Der Stadt-Land-Graben

Die Stadt existiert genauso wie das Land. Die Landbevölkerung allerdings lebt in zweier Lebenswirklichkeiten. Einerseits das verklärte Leben aufm Lande, andererseits das emsige Wirtschaften in der grossen Stadt. Sie pendeln wortwörtlich und im doppelten Sinne, weil wanken zwischen Lebenswirklichkeiten, die beide wirklich und real sind und schliesslich ihr Leben bilden.

Man kann argumentieren, dass die Agglomeration die Bedürfnisse der Stadt unterminiere. Dass die Agglomeration die Stadt verhindere. Dass die Agglomeration die Entfaltung und Selbstverwirklichung der Stadt bremse. Man kann. Ich widerspreche nicht einmal. Ich möchte aber die Städte nicht unnötig stärken. Ich möchte auch keine urbane Linke beschwören.

Grundsätzlich bin ich bekanntlich apolitisch. Ich interessiere mich für Grundeinkommen, EU-Beitritt und NATO-Beitritt. Punkt, das sind meine Themen. Tagespolitik beschäftigt mich nicht. Ich bedauere nicht Abstimmungsergebnisse. Die träge und konservative Agglomeration stört mich nicht. Die bloss sich zurückzieht und abschottet, aber lustigerweise gleichzeitig in der Stadt arbeitet und dort sich verwirklicht.

Unsere Probleme sind ohnehin hausgemacht. Der Schweizer und neuerdings die Schweizerin dürfen respektive müssen politisch sich engagieren. Andere Willensnationen können zentralistischer und gebannter regiert werden. Sie können ein radikalisiertes Fünfjahresprogramm durchsetzen. Sie können mit blossem Willen Autobahnen bauen, Menschen umsiedeln, Städte planmässig errichten.

Die Schweiz dagegen ist putzig. Wir sind keine Nation, die den Weltgeist formt. Wir können bloss profitieren, achten hier und dort einige Kunden. Ich erwarte nicht, dass wir die Lebenswirklichkeiten der Menschheit gestalten. Vielmehr haben wir uns hier gemütlich eingerichtet. Allein Deutschland ist derber, härter und hat wesentlich mehr Einfluss. Deutschland bewegt. Die Schweiz dagegen sucht das persönliche und private Glück.

Unser politischer Stadt-Land-Graben muss uns also nicht beunruhigen. Unser politisches System schützt uns vor Aktionismus wie Visionen. Wir werden niemals das System komplett reformieren oder zertrümmern. Die Agglomeration wird niemals die Stadt verwüsten. Die Stadt kann sich niemals ausm Abstimmungsjoch der Agglomeration befreien. Wir werden koexistieren müssen. Wir werden beide Lebenswirklichkeiten bestätigen müssen.


2 Antworten zu «Der Stadt-Land-Graben»

  1. […] beschränkt meine Mobilität. Weil sie so kleinräumig ist. Wer in Olten lebt, kann in diversen Lebenswirklichkeiten sich verwirklichen. Ich kann problemlos in Zürich arbeiten, in Bern feiern und in Basel lieben. […]

  2. […] muss die wirtschaftlichen Chancen auskundschaften. Der Tagesanzeiger darf einen Stadt-Land-Graben öffnen und das Scheitern der dortigen wie hiesigen Linken […]

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert