Ich spreche nicht viel. Ich bestelle zwar Pizzen. Ja, Weisswein, Bier, Polenta oder Zigaretten. Was auch immer. Meine Konversationen sind reduziert-funktionalisiert. Ich hatte noch kein Gespräch geführt. Ich bin quasi alleine. Doch heute habe ich das erste Mal richtig gesprochen. Ich lernte in der Schweiz, in Chiasso einen zurückgewiesenen Flüchtling kennen, dem man freundlich die Durchreise nach Deutschland verweigert. Er stammt aus Syrien. Seine Kinder sind noch dort; seine Mutter auch. Er will nach Deutschland, arbeiten und so. Die Geschichte ist millionenfach erzählt worden.
Ich erzählte ihm von meinen «Problemen», typische first world Geschichten. Es war zynisch. Als wir in Como eingefahren sind, lagen sie alle aufm Perron herum. Die Zeltburgen, die vielen Decken, das grosse Warten. Der Gestank. Die Polizisten. Die spontanen Helfer. Ich spendete ihm meine Münzsammlung und einige Zigaretten. Er sei kurz vorm Wahnsinn, nicht mehr viel halte ihn lebendig. Er hungere, was deutlich sich auch abzeichnete. Ich dagegen bin voll ausgestattet. Ich trage einen MacBook, ein iPad, ein Nexus 6P, mehrere hundert Euro, gefühlte sechs Päckchen Zigaretten. Ich erkundigte mich scheu nach seinem next step. Keine Ahnung, die Nacht überleben.
Gute Idee, mein nächster Schritt ist eine Apéro Bar. Ich sollte allmählich wieder essen. Ich habe keinen Hunger. Eventuell besaufe ich mich oder ich verjuble mein Geld mit den Flüchtlingen. Ich zahle eine Runde Muschishots. Wir feiern, wir jubeln. Wir zertrümmern Como; wir stürmen und überfallen die Touristen. Wir randalieren. Wir leisten Widerstand. Ein letztes Mal. Das erste Mal. Dennoch verblüffenderweise sind die Flüchtlinge wirklich «angenehm», also weder aufdringlich noch bedrohlich. Das irritiert. Wenn ich verzweifelt wäre, was würde ich tun? Wenn meine Familie bedroht ist? Wenn meine Frau vergewaltigt wird? Meine Eltern erschossen? Wäre ich auch so gelassen?
Glücklicherweise habe ich keine Konversationen, ich habe niemanden, mit dem ich mit austauschen könnte. Ich glaube, ich werde mich mit Euronen bewaffnen und die zahlreichen spontanen Helfer anquatschen. Unvorteilhaft ist, dass ich in der Schweiz lebe; das «böse» Land aus deren Perspektive. Eventuell kann ich mich ja als Deutscher tarnen. Ich wirke ja bekanntlich im Ausland immer deutsch. Ich lasse mich überraschen, doch im Zweifel passiert nichts. Ich vergnüge dann mich mit Spaghetti und lese Die Möglichkeit einer Insel fertig, die perfekte Ferienlektüre.
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