Ich fürchte mich vor Psychopharmaka. Ja, ich gestehe. Ich habe Angst. Ich habe Angst, dass sie mein Wesen ändern. ich fürchte ausm selben Grund auch alle bewusstseinserweiternden, psychoaktiven Drogen. Ich fürchte, ich verliere die Kontrolle. Alkohol hingegen ist ein kontrollierter Kontrollverlust. Alkohol ist hochverfügbar und lässt sich reproduzierbar dosieren. Bei Alkohol besorgt mich bloss der schleichende Alkoholismus. Wachsamkeit und Achtsamkeit sind geboten.
Übrigens bin ich derzeit verführt, mich leidenschaftlich leidenschaftslos zu betrinken. Ich wehre mich. Ich gestehe, so alleine irgendwo fern der Heimat, fern meiner Liebsten, fern seiner «normalen» Struktur, empfinde ich es anspruchsvoll, mich nicht zu betrinken. Ein innerer Kampf. Ich kämpfe stündlich gegen die ferienbedingte Strukturlosigkeit und die grosse Absenz von Liebe. Das einzige, das mich beruhigt, ist das impulsive Schreiben.
Ich habe selber nicht bewusst Psychopharmaka konsumiert. Ich habe eine Epoche verdrängt, als ich nach meinem grossen Absturz mit 18 irgendwann anerkennen durfte, ich sei verrückt. Man diagnostizierte mir damals die klassische bipolare Störung. Das erklärt mein wechselwirkendes Himmelhochjauchzen und Zutodebetrübtsein. Ich konsultierte ungefähr dreimal einen ausgewiesenen Psychiater. Das war mitten meiner zweiten Adoleszenz.
Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, aber ich durfte etwas «testen». Ich vermute Zyprexa. Ich hatte bloss wenige Sitzungen und habe das Medikament wahrscheinlich zweimal geschluckt. Ich kann keine konkrete Wirkung ausm Verdrängungsstamm aktivieren. Wahrscheinlich habe ich die Behandlung vorzeitig abgebrochen. Ich weiss bloss noch, was mich empörte. Nämlich die Aussage des Psychiaters, mich zu ändern.
Ich habe Mängel. Ich bin ein Mängelwesen. Eine Mängelwirtschaft. Ich bin sehr unvollkommen. Aber ich beweise täglich, dass ich trotz meiner Mängel funktioniere. Das ist doch die Hauptsache. Ich gefährde weder mich noch mein Umfeld übermässig. Ich bedrohe die Allgemeinheit keineswegs, ausgenommen mit meinen Gedanken und Endzeitvisionen. Ich bin mehr oder weniger harmlos, ich versteuere sogar Einkommen und irgendwann Vermögen jenseits des ordentlichen Sozialabzuges.
Ich habe gelernt, mit meinen Unzulänglichkeiten zu leben. Wäre ich ein anderer Mensch geworden? Ja, ich behaupte ja. Ich wäre ausgeglichener. Ich bin zwar mittlerweile recht geruht, dennoch bin ich weiterhin verhältnismässig oder im Vergleich zum Standard ungestüm. Ich bin sehr leidenschaftlich und total. Extrem. Ich verliere mich gerne in Details, ich abstrahiere gerne zum Grossen und Ganzen. Aber ich kann mich kaum konzentrieren.
Manchmal bin ich auch blockiert. Ich masturbiere stundenlang, versuche mich zu zerstreuen, kann kaum einen vernünftigen Gedanken fassen. Ich bin wie gelähmt. Ohnmächtig. Das sind die klassischen depressiven Momente. Ich ergebe mich total diesen Momenten. Man kann meinen, als geniesse ich sie. Und sie dauern, ja. Manchmal lockere ich mich mit Alkohol. Ich werde überschwänglich. Ich bin nicht aufhaltbar. Meine besoffenen Selbstbildnisse beweisen das.
Freilich bin ich auch ohne Alkohol überschwänglich und leidenschaftlich. Ich kann mich rasch begeistern. Ich kreische und tanze gerne, auch nüchtern. Ich kann wie ein Irrer im Autositz hopsen und jauchzen. Ich kann intensiv und intensiver lieben. Ich kann mich in Ideen, Visionen verlieren. Ich spüre dann, immer noch nüchtern, dass ich die Welt haben kann und haben werde. Das ist boost. Das befeuert mich. Mein Futurismus ist denn auch etwas Manisches.
Meine Konklusion ist, dass ich mit meinen Mängel irgendwie mich arrangiert habe. Gewiss ist nicht alles perfekt. Ich könnte wirklich ausgeglichener sein. Aber ich will’s nicht. Ich vermute, dass ich meine Genialität grösstenteils meiner allgemeinen Störung verdanke. Ich habe mich klassisch versucht zu zähmen, mit einem bürgerlichen und anständigen Leben. Mit Nulltoleranz und Mittelmass. Ich glaube, ein mittelmässiges Leben überlebe ich bloss mit Psychopharmaka.
Ein mittelmässiges Leben akzeptiert denn auch keine Ausbrüche, Ausschweifungen und Exzesse oder Melancholie. Das mittelmässige Leben erstickt jede Manie. Aber verurteilt gleichzeitig auch jede Depression. Ich erleide halt Depressionen, ich feiere halt Manien. Fürs Protokoll, meine Stimmung ist derzeit wirklich leicht depressiv. Meine Antidepressiva sind Alkohol und Sex; beides spare ich mir aber auf. Für meine ordentliche Manie.
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