Wir investieren die meiste Lebensenergie in unsere Paarbeziehungen. Manchmal auch Dreiecks- oder Vierecksbeziehungen. Polyamore Konzepte erfreuen sich gewisser Beliebtheit. In der Schweiz betrüben nicht die Energiekrise, der Krieg, die persischen Aufstände unser Glück – sondern unsere gescheiterten Beziehungen.
Wenn Menschen hierzulande brechen, dann nicht wegen einer posttraumatischen Belastung, ausgelöst wegen einer rohen Fronterfahrung in Afghanistan, Irak oder endlich im Donbass. Die jüngste Pandemie hat ebenfalls keine Psychen ruiniert, lediglich einige Psychosen gelockert oder ersetzt.
Putzwahn beispielsweise war akzeptiert, alleine sich zu betrinken ebenfalls – oder im Virus eine globale Verschwörung von Computermilliardären zu vermuten oder einer demokratisch legitimierten Regierung autokratische und faschistische Tendenzen zu attestieren. Doch das waren bessere Hobbys, sorgsam gehegte Psychosen. Nichts Existenzbedrohendes.
Gescheiterte Paarbeziehungen hingegen bedrohen unsere komplette Existenz. Sie umfassen, wer und was wir sind. Sie rauben die meiste Lebensenergie. Im Privaten, wenn wir nicht gerade übers Tagesgeschehen oder übers Fernsehen schwurbeln, beschäftigen uns vor allem die gescheiterten Paarbeziehungen.
Gescheiterte Paarbeziehungen werden künstlerisch wie industriell ausgedrückt. Die meisten Künstler therapieren sich selbst. Die (freilich nicht kontrollierte oder gar gelenkte) Kulturindustrie wiederholt Muster und Abgründe gescheiterter Paarbeziehungen. Selbst James Bond reflektiert seine gescheiterten Beziehungen.
Auch ich bin ein bislang erfolgloser Beziehungsmann. Auch ich möchte mich ewig binden; treu ergeben und loyal sein. Auch ich litt wegen blutarmen, leeren, funktionalen, abgestumpften oder einseitigen Beziehungen. Auch ich könnte technisch Bücher füllen und Abgründe öffnen oder selbst offenbaren.
Vermutlich werde ich das nachholen, ich gelte gemeinhin als Experte für gescheiterte Beziehungen. Ich konnte mich nie länger erfolgreich binden. Manchmal habe ich mich selbst blockiert oder sabotiert, manchmal habe ich mich einfach in die falsche Person verliebt. Doch immerhin habe ich stets gesehnt und gestrebt.
Allerdings habe ich dadurch auch viel Lebensenergie, Geld und künstlerische Kraft vergeudet. Ich habe in Paarbeziehungen manchmal überinvestiert, ich habe mich verausgabt und stets in meinem Umfeld mein Unbehagen abgeladen. Mein erster Kreis kann sich wohl noch alle Episoden vergegenwärtigen.
Vermutlich quälten mich keine anderen Sorgen, die mich ernsthaft besorgten – sodass ich all meine Kraft in sinnlose und ergebnislose Beziehungen verschwendet habe, wo ich stets entweder geduldet war oder selber bloss fristete und mich in Geduld vergebens beübte. Ich habe manchmal in Beziehungen mich gezwängt oder Beziehungen verherrlicht.
Vermutlich vermochte ich zeitlang auch nicht anders meine Persönlichkeit auszudrücken als mit der Übersteigerung und maximalen Fokussierung in eine Paarbeziehung. Ich habe Beziehungen wissentlich mit Schulden gestartet, weitere Schulden dabei angehäuft. Manche Beziehungen habe ich bloss trotzig kurzzeitig bewältigt – weil ich mich bewähren wollte.
Die Paarbeziehungen in meinem entfernten Umfeld sind hingegen geregelt. Sie überdauern Jahre oder sogar Jahrzehnte. Natürlich lodern da keine Leidenschaften. Die Beziehungen sind funktional und eingefroren. Sie müssen sich nicht entwickeln. Sie garantieren Stabilität und Verlässlichkeit; sie dominieren auch nicht die eigene Persönlichkeit. Sie ergänzen.
Auch ich könnte beiläufig eine Beziehung führen. Ich könnte meine Beziehung reduzieren, künstlich begrenzen meines Erachtens. Zweidrei Routinen wären rasch etabliert. Ich habe bereits erfolgreich bewiesen, dass ich technisch dazu befähigt wäre. Aber ich wäre tatsächlich nicht ausgefüllt, ich würde weiterhin lechzen und nach mehr mich sehnen.
Eine bürgerliche Existenz würde eine langweilige Beziehung versprechen. Doch ich bin überzeugt, dass auch eine bürgerliche Existenz eine opulente und grosszügige Beziehung beinhalten könnte. Beziehungsintensität kann nicht bloss mit dem Lebenswandel alleine begründet oder bemessen werden.
Solange ich die offenbar erforderliche Menge Beziehung nicht feiern kann, beschäftigen respektive umtreiben mich Beziehungen. Ich kann meine Sehnsucht nicht stoppen; ich habe genügend experimentiert, genügend Lektionen erlitten. Ich habe letztlich auch akzeptiert, dass eine gesunde und glückliche Beziehung mich bereichert.
Ich externalisiere nicht primär mein Glück. Doch ich möchte auch nicht komplett isoliert mir selbst begegnen müssen. Ich antizipiere nicht bloss das gemeinsame Altern, ich fantasiere auch gemeinsame Aktivitäten jenseits Haushalt, Sport, Alkohol und/oder Sex. Ich lobpreise die schöpferische Kraft des engagierten Paares, das sich in diversen Disziplinen betätigt.
Ich möchte bekanntlich teilen und teilhaben können und auch lassen. Ich möchte nicht ruhelos steppen und an meine Vergänglichkeit ermahnt werden. Ich möchte gemeinsam erschaffen. Ich möchte, dass mindestens eine Person sich erinnere. Dass ich nicht ganz vergebens gewirkt habe. Das kann ich in einer Paarbeziehung verwirklichen.
Es frustriert mich bereits, die Welt ohne Hinterlassenschaft dereinst verabschieden zu müssen. Wir alle müssen uns trennen. Ich werde auch nicht ewigs wirbeln können. Auch ich werde ermüden. Ich schone mich bereits heute; ich sondiere meine Investitionen gewissenhaft; nunmehr insbesondere in besonderen Beziehungen.
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