Im Raucherbereich

Ich verweile in einem Cafe, das einen alten Regionalzug der SBB imitiert. Hier ist Rauchen erwünscht. Das lockt einen besonderen Schlag Mensch hierher. Ich gehöre dazu, weil ich rauche. Es sind Franzosen und Asylanten hier, sozial Ausgestossene mit ihren eingereisten Frauen, die hier einfach sein dürfen.

Im Stockwerk darüber wartet eine grosse und prächtige Halle. Dort schmücken sich die Jungmütter und Jungvater mit dem Nachwuchs. Man plaudert und trifft sich hier, man fühlt sich dabei urban und modern. Die Limonaden sind teils lokal produziert, teils von Deutschland oder Frankreich importiert.

Wer will, kann auch eine Pizza bestellen, die mit hauptsächlich lokalen Zutaten hergestellt ist. Das Gebäude hat auch die vergangene Volksinitiative für ein bedingungslose Grundeinkommen ausgebrütet. Es thront neben der Hauptpost Basels, zentralste Lage somit. Das Personal ist ausgesucht sozial schwach.

Hier werden Minderheiten geschätzt. Asylanten sind willkommen. Auch Heimatlose wie ich dürfen hier sich wärmen. Die grossen Städte haben alle solche Orte, wo der Konsum zweitrangig ist und wo die spontane Begegnung mit allen Schichten stattfinden soll. Im Nichtraucher-Bereich sind Tageszeitungen ausgelegt.

Manche besuchen den Ort bloss, um einen Cafe zu geniessen und eine geistige Zeitung zu studieren. Es sind sozial höhergestellte Männer wie Frauen, die diese Institution öffentlichkeitswirksam unterstützen wollen. Denn im Cafe ist man ausgestellt. Die Flaneure der Stadt können einen beobachten.

Als Gast hat man die Wahl zwischen einem Blick nach Draussen oder nach Innen. Die Stühle sind sorgfältig sortiert und fordern eine Entscheidung. Ich entscheide mich für eine Innenperspektive. Wer an der Falknerstrasse spaziert, interessiert mich nicht. Wenn ich mich ablenken will, kann ich meinen Kopf drehen.

An diesem Ort fühle ich mich wohl. Ich muss nichts simulieren oder künsteln. Ich darf einfach mich absetzen. Ich werde nicht beäugt, weil ich alleine und ohne Gesellschaft hier bin. Dieser Ort ist auch für Telearbeit bekannt. Im Nichtraucher-Bereich sind Laptops deswegen verboten. Man will keine nicht persönlich kommunizierenden Wifi-Nomaden.

Telearbeit ist erwünscht stattdessen im oberen Stockwerk, in der grossen Halle. Dort hat man den selbständigen Entwicklern, Grafikern und Studenten eine Zone zugewiesen. Sie dürfen dort auf ihre silbernen MacBooks starren, mit dem obligaten Kopfhörer Schall dämpfen. Eine immerzu überlastetes Wifi ohne Garantie und Sicherheit ist offeriert.

Ich habe die Halle auch schon für einen beruflichen Workshop genutzt. Wir haben ein Packpapier an die Fensterfront geklebt. Die nicht mehr berufstätigen Müttern haben uns gemustert. Sind wir hippe Kreative? Wir haben lediglich eine klassische Retrospektive durchgeführt. Mehrere Kinder wollten mit unseren bunten Zetteln spielen.

Sie durften. Doch wir erklärten, dass wir das Arbeit nennen. Aussenstehende oder ehemals klassisch arbeitende Jungmütter können nicht reproduzieren, wie man in einem Cafe “arbeiten” kann. Immerhin tranken wir keinen Alkohol. Das ist ohnehin verpönt während einer Retrospektive, weil sie deren Ernst mindert.

Ich beende meinen Aufenthalt hier aber nach mindestens fünf Zigaretten. Danach bin ich vollgeraucht. Und ich möchte nicht riskieren, dass ich meinen Platz verliere. Denn hier ist man nicht bedient. Man kann zwar einen Platz andeutungsweise mit einer Jacke reservieren, doch das ist nicht verbindlich und ohne Gewähr.

So muss ich stets nach einer Ladung das Cafe verlassen. Das könnte ich vermeiden, wäre ich nicht alleine oder würde das Gespräch mit einem Nachbarn provozieren, der mir einen Platz freihalten könnte. Doch dazu bin ich selten fähig, wenn ich alleine hier bin. Dann will ich einfach alleine bleiben.