Warum bin ich so zuversichtlich?

Ich besitze tatsächlich eine Zuversicht. Ich bin zuversichtlich der Welt gegenüber, dass die Menschheit dereinst vereint sei und nach anderen Werten statt Geld strebe, dass Kriege und Umweltverschmutzungen überwunden seien. Ich zweifle bloss, ob ich diese grosse Transformation einigermassen geistig bewusst miterleben kann.

Vom Mitgestalten habe ich mich längst losgesagt. Ich bin zuversichtlich mir selber gegenüber, dass ich mich immer wieder anpassen kann, dass ich mein Verhalten den mir zugetragenen Verhältnissen variieren kann. Ich bin nicht bloss ein Verpackungs- und Verdrängungskünstler, ich bin auch ein Verwandlungskünstler und Prototyp.

Die Verhältnisse kann ich nicht immer bestimmen. Ich wähle zwar meine Freunde, meinen Filter, ich reduziere oder vergrössere meine Wahrnehmung – doch ich kann nicht alles filtern und selektieren. Manche Ereignisse sind verkettet, manche erfüllen sich selbst. Ich bin zuweilen ohnmächtig und ausgeliefert. 

Allerdings kann ich selber die Ereignisse lesen und einordnen. Ich könnte alles dem strafenden Gott überantworten. Gott müsse mich bestrafen, weil ich unartig, unangepasst oder sonstwie unbequem und verantwortungslos war – was ich auch war und bisweilen bin gewiss. Oder ich kann alle Ereignisse als Bereicherung meiner Persönlichkeit verstehen.

Alle Ereignisse erhöhen die Komplexität meiner Persönlichkeit. Weil ich stets wieder Muster brechen muss, obwohl ich nicht kann, manchmal nicht will. Weil ich stets mich anpassen und umschulen muss. Ich bin zwar oftmals reaktiv, ich lerne bloss durch die Retrospektive statt Prospektive. Aber ich sammle durch jedes Ereignis neue Erkenntnisse. 

Technisch könnte ich mich zurücklehnen und beobachten, was mir passiert. Ich muss nichts fürchten. Ich habe etliches überlebt. Ich werde auch weitere Ereignisse verkraften. Weil ich mich anpasse. Ich schätze das Leben als stetige Transformation. Meine Haltung und mein Verhalten entwickeln sich. Ich bin noch nicht fertig gebaut – ich bin überhaupt nicht fertig.

Ich bin unvollkommen. Erst der Tod beendet und vervollkommnet mich. Bis dahin bin ich lernend. Ich lerne, neuartige Ereignisse auf mein Leben, auf meine Haltung und auf mein Verhalten zu übertragen. Ich lerne, deren Einfluss zu kanalisieren und damit meine Entwicklung gewissermassen zu steuern.

Ich bin daher so zuversichtlich und beinahe unverwüstlich. Aber auch ich habe meine Momente, wo ich zweifle, grüble und meine Gedanken kreisen. Dann fühle ich mich für einige Minuten, Stunden ohnmächtig und ausgeliefert, schutzlos und verloren. Es ist nicht einfach. Es ist nie einfach.

Im Gegenteil, ich glaube, die Selbstauseinandersetzung wird mit dem Alter mühsamer, anstrengender, weil die Persönlichkeit weitaus komplexer ist als z.B. in der Adoleszenz. Ein Jüngling zu transformieren, ist rasch erledigt. Die meisten Jugendlichen wechseln Weltanschauungen wie Sexualpartner. Heute Hip-Hop, morgen Metal.

In meinem Alter ist die Transformation schleichend, kontinuierlich und kann selten an einem einzelnen Ereignissen sich akzentuieren. Vielmehr ist es die Summe der Ereignisse, welche die Summe der Persönlichkeit gestaltet. Diesen Prozess der Transformation zu bejahen, spendet Zuversicht und entspannt schliesslich. Ich bin beruhigt.