Keine Erinnerung

Das Leben verflüchtigt sich. Die unendliche Vergänglichkeit. Ich altere. Doch kann ich mich noch erinnern? Ich habe kaum Gegenstände, die mich erinnern. Mein Zimmer ist kahl. Einige Bücher sind zufällig angereiht. Viele Gebrauchsgegenstände lagere ich; eine Schere, Malstifte, Ladekabel des Typs USB-C. Ich habe nichts, was an meine Vergangenheit mich erinnert.

Meine Kleidung sortiere ich regelmässig. Hemden der dritten Generation werden ausgemustert. Socken bereits nach der zweiten. Ich verbrauche Material. Ich verschwende und kaufe. Ich sammle nicht. Ich habe nichts, was ich bereits mit 18 trug. Ich habe nichts, was ich bereits mit 18 hatte. Selbst meine Möbel sind frisch und neu. Sie werden abgenutzt. Im Mai 2017 brauche ich wohl eine neue Wohnung.

Woran kann ich mich mit vierzig erinnern? Was kann mich fesseln? Die meisten Geschichten meiner Jugend habe ich gelöscht, die Bilder vernichtet, das komplette SOU-Archiv, Szene Olten und Umgebung. Darin waren unsere Exzesse dokumentiert. Eine erdrückende Beweislage. Ich habe sie entsorgt. Im persönlichen Gespräch mit damals Beteiligten erwecken wir Nostalgie, versuchen uns zu erinnern.

Was bleibt nach diesem Leben? Hätte ich Kinder, könnten sie mich erinnern. Sie werden sich erinnern. Das Buschi meiner Wohngemeinschaft mag sich eventuell an mich erinnern. Sie mag mit 16 von einem coolen stellvertretenden Onkel erzählen. Der stets besoffen hineinschlich und kaum hörbar masturbierte. Das sind Geschichten des Lebens. Vermutlich werden sie oft und gerne erzählt.

Doch immerhin habe ich meine Tagebücher. Darin sind meine Gefühle, meine Befindlichkeiten einigermassen akkurat dokumentiert. Chronologisch sortiert. In der Cloud persistiert, hochverfügbar. Ich zahle sogar einige Dollars monatlich. Gelegentlich stöbere ich darin. Ich lese nach, was ich damals fühlte. Das tröstet. Denn ich fühle mittlerweile mehr, ich weiss mehr. Ich bin erfahrener geworden.

Erinnern tut weh.