Männlichkeit ist gewiss schwierig zu feiern. Männlichkeit hat Angriffskriege, Atomwaffen und Umweltverschmutzung verursacht. In der postmodernen Beliebigkeit und Fragmentierung der individuellen Wertesysteme ist Männlichkeit das letzte, das fasziniert, verzaubert oder die Halbstarken der Grossstädten fängt.
Auch im Sexkampf, der auf diversenen Dating-Plattformen als eine Art Stellvertreterkrieg geführt ist, ist der protzige und vor Kraft strotzende Mann nicht gerade begehrt oder nicht erfolgreich. Ein angemessener Körperbau unterstützt zwar beim Manipulieren und Beeinflussen von potenziellen Sexualpartnerinnen.
Doch Männlichkeit ist kein Alleinstellungsmerkmal. Auch eine sexuelle Potenz ist nicht länger erforderlich und somit obsolet, seit beide Geschlechter zunehmend sexuell frustriert sind und die Fortpflanzung pathologisiert ist. Der ernährende Brotberuf kann ebenfalls nicht beeindrucken. Wir alle arbeiten und sollen unsere Identität jenseits des Jobs bilden.
Vielmehr ist eine zerbrechliche Männlichkeit geboten und erfolgreich. Scheiternde, zögernde, zaudernde, zuweilen hilflose und überforderte Männer reüssieren. Es sind verlorene Biografien, die in den Anstalten des Landes sich begegnen. Sie tanzen nachts als Berufsjugendliche voller Koks.
Sie arbeiten bestenfalls als Landschaftsgärtner, Velomechaniker, radeln für grossstädtische Kurierdienste, versuchen sich literarisch oder musikalisch oder bespielen die Bühne der Kleinkunst der rebellischen Quartieren. Die meisten verdingen nebenbei sich als Bartender. Manche studierten Pädagogik, die restlichen etwas mit Sozialarbeit.
Sie verbergen ihre Hilflosigkeit, Lustlosigkeit und Erfolglosigkeit mit Verletzlichkeit. Sie zitieren den in Basel verwurzelten Hermann Hesse, kaufen bloss lokal und jenseits ihrer Einkommensgrenze, schätzen die BH-freie Bedienung im Frühling und wollen auf Tinder die Welt erobern.
Wer nicht mit den üblichen Drogen der Berufsjugendlichen verendet, der Heilsarmee sich anschliesst oder mit 35 noch Unternehmensberater werden will, belastet alsbald die Anstalten und die Invalidenversicherung. Gleichzeitig gefallen sie den Frauen. Sie simulieren eine komplexe Persönlichkeit.
Weltschmerz, Überforderung, Ohmacht, Gefühle vermengen sie gekonnt. Sie wecken die natürlichen Beschützerinstinkte der Frau, sodass die Frau den armen und hilflosen Mann retten will. Sie werden bemitleidet und bemuttert. Das betrifft insbesondere die ebenfalls hilflosen, überforderten und vor allem nutzlosen Frauen ohne Sinn und Zweck.
Ein perfekter Match. Hier der verletzliche Mann, dort die sinnlose, verausgabte und überforderte Frau. Beide unfähig, das Leben einigermassen zu meistern. Beide unfähig, kleinste Aufgaben im Backlog zu bewältigen und das Leben einigermassen zu strukturieren. Und beide im schlechtesten Fall fremdfinanziert.
Ein Kollege bezeichnet solche Männer als eine Art “Lauch”, benannt nach diesem krummen und ekligen Gemüse, das mir überhaupt nicht schmeckt. Ich mag keinen Lauch, auch wenn er tätowiert und besonders verletzlich sich zeigt. Auch Frauen meiden ihn, sobald es ernst gilt, sobald die Fortpflanzung relevant ist.
Instinktiv will keine Frau einen Lauch als fürsorglicher Vater und leidenschaftlicher Ehemann wissen. Weil ein Lauch muss sich stets therapieren, muss sich stets wieder erfinden, muss stets seine Masche erneuern. Ein Lauch zehrt auch von der Schönheit und vermeintlichen Jugendlichkeit. Nach 35 zählt bloss noch Coolness.
Dazwischen engagiert sich der Lauch für den Tierschutz, tut so als ob er politisch interessiert und informiert sei, geriert sich gesellschaftlich liberal, weltoffen und so weiter. Dabei bleibt der Lauch ein kleiner Mann, der nichts bewältigen kann. Entweder ist er früher gemobbt worden oder seine Eltern haben ihn verlassen. Das ist seine grosse Ausrede.
Gewisse beneide ich den Lauch um seine Frauen, um die Aufmerksamkeit, die er dennoch, wenngleich befristet, auslösen kann. Ich beobachte. Natürlich bedauere ich den Lauch. Er ist sich seiner selbst weder bewusst noch gewahr. Ich kann ihn nicht beeinflussen, ich kann ihn nicht spiegeln. Er muss sich autonom weiterentwickeln.
Frauen sind schrecklich. Gäbe es keine Frauen, würde mich der Lauch überhaupt nicht interessieren. Mich interessiert, welche Frauen sich für den Lauch interessieren. Ich könnte technisch alle Frauen haben. Ich bin schliesslich einigermassen geübt und sehr vielseitig und anpassungsfähig. Ich könnte auch eine lauchige Frau begeistern.
Aber ich will ja nicht. Ich möchte nicht zerbrechen. Meine Männlichkeit ist eine natürliche. Ich kann weder zimmern, schreinern oder bin sonstwie handwerklich begabt; meine Muskeln sind durchschnittlich, mein Körper leicht angefettet. Keine Tattoos, kein Cap, keine übertriebenen Kopfhörer, kein Fixie schmücken mich – wie ein Lauch.
Ich bin stattdessen futuristisch, ganz Futurist, ganz entschlossen, ganz faustisch, ganz himmelhoch jauchzend und gelegentlich zu Tode betrübt. Ich bin gleichzeitig. Ich kenne mein Potenzial, meine Fähigkeiten. Ich kann meine Kräfte und meinen Willen dosieren und erfolgreich investieren. Ich bin stets strebend und der Zukunft ausgerichtet.
Ich jammere nicht, ich erdulde zuweilen bloss. Ich überlebe und funktioniere im Zweifel. Ich kann dennoch Glück und Zufriedenheit empfinden. Ich bin genügsam und asketisch und apollinisch, gleichzeitig dionysisch und leidenschaftlich und unersättlich. Ich bin einfach. Ich muss mich nicht künstlich überhöhen. Ich lebe. Keine zerbrochene Männlichkeit.
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