Meine Anti-Weihnacht

Weihnachten überlebt das Christentum. Die grossartige Idee der Nächstenliebe rückt in den Hintergrund. Maria und Josef waren Flüchtlinge. Sie begehrten Asyl. Der ärmste Stall ganz Bethlehems öffnete sich. Und dort ist Gottes Sohn geboren worden. Das ist diese urbane Legende, worauf schliesslich eine Religion sich beruft.

Weihnachten. Das ist heutzutage ein inszeniertes privates, berufliches wie wirtschaftliches Spektakel. Wir sind abgeklärt genug, um dosiert teilzunehmen, wo gerade erforderlich oder sich anschickt. Wir beklagen uns nicht, wir unterordnen stattdessen uns, damit wir sozial nicht geächtet werden.

Einige leisten Widerstand, jedoch vergebens. Es sind die ohnehin Ausgestossenen an den grossen Bahnhöfen der Schweiz. Sie betrinken sich gemählich als wäre der 24. Dezember ein beliebiger Tag. Sie überhohen den 24. Dezember nicht. Sie begnügen sich mit ihrem verlorenen Posten innerhalb unserer Gesellschaft.

Für die tagtäglich leidende Mittelschicht ist Weihnacht der Abend der grosse Projektion und somit automatisch der grossen Enttäuschungen. Man fiebert mit. Die Musik berieselt, der Weihnachtsmarkt beschwipst. Die Unternehmen empfangen zum Botellón. Selbst eine graue Behörde lockt und fordert Altherren und Jungfrauen gleichermassen heraus.

Der Weihnachtsbaum konzentriert die Aufmerksamkeit. Die sozialen Medien laufen über mit fröhlichen Stimmungen. Jede Familie behauptet öffentlichkeitswirksam, wie harmonisch, wie selbstsicher und wie selbstbewusst sie den Baum schmücke, das festliche Mahl zubereite und wie gehorsamst alle Verwandtschaft anreise.

Wir vergessen die Einsamen und Verlorenen. Gewiss mahnt uns die originale Weihnacht, wir müssen besinnlich sein. Hier und da werden wir nicht zerstreut, sondern medial betroffen. Das sind einmalige Effekte, die wir schon vorwegnehmen und damit wegabstrahieren. Wir haben uns mit dem Leid arrangiert und streben deswegen nach persönlichem Glück.

Ich feiere in diesem Jahr eine Anti-Weihnacht. Müsste ich nicht anderen Pflichten genügen, so würde ich mich einfach sinnvoll sinnlos betrinken. Ich habe in diesem Jahr kein Bedürfnis, irgendwas oder irgendjemanden zu simulieren. Ich werde mich stattdessen zurückziehen und warten, bis die Weihnacht wieder vergessen ist.