Die Sexualität beschäftigt Houellebecq. Sexualität beschäftigt denn auch mich. Heute eröffne ich meinen Blog mit einem kleinen Zitat, das wohl ein Klassiker ist. Doch Vorsicht, dieser Beitrag untersucht das Übel im Übel der Sexualität und endet in Auschwitz.
Der Sex, sagte ich mir, stellt in unserer Gesellschaft eindeutig ein zweites Differenzierungssystem dar, das vom Geld völlig unabhängig ist; und es funktioniert auf mindestens ebenso erbarmungslose Weise.
Doch für mich ist’s nicht bloss die Sexualität, um die «ebenso erbarmungslose» gekämpft werde, sondern auch um die Liebe an und für sich. Die Sexualität kann zwar Liebe ausdrücken, kann Liebe transportieren, aber nicht alleine verkörpern. Gewiss kann eine Liebe erkalten, die nicht mehr oder weniger regelmässig am und durch den Körper des Liebenden sich wärmt. Dessen bin ich mir und ist auch die Mehrheit sich wohl bewusst. Aber das grosse Thema ist der Mangel an und der Liebe dieser Welt.
Geld und Sex
Die Liebe gleicht einer Ökonomie. Die Sexualität ist bereits verökonomisiert. Die Wenigen haben viel Sex, die Mehrheit keinen bis wenigen. Die Sexualisierten prahlen, künden von ihrer Übersexualisierung. Die schweigende Mehrheit schweigt, darf hier und da einige Likes absetzen. Die Industrie wiederum befriedigt Sehnsüchte konkret in Pornographie, abstrakt in Film und Buch.
Natürlich korrelieren Geld und Sexualität nicht direkt; man erzählt Geschichten von finanzschwachen, dafür potenten Lebenskünstler und/oder umgekehrt. Dennoch zeigt sich im öffentlichen Bild eine lineare Gleichung zwischen Geld und Sexualität, personifiziert durch reiche Männer mit schönen Frauen. Dass die Männer gleichzeitig auch schön sind und die Frauen nicht weniger reich, festigt eine Linearität zwischen Geld und Sexualität.
Liebesbedürftig
Wir sind alle liebesbedürftig. Eine Sehnsucht nach Sexualität überdeckt bloss den Schrei nach Liebe. Liebe ist aber ein tiefes Gefühl, eine mächtige Emotion. Blöderweise sind wir so abgewöhnt, abgestumpft, dass wir nicht mehr liebensfähig sind. Wir sind so mit uns beschäftigt; wir verkrüppeln unser Ego mit Zweifeln, um es daraufhin wieder zu schmeicheln. Wir durchleben Hochs und Tiefs. Wir können niemandem vertrauen, weil wir uns selber misstrauen. Wir wollen unsere Wettbewerbskraft stets gestählert, bewiesen und erprobt wissen. Wir flüchten in endlose Selbstverwirklichung. Alle diese Hast, alle diese Hektik schmälert mit jedem Atemzug, mit jedem grauen Haar unsere Liebensfähigkeit. Wir können uns nicht mehr hingeben, wir können niemanden mehr fokussieren. Wir müssen stets reflektieren, hintersinnen, verbessern. Wir müssen optimieren.
Die unendliche Liebe
Ich will keine blinde Liebe romantisieren, wo man sich völlig auflöst und sich selber im doppelten Sinne aufhebt; Aufheben im Sinne von Versorgen-Verstauen und Aufheben im Sinne von Auflösen. Ich will aber mehr Naivität predigen. Wir sind so geschult, durch etliche Ratgeber und Ratschläge beeinflusst, durch Film und Buch korrumpiert. Wir kennen alle Gefahren, alle Bedenken, wir kennen alle Risiken. Wir dürfen uns das Leben manchmal leicht und vor allem leichter machen. Wir müssen nicht unser Leben verkomplizieren. Wir müssen es bloss erfahren.
Die einfache Liebe
Die schönste Liebe ist, die ehrlich und einfach ist. Eine einfache und ehrliche Liebe ist, wenn sie bedenkenlos ist. Man kann jederzeit bedenken, sich sorgen, sich hinterfragen. Das ist durchaus in Ordnung. Man kann sich jedoch zerfleischen, man kann sich überrumpeln, man kann sich selber blockieren damit. Das bedeutet, wenn man spürt, dass man jemand mag, solle man das ausdrücken können. Ausdrücken kann man Liebe mit Küssen, Umarmungen, mit Kunst, mit Zuwendungen, mit Teilhabe, mit Sexualität freilich. Man schenkt, man lässt teilhaben, teilt das Leben und nicht bloss einen Status. Aber wiederum muss man fähig sein, umarmt, beküsst, beschmust, beschenkt oder auch befriedigt zu werden. Einfach zulassen.
Kein Auschwitz mit Liebe
Mit Liebe, mit unendlicher und einfacher Liebe hätte man ein Auschwitz niemals tolerieren können. Die Menschen waren bereits nach dem Ersten Weltkrieg vereinsamt, vollends in der modernen Welt gefangen und in Geiselnahme. Sie sehnten sich schon damals nach Liebe, nach Anerkennung, nach Würdigung. Nach Sicherheit und Geborgenheit. Unsere Welt ist seitdem viel kälter geworden. Die Menschen sind noch abgestumpfter, noch überforderter als damals. Wir wissen einzig um unsere Geschichte, die mahnt mit fürchterlichen Denkmäler. Das verhindert das Schlimmste. Aber wirklich eine liebende Gesellschaft werden wir wohl im heutigen System nicht mehr.
So nebenbei: Unlängst habe ich beantwortet, was Liebe für mich bedeutet.
Schreiben Sie einen Kommentar