Stumpf ist Trumpf! So singt ein Klassiker des deutschsprachigen Hip-Hops. Das Wortspiel bezeichnet unsere Gegenwart. Wer stumpf ist, triumphiert. Wir müssen uns abschotten. Gefühle können uns verstören, beeinflussen, irritieren und schliesslich verletzen. Daher verstumpfen wir, aber selbstgewählt. Damit wir unsere Gegenwart bewältigen können.
Unsere Beziehungen sind ökonomisiert. Wir befreunden uns bloss, wenn wir einen Vorteil wissen. Wir hoffen und erwarten spätere Gefälligkeiten. Jede Beziehung ist ein Tausch. Dort, wo wir mehr geben als erhalten, dort verabschieden wir uns früher oder später. Wir sorgen uns um Ausgeglichenheit. Verständlicherweise wünschen wir das Maximalprinzip.
Wer nicht riskiert, gewinnt aber nie. Wer stets kalkuliert, verrechnet sich irgendwann. Weil das missgünstige Verhalten, das falsche Verhalten schliesslich auffällt. Ebenso dosieren wir unsere Gefühle. Wir können nicht überschwänglich lieben oder Liebe empfangen, weil wir in Abhängigkeit geraten. Weil wir verletzbar werden. Wir sind nicht mehr autark und autonom.
Denn plötzlich beeinflusst ein Mensch unser Glück, unser Leben. Er formt, prägt mit. Das können wir mit dem Ideal eines beherrschten und vor allem herrschenden Ichs nicht vereinbaren. Wir wollen uns nicht ohnmächtig und ausgeliefert fühlen. Obwohl wir ohnehin ohnmächtig und ausgeliefert sind, im globalen und vor allem kosmischen Kontext.
Wir betrügen und belügen. Wir können nicht zugeben, dass wir jemanden vermissen. Wir wollen uns nicht blossstellen. Wir wollen nicht offenbaren, dass wir streicheln und schmusen und kuscheln wollen. Wir schreiben nie, dass wir jemanden vermissen. Wir verheimlichen gewichtige Details der Vergangenheit. Wir besprechen keine Konflikte.
Wir wollen einfach unbeschwert geniessen und glücklich funktionieren. Daher vertiefen wir keine Beziehungen mehr. Beziehungen verursachen Stress, sie belasten uns stets. Weil Beziehungen gestalten uns mehr als wir eingestehen können. Schliesslich vereinen, kombinieren wir mehrere Lebenswirklichkeiten. Das provoziert stets Krisen.
Wir verkümmern emotional. Wir begrenzen unsere Beziehung künstlich. Wir verknappen die Intensität. Die hohe Verfügbarkeit anderer Geschlechtspartner unterstützt und vereinfacht das Verhalten. Wir müssen nichts mehr investieren, weil wir jederzeit alles aufbrechen und eintauschen können. Die Beziehungen sind nicht mehr final oder total charakterisiert.
Der Zeitgeist vernichtet die Liebe. Das Lebenskonzept der totalen und finalen Liebe ist erschöpft. Auch unsere beruflichen Kontakte vermehren wir bloss, aber erlangen nie eine Tiefe oder eine unaussprechliche Vertrautheit und Geborgenheit. Wir verkünden die Schnelllebigkeit, wechselnde Partnerschaften sind die Folge. Affären versüssen.
Endlich besorgt uns das Elend der Mitmenschen nicht. Endlich können wir auch Auschwitz ignorieren. Wir können die überschiffenden Flüchtlinge ausblenden. Wir können ferne Bürgerkriege vergessen. Stumpf ist Trumpf. Wir müssen nichts rechtfertigen. Nichts kann uns fortan belasten. Wir weinen nicht. Wir sind glücklich.
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