Warum ich apolitisch bin

Ich lebe bekanntlich in einem politisierten Stadt-Kanton. Hier ist alles politisch. Wer nicht Velo fährt, ist sofort verurteilt. Wer nicht lokal einkauft, ist geschmäht. Wer samstags nicht dreissig Minuten auf einen miesen Cappuccino am Matthäusmarkt wartet, verneint die Konzernverantwortungsinitiative, die hier offenbar ziemlich beliebt ist. 

Ungeachtet dessen bin ich apolitisch. Ich war bereits in Olten apolitisch. In Olten war mein Apolitismus akzeptiert; Olten ist eine abgehängte Randregion, nicht privilegiert, unterentwickelt, mit einem hohen kantonalen und kommunalen Steuersatz. Ausländer, Asoziale und Arbeitslose bevölkern die Stadt und erzeugen eine sanfte Gleichmut. 

Apolitisch bin ich, weil mich die federale Tagespolitik nicht interessiert. Ich kann mich knapp über die kantonalen Herausforderungen informieren. Eine Trinkgeld-Initiative ist pendent, die Frage, ob ein mehr oder weniger privates Konsortium ein weiteres Hafenbecken ausheben soll, ebenfalls – sowie erneute Regierungsratswahlen.

Ich bin politisch sehr reduziert. Ich befürworte eine Art Grundeinkommen, ein bedingungsloser EU- und NATO-Beitritt sowie alle Initiativen, die eine Weltföderation verwirklichen wollen. Alle anderen Diskussionen in der Politik sind für mich irrelevant und unwesentlich, weil keine Dekomposition auf meine Ziele möglich. 

Natürlich muss ich deswegen manche Mitmenschen enttäuschen. Glücklicherweise ist mein Umfeld ebenfalls nicht grossartig politisiert. Man diskutiert gelegentlich über bevorstehende Wahlen, bereits legitime Ergebnisse oder vage Prognosen. Die Diskussionen sind manchmal leidenschaftlich – aber bloss der Diskussion willen.

Ich diskutiere aber nicht gerne, damit diskutiert ist. Vor allem nicht über Politik. Ich verfolge grosse Ziele, die nicht mit Tagespolitik umgesetzt oder annähernd angenähert werden können. Dadurch kann ich mich distanzieren und muss nicht allzu profan und gewöhnlich diskutieren. Ich kann Diskussionen bequem quittieren damit, dass sie irrelevant sind.

Eventuell wird mich irgendwann jemand für Tagespolitik oder Lokalpolitik begeistern. Vorläufig bin ich aber nicht zu begeistern. Ich beobachte das Politische mit Desinteresse. Ich könnte für eine Art Tausch notfalls mich engagieren; Sex gegen Politik. Wenn jemand mir regelmässigen Sex verspricht, könnte ich sicherlich Politik simulieren.