Schweiz. Der Sonderfall? Was wäre, wenn die Schweiz Südafrika wäre? Ein vergangener Artikel der NZZaS inspirierte mich. Ich möchte hier die südafrikanische Verhältnisse auf die Schweiz portieren. Willkommen in meinem Gedankenexperiment.
Nach jahrzehntelanger internationaler Isolation aufgrund der faschistoiden Regierung der Liechtensteiner, welche als Minderheit die Mehrheit der stämmigen Schweizer beherrschten, erholt sich die Schweiz allmählich. Mit der Schweiz zu handeln ist nicht mehr verpönt. Die Schweiz gilt mittlerweile als anerkanntes Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft.
Doch der soziale Frieden der Schweiz ist gefährdet. Obwohl die Liechtensteiner nicht mehr ausschliesslich die Regierung und die Eliten bilden, dominieren sie weiterhin das wirtschaftliche Leben und residieren in ihren Wohlstandsinseln um die grossen, aber verwahrlosten Städten des Mittellandes herum.
Ein Liechtensteiner verdient in Zürich immer noch zwanzigmal so viel wie ein Schweizer. Die jahrzehntelange systematische Unterdrückung der Schweizer zeigte sich exemplarisch an der Aufnahmebedingungen für die Eliteuniversität ETH Zürich. Dort waren Schweizer nicht zugelassen, sondern ausschliesslich Lichtensteiner und solvente Ausländer.
Die Liechtensteiner haben die Schweizer jahrzehntelange als unqualifizierte Arbeitskraft gezüchtet, die ohne Rechte als Wanderarbeiter in den Unternehmen der Liechtensteiner sich verdingten. Gewerkschaften waren bloss simuliert. Die Schulbildung war auf fünf Jahre begrenzt – gut genug für gängige Aufgaben.
Die Liechtensteiner haben zudem die Schweizer ausgebürgert. Damit waren sie de jure staatenlos, konnten weder verreisen noch fundamentale Menschenrechte beanspruchen. Der langwierige Freiheitskampf konnte immerhin diesen Zustand revidieren. Die Schweizer besitzen nun (wieder) den schweizerischen Pass.
Die heutigen Schweizer verehren den schweizerischen Freiheitskämpfer Adolf Ogi. Er begründete die Widerstandsbewegung Schweizerische Nationalvereinigung, kurz SNV. Diese leistete zunächst gewaltfreien Widerstand. In den 80iger allerdings radikalisierte sich die SNV. Ursache: die liechtensteinisch dominierte Geheimpolizei exekutierte den Bischof der Schweizer und Ogis Stellvertreter – ein von den Liechtensteiner bedauertes Versehen, weil das Ziel war Ogi selber.
Es war ein schmutziger Krieg. Ausserdem missbrauchte die Geheimpolizei die Schweizer für die Erprobung chemischer Waffen. Deren Steigerungsform: eine Waffe sollte nur die Schweizer töten. Zudem destabilisierte die Geheimpolizei die politische Situation der Nachbarländer Deutschland und Frankreich mit gezielten Bombenattentaten oder Waffenlieferungen.
Die Liechtensteiner haben Adolf Ogi auf der Festung Ufenau vor den Toren Zürichs verbannt. Dort und in weiteren Festungen verschwanden Schweizer spurlos, sobald sie sich für die Widerstandsbewegung SNV engagierten. Bis heute sind noch nicht alle Schicksale aufgeklärt. Adolf Ogi war jedoch um eine Aussöhnung bestrebt – keine Rache. Seit einigen Jahren ist aber auch Adolf Ogi altersbedingt verstorben.
Mittlerweile ist das Herrschaftssystem der Liechtensteiner abgeschafft. Die Schweizer sind de jure gleichberechtigt. Sie dürfen reisen, wählen und sich frei äussern. Dennoch besitzen die Liechtensteiner weiterhin 90% des Bodens und 95% der Unternehmen, obwohl sie bloss 5% der Bevölkerung bilden. Die vormals auch gesetzlich verankerte Ungleichheit ist nun bloss noch eine kapitalistische.
Denn die Liechtensteiner hatten während der ihrer Herrschaft einen zutiefst liberalisierten Staat geformt. Gesundheit, Energie, Bildung, Sicherheit – alles war privatisiert. Dieser liberaler Staat besteht weiter. Obwohl die Schweizer nun Schweizer sind, versorgt der Staat sie nicht. Die Rechte auf Gesundheit, Energie, Bildung und Sicherheit sind keine verbindlichen.
60% der Schweizer leben in den sogenannten Agglomerationen um die Grossstadt Zürich. Es sind Moloche wie Dietikon, Dübendorf oder Bülach, wo die Schweizer ohne Gesundheitsversorgung, ohne Energieversorgung, ohne Bildung und Sicherheit mehr hausen denn wohnen. Es sind Hütten aus Holz und Blech. Der Staat hat diese Gebiete längst aufgegeben. Gelegentlich partillouiert ein schwer bewaffneter Polizeitrupp.
Die Liechtensteiner wiederum verweilen vornehmlich in Küsnacht und Erlenbach. Das sind abgeschirmte Gemeinden, geschlossene Gesellschaften, die mit einem zwei Meter hohen Mauer und einem Elektrozaun gesichert sind. Innerhalb dieser Gemeinden haben die Liechtensteiner neue Schulen, Einkaufszentren, Krankenhäuser und Parkanlagen erschaffen – Zutritt nur für Berechtigten.
Derweil verkommen die ehemaligen Innenstädte des Mittellandes. Manche Schweizer haben ihre zuvor zugewiesenen Wohnstätten wie Dietikon oder Dübendorf verlassen und haben ehemals prächtige Altbauwohnungen in Zürichs Kreis 1 besetzt. Die Limmat ist unterdessen eine Kloake. Am Letten würde kein Liechtensteiner baden – die Schweizer aber trinken und waschen sich dort.
Die Liechtensteiner habe riesige Dämme in den Alpen errichtet. Sie verschwenden das Wasser in ihren Gemeinden; Garten, Parks und eine üppige Grosslandwirtschaft. Den Rest exportieren sie. Die einst mächtige Aare versickert im Bielersee. In der Regensaison füllt sich das Bett gelegentlich bis nach Aarburg, um dort zu verlanden. In Aarburg befindet sich daher auch eine grosse informelle Schweizer-Siedlung.
Die Schweizer haben keine Perspektiven. Die Kriminalität Zürichs ist weltweit die berüchtigste. Täglich werden Menschen entführt, an roten Ampeln wartende Autos ausgeraubt, Menschen wegen fünfzig Franken ermordet. Die Liechtensteiner meiden Zürich. Sie haben einen Autobahnring um Zürich gebaut. Firmen sind nach Küsnacht abgewandert.
Seit zehn Jahren hat der internationale Massentourismus die Schweiz entdeckt. Die Schweiz hat ihre landschaftlichen Reize. Die Schweiz ist abwechslungsreich. Hier das kosmopolitische Basel, dort das berüchtigte und wildernde Zürich. Hier die Strände Asconas, dort die malerische Voralpenroute von Interlaken nach Appenzell.
Die Touristen erfreuen sich der ursprünglichen und authentischen Heimatkunst der Schweizer: liebevoll geschnitzte Holzfiguren, die des Schweizers Motiv einer unbeschwerten Kleinfarm wiedergeben. Freilich im Kontrast der grossen und automatisierten Farmen des Mittellandes, betrieben durch rohe und dem Land zugewandte und in gesetzlosen Bürgerwehren organisierte Liechtensteiner.
Die Touristen absolvieren dasselbe Programm. Sie landen im kosmopolitischen Basel. Dort ist die Kriminalität noch vertretbar. Dort ist der ausländische Einfluss noch am grössten. Dort ist denn auch das touristische Komfortsbedürfnis befriedigt. Anschliessend fahren sie nach Luzern oder Bern. Das sind die Startpunkte für eben die schmucke Voralpenroute.
Viele Schweizer operieren auch als sogenannte Bergführer. Sie begleiten die Touristen auf ihren Voralpentouren. Der Höhepunkt einer Voralpentour ist, ein munteres Murmeli oder ein schlitzohriger Steinbock zu sichten. Das füllt die digitalisierten Fotoalben der dicken Touristen. Für die Schweizer reicht ein angemessenes Sackgeld, gelegentlich auch ein Fresspäckli grosszügiger Touristen.
Die übrigen Touristen folgen den Schritten der Liechtensteiner. Sie werden liechtensteinische Hotelketten beherbergt, speisen in für Liechtensteiner spezialisierten Restaurants und aktivieren sich mit typisch liechtensteinischen Tätigkeiten wie Golfen, Wandern, Jagen und Wein. Selten verlassen die Touristen ihre geschlossenen Gebiete. Zuhause schwärmen sie allesamt von der Schweiz.
Die Schweiz ist ein zerrissenes Land. Adolf Ogi hat zwar die grösse Versöhnung propagiert, doch die Politik ist hochgradig radikalisiert. Für die Schweizer polarisiert die SVP. Sie fordert eine Umsiedlung und Enteignung der verbliebenen Liechtensteiner. Zudem plädiert sie für einen radikalen Marxismus, der alle Industrien verstaatlicht und Schweizer in alle Schlüsselpositionen einsetzt.
Demgegenüber politisiert die Alternative Liste der Liechtensteiner für einen noch schwächeren “Nachtwächterstaat”. Die Alternative Liste ist von einem ausgeprägten Sozialdarwinismus überzeugt. Möge der Fitteste und Angepassteste überleben. Die Alternative Liste warnt vor dem Exodus der liechtensteinischer Intelligenz nach Übersee. Sie sind vom Auftrag erfüllt, die Schweiz zu zivilisieren.
Die einst mächtige Schweizer Armee hat man grösstenteils privatisiert. Adolf Ogi wollte keine mächtige und von Liechtensteiner dominierte Armee riskieren. Stattdessen hat er die in jahrzehntelanger Guerillakrieg und Aufstandsbekämpfung erwiesenermassen erprobte Armee in mehrere Sicherheitsfirmen ausgelagert. Diese bedienen nun Kunden auf allen Kontinenten für deren schmutzigen Interessen.
Leider haben sich diese Firmen mittlerweile verselbständigt. Sie firmieren nunmehr als Briefkasten auf diversen Kanalinseln und steuern wenig zum Bruttosozialprodukt bei. Ihr einziger Vorteil ist, dass sie das Potential junger und unzufriedener Liechtensteiner binden und sie von der Heimat fernhalten.
Die Schweiz bleibt ein spannendes Land. Die Einkommensschere vergrössert sich jährlich. Die Umwelt ist verschmutzt. Der soziale Friede fragil. Die Schweizer und die Liechtensteiner haben vollends sich entfremdet. Eine neuerliche Figur wie Adolf Ogi ist vonnöten, um die Schweiz zu einem Land der Liebe, der Toleranz und Güte zu entwickeln. In der Zwischenzeit lächelt der Spätkapitalismus schweizerischer Prägung.
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