Ich studiere nicht offiziell, ich bin nirgends eingeschrieben. Ich habe meine letzte Weiterbildung bekanntlich abgebrochen, das hier aber nicht aufgearbeitet. Ich hatte alle Module absolviert, alle bestanden, wertvolle Beziehungen etabliert, die ich bis heute erhalten habe. Ich hätte bloss noch eine grosse Arbeit verfassen müssen.
Ich hatte keine Lust dazu. Sie war sinnlos geworden. Tragischerweise musste ich die Weiterbildung selber finanzieren. Ich habe einerseits die Schulkosten geschultert, das waren knapp 40’000 CHF. Ausserdem habe ich die Arbeitszeit nachträglich übernommen nach langwierigen Auseinandersetzung mit meinem ehemaligen Arbeitgeber.
Ich habe ungefähr 50’000 CHF ausgegeben, wovon aber mein aktueller Arbeitgeber mir knapp 14’000 CHF entschädigte. Dennoch immer noch Geld, das ich natürlich längst nicht mehr besitze, sondern stattdessen ein Netzwerk knüpfen konnte und nun einige Zertifikate mehr aufzählen kann. Diese legitimieren mich seither, über gewisse Themen zu beraten.
Ich hätte auch eine weitere Weiterbildung planen können. Ich war und bin weiterhin durstig. Ich habe hier und da kleinere Weiterbildungen absolviert. Diese waren stets fokussiert, maximal vier Tage lang. Ich musste höchstens eine Prüfung schreiben, keine Arbeit oder etwas Vergleichbares. Immerhin.
In diesem Jahr habe ich eine neue Weiterbildung gestartet, die derzeit aber nicht genehmigt ist. Also ich muss bei meinem Arbeitgeber noch intern dafür werben und meine Kollegen überzeugen, das sei eine gute Idee. Die Mehrheit meines Arbeitgebers stützt meine Weiterbildung, doch sie ist gleichzeitig umstritten.
Ich studiere Philosophie. Für zeitgemässe Materialisten liest sich das wie eine Selbstverwirklichung. Das ist es sie auch gewissermassen. Ich leiste mir den Luxus, nachdenken und alte Bücher lesen zu dürfen. Und ich zahle noch. Jede Stunde ist penibel abgerechnet. Ich habe eine Professorin angefragt. Sie hat eingewilligt.
Das ist harte Arbeit. Ich muss lesen, ich muss mich auseinandersetzen. Manchmal zweifle ich wieder an meinem Beruf, das verringert meine Motivation und Leidenschaft. Und gleichzeitig soll mein Arbeitgeber mir diese Weiterbildung gönnen. Ich kann meinem Arbeitgeber nicht verdenken, wenn er meine Weiterbildung ablehnt.
Derzeit ist noch nichts entschieden. Ich muss bald vor versammelter Mannschaft antreten und mich darum bewerben. Falls ich die Kosten privat bewältigen muss, kann ich diese kaum von der Steuer absetzen. Das Steueramt wird mir gewiss mitteilen, das sei Liebhaberei und nicht betriebsnotwendig. So sei es.
Ich habe mittlerweile ohnehin so viel Geld in meine Weiterbildungen investiert, dass ich längst ein Häuschen im Mittelland mit dem notwendigen Eigenkapital ausstatten könnte. Diese weiteren 8’000 CHF werde ich irgendwie verkraften und deswegen nicht verhungern. Ich müsste bloss anderswo meine Ausgaben reduzieren.
Die Professorin ist meine Privatdozentin. Sie stellt Aufgaben, ich versuche zu liefern. Dann philosophieren wir gemeinsam das Gelesene. Man könnte alles auch im Internetz nachlesen. Dennoch entstehen neue Gedanken und Ideen, die in der Einsamkeit im Chrome selten fruchten. Das Gespräch entscheidet.
Natürlich kann ich selber zum Diskurs nichts beitragen. Ich kann zuhören, empfangen, lernen und meine Positionen hinterfragen. Das genügt mir. Ich habe keinen akademischen Anspruch. Ich will diese Erkenntnisse dann in meinen Alltag transportieren. Ich will berufliche Gleichnisse schaffen.
Ich konnte den Kategorischen Imperativ bereits als Gleichnis im Berufsalltag veranschaulichen. Ich will mehr davon. Ich will die Erkenntnis der Philosophie übersetzen, damit sie allgemein verständlicher sind im Berufsalltag. Ich will nicht aufklären oder belehren oder bekehren.
Ich will bloss, dass die Menschen zufriedener und sinnerfüllter arbeiten können und nicht im 21. Jahrhundert massenhaft zusammenbrechen und Identität verlieren müssen in ihren sinnlosen und befristeten Jobs. Ich werde hier ganz lokal und klein einen winzigen Beitrag leisten. Ganz minim. Die Philosophie hilft bloss.
Das erklärt, warum ich Philosophie derzeit «studiere». Ich fühle mich eher als Lehrling denn als Student. Ich bin nicht eingekesselt von anderen Studenten, ich muss mich nicht beweisen und rechtfertigen. Ich bin einfach ein neugieriger und interessierter Lehrling, der alles wissen und erfahren möchte.
Ich habe diese Weiterbildung als Experiment betitelt und mit einem Kostendach gesichert. Falls alles scheitert, also keinen kommerziellen Nutzen für meinen Arbeitgeber einzahlt, wenngleich bloss verzögertn, dann werde ich das Experiment abbrechen und eine «klassische» Weiterbildung fokussieren.
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