Bekanntlich befürworte ich alle Corona-Massnahmen und bedauere, dass das Spektakel allmählich endet. Allerdings versüssen die Massnahmen-Skeptiker den diesjährigen Altweibersommer. Die implizite Impfpflicht hat sie nunmehr mobilisiert. Ich habe Demonstrationen wahrgenommen. Auch in den Kommentarspalten trollen sie.
Doch warum sind einige Menschen versucht, das hiesige Corona-Regime zu beklagen und auf Individualität und Freiheit sich zu berufen? Diesmal ist keine Lust der Selbstzerstörung wahrzunehmen. Sie provozieren keinen Untergang des Westens und reklamieren den heroischen Fatalismus, dem Unausweichlichen nicht auszuweichen.
Die Lust der Massnahmen-Skeptiker empfinde ich als vergeblichen Versuch, als kleines Ich der Welt zu trotzen. Freiheit und Individualität sind domestiziert, stellenweise simuliert, damit das Über-Ich besänftigt ist. Konsumfreiheit und Wahlfreiheit verheissen Individualität. Corona und/oder die zugehörigen Massnahmen zu bezweifeln, ist demgegenüber neu.
Typischerweise fallen Menschen dem Massnahmen-Skeptizismus heim, deren Individualität ohnehin fragil ist. Fragilität zeigt sich darin, die vermeintliche Individualität beflissen zu hervorheben. Dass die Massnahmen-Skeptiker nun öffentlich abgemahnt werden, bestärkt und bestätigt blossen deren scheinbare Individualität.
Ich meide und ignoriere sie. Ich bin derzeit nicht informiert, wer gerade skeptisch ist oder welche Bewegungen wo und wann demonstrieren. Die Massnahmen-Skeptiker sind für mich irrelevant und höchstens eine Herausforderung der Psychoanalyse. Dort ist spannender zu beantworten, warum Menschen scheinbare Individualität dergestalt zelebrieren müssen.
Bei gewissen Exponenten, denen ich privat begegnet bin, vermute ich dennoch eine kleine Lust der Selbstzerstörung. Ich nenne das auch den sozialen Amoklauf. Man nimmt den Verlust des sozialen Ansehens, des Status› bewusst in Kauf. Jede Ablehnung ist eine Bestätigung. Soziale Medien, Likes und Disliken beschleunigen die Feedbackzyklen.
Diese Seelen wollen ihre Individualität nicht präsentieren. Diese Seelen wollen letztmalige Aufmerksamkeit, bevor sie endgültig bedeutungslos verdämmern. Der Massnahmen-Skeptizismus ist eine freundliche Einladung, sich zu behaupten. Das Thema ist omnipräsent; jeder kann eine Meinung haben und ist dadurch diskutierbar.
Leider verfällt das Thema bald. Eventuell rettet der Herbst mit einer vierten Welle das Thema übers Jahresende. Vermutlich werden die Diskussionen dann radikalisiert. Ich wünsche mir Ausschreitungen aufm Bundesplatz, idealerweise mit Toten auf beiden Seiten. Leider wird nichts passieren; ich wette auf drei Monate Diskussion.
Danach sind die Massnahmen-Skeptiker entweder ausgestorben oder dergestalt isoliert, dass bloss noch die reine Lust der Selbstzerstörung sie nährt – aber keine angebliche Individualität mehr, die herauszustellen sie insgeheim damit bezwecken.
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