Ich bin sehr empfänglich für Tragödien. Tragödien ermuntern, erfrischen und verjüngen. Sie erinnern, dass man lebt und spürt. Früher war ich (sehn-)süchtig nach Tragödien. Mein Lebenslauf kann man denn auch tragisch lesen. Mittlerweile ist mein Verhältnis abgeklärter. Darüber reflektiere ich in diesem Beitrag.
Viele Menschen fürchten das Tragische. Sie sehnen sich nach dem happy end der Kulturindustrie. Darin lösen sich alle Spannungen und Erregungen. Zeitgemässe Serien wie Gute Zeiten Schlechte Zeiten erregen die Gefühle der Zuschauer. Sie dramatisieren, sie übersteigern, bis sie alle Gefühle sich wieder in guten Zeiten lösen und senken. Das Wechselspiel ist absehbar und jedem Zuschauer gewohnt-bewusst.
Produkte der zweitmächtigsten Kulturindustrie, blockbusters, die den Zuschauer “hilflos” seinem Schicksal überlassen, werden bloss von Fachkundigen gewürdigt. Die Mehrheit der Zuschauer fürchtet sich vorm einsamen “Zurückgelassenwerden” in Ungewissheit, ob alles in guten Zeiten sich wieder aufheben mag. Soviel zum breiteren Kontext.
Meine Tragödie
Ich war jahrelang besessen, dass das Leben tragisch sei. Mittels der Tragik wollte ich meine Gegenwart bewältigen. Ich war tragisch, die Welt war’s folgerichtig umso mehr. Ich konnte mich erklären. Ich konnte Muster in meinem Verhalten begründen. Und wer begründet, tröstet. Denn ich brauchte Trost. Ich brauchte Erklärung. Ich brauchte Ahnung, wieso ich war, wer ich bin und so weiter. Alle Ereignisse meines bewegten Lebens könnte ich der allgemeinen Tragödie zuschreiben. Eingeweihte wissen vermutlich um diese Ereignisse; ich will sie hier nicht einzeln listen und bewerten.
Das gefühlte Leben
Ich habe mich stattdessen am Leben selber berauscht. Wieso muss ich das Leben als grosse Tragödie führen? Wieso muss ich mich immer verausgaben? Ich strebe stattdessen nach Glück, nach privatem und zuweilen kleinem Glück. Im stillen, einsamen Augenblick, wenn ich meine Augen schliesse, wenn ich mein unstetes Herz spüre, wenn ich reflektiere und wortwörtlich innehalte, wenn ich dann zurückblicken kann und nichts bereuen muss, dann fühle ich mich. Ich fühle mich zufrieden und erfüllt.
Ich träume gerne und viel. Träume haben nichts Tragisches. Stattdessen bejahen Träume das Leben. Ich möchte Momente teilen. Ich möchte gemeinsam Nachhaltiges schaffen. Ich möchte gemeinsam Widrigkeiten überwinden. Ich möchte gemeinsam Widerstand leisten. Ich werde nicht kapitulieren und resignieren und alles als Tragödie vermiesen.
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