das Gesicht verliert. Ansonsten könnte ja jemand triumphieren und dies ebenfalls als Zeichen der Schwäche auslegen und sofort eventuell ausnutzen; Bedingungen stellen. Die Liebe soll man also wieder gesund dosieren.

Man muss nicht alles permanent ausdiskutieren; kleine Situationen eines alltäglichen Liebesentzuges überbewerten. Man muss die Muster analysieren, die einen Liebesentzug verursachten. Und seinen eigenen Anteil bemessen, doch weder zu grosszügig noch zu sparsam. Ausgewogen, ehrlich.

Ich selber möchte keinen Liebesentzug instrumentalisieren. Aber ich bin gewiss nicht perfekt. Ich neige zu diesem Verhalten; ich kenne meine Tendenzen. Ich versuche die Situationen zu reduzieren, die einen Liebesentzug auslösen können. Ich bin irgendwie ein Gutmensch; ich möchte niemanden quälen. Aber ja, ich bin nicht vollkommen.


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