Ich genoss eine spezielle Lehre. Der Umfang meiner Lehre war ziemlich einzigartig und ungewöhnlich. Ich hatte wirklich eine sichere Basis. Mein Lehrmeister vertraute mir. In dieser Geschichte erzähle ich, wieso ich meinen Lehrmeister enttäuschen musste.
Ich hatte aussergewöhnlich viele Freiheiten in meiner Lehre. Das war sehr unüblich. Meine Schulkameraden konnte ich stets verblüffen. Weil sie in ihren Gemeindekanzleien, Anwaltskanzleien oder Bankfilialen sich veradministriert-verwaltet fühlten. Ich musste Umsätze generieren; ich durfte Produkte testen und damit grandios scheitern. Und ich wurde mit einem wöchentlichen Barbonus entschädigt, sofern meine Gesamtkosten inklusive Marge gedeckt waren. Das war in der Tat sehr berauschend.
Der grosse Plan
Mein Lehrmeister hat mich zu seinem Nachfolger erkoren. Ich hätte sein Büro und seinen Stamm in Othmarsingen betreuen sollen. Er hätte in Dietikon ein neues Büro eröffnet und den Zürcher Markt bearbeitet. Denn dort war das viele und liebe Geld; viel mehr als im Raum Lenzburg, in Niederlenz, Dottikon oder Wildegg. An einer Verkaufsveranstaltung eines international tätigen Anlagefonds erfuhren wir, dass im Raum Zürich «500 Mio CHF brachliegen», die man verwalten könne.
Der geplatzte Nachfolger
Ich hätte mit 18 richtig Verantwortung übernehmen sollen. Ich hätte mit dem Auto meinen Kunden besuchen sollen. Ich hätte sie in allen Lebenslagen beraten sollen. Ich hätte mein Lebensstil aber mässigen sollen. Weniger kiffen, weniger trinken, weniger rauchen, weniger ausgehen. Dafür mehr lesen, lernen und mich stets weiterbilden. Das ist alles vernünftig und triffig. Aber ich wollte es nicht verstehen. Ich war damals 18 Jahre jung, das kann man mir verzeihen.
Aber mein Lehrmeister wollte und konnte mir nicht verzeihen. Ich habe ihn enttäuscht. Ich habe sein Vertrauen missbraucht. Doch wie konnte das bloss geschehen? Ich kann mich nicht mehr erinnern, ich habe es wohl verdrängt. Kleine Ereignisse, kleine Enttäuschungen, die isoliert und alleine eigentlich nicht viel bewegt hätten, haben sich gehäuft. Das alles hat sich in einer grossen Enttäuschung verdichtet und bishin erhärtet. Als Abschluss bescheinigte er mir bloss, dass ich eine Lehre absolviert habe. Eine simple Arbeitsbestätigung, mehr nicht. Sie war knapp und trocken formuliert. Ich musste sie sogar selber schreiben, ausdrucken und von ihm signieren lassen.
Der Abschied
Der Abschied war kühl, distanziert. Er warnte mich, dass ich mit meiner Einstellung und Gabe, mir das Leben selber zu erschweren, niemals Erfolg haben werde. Ich werde niemals ein Teil dieser Gesellschaft werden können. Er hatte gewissermassen recht. Denn was danach folgte, war, dass ich mich radikal von dieser Welt abwendete und mich massivst zurückzog. Ich hatte mich verabschiedet.
Aber in dieser Lehrzeit hatte ich sinnigerweise viel gelernt. Und dennoch konnte ich meinen Lehrmeister nicht zufriedenstellen. Ich bin gescheitert. Und ich konnte mich auch nie richtig bedanken. Denn er verstarb einige Jahre später und hinterliess Kinder und Frau. Ich hätte mich gerne ausgesöhnt und ich hätte ihm gerne gedankt, dass er mir die Augen und die Welt damals öffnete. Leider werde ich das nie tun können.
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