Politisch äussere ich mich selten. Im Privaten nehme ich Diskussionen wahr und gelegentlich teil. Das Tagespolitische amüsiert, das Weltpolitische inspiriert und beseelt schliesslich. In meiner Gegend interessiert vor allem Europapolitik. Die Schweiz ist zwar faktisch vollständig westintegriert, aber kultiviert den Narzissmus der kleinen Distanz mit viel Pathos und Geld.
Das erzeugt permanent Spannungen auf beiden Seiten. Für die grosse EU ist die Schweiz das kleine, dicke und eklige Stachelschwein, das schonungslos profitiert und stets als Opfer sich inszeniert. Demgegenüber empfindet die Schweiz die EU als technokratisches Joch, das die Spezifika der schweizerischen Politik ignoriert und somit bedroht.
In der Schweiz dominieren Isolationisten. Das, obschon die Schweiz eine zutiefst globalisierte Nation ist, periodisch mit anderen vergleichbaren Stadtstaaten wie Singapur Ranglisten der am meisten vernetzten und kompetitivsten Volkswirtschaften anführt. Der UN-Beitritt erfolgte erst 2001 und war respektive ist nicht unumstritten.
Im Mittelland fühlen die Menschen noch bäuerlich, auch wenn bereits raumplanerisch verstädtert. Dank günstigen Zinsen errichte Reiheneinfamilienhäuser mit Bus- oder S-Bahn-Anschluss beherbergen die kräftigste politische Kraft: ein latent apolitische, aber selbstzufriedene Büroarbeiterschicht, welche täglich in die beschaulichen Zentren pendelt.
In diesem Milieu konnten sich Isolationisten durchsetzen. Denn die Globalisierung und Digitalisierung betrifft ebendieses Milieu. Das handwerkliche und lokale Gewerbe ist kaum bedroht, die ohnehin bereits globalisierten Spezialisten in den Grosskonzernen sind ausreichend kompetitiv und weltweit organisiert.
Das ist nicht genuin eine einmalig schweizerische Situation. Europa ist bedroht. Vor 1914 stellte Europa knapp einen Viertel der Weltbevölkerung, aber das Gros der Weltproduktion. Mittlerweile weder-noch. Die globale Konkurrenz ist erwacht, gewiss auch selbstverschuldet mit zwei Weltkriegen. Auch der Wertepartner USA fühlt sich herausfordert.
Wir ahnen und spüren also einen Untergang respektive einen langsamen, aber stetigen Verlust unserer Hegemonie. Aber anstatt die Nationen Europas sich zusammenschliessen, gemeinsam antworten und auf allen Disziplinen sich rüsten, verfällt die Büroarbeiterschicht der freudschen Lust der Selbstzerstörung.
Die Europäer wollen ihre Länder zurück. Sie verdrängen, dass gerade die Globalisierung und Digitalisierung ihre Länder bedrohen und dass eben bloss eine Föderation europäischer Staaten diese und weitaus dramatischere Herausforderungen der nahen Zukunft meistern kann. Insgeheim wünschen sie eine Epoche der Unruhe, der Anspannung.
Mit grosser Lust demontieren die Europäer ihre EU. Sie kokettieren mit ihrer Irrationalität. Sie beschwören eine Veränderung, einen Wandel. Teils konnten sie sogar einen harten Ausstieg wie einen Brexit durchsetzen. Sie suchen die Entscheidung, die Tat. Doch dabei verdecken sie bloss ihre allgemeine Ohnmacht.
Seien wir gespannt.
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