Der Anzug

Ich sympathisierte bekanntlich zeitlang mit Momos Gegenspielern, den grauen Männern. Dass diese Männer in grauen Anzügen herumschlichen, war mehr als sinnbildlich. In diesem Beitrag erzähle ich meine Beziehung zu Anzügen.

DBE-Momo-Graue-Maenner

Nein, es war kein Samstagabend mit Momo, der mich aufs Thema Anzug stimmte. Das könnte man mir durchaus zutrauen. Denn ich mag Buch wie Film. Die Geschichte berührt mich seit einigen Jahren immer wieder. Denn die Geschichte ist eine zutiefst ökonomische, auch wenn sie zuweilen im Vollgeld-Dunst schwabert. Doch eben, darum geht’s mir heute zumindest nicht. Sondern um Anzüge Baby.

Aufs Thema aufmerksam hat mich ein Beitrag der Zeit gelockt. Der grosse Unterschied des Anzuges an und für sich ist, dass er nicht unterscheidet. Ich zitiere:

Anders als bei der bisherigen, am Beruf und der Herkunft des Trägers orientierten Kleidung, sind beim Anzug religiöse, kulturelle oder ethnische Unterschiede nicht mehr sichtbar. Seine Neutralität ist der Schlüssel zum Erfolg.

Das war revolutionär. Das ist revolutionär. Es ist wortwörtlich eine Uniform, eine Uniform der westlichen Zivilisation. Ich schmückte mich zeitlang mit möglichst schrillen Anzügen. Meine Brocki-Touren waren bekannt. Die Anzüge sassen zwar nicht immer perfekt, aber manchmal belohnte der Zufall meine Hartnäckigkeit und ich erwarb Schmuckstücke zu Billigstpreisen. Diese Schmuckstücke konservierte ich nicht, sondern zertrümmerte sie sobald in der nächsten Party. Flecken, Risse, Brandlöcher, ich war der ultimative Anzugzerstörer.

Ich unterlief das System, die Uniform, indem ich sie missbrauchte für meine offensichtliche Tarnung. Denn obgleich ich einen Anzug trug, war es doch sehr offensichtlich, alleine durch die Farbe und den Zustand des Anzuges, dass ich nicht uniformiert oder angepasst war. Ich bediente mich der Kleidung des Systems so wie ich mich der Sprache des Systems bediente. Ich habe die Symbole des Systems für meine Zwecke instrumentalisiert. Das gefiel mir.

Seit meiner Existenz als Unternehmensberater hüllte ich mich vorzugsweise in grauen Anzügen. Das wurde schon bald mein «Markenzeichen»; weisses Hemd, grauer Anzug, braune Schuhe und eine braune Tasche. Ich verringerte damit die lead time meines morgendlichen value stream wie man das im Beratersprech verklausuliert. Das gefiel mir irgendwie auch. Diesmal war die Tarnung besser. Man wollte mich als einen der ihrigen identifiziert wissen.

Mittlerweile verstecke ich mich selten in Anzügen. Ich bin ehrlicher geworden. Ich kleide mich mit einer Stoffhose, vorzugsweise bläulich oder bräunlich und einem vorzugsweise weissen oder blauen Hemd. Die Schuhe sind entweder bläulich oder bräunlich. Das hat zwar die Komplexität meines Kleiderschranks erhöht und sicherlich die Durchlaufzeit im Morgentritt verlängert, aber dafür mir gewisse Individualität und Differenzierungsmerkmale erstattet.

Nichtsdestotrotz fertigt Eniline, eine Schneiderei in Bern, mir zwei superknallige Sommeranzüge; einer in Leinen und einer in Schurwolle. Farbe und Schnitt sind aber gewagt und untypisch. Ich werde Aufmerksamkeit erregen. Vermutlich so viel Aufmerksamkeit wie einst vorm Terminus, als ich mit einem dekadenten weissen Sommeranzug einige Halbstarken provozierte. Und alles in einer Prüglerei zu enden drohte.

Mal schauen.


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